Nein, sie ist keine Sarah Wagenknecht, kein politisches Leuchtfeuer im öffentlichen Meinungsstreit, obwohl sich die Agenden der österreichischen und der deutschen Ausnahmepolitikerinnen auf vielen Gebieten wohltuend überschneiden. Die 68jährige Madeleine Petrovic ist Österreichs einzige graswurzelbewegte Politikerin, Urgestein aus der Besetzung der Hainburger Au vor vierzig Jahren, ehemalige Bundesprecherin und Klubobfrau der Grünen Parlamentsfraktion, ehemalige Landesprecherin der Ökopartei in Niederösterreich, Präsidentin des Wiener Tierschutzvereins in Vösendorf, Obfrau von Save Tibet, und so trifft auf Madeleine Petrovic unbedingt das zu, was der Historiker Albert Fuchs einmal über die Pazifistin und Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner gesagt hat:
Es wäre höchst ungerecht, ihre Lebensarbeit als die einer »überdimensionalen Komiteedame« zu beurteilen.
Madeleine Petrovic hat das Establishment und die Mainstream-Medien in Österreich verlässlich gegen sich; die vierfache Akademikerin, die übrigens auch ein Kapitänspatent besitzt, bringt mit ihrer Fachkompetenz und Rhetorik die durchwegs mit Studienabgängern besetzten Medienredaktionen fortwährend gegen sich auf. Linksliberalen Blättern wie Falter und Furche agiert die kluge Feministin zu selbstbewusst, der Neuen Kronenzeitung zu SPÖ-kritisch, dem ORF ist sie viel zu profund über wissenschaftliche Studien informiert.
Das hinderte Madeleine Petrovic freilich keine Minute daran, in der Tagen des Herbsthochwassers ihren Nationalratswahlkampf als krasse Aussenseiterin zu unterbrechen und mit Freiwilligen hunderte Schwalben vor dem Erkältungstod auf den Donaubrücken zu retten.
Beharrlich selbstständig
Madeleine Petrovic ist in diesem Land früher und verlässlicher zur Stelle, als alle anderen politischen Aktivist·innen. Ohne ideologisches Rüstzeug beherbergte sie jahrelang bosnische Flüchtlinge, mit viel Idealismus warf sie sich freundlich für die Erinnerungskultur ins Zeug, dann wieder verfasste sie einen Prachtband über die stadthistorische Bedeutung des Wiener Gürtels.
Die Berührungsängste dieser Frau mit der Quer- und Selbstdenkerszene sind so gering, dass sie gelegentlich auch mal ins Klo griff, so in den 1990er-Jahren bei der Unterstützung der »alternativen Krebstherapie« des Medizinscharlatan Ryke Geerd Hamer. Auch ihr engagierter Einsatz für die Winterfütterung von Stadttauben ist mir immer ein Rätsel geblieben.
Doch eines ist wichtig: Die Veränderung durch neue Gedanken, neue Wertungen und Tatsachenauffassungen geschieht immer genau durch solche mutigen Personen, die sich unter all den Opportunisten aus der Deckung wagen. Bei der Nationalratswahl 2024 korrigiert die Liste Madeleine Petrovic die furchterregenden Irrtümer der Mittelinks-Regierung, deren Wirken sie jahrzehntelang in der Opposition mit vorbereitet hat. Dass eine Partei, die mit der Friedenstaube auf Wähler·innenfang gegangen ist und jetzt via Europäische Union Waffenlieferungen in den Ukrainekrieg finanziert, im Parlament zurechtgestutzt wird, ist gut und richtig.
Kaputtes Friedensprojekt Europa
Ich bin zwar der Meinung, dass Vizekanzler Werner Kogler und Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober in der Corona-Krise ausgezeichnete Arbeit geleistet haben, doch im Ukrainekrieg konnten sich die österreichischen Grünen trotz der Lippenbekenntnisse zur Neutralität dem fatalen Todeszug ihrer deutschen Schwesterpartei nicht entziehen. Mit Scheuklappen behaftet beten Konservative und Linksliberale seit drei Jahren Tag für Tag die Nato-Propaganda nach, hetzten wie im Ersten Weltkrieg gegen eine angebliche militärische Gefahr aus dem Osten und führen den Kontinent an den Rand eines Atomkrieges.
Die Tierschützerin und grosse Humanistin Madeleine Petrovic ist keine Sarah Wagenknecht, die die korrumpierenden Einwirkungen des Neoliberalismus auf die Sozialdemokratie beseitigen möchte. Die einsame Kämpferin für Frieden, Nachhaltigkeit und dem Schutz der Schöpfung wird darum auch nicht mit einem zweistelligen Ergebnis in den österreichischen Nationalrat einziehen. Den einen Sitz in der Hinterbank aber, den Madeleine Petrovic wie einen Stachel im Fleisch des landesüblichen Opportunismus einnehmen würde, den wünsche ich ihr von Herzen.
© Wolfgang Koch 2024