vonWolfgang Koch 16.01.2025

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Meine bevorzugte Heiltherapeuthin steht Tag und Nacht mit der Anderswelt in Kontakt; sie trommelt und singt mit den Lebenden und den Toten. Mir ist dieses Privileg gewöhnlich nur im Traum vergönnt, dessen Geschehnis ich freudig notiere. Über den Traum hinaus gelingt es bestenfalls vermittelt durch andere, die schärfere Augen und Ohren haben – Menschen wie die Frequenzmedizinerin, die ihre Sinne zu gebrauchen verstehen, um mit ihnen wie durch ein Fenster die Landschaften ihres Inneren wahrzunehmen.

Ich bin im Namen des Juden aus Nazaret getauft und in der Confessio Augustana unterwiesen. Das ist schon eine Weile her. Doch mit dem jüdisch-christlichen Himmelreich stehe immer noch via Eucharistie in Verbindung. Das ist bewusst konventionell gewählt. Ansonsten bewahre ich eine möglichst grosse Distanz zum Standard-Glauben, denn wie halb Asien – das Asien mit dem Räucherstäbchen – fürchte ich den Gedanken an Wiedergeburt eher, als ihn zu ersehnen; wie viele üblellaunige alte weisse Männer fliehe die Ideen der unsterbliche Seele und des ewigen Lebens mehr, als diese zu begrüssen.

Haben wir denn, frage ich, nicht schon genug damit zu tun, das uns geschenkte Leben einigermassen gerade hinzukriegen? Also unverbogen, unverdorben, unhypnotisiert. Nach einer weiteren Staffel verspüre ich keinen Bedarf. Unsterblichkeit vermag ich mir nur vorzustellen als das, was ein für alle mal dagewesen ist, als Höhepunkt der Individualität, das heisst als Unmöglichkeit wieder zu sein, wie man gerade ist.

Ich weiss nicht

Ob mein sentimentales Verhältnis zu religiösen Kulten auf der Erinnerung an die Kindheit beruht, als mich die Grossmutter zu beten lehrte, oder ob es der radikalen Kulturkritik geschuldet ist, die das Unsagbare lustvoll gegen den Technokapitalismus und seine Vergnügungen stemmt, das weiss ich selber nicht, und will es auch gar nicht wissen. Ich sehe keinen Grund, die eigene Neigung zur Devotion und den Spass am Abwehrzauber durch Klügeleien in die Ecke zu treiben.

Zum auftrumpfenden Atheismus (bei Johann Most, Arno Schmidt oder Karlheinz Deschner) fand ich genausowenig dauerhaft Zugang wie zum Mirakelmystizismus von Autor·innen der Renouveau catholique. Genau genommen trifft nur geteiltes Dämmerlicht meinen Lebensnerv. Ich bin aus dieser Not zu einem Freund der Bricolage geworden und werfe die Zufälle des Lebens in die Grosse Mischmaschine: Säkularer Buddhismus, Waldensertum, Superstitio, Glücksbringer, Hindu-Sakramente, Pietismus, Überbleibsel antiker Kultpraktiken, Wurzel Jesse, Marabout-Rufe, Haile Selassies I., …

Wurzel Jesse am Kanzelfuss der Stadtkirche St. Jakob, Villach / Foto: W. Koch

Nichts, was sich im Privaten richtig anfühlt, also die Gegenstände mit Schatten, oder was mit starken Erinnerung an Orte oder Situationen verbunden ist, kann im Grund genommen falsch sein. Ich improvisiere beim Sammeln der Ansätze zur Einkehr, baue Brücken, radiere an den Spuren der Fehltritte und führe die so erworbenen Ressourcen privater Verwendung ausserhalb ihres Bestimmungszwecks zu.

Das ist, jedenfalls für mein Empfinden, das komplette Gegenteil von Fundamentalismus, es ist der wahre Antagonismus der Fanatik. Damit haben weder Gurus, noch Priester- und Theolog·innen eine Freude. Die Überzeugungen der Überzeugten streuen Gift; aus den Bekenntnissen zu religösen Ideen regnet Seuche. Niemand klingelt an meiner Tür. Niemand kann mir gütig über den Kopf streichen.

Auf soviel Souveränität bestehe ich in Gemeinschaftsdingen. Die Reisesouvenier-Mentalität gewährt mir im Spirituellen die Freiheit, die ich auch im Supermarkt besitze. Ich wähle in dem erdrückenden Angebot und nach wechselnden Kriterien aus den hinteren Regalen, gerne auch verstaubte Ikonen, vergessene Reliquien und ruinierte Heilige, die schon etwas Schimmel angesetzt haben. Ach, der Wundheiland, oh, die blutsaugende Litlith, das Wundergestaltige, Bizarre, die extravagance.

Reise ins Innere

Ich war auf diese befreiende Weise schon im Pinnacle dabei … ich sah den Jupitertempel auf dem Kapitol brennen … ich empfing die Salbung eines Bossa-Nova-Aficionados … seufzte tief mit meiner Katze bei der Tiersegnung … ich nächtigte auf einer Wallfahrt mit Pfadfindern im Heu. Und ich habe auch die Abgründe, die es auf diesem Gebiet gibt, durchschritten. Ich war in der Palastfestung Massada unter den Letzten, die man erschlug … man hat mich in der Bartholomäusnacht erstochen … mit Ketzern in die Neue Welt verschifft.

Ich denke seit meiner Jugend, ich muss mich mehr mit den Heiligen beschäftigen als mit Scholastik, mehr sogar als mit den Tempeln und Riten. Das ist für einen auf Ikonoklasmus trainierten Protestanten keine Selbstverständlichkeit. Aber die Überschreitung lässt sich ebenfalls lernen. Jedenfalls würfle ich in der Bilderwelt wunderbare Patrone, Mythengestalten, Nothelfer und Gottheiten für den Hausgebrauch zusammen. Ich halte es für ratsam, dabei die Vorstellungen in Schwebe zu lassen, um sich den eigenen Wandlungen zu nähern. Man kann jahrelang mit einer Figur schwanger gehen, bevor sie ein Platz im Zimmerpantheon erhält; oder man kann wie Paulus vom Blitz getroffen zusammenzucken, wenn man unversehens vor einer Manifestation steht.

In ›Das Unbehagen in der Kultur‹ (1930) rekonstruierte Sigmund Freud das »ozeanische Gefühl« als primären Narzissmus noch ohne Grenze zwischen Ich und Aussenwelt und erklärte ihn zu einer sekundären Quelle der Religion. Dass ihm selbst dieses Gefühl von etwas Unbegrenztem, das Gefühl der Alleinheit, fremd sein sollte, wie er behauptete, war nur die halbe Wahrheit.

In Freuds Lebensstil war viel Romantik und Beschwörungszauber, also durchaus auch religiöse Empfindung. In seinem Arbeitszimmer stand eine lange Reihe von antiken Statuetten aus Bronze und Terrakotta, Figuren und Reliefs unterschiedlichen Formats, Satyrn, mesopotamische und ägyptische Gottheiten, asiatische und römische Köpfe, ein Buddhahaupt aus Bronze, die Venus von Medici. Einiges davon ans Tageslicht beförderte Sammlerstücke aus pompejanischen und etruskischen Gräbern. Auf Reisen führte der Vater der Psychoanalyse Talismane für den Abwehrzauber mit sich.

Bei mir erfüllen billige Magnethaftbilder, Holzschnitzereien und Druckpostkarten denselben Zweck. Schon klar, dass die Religionswächter·innen mit so einem Patchwork keine Freude haben. Schon klar, dass die Dogmatiker und Schriftgelehrten keine Frommen akzeptieren können, die zwischen Altären und Schreinen, in Kreuzgängen und auf Tempelbergen nur diejenigen Produkte abgreifen, welche sie aus irgendwelchen ureigenen Gründen ansprechen.

Ärger der Mandarine

Religiöse Institutionen spielen ja die Operette der Bekenntnisse im Theater der Sociality (Gemeinschaftlichkeit). Ich kann den Ärger der Nomenklatura, der Mandarine des Glaubens, der Tempeldiener und der Verkünderinnen der wahren Lehre gut nachvollziehen. Schliesslich stehen sie auf den Schultern von Riesen und dürfen zur Strafe nun keinen Fetisch mehr dulden neben dem, den sie schon besitzen.

Sei’s drum! Ich habe in hunderten Zeitungsartikeln, 586 Blogeinträgen, 14 Büchern, in Seminaren, Vorträgen und Lesungen mein bescheidenes Wissen weitergeben, jetzt mag die Kontinentalverschiebung bitte ohne mich auskommen. Adieu, Weltreligionen! Ich erlaubt mir endlich, mit meinem Wissen so verantwortungslos zu verfahren, wie es mir gerade passt, also Einkehr und Versenkung auf meine persönliche Bedürfnisse zuzuschneidern.

Der Sheilaistische Kalender dient mir nicht dazu, Glaubenswahrheiten operativ zu assemblieren, sondern mich wohl zu fühlen. So flackert nun das Heiligenjahr alle paar Wochen einmal sternhell, blutrot oder dunkelbunt im Trubel des Alltags auf. Meine Feststimmung wildert in der eigenen und in fernen Traditionen, weil ich, wie der kürzlich nahezu unbemerkt verstorbene Philosoph François Laruelle, die Erfahrung gemacht habe, dass das Fremde jede Form der Gewalt durch den Menschen letzter Instanz (le humain-de-dernière-instance) ersetzt.

© Wolfgang Koch 2025

 

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