»Wo ist die österreichische Zürcher Zeitung?«, fragt das Medienbranchenmagazin Extradienst in seiner aktuellen Ausgabe, um dann 17 Seiten weiter im Blattinneren ausgerechnet Hans DICHAND zum »Kommunikator 2008« auszuloben. Der Herausgeber der Neuen Kronenzeitung ist gewiss der Medienunternehmer mit der grössten Tröte im Land; diskursfähig ist er aber gerade soviel wie sein Hund.
Mit dieser typischen Doppelzüngigkeit ist das ganze Dilemma der östereichischen Printmedien schon hinreichend beschrieben: In einem Land, in dem Unterwürfigkeit als Kardinaltugend gilt, kann weder eine NZZ, noch eine F.A.Z oder eine taz gedeihen. Die wenigen, zarten Ansätze zum Qualitätsjournalismus, die es in Österreich gibt, finden man in den samstäglichen Feuilleton-Beilagen der folgenden drei Wiener Tageszeitung.
1. Platz: EXTRA der »Wiener Zeitung«, Redaktion: Hermann Schlösser
Diese Woche klarer Sieg nach Punkten, die besten Themen und die Frauenquote übererfüllt.
Das Extra startet mit einem Text über Vergewaltigungen durch Rotarmisten in der Besatzungszeit nach 1945. Die Grazer Kriegsforscherin Barbara STELZL-MARX weiss über schützendes Marmeladen-Make-Up österreichischer Trümmerfrauen zu berichten, erzählt vom euphemistischen Ausdruck »Kinder der Befreiung« für Kinder von Besatzungssoldaten. Sie scheut selbst vor dem schönen Wort Notzucht nicht zurück und gebraucht es ohne Gänsefüsschen. – Illustriert ist der Beitrag allerdings mit einem Archivfoto, das vier fröhliche Rotarmisten mit einer verlegen wirkenden sowjetischen Verkehrspolizistin zeigt. Knapp daneben ist auch daneben.
Möglicherweise passierte der Fehlgriff, weil der Fotohistoriker vom Dienst gerade vor dem Fernsehen sass. Anton HOLZER versichert in seinem Beitrag nämlich, dass Barack OBAMA das Publikum mit »elektrisierenden Reden für sich gewonnen« hat.
Wir erfahren in dieser Ausgabe weiters, dass über 20 Barockkirchen die europäische Kulturhauptstadt Vilnus schmücken. Wir erfahren, dass die Menschen schon in der »Urzeit« Werbung und Reklame betrieben, weil Jäger und Sammler ja ihren nutzlosen Überschuss irgendwie verhöckern mussten. Der Rest des Textes ist dann pures Schönreden der kapitalistischen Kaufstromlenkung, die sich heute »Werbewissenschaft« nennt.
Es folgen ein Zwei-Seiten-Interview mit dem Ökokaufmann (»Glücksapostel«) Werner LAMPERT. Der Mann will das Überleben der Diskont-Kette Hofer mit Bioprodukten sichern. – Nichts gegen biologische Ernährung, im Gegenteil! Aber muss in Österreich auch der kleinste Fortschritt immer gleich als Heils- und Erlösungslehre daherkommen? Bart, lange Haare, Nickelbrille, und dann auch noch Sätze wie: »Wenn ein Lebensmittel mit Liebe produziert wird, kommt Liebe in unseren Körper«.
Ein hübscher Text der türkischstämmigen Migrantin Oksan SVASTICS. »In diesem Winter haben wir nur Stummfilme gesehen und eines Abends, als wir das Kino verliessen, sagte ich meinem Geliebten, das ich von Anfang bis zum Ende alles verstanden hatte«.
Noch zweimal hüpft das Herz des Lesers: Eine ganze Seite über Alfred DÖBLIN. Und dann – gewaltig schöne Blumenknospen von Elfriede MEJCHAR auf der Fotoseite.
2. Platz: SPECTRUM der Tageszeitung »Die Presse«, Redaktion: Karl Woisetschläger
Von den drei Wiener Feuilletons ist die Prominentengläubigkeit im Spectrum mit Abstand am grössten. Der Erfolgsautor und Ex-Spiegel-Korrespondent Martin POLLAK blickt wieder mal in den Abgrund der NS-Vergangenheit, die ihm diesmal »wie ein schwarzer Spiegel« erscheint. Darf er dem eigenen Sohnemann die ganze Wahrheit über den Runen-Opa erzählen? Wir werden es nie erfahren, die Abhandlung ist uns um die Hälfte zu lang.
Thomas ROTSCHILD lobt ein neues Hörbuch von Robert MENASSE ohne Wenn und Aber.
Österreichs führender Lateinamerika-Experte Gerhard DREKONJA-KORNAT hat ein Interviewbuch mit Fidel CASTRO gelesen, vergisst uns aber darüber schlau zu machen.
Über den neuen Krieg in Nahost darf Vladimir VERTLIB schreiben. Die Erklärung, warum dieser Wahlsalzburger »ein Betrofferer« der Kämpfe um Gaza sein soll, bleibt uns die Redaktion allerdings schuldig. Weil er mal in Israel gelebt hat? Weil er dort Verwandte hat? Nennen wir diese Autoren-Wahl einfach »die Butter aufs Brot der österreichischen Neutralität«.
Ein wunderbares Gedicht von Herbert Achternbusch (»Olm von Laibach«).
Die Architekturkritikerin Liesbeth WAECHTER-BÖHM lobt die in der Tat gelungene Hypo-Zentrale in Innsbruck. »Auf der ganzen Welt kein schöneres Glas-Trennwand-System«.
Nur der Aufmacher, oje! Der erst 1981 geborene Stefan WINTERSTEINER attestiert Österreichs Lehrern »Biegsamkeit«;
auch alles weitere, was er zu sagen hat, klingt, als hätte der Herr zum Frühstück einen Doderer verschluckt (»Geistesformung«, »Schlagkraft der Evaluation«).
Der leitende Redakteur rezensiert übrigens Thomas BERNHARDs Erinnerungen an Literaturpreise. Hätte Woitsetschläger die vom Vorabdruck in der F.A.Z. provozierten Leserbriefe zur Kenntnis genommen, hätte er gewusst, dass diese Bernhard-Texte teils hochgradig fiktiv sind, und dass alle, die die Erinnerungen aus dem Nachlass für bare Münze nehmen, Bernhard prächtig auf den Leim gehen.
3. Platz: ALBUM der Tageszeitung »Der Standard«, Redaktion: Christoph Winder
Drei Seiten des Wissenschaftsredakteurs Klaus TASCHWER über Charles DARWIN – Nein, Danke!
Taschwer hat in der kürzlich erschienen Wissenschaftsbeilage der Stadtzeitung Falter einen nahezu wortidenten Text publiziert. Hier ein kleiner Vergleich, der nebenher demonstriert, wie schnell sich in Österreich Sympathien für den Nationalsozialismus ändern können… Taschwer in heureka!, Ausgabe 5-08: »Hatte es an der Universität Wien 1925 noch sieben Professuren für Biologie gegeben, war 1929 nur mehr eine einzige davon besetzt. Im Gegensatz dazu hatten die Biologen und die Evolutionstheorie in Deutschland nach der Machtergreifung Hitlers 1933 einen erheblichen Aufschwung erlebt. Das war auch der Grund dafür, warum etliche österreichische Darwinisten Sympthien für den Nationalsozialismus hegten. Der einflussreichste unter ihnen war fraglos Konrad LORENZ…« Und nun, drei Wochen später im Album: »Hatte es an der Universität Wien 1925 noch sieben Professuren für Biologie gegeben, war 1939 nur mehr eine einzige davon besetzt. Das wiederum führte dazu, dass die verbliebenen österreichischen Biologen und Darwin-Jünger zu mehr oder weniger offenen Sympathisanten des NS-Regimes wurden, das Darwins Theorien für eigene Zwecke missbrauchte. Der mit Abstand wichtigste der braunen Anbiederer war der Verhaltensforscher Konrad Lorenz…«
Ein Text von Ute WOLTRON scheitert am Versuch, das Verhältnis von Architektur und Moral zu thematisieren.
Die Buchbesprechungen beschäftigen sich mit so aufregenden Fragen wie: Ist der Kommunismus eine Religion? Wie sieht Afrika aus der Perspektive von Vögeln aus? War Andy Warhol der Tötengräber der Moderne?
Josef BICHLER fragt nach der »poetologischen Konzeption« und der »Handlungsmanifestation« eines neuen Romans von Anna KIM. In dieser Rezension »mäandernd« Satzgeflechte natürlich, was sollen sie auch sonst tun?; Redundanzen »kalauern« und Bilderfluten sind selbstredend »inflationär«. So miserabel formuliert wie dieser Germanisten-Schmus kann das bemäkelte Buch gar nicht sein.
In der Serie »Mein Amerika« (womit die USA gemeint sind) besucht diesmal eine Steirerin das Burning-Man-Festival. »Musik renommierter DJs vermischte sich aus allen Himmelsrichtungen…«
Das einzig Rettende an der aktuellen Ausgabe ist der neue Kolumnist im Album. Eine gute Wahl, so hoffen wir! Anstelle von Regisseur und Autor Kurt PALM greift fortan Album-Chef Christoph WINDER persönlich in die Tasten. Der Theater-Kikeriki PALM kräht hoffentlich nur mehr auf Provinzbühnen.
© Wolfgang Koch 2009
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