vonWolfgang Koch 31.08.2025

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Wir schreiben das Jahr 2050. Europa liegt in Trümmern. Über das radioaktiv kontaminierte Uralgebirge ziehen herrenlose Tierherden in die westliche Tiefebene und ihre Landschaften, das Heulen der Stahlsirenen ist verstummt, über allen Ansiedlungen liegt der Geruch von Toten. In den Hochalpen, wo einst die Schweiz war, sitzen mumifizierte Leichen in ihren privaten Bunkerräumen und brüten über den nächstes Zug ihrer unvollendeten Schachpartie.

Europa, der Kontinent, dessen Bewohner·innen immer dachten, das Schicksal der Welt in den Händen zu halten, ist von Menschenmassen entleert. Es nützt dem Kontinent nichts, dass seine Wissenschafter das Wutvirurs isoliert haben. Die Briten sind vom Rest der Welt abgeschnitten. Boote patroillieren, damit niemand fliehen kann. Am Festland streifen Überlebende auf der Suche nach Wasser und Essbarem in der Fellkleidung von Neandertalern umher. Sie machen grosse Augen, manche halten den Mund geöffnet und starrten einander an; ein Zerrbild dessen, wie ihr Leben hätte aussehen können. 

Vom Ende der Welt

Die Sonne geht morgens in einem von Russpartikeln verfinsterten Licht auf, und sie geht im düsteren Licht des Abends wieder unter. Vergessen die klare Luft in den Bergen, vergessen das tränenreiche Gesicht der Jungfrau Maria im trüben Licht des Altarbildes, unter Trümmern begraben die Avenue des Champs Élysées. Europa hat der Sphinx die falsche Antwort gegeben. Der Grosse Krieg, der vor zwanzig Jahren begann, war der verzweifelte Versuch der von Angst überwältigten Menschen, das Bewusstsein der eigenen, unerträglich gewordenen Zustände aus der Welt zu schaffen.

Hotel Excelsior in Velden: 1938 zwangsversteigert, 1948 zurückgestellt, 1969 durch Vandalenakt zerstört / Fotomontage: Gisela Erlacher

Begonnen hat der Zusammenbruch der Zivilisation irgendwann nach der Jahrtausendwende, als westliche Nationen nach Napoleon und Hitler den dritten verrückten Anlauf nahmen, das rohstoffautarke Russland ihren Märkten zu unterwerfen. Drei Jahre nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs 2022 widmeten sich intellektuelle Projekte immer noch den unaufgearbeiteten Schäden des vorhergehenden Krieges. In der Metropole Wien, wo damals noch zwei Millionen Menschen lebten, erschien ein Druckwerk, das sich der Arisierung von Hotels und Villen durch nationalsozialistische Täter am Wörthersee widmete.

Dieser Kärntner Badesee war seit dem Einsetzen des Massentourismus eines der beliebtesten Erholungziele von Deutschen, Holländern und Österreichern. In den Urlaubsgemeinden hatten sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts vorwiegend jüdische Wiener Bürgerfamilien angesiedelt und dort bis zur Einmarsch der Deutschen Wehrmacht 1938 ein unbeschwertens Ferienleben am türkisblauen Wasser genossen. 

Räderwerk der Entjudungspolitik

Den ersten Schlag hatte die Tausendmark-Sperre 1933 dem Fremdenverkehr der Region versetzt, der Betrieb von Hotelanlagen wurde schwieriger. Das Drama nahm Fahrt auf, als die Austrodiktatur militärisch an das NS-Reich angeschlossen wurde. Im November 1938 wurde in grosser Zahl jüdischer Besitz von militanten Anhängern Hitlers verwüstet und zerstört, Notverkäufe und Enteignungen gingen über die Bühne. Die rechten Recken verübten Sabotage am fremden Eigentum, Boots- und Badehütten wurden versiegelt, Garten- und Seeparzellen abgetrennt. Wo den Inhabern eine Ablöse für die begehrten Seegründe und ihre Bauten bezahlt wurden, lagen die Summen weit unter dem jeweiligen Realwert – mitunter erhielten die Verfolgten das Geld nicht einmal ausbezahlt.

In einzelnen Fällen misslang der politische oder private Raubzug, zum Beispiel bei der Villa Weissberger (Villa Erika) in Velden, wo ein Mieter die Aquirierung durch die Hitlerjugend verhinderte. In anderen Fällen wurden eilige Schenkungen der begehrten Objekte an Verwandte und Freunde von den Nationalsozialisten als Scheingeschäfte klassifiziert. Im Mai 1939 beschlagnahmte die Gestapo die Villa Schnur (Villa Konody), ebenfalls in Velden. Der Reichsstatthalter des Führers legte systematisch »Entjudungsakten« an, und die Finanzverwaltung des Deutschen Reiches krallte sich die Halbinsel in Pörtschach, auf der seit 1963 das neue Parkhotel steht.

Sensible Fotorecherche

Die Fotografin Gisela Erlacher und die Historikerin Renate Jernej recherchierten für ihr Buch sorgfältig jene Immobilien, die von der Rückstellungskommission nach dem Krieg behandelt wurden, – und das waren bei weitem nicht alle. Die Forscherinnen schätzten, dass in der finsteren Epoche nicht weniger als hundert Objekte rund um den Wörthersee die Besitzer gewechselt haben.

Erlacher erwarb Fotopostkarten von zwanzig »einverleibten« Immobilien in Antiquariaten und montierte die historischen Objekte in aktuelle Aufnahmen im digitalen Mittelformat. Auf diese Weise entstanden durch das Zusammenfügen unterschiedlicher Bildelemente geisthafter wirkende Fotomontagen. Sie kontextualisierten 2025 die Uferidyllen historisch.

Zwölf arisierte Immobilienobjekte im Touristenzentrum Velden / Karte: Emil Kristof

Aus der Ferne eines Vierteljahrhunderts später fragen wir uns allerdings, wie belastbar eine solche Dokumentation des Unrechts acht Jahrzehnte nach dem Geschehen war.

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Ohne Frage musste 2025, vor dem neuerlichen Niedergang Europas, an die Ausschreitungen und Raubzüge, die nicht erst nach dem Einmarsch der deutschen Truppen, sondern bereits in der Nacht davor eingesetzt hatten, mahnend erinnert werden. Doch erstens wäre zu bedenken gewesen, dass »die Enteignungen jüdischen Besitzes mit der Politik einer wirtschaftlichen Rationalsierung verbunden war, auf deren Basis das Wirtschaftswunder der Zweiten Republik überhaupt erst möglich wurde« (Stephan Grigat). Die nationalsozialistische Massenorgansiation Kraft durch Freude, eine Unterorganisation der Deutschen Arbeitsfront, erfand auf diesem Weg den modernen Massentourismus und wies Gäste den arisierten Betrieben an den österreichischen Badeseen zu.

Gasthof Engel am See, Reifnitz: 1945 eine Dienststelle der Gestapo, vor vier Jahrzehnten abgerissen / Fotomontage: Gisela Erlacher

Die zum Kollektiv der Verfolger mutierte Gesellschaft im Hitler-Staat akkumulierte das Privateigentum am Wörthersee auch nicht, um die »Volksgemeinschaft« in Badesachen zu kleiden. Das NS-Regime machte nur wenige Jahre später mit dem Wahn Ernst, Krieg gegen den Rest der Welt zu führen.

Zweitens waren 2025, als diese Enteignungen am See mit grosser Verspätung auf historisches Interesse stiessen, die Kämpfe um den öffentlichen Zugang zu Fluss- und Seeufern bereits entbrannt. Man hätte also erkennen können, dass die Enteignung der Böden und die Beraubung der Eigentümer 1938 des Grundbedürfnisses, freien Zugang zum Wasser zu haben, nur weiter ignorierten.

Die Nationalsozialisten hatten das Landgrabbing am Wörthersee nicht erfunden, das war schon viel früher geschehen. Ihre Diktatur fetisierte das Ufer weiter als Ware, heiligte öffentlich das Staatseigentum und gewährte private Raubakte — soweit richtig. Wo das geschah, und es geschah überall im Wirkungskreis des Hakenkreuzes, waren Körper und Leben nicht mehr wert als Dinge.

Der jüdische Besitz an Seegründen war bis 1938 rechtmässsig gewesen, doch legtim war er schon damals nicht. Erde und Böden gehören niemandem. Das Grabbing der Ufer von Gewässern stand zu keiner Zeit im öffentlichen Interesse. In Zeiten des Klimawandels wurde Wasser zu einem Sinnbild für die Schere zwischen Arm und Reich … und für den Unwillen der Politik, etwas daran zu ändern.

2025 tobten in Frankreich bereits die bodenständigen Aufstände der Erde (Soulèments de la terre) gegen die agraindustriellen Mega-Bassins. Maschinensturm und Sabotage der Beton- und Zementwerke wurden von aufgeschreckten Massen verübt. Mit Shirtstorms war es also nicht mehr getan. Im »Golden State« Kalifornien herrschte ebenfalls ein Kampf um Wasser und Böden zwischen Farmern, Ranchern und den Riesenstädten Los Angeles und der Gegend um San Francisco.

Die klugen Leute im deutschen Sprachraum aber, sie blieben weiterhin von der faschistischen Gewalterfahrung verhext. Sie stellten 2025 die Arisierung jüdischer Seevillen als isolierten Enteignungsakt eines verhassten Regimes und seiner Profiteure dar. Die Autorinnen von einverleibt‹ diskutierten das Unrecht, ohne ihren Ansatz mit globalen Fragen der Güterverteilung zu verbinden. Das Versäumnis bei der Rückeroberung der Böden bestand aber immer schon darin, der Landnahme an Seeufern Grenzen zu setzen.

© Wolfgang Koch 2050

Gisela Erlacher / Renate Jernej: einverleibt. Hotels und Villen am Wörthersee 1938 bis 1945, 136 Seiten, Mandelbaum Verlag, ISBN: 978399136-081-0, 24,- EUR

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