vonWolfgang Koch 31.07.2010

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Eine Schwäche vereint alle drei Redaktionen: das übermäßige Herausstellen der Autoren und Autorinnen. Ein typisches Kennzeichen des Provinzellen. Nicht die Qualität der Texte scheint im Vordergrund zu stehen, nicht was gesagt wird und wie etwas gesagt wird, sondern wer da etwas sagen darf, Ausbildung, aktuelle Position, letzte Veröffentlichung, Website, ein Bildchen. Fehlt nur noch die Steuernummer, um die BeiträgerInnen als tüchtige und integrierte Mitglieder der Gesellschaft auszuweisen. Dieser Präsentation entsprechend geschnäuzt und gekämmt sehen die meisten Texte auch aus.

1. Platz: SPECTRUM der Tageszeitung »Die Presse«, Redaktion: Karl Woisetschläger

Im SPECTRUM lernen wir diese Woche, dass Zitronenlimonade ein Pleonasmus ist. Das gefällt!

Fünf Tage nach dem die österreichische Schriftstellerin Brigitte Schwaiger ins Donauwasser gegangen ist, bringt die Redaktion einen unveröffentlichten Text der Verstorbenen. Warum aber diesen ausgesprochen schwachen Text, in dem sich zwei Psychiatriepatienten halb kabarettistisch, halb sozialkritisch über eine Verstorbene unterhalten? Wegen dem Sager: »Wieso soll man sich aufregen, wenn wer krepiert?« Oder weil darin das progressive Wort »Fut« ausgesprochen wird, und gleich im Zusammenhang mit der Muttergottes? Es gibt im Fernsehen den schönen Brauch, beim Tod von Schauspielern und Regisseuren deren besten oder den bekanntesten Film noch einmal auszustrahlen. Warum kann man das nicht mit SchriftstellerInnen auch so machen, den besten Text, und nicht einen in der Schublade liegen gebliebenen?

Ein Gedicht im Sound des Einwahlmodems von Ann Cotton.

Auf Seite 3 geht es, nach einem grauenhaften Subtitel, um die große Lebenstil-Schlacht Bobo gegen Loha. Autor Thomas Jakl ist natürlich modern. Er sagt z. B. nicht »ebenfalls gebrandet in USA«, sondern »ebenfalls brandet in the US«. – Am Detail erkennt man den Angeber. Immerhin stimmt die Botschaft: Alle Lohas  (die als Konsumenten wissen, was sie wollen) drohen tendenziell manipulierte Bobos zu werden.

Das soll eine Debatte sein? Während deutsche Theaterkritiker jede zweite Aufführung bei den Salzburger Festspielen nach Strich und Faden zerlegen, sumpern im SPECTRUM ein paar Clemens-Holzmeister-Experten herum, ob »da Moaschta«(Meister) wohl das Festspielhaus erbaut hat, und wenn, dann wie. Kostprobe: »… die berühmtesten Akustiker mit den unterschiedlichen Lochplattensystemen …«

Edit Schlaffer, die Frau ohne Grenzen, nimmt sich des Geschlechterverhältnisses im afrikanischen Staat Ruanda an. Gesprächspartnerinnen: die Protokollchefin und die Frauenministerin des umstrittenen Präsidenten Paul Kagame. Da kippt die Reportage automatisch in reine Regierungs-PR um. Eine Blüte: »Von Hügel zu Hügel wurden die Schreie der Menschen getragen, die Tag für Tag von Macheten zerhackt wurden«.

Der zweitbeste Text der Ausgabe stammt von Doron Rabinovici und stammt aus dem Suhrkamp-Lektorat. Darin sitzt ein gewisser Ethan mit seinen Kindheitserinnerungen im Flugzeug nach Israel. Orthodoxe Juden kommen nicht gut weg (»Wiederkäuer der Schrift«), was ein Autor der Berufsjüdischkeit seinen Lesern wohl schuldig ist.

Der Romanerstling von Ruth Cerha findet wohlwollende Aufnahme; ein sprachspielerisches Bestiarium von Barbara Frischmuth viel zu generöses Lob.

»In der Geschichte der Menschheit spielten und spielen Flüsse seit jeher eine zentrale Rolle«. – Wir verweigern einem Artikel, der so beginnt, jede weitere Lektüre. Erwin Riess verschenkt das wichtige Thema Flussökologie.

Der beste Text der Ausgabe stammt von Peter Strasser. Auch hier wird ein Buch rezensiert, nämlich ein Forschungsbericht von Daniel L. Everett über einen Stamm von Amazonasindianern. Doch Strasser schlägt als Rezensent Funken aus dem Thema. Es geht um die Frage, ob es nicht weiser im Leben wäre, wie diese »Primitiven« alles Abstrakte zurückzuweisen und für den Augenblick zu existieren. Strasser zitiert das kluge philosophische Nein von Stuart Mill zu dieser Frage und er tritt zugleich zur Ehrenrettung des Ausdrucks »animalisch« an. Das hat Gewicht und Klasse.

Architektur: ein Zwillingswohnhaus für zwei Familien in Hadersfeld, kühl entworfen von den Adolf-Krischanitz-Schülern Friendl und Fessler.

Cartoon von Kriki im Retrostil der 1980er-Jahre.

2. Platz: EXTRA der »Wiener Zeitung«, Redaktion: Gerald Schmickl

»Dreimal auf die Insel, bitte!« – »Aber nur einmal zurück.« – Fangen wir mit dem Besten an. Robert Schediwy erzählt eine weitere Folge aus der unendlichen Geschichte des Monte Veritá in Ascona, und zwar die des botanischen Gartens im Lago Maggiore, der von der Saloniere Antoinette de Saint Léger angelegt und später vom weltmännischen jüdischen Hamburger Warenhausbesitzer Max Emden zeitweilig in ein privates Nudistenparadies umgewandelt wurde. Emden soll seine Gespielinnen nackt nach Goldmünzen tauchen haben lassen.

Ein schwungloses Portrait des französischen Schriftstellers und leidenschaftlichen Leuchturm-Bewohners Jean-Pierre Abraham [1939-2003], verfasst von seiner Übersetzerin Ingeborg Waldinger.

Total ins Wasser geht der Titel über Daniel Defoes Klassiker Robinson Crusoe und die Inselsehnsucht des Menschen im Allgemeinen. Zunächst stört uns die schrecklich gymnastische Sprache von Stefan Spath, in der »Inseldramaturgien Fernsehschirme erobern« und ein »geläuterter Kaufmann in ein existenzielles Hamsterrad steigt«. Wie in einer Ö1-Sendung werden alle irgendwie passenden Filmtitel zum Thema aneinandergereiht, ohne dass ein Ziel erkennbar wäre. Was bleibt, sind grell geschminkte Banalitäten: »Je weiter weg ein Atoll von der Hauptstadt, desto authentischer das Robinson-Erlebnis«.

Stephan Burlanek begibt sich auf die Spuren des berühmten antiken Feldherrn Hannibal. Die Ausdrücke »phönizisch», »punisch« und »karthagisch« werden einfach synonym verwendet, ohne je erklärt zu werden.

Dann ein doppelseitiges Interview, nein, eine Schimpfkanonade, des mediengekrönten Haubenkochs Walter Esselböck gegen »das Mediengetöse rund um Starköche«. Wir erfahren von dem rotnasigen Kochunternehmer, dass Österreich kein »Gourmetland«, Frankreich hingegen ein »Fressland« sei, dass Supermärkte uns dem Essen entfremden, dass er, Herr Esselböck, jetzt, wo er den Medienrummel nicht mehr brauche, den Medienrummel aus ganzem Herzen verachte und dass er, Herr Esselböck, Kritik auf freien Internetplattformen nicht erst nehme, obwohl er doch sogar schon Schlangen gegessen habe. Schnell weiter!

Im Jänner 2007 starb der dissidente deutsche Soziologe Karl Otto Hondrich. Die Literatur-Seite des EXTRA bringt über fünf Spalten Selbstbeobachtungsprosa seiner Witwe Dörthe Kaiser. Der mangelhaft lektorierte Vorabdruck eines Buches, das demnächst im Herder Verlag erscheinen soll. – Aber ist das überhaupt Literatur nach literaturbetrieblichen und ästhetichen Kriterien? Diese persönlichen Erinnerungen an den verstorbenen Gatten; der Versuch, die Verstörung einer Witwe abwechselnd in Rollenprosa und im Berufsjargon beobachtender psychologischer Teilnahme zu beschreiben?

Bücher Im EXTRA: Max Frischs edierte Tagebuchnotate werden überschwänglich mit der Arbeit eines  alten Maurers an Steinen verglichen, einem Bild, das »vom modernsten und weltläufigsten Autor seiner Generation« selbst stammt. Über Ingeborg Bachmanns Kriegstagebuch aus dem Jahr 1945, das wegen ihrer Laison zum jüdischen Besatzungssoldaten Jack Hamesh interessant ist, haben wir schon Profunderes gelesen.

Da schau her! Auf der Music-Seite werden Disco- und Elektronika-CDs gelobt. Gerald Schmickel erläutert, a) warum wir auf Live-Konzerte gehen sollen (weil Musiker an Tonträgern nichts mehr verdienen), b) warum dort erfahrene Musiker jüngeren vorzuziehen sind (mehr Repertoire).

Auf der vorletzten Seite zwei belanglose Glossen und ein Textpatzen über das »österreichische Bildungsgedächtnis« aus Anlass des 75. Jahrestages der Eröffnung der Gesamtstrecke der Großglockner-Hochalpenstraße.

Galerie: Künstler, meinte Friedrich Nietzsche einmal, werde man um den Preis, in eine verkehrte Welt einzutreten und dann in der Form die Sache selbst zu sehen. Beate Glück zeigt und erklärt uns, warum sie sich fotografisch in der Geisha-Geste inszeniert: »um weiße Flecken zu finden«.

 

3. Platz: ALBUM der Tageszeitung »Der Standard«, Redaktion: Christoph Winder

Diesmal ist der Abstand minimal: Die ALBUM-Redaktion hat prima Ideen, doch es scheint an den Mittel zu fehlen, diese für die Leserschaft zufriedenstellend auszuführen.

Mit einer Geschichte des Frauenbergsteigens von Martin Grabner macht man zu Beginn den Blödsinn mit der Salzburger Buhlschaft aus der Vorwoche wett. Daß es heutzutage noch einen Run um die Krone des höchsten Gipfels gibt, haben wir nicht gewusst. Auch nicht, dass eine der ersten Alpinistinnen, die Holländerin Jeanne Immink 1893 in skandalträchtigen Hosen hochalpin geklettert ist. Die Redaktion illustriert diese Tatsache allerdings mit einer fotographischen Aufnahme, die damenhaftes Benehmen über der Baumgrenze in Korsett und Reifrock zeigt. Wie passt das zusammen? Autor Grabner behauptet, dass Männer von weiblichen Alpinisten noch einiges über den richtigen Zugang zum Bergsport lernen könnten. Darüber hätte man gerne mehr gewusst.

Auf  Seite 3 eine superschöne Familiencollage von der in Graz lebenden Fotografin Maryam Mohammadi. Der dazugehörige Text aber gehört, wenn überhaupt, in eine Tagesausgabe der Zeitung, nicht in das anspruchsvollere Wochenend-Feuilleton.

Krisenkolumnist Christoph Winder erfindet das köstliche Wort »KostaatsbürgerInnen«.

Wojciech Czaja entführt uns in das hippe Loft eines New Yorker Kunstsammlers. Dort konnte Architekt Ben van Berkel gerade noch die küchenlose Zukunft des Wohnens verhindern.

Auf der beilagenfremden Kunstmarkt-Seite ein interessanter Bericht über den akademischen Wiener Wettlauf bei der Erstellung von Werkverzeichnissen der heimischen Künstler. Da hätten wir gerne die Kandidatenlisten der konkurrierenden Auktionshäuser und Museen gesehen.

Der Wander-Fex Bernd Ofner »kostet den Reiz des Unterschiedes zwischen dem düster-mystischem Urgestein und dem hellen Kalk« am Fuß der Mieminger Kette aus. Und in welchem Bundesland liegt diese Kette?

Ein unlesbarer Bericht über slowenische Salzreservate mit Wellness-Angeboten in alten Salinen. Wir »anderwertig Sensible«, wie uns die Autorin nennt, blättern gleich weiter. – Nein, noch eine tadellos geschriebene Wanderempfehlung vom Pinzgau auf den Großvenediger von Eric Frey.

Mini: Tel Aviv und das Schachspiel.

Auf der ersten der Bücher-Seiten: ein Bildband, der die drängende Frage nach dem Voyeurismus weiblicher Betrachter stellt. Die abgebildeten Fotos aus Tony Durans Dieux du Strade zeigen die »sinnlich markante Männlichkeit« des Homo eroticus dann aber inkonsequent schwanzlos.

Zwei weitere Bücher gruseligen Inhalts, dann eine solide Besprechung der neuesten José-Saramago-Übersetzung von Bert Rebhandl (»tiefe Einsicht und höherer Blödsinn zugleich«), sowie eine kunstbegeisterte Reiselektüre nach Südfrankreich des Standard-Korrespondenten Stefan Brändle.

Rudolf Walther rezensiert ein Buch über die (Un-)rechtsfrage der internationalen Piraterie. En passant wird da der »Krieg gegen den Terror«, den US-Präsident  Bush ausgerufen hat, zum »ideologischen Gesinnungskrieg« erklärt. – Nun wissen wir, dass auch linksliberale Rezensenten Zitronenlimonade trinken.

Ein Ökonomie der Liebe betitelter Band: Haben Ratgeber in den 2000er-Jahren die Sprache des Krieges (Sun Tse, Clausewitz, etc.) auf ökonomische Probleme angewandt, so schlagen jetzt die Ökonomen auf das Leben zurück. Urteil: »amüsant«.

Müde-verträumt der Cartoonist Walter Schmöger.

Auf der letzten Seite des ALBUMS läuft immer noch die Serie »Ein Mensch im Bild«. Diesmal hatte die in Wien lebende Autorin Annemarie Rieder, Jahrgang 1949, eine grandiose Idee: ihre Ich-Erzählerin geht der Frage nach der Vergänglichkeit des ersten von ihr existierenden Bilddokuments nach. Was für ein Thema! Und was macht Rieder daraus? Ihre Protagonistin liest den Zeitungsausschnitt, der sie im Bild bei der Übergabe an ihre Adoptionseltern zeigt, noch einmal und kommentiert ihn dann in der hässlichsten Bürokratensprache, die man sich vorstellen kann (»war ich angehalten«, »nicht nachvollziehbar«). Wo Annemarie Rieder bloß sagen möchte »Das Papier bricht«, sagt sie: »Das Papier reagiert osteoporotischen Knochen alter Menschen gleich. Es bricht« – Zum Heulen.


© Wolfgang Koch 2010

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