vonWolfgang Koch 28.05.2025

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Das erste Drama unserer Zeit ist der Krieg: Ukraine, Gaza, Äthiopien, Myanmar, usw. Das zweite Drama, dass Kunst und Kultur nicht mehr Teil des öffentlichen Gesprächs sind, und zwar schon eine ganze Weile. Selbst die aufklärerischen Positionen beugen sich heute im Meinungsklima einem tiefen Verlangen nach Einmütigkeit.

Wenn wir aber aufhören, den Zugang zu Kultur und künstlerischer Vielfalt zu entwickeln, schaden wir unserer Bereitschaft für sensible Veränderungen der eigenen Person. Wir fördern den Rückzug auf uns selbst, die Infantilisierung durch Aufmerksamkeit saugende Kommunikationstechniken und sogar den Hass auf den anderen.

Allein die Kunst bleibt der Menschheit die gebotene Anpassung an Sprechweisen und Relevanzbehauptungen schuldig, allein die Kunst zeigt sich in ihrem besten Werken bereit, als verstockt zu gelten, als etwas, das sich weigert, den ausgetretenen Weg kollektiver Sichtweisen mitzugehen.

Hermann Nitsch, Orgien Mysterien Theater, Prozession am dritten Tag / Foto: Feyerl 2023

Wer sein Mobiltelefon nicht aus der Hand legen kann, ist beim Orgien Mysterien Theater von Herrmann Nitsch »falsch angesiedelt«, warnt Co-Regisseur Frank Gassner vor Beginn der Proben zum Finale des zweiten Sechstagespiels am Pfingstwochenende im österreichischen Prinzendorf. Das ist eine unmissverständliche Absage an jene anspruchslose Idee der Gemeinschaft, die uns nur mehr als durch Gefahren, Risiken und Bedrohungen Gebundene sehen will und die erwartet, das wir diese Bindung an Gewalt-, Kastrophen- und Krankheitserwartung angstzitternd bestätigen.

Ernstes, mönchisches Wollen

Worum geht im grössten Aktionstheater Europas, das die Witwe des Künstlers, Rita Nitsch, zum Grossteil aus dem Nachlass des Künstlers finanziert? Es geht nicht um Imaginiertes, nicht um Fiktionen, sondern um das der Sprache und dem Alltag unzugänglich Wirkliche, das sich in kaum spürbaren und doch elementarem dialogischen Verhältnissen ereignet. Es geht um Ehrfurcht vor einem Kastanienblatt … um wollustschreiende Liebe … um den Himmel, schwarz wie eine Bronzeschale … um bespritzte weisse Wände … den Lärm von Posaunen … das Geschrei des Chores.

Diese Kunst von Hermann Nitsch klebt uns den Anblick von nacktem Fleisch, von rinnenden Farbspuren und zermantschten Trauben auf die Schädelwand. Das Zusammentreffen atomarer Sinneseindrücke soll stetig brennen in einem Jetzt, das keine Zwischenräume mehr kennt.

Hermann Nitsch, Orgien Mysterien Theater, Musikalischer Gesamtleiter Andrea Cusumano/ Foto: Eliza Partenzi 2023

Es war ein heiliges, ernstes, mönchisches Wollen, in dem der vor drei Jahren verstorbene Theaterrevolutionär Hermann Nitsch schwelgte. Wie ein verzückter Klang- und Bilderforscher versuchte er die Existenz des Menschen in seinen als elementar begriffenen Dimensionen in ein Aktionstheater zu fassen.

500 erwachsene Gäste werden im Barockschloss Prinzendorf erwartet, um mit rund 300 Mitwirkenden die Erscheinungsformen von Realität nach den peniblen Aufzeichnungen der Partitur für aktionistisches, akustisches und gastronomisches Geschehen zu erkunden. Nitsch griff im Entwurf für das Sechstagespiel auf Archaiisches und Antikes zurück, auf den griechischen Dionysos- und auf den römischen Mithraskult. Wie seine enorme Wertschätzung gestischen Ausagierens auf der Leinwand entsprangt diese Zitierlust einer Haltung, die der chronischen Lebensangst ein interpretationsloses Erinnern gegenüberstellt.

Hermann Nitsch war nicht der einzige seiner Generation auf dem Pfad der Existenzerkundung – auch so unterschiedliche Künstlernaturen wie Renate Bertelmann, Valentin Oman und Walter Pichler ging es um unzugänglich Wirkliches. Oder, auf internationaler Ebene, seinen Zeitgenoss·innen Pierre Molinier, Agnes Martin und Josef Beuys. Der Punkt ist: Keiner der Genannten hat die literarische Form als Methode so weit in Richtung sich selbst organisierender Erregungsmuster und eines in kompakte Formen gefassten Schweigens überschritten wie Hermann Nitsch.

Konkrete Gegenständlichkeit

Für Nitsch war das Bild weder Ikonoklasmus noch Vermittlung. Er liebte Bilder und Klänge, die mit uns identisch sind und zugleich absolut anders als wir. Das Bild ist umsomehr ein Nitsch-Bild, je mehr Bild es ist, das heisst Aktivität von dem, was wir sind. Der regungslose Mondenschein … das befleckte Leinen … der ausgeweidete Tierkörper … das glänzende Operationsbesteck auf dem Tisch – für Nitsch war das Bild als Tragödie ein entweihtes, profanes Geheimnis. Es ist als Selbstbekundung der Aktualität unzerstörbar.

Hermann Nitsch, Orgien Mysterien Theater / Foto: Elisa Partenzi 2023

»Waschküchenluft«, »verblassende Sterne«, »in Alkohol gewaschene Haare«, »nierenrote Rosen« – das ist die konkrete Gegenständlichkeit des Orgien Mysterien Theaters. Sie bricht mit der Logik des auf Pointen hinauslaufenden Erzählens, sie bricht mit der Logik der »Bildunterhaltung«, sie sucht unmittelbares Erleben, ohne auf die Distanz zur objektiven Welt achten.

Das betrifft auch die Schattenseiten des Lebens. In einem Begleittext zu seiner Arbeit schrieb der Künstler 1998: »Grausamkeit ist nie Selbstzweck, sondern wird stets mit dem Ziel ihrer Überwindung, als Psychoanalyse, eingesetzt: Die Inszenierung intensiven Lebens führt zu einem Fest der Sinne, wobei der Exzess in streng ästhetische Ritualisierung gebannt und gebändigt wird. Destruktion wird durch die Form neutralisiert.«

Hermann Nitsch war im besten Sinn eigensinnig und hatte ein Talent dafür, Dinge, die ihm unwesentlich erschienen, zu ignorieren. Sein ganzes Schaffen war eine Art Hingabe an die Idee der Freiheit. Er war sehr begeistert von dem, was er tat, und konnte sich endlos darin verlieren.

Hermann Nitsch, Orgien Mysterien Theater, Tag des Dionysus / Foto: Elisa Partenzi 2023

Das Orgien Mysterien Theater zeigt uns, wie es ist, wenn Dinge gut gemacht sind. Es erinnert an die bis heute nicht im mindesten verblassten Geniestreiche Richard Wagners, an die Strenge Kasimir Malewitschs und an die Vernarrheit von Cy Twombly in die griechische Sagen. Jedoch immer auf eigenen Füssen und aus eigener Kraft. Ned irgendwiee, wienerisch beiläufig, sondern ebenso schön wie ›Der Ring des Nibelungen‹ (1848/74), ebenso intelligent wie ›Schwarzes Quadrat‹ (1913/15) und auf gleicher Höhe wie die überdimensionen Bildkompositionen des italienvernarrten Amerikaners.

Schloss Prinzendorf, Pfingsten 2025, das heisst: Klangsstrukturen, die in einen Augenblicks-Himmel wachsen. Das heisst: »tiefes Glück der Auferstehung in die Wirklichkeit unserer Existenz« (Seite 723). Das heisst: vor einem halben Jahrhundert entworfenen Szenen, wie eben erst erfunden. Auf Seite 627 des zwölften und letzten Bands seiner Partituren definierte der kolossal arbeitsame Neuerer Nitsch das OM Spiel als »Bewusstwerdungsprozess« und die eigentliche Handlung als »eine Gegensatzauflösung«.

Kunst heisst für den Musiker Brian Eno Gefühle erforschen, ohne »unausweichliche Konsequenzen« zu erzeugen. Das ist wunderbar gesagt! Man müsste bei Hermann Nitsch noch Gedanken und Empfindungen hinzufügen. Es ist vielleicht eine altmodische Vorstellung, dass die Kunst uns mit bestimmten wertvollen Energien und Ideen in Berührung bringt, aber sie scheint nicht verschwunden zu sein.

Machen Sie sich eine Sternstunde. Reisen Sie nach Prinzendorf.

© Wolfgang Koch 2025

 

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