Wer den in Wien lebenden 32jährigen Joseph Sakoilsky kennt, tut sich schwer damit, sein Werk von der Person zu trennen, also genau das durchzuhalten, was dem im Frühjahr eröffneten Wiener Aktionismus Museum (WAM) von Missbrauchsopfern des Künstler-Tyrannen Otto Muehl vorgeworfen wird: die strikte Trennung von Kunst und Person im ästhetischen Diskurs.
Der seit 14 Jahren künstlerisch aktive Brite besitzt einen so einnehmenden Charakter, ein so sonniges und humorvolles Gemüt, er strahlt rundum eine solche Zufriedenheit mit der Welt aus, dass man sich für seine Biographie und Persönlichkeit rascher begeistert als für seine Kunst und ernsthaft Gefahr läuft, dabei stehen zu bleiben.
Sakoilsky kommt aus Verhältnissen, die ihn wirklich offen gemacht haben für das Wunder. Er ist der Sohn des legendären Londoner Underground-Artist Paul Sakoilsky, bei dem Kunst und Leben ganz und gar aus dem Überschwang kommen. Josephs fröhlich-anarchistischer Vater kennt keine Stimmungen der Langeweile, der Lethargie, und wenn er sie kennt, vertreibt er sie augenblicklich mit einer Farbdose.
Der Künstler-Vater ist immer »on fire«. Selbst in Pauls introvertierten Phasen feuerwerkt es eben innerlich. Dieser East Londoner Performer, Poët und Philosoph erscheint seit Jahrzehnten schier besoffen von all den Gedanken, Ideen und Möglichkeiten, die unsereins hier auf Erden geboten werden. Auf ihn trifft das Wort daseinstrunken perfekt zu, und, was damit umschrieben wird, das brachte der Künstler-Vater auch seinen Nachkommen bei- oder nahe: das Wissen, die Gefühle, die Menschen, das Sinnliche und das Geistige, ein Bewusstsein von Material und Rausch, das Grosse Ganze, die Vielfalt und ihre Ignoranten, die Freude am Kampf, diese unglaubliche Lust am Leben.
Übervater in Österreich
Dank seiner Herkunft aus dem rabiaten Künstlerhaushalt war auch Joseph von klein auf ein »intensiver« Mensch. Es gab immer einen Drang, ein Wissenwollen, Ausprobierenwollen, ein Austesten der Grenzen. Joseph teilte mit seinem Erzeuger auch dessen Übervater Hermann Nitsch in Österreich. Denn Paul ist ein wahrer Afficionado des Wiener Aktionismus; dieser »Zarathusthra, der von den Gipfeln des Leidens herabsteigt«, wirkte bei allen wichtigen Aktionsspielen als aktiver oder passiver Akteur des OM Theaters mit. Plakate und Aktionsfotografien schmückten seit den 1980er-Jahren seine Londoner Wohnung.
Heute lebt und arbeitet der Sohn, Joseph Sakoilsky, als Glückskind in Wien. Die international und lokal äussert rührige Nitsch Foundation, Hegelgasse 5, zeigt aktuell unter dem Titel ›From pain comes pain, then laughter‹ eine Hommage des Nachwuchsaktionisten, von der noch länger die Rede sein wird. Sogenannte Punch Paintings, ausgeführt in Acrylfarben, erinnern an die kleinformatigen Rinn- und Spritzmalereien von Nitsch. Sie zeichnen sich aber durch zwei Besonderheiten aus.
Da sind einmal die Retro-Pastelltöne der 1950er-Jahre, die einen Charme von Vintage verbreiten, und die Nitsch gerade wegen dieser Heimeligkeit vermieden hat. Zweitens verlegte Nitsch konstruktive graphische Elemente konsequent in sein zeichnerisches und druckgraphsiches Werk und vermischte sie nie mit seiner abstrakten Aktionsmalerei. Joseph Sakoilsky führt diese beiden Universen mit viel Ironie und Witz wieder zusammen. Der Punch klatsch auf Kreise und Kreissegmente, Tierkohle kratzt durch Rechtecke und Trapeze.
Dinner for Two
Besonders eindrucksvoll jedoch sind die Video-Dokumentationen von Performances des Künstlers aus dem heurigen Jahr. Es sind Slapstickstücke, deren Humor weit über den Bildwitz hinaus weist. In ›Dinner für Two‹ sitzen einander zwei Akteure, der Künstler in Kollaboration mit Kata Oelschlägel, im Malkittel gegenüber. Mit geschienten Armen dekonstruieren die beiden sämtliche bürgerliche Tischmanieren, indem sie die vor ihnen aufgetragenen Speisen und Getränke regelrecht maträtieren.
Die beiden Personen schütten sich mit den Flüssigkeiten frei, sie giessen sich, wie zwei in das Leben Verliebte, Wein über die Köpfe, sie stopfen sich unbekümmert und mit ernster Miene Melone in den Mund und spucken diese wieder aus. Eine schöne und konzentriert Materialschlacht findet da vor unseren Augen statt – ein Exzess, telepathisch verbunden mit den Existenzfesten der Wiener Klassiker, elektrisiert von den aufführerischen »Ferkeleien« mit Lammkadaver und Farbe im Perinetkeller und unterirdisch geheim verkabelt mit den grotesken Kurzfilmen, den ›Valentianden‹ von Arnulf Rainer und Dieter Roth, aus den 1970er-Jahren.
An der Hauptwand des Ausstellungsraumes hängt ein gewaltiges, zweiteiliges Aktionsdypich einer weiteren Sakoilsky-Arbeit. Unter dem Titel ›9 to 5, the great zero‹ hat sich der Künstler acht Stunden lang auf eine Pilgerschaft in seinem Atelierzimmer gegeben. Dabei verdichteten sich die Spuren schwarzer Farbe über seine Sohlen auf den Leinwänden zu einem massiven Ring am Boden.
Hat der Land-Art-Künstler Richard Long auf seinen Wanderrouten die einsame Natur durchstreift und dabei Kreise aus Stein- und Felsbrocken oder aus getrocknetem Holz hinterlassen, so kommt Joseph Sakoilsky, wie der Romanheld von Xavier de Maistre (1794), cool und gelassen mit seinen vier Wänden aus. Der Zugriff Longs auf die Landschaft erscheint in dieser Perspektive geradezu globalistisch und, auch wenn Long zu Fuss geht, dem nervigen Mobilitätsdruck unserer Zeit verfallen.
Next Generation of what?
Zum »post-radical Viennese Actionism« müssen neben Joseph Sakoilsky seine Partnerin Kata Oelschlägel, die Kandinskys Linientheorie in der dritten Dimension ihrer Körperoberfläche fortführt, sowie Elias Franziskus Grüner gezählt werden, der in einem quasi-schamanistischen Manifest erklärt: »Ohne Gefallen an der Schöpfung kann kein Wesen leben! Es ist, als lebe das Herz im Wohnzimmer, die Seele im Schlafzimmer und die linke Hand macht Tee im Bad. Die Odyssee des Humanismus wird noch etwas andauern, bis der Menschengeist sich von dieser Disruption befreit, sich ordnet und wieder schöpferisch wird«.
Das atmet vielleicht keinen vollkommen neuen Geist, aber doch einen viel weiteren und sensibleren als die politsch engagierte Kunst, die uns heute bis zum Abwinken umgibt. Der Neue Wiener Aktionismus ist auf dem besten Weg zum philosophischen Tiefgang von Hermann Nitsch zurück zu finden, der auch ein beachtlicher Schriftsteller und Denker war. Die aufbrechende Generation überwindet die simple Kunst des Staunenmachens, die etwa Florentina Holzinger in ihren spektakulären feministischen Tanz-Acts inzwischen immer flacher bedient.
Die Postaktionist·innen der neuen Generation nutzen die Kraft des Bildermachens, und sie nutzen die Energie des Augenblicks, also ihre Jugend, dazu, die Kunst und das Denken auf dem Weg zu ihren vermuteten Grundlagen auf sich selbst zurückzuführen. Joseph Sakoilsky sagt, wie die selige Elsa von Freytag-Loringhoven: »Meine Ausdrucksform ist der Protest gegen alles Konventionelle«, aber der Brite bleibt bei den spektakulären Selbstinszenierungen nicht einfach stehen. Er veralbert gewisse Kunstideen des Wokismus, ja, und er provoziert die alte Märchenstadt an der Donau, auch das, dabei versackt die Bedeutung aber weder in reiner Ausdruckmöglichkeit noch in reiner Form.
Wie Nitsch behaupten die Neuen Wiener Aktionist·innen, das Subjekt bestimme den Gegenstand. Sie stellen dann diese Behauptung als das Wirkliche hin und verwerfen den gegenüberstehenden Standpunkt als Schein. Der Immanenzgedanke sieht ja in seiner Grundthese das einzig Wirkliche; dabei gerät das Immanenzprinzip zum einzigen nicht Immanenten. Dadurch hat sich der Standpunkt im Denken schon selbst wieder aufgehoben.
Unendlichkeit der Gegensätze
Nitsch sah dieses Problem sehr klar erkannt! Solange wir im nur Gedanklichen bleiben, ist der Ungereimtheit der Immanenz nicht zu entkommen. Die blosse Formulierung in Begriffen stützt nämlich die Transzendenz des Gegenstandes als eine ontologische. Nur die Materialisierung in der Aktion, das »Sein der Wirklichkeit«, vermag dem Widerspruch des Denkens auszuweichen, nur die Performance vermag das Lebendige im Sinne einer Idee, eines Grenzbegriffs anzunehmen.
Es ist wie bei dem 2022 verstorbenen Schöpfer des Orgien Mysterien Theaters eine schwankende Metaphysik, die wir in dieser Ausstellung erleben. Ich esse, du isst; du stopfst dir eine Melone in den Mund, ich stopfe mir eine Melone in den Mund. Ich bin es, weil ich nicht etwas anderes bin … Du bist es, weil du nicht etwas anderes bist …
Das dekadente Paar führt das, was es ist – der Stuhl unter ihm, die Luft in seinen Lungen, die geleerten Gläser – durch eine Unendlichkeit von Gegensätzen. Wir alle unterstützen uns immer bereits gegenseitig. Wir sind da, »mutterleibhaft geborgen«, wie Nitsch sagte. Und ziehen eine oder mehrere Personen in die falsche Richtung, definieren wir sie sofort neu im Lichte dessen, was sie ihren Nachbarn angetan haben.
© Wolfgang Koch 2024