vonWolfgang Koch 11.11.2024

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Zwanzig Jahre ist das Provokationsgenie vom Wörthersee nun tot; heuer hätte Viktor Rogy (1924-2004) seinen hundersten Geburtstag gefeiert. Sein zwanzigster Todestag fiel in den Monat Juli. Damit nicht genug der vergessenen Jubiläen. 2024 ist auch der letzte seiner sechs Schüler in den Ruhestand getreten … falls man das von Künstlernaturen überhaupt sagen kann: »in den Ruhestand treten«.

Der erste Rogy-Jünger, Werner Hofmeister, geistert unermüdlich durch sein schnuckeliges Museum für Quellenkultur in Klein St. Paul. Von dem chronologisch zweiten Schüler wird gleich noch die Rede sein. Nummer Drei, Bella Ban-Rogy, Kompagnon und Witwe des Kunstrebellen, performt in der Weltmetropole Bleiburg. Nummer Vier, Wilfried Kofler, traktiert vermutlich weiterhin Zahlen am Rechner. Nummer Fünf, Franz Dreier, starb nicht ganz ohne das Zutun des Meisters noch zu dessen Lebzeiten. Und Klaus Oberhammer, chronologisch der letzte Rogy-Scholar, betreibt in Klagenfurts Altstadt die Galerie M.

Reinhard Eberhart nun, Nummer Zwei, verkrachter Stehauf-Unternehmer, Partyveranstalter, Wahlwerber, Parteigründer, österreichweit bekannter Zählkandidat für dies und das, legt sich zum heutigen Faschingsbeginn mit dem Fress- und Völlereiteufel an. Dazu muss man wissen: In der Alpenrepublik ist landauf, landab jedermann ein Feinschmecker, es wimmelt an jeder Ecke von gastronomischen Dandys, Qualitätsschlemmer stehen an jedem Herd und Haubenmelancholiker tischen so paradiesische Essfreunden auf, dass sich die Tafeln überall vor Freude biegen.

Esssitten der Zivilisierten

Speziell in Kärnten-Koroška opfert man dem Magen unaufhörlich Selchfleisch, bankettiert in nachgezimmerten Bauernstuben, betet täglich um Kletzen (Dörrbirnen), Most (Obstwein) und Krapfen (gefülltes Siedegebäck). Kochkunst ist allgemein eine Heiratsbedingung und aufgezwungene Mässigung fühlt sich für die Menschen dieser Region schlimmer an als Diktatur, Folter und Sperrstunde.

Man kann im südlichsten Bundesland Österreichs im Grund kein vernünftiges Gespräch führen, ohne dass das Thema auf zurückliege oder kommende Speisen an fremden Tischen kommt. Wie man es auch anstellt, Tafelfreuden gelten hier als das Synonym für Wohlstand und Lebenssinn, und die Kulinarikseiten als die angesehenste Disziplin des Journalismus.

Und nun schlendern also am 11.11. adrett gekleidete Herren, Abgeordnete aus der nahegelegenen Landesregierung, Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ), Dompfarrer Peter Allmaier, Unternehmer für Sicherheitsgläser, Online-Designer, solche Leute, in Begleitung ansehnlicher Damen in die Mamorhallen des ziemlich angejahrten Kärnten Museums, um dort in feierlicher Laune die ›Kunst verschwundener Meisterwerke‹ von Reinhard Eberhart zu besichtigen.

Was erwartet die sicher heisshungrig herbeiströmenden Ehrengäste? Welche kulturellen Entdeckungen, welche ästhetischen Enthüllungen? Ein neues Gastmahl des Trimalchio vielleicht? Mindestens Sinnbilder der Kultur werden es wohl sein, denken die Festgäste, vielleicht Büffelhautmäntel in der Halbwüste, in Neonröhren gegossene Kellnerblockkritzeleien, Goldmasken, jedenfalls, nein: ganz sicher ein bildstarkes Empowerment, das unsere schwere Zeit bitter nötig hat.

Dass »die Zubereitung von Speisen, ihre Präsentation in kunstvollem Geschirr und die Gebräuche ihres Verzehrs Meisterwerke schafft, die allerdings mit dem Essen verschwinden«, wie es in der Einladung zur Vernissage heisst, das leuchtet jedem Ochsen sofort ein. Dass der Künstler sich als gefrässiger Mensch erweist, war ebenfalls zu erwarten. Aber dass der Mann nicht die edel drapierte Köstlichkeiten ausstellt, sondern die relativ unappetitlichen Reste seiner zusammengeschnorrten Mahlzeiten auf Tellern, in Schüssel, auf Servierplatten – das dürfte den lustigen Gesellen des Abends, die ja keine leichtfertigen Kenner sind, nein, von denen jeder einzelne ein ausgewiesener Gourmand ist, schwer wie ein Schildkrötenpanzer im Magen liegen.

Eine schallende Ohrfeige

Reinhard Eberhart ist also zurück! Eskapistisch wie wir ihn kennen. Nun entlarvt er im Museum unsere gastronomischen Aufschneidereien, veralbert das mediale Dauerbombardement mit paradiesischen Freuden, zieht die Wolllust der Ernährung gnadenlos ins Lächerliche. Nichts kann nun die Protagristen mehr trösten! Die Wurstmägen des österreichischen Südens: ergrimmt bis zum Gallenausstoss, ästhetisch kannibalisiert die Gefrässigkeit der kunstsinnigen Oberschicht, mit peitschenden Fotomotiven gestraft die distinguierten Sossenkenner, die Weinzuzler und die romantischen Brillant-Savarins in der Alpenprovinz.

Wohlan, die Esslust gehört seit jeher zu den beliebtesten Themen der Satire! Doch den Vollwanst, der sich zwischen Original-Lindwurmschädel, Dionysos-Mosaik und Grossglockner-Relief vor zerknüllten Servietten und tadellos abgenagten Rippchen die Augen reibt, nein, den haben wir noch nicht gesehen. Diese Spuren menschlicher Besiedelung hat sich Rogy-Schüler Numero Due ausgedacht.

© Wolfgang Koch 2024

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