vonWolfgang Koch 14.08.2010

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

1. Platz: SPECTRUM der Tageszeitung »Die Presse«, Redaktion: Karl Woisetschläger

Plus: Ein knapper, aber wirklich prachtvoll gelungener Nachruf von Martina Wittels auf den Publizisten Harald Irnberger [1949-2010], der der österreichischen Medienöffentlichkeit rechtzeitig die lange Nase gezeigt hat.

Plus: Eine etwas verfrühte Reportage über das offene Atelier des Art/Brut Centers in Gugging, das nächstes Jahr zehn Jahre alt wird. Autorin Gisela Steinlechner macht uns darin u. a. mit dem eigenbrötlerischen »Sonnentrahlmillionär« Ingolf Ebeling bekannt. Danke!

Plus: eine klug differenzierende Kritik von Norbert Gstreins angeblicher Abrechnung mit dem Suhrkamp Verlag, die sich als PR-Gag für den neuen Roman erweist. Text: Susanne Schaber.

Minus: drei Vorabdrucke aus demnächst erscheinenden Büchern von Eva Menasse, Erich Hackl und O. P. Zier, die besser unterblieben wären. Wir wollen in einer Wochenzeitung Originalbeiträge lesen! Ins Feuilleton gehören Exklusivtexte, die in Kooperation mit einer cleveren Redaktion entstanden sind und nicht in lange zurückliegenden Meetings von Buchhandelsvertretern mit dem Verleger ausgebrütet wurden.

Minus: Eva Menasse würde gerne mal über Kritiker zu Gericht sitzen. Nun, vielleicht ist sie ja die Große Schwester eines kleinen Schriftstellers, ganz sicher aber ist sie nur die kleine Schwester eines großen Essayisten.

Minus: Ein Wiewau- oder Wowüm-Gedicht von Robert Schindel.

Minus: Der Villacher-Faschings-Autor Josef Winkler dient sich ÖVP-Landesrat Josef Martinz als Ghostwriter an. Kann ihn Suhrkamp nicht wenigstens einmal noch in die Villa Massimo schicken?

Minus: Eine Inhaltsangabe des Romans von Doron Rabinovici, dessen Beginn vor zwei Wochen an der selben Stelle abgedruckt wurde (siehe 30. Woche). Nächsten Samstag ein Autorengespräch, der Personenindex, der Klappentext?

Minus: John Grays Humanismuskritik wurde schon längst im ALBUM rezensiert (siehe 28. Woche).

Minus: Klaus Kastberger bespricht Michael Köhlmeiers neuen Roman (»ein sauberes Buch«), dessen Anfang ebenfalls schon im SPECTRUM abgedruckt war (siehe 28. Woche).

Minus: Die Architekturkritik widmet sich einem neuen Eiermuseum in Winden am See, das sich Wander Bertoni als Low-Tech-Bau auf die grüne Wiese setzen hat lassen. Haben wir keine anderen Sorgen? Was soll bei so einem Kinkerlitzchen schon schief gehen?

Minus: ein frauenfeindlicher Cartoon von Martin Perscheid.

2. Platz: EXTRA der »Wiener Zeitung«, Redaktion: Gerald Schmickl

Plus: Ein informatives Portrait Joseph Kittingers, mit 31.000 Metern Höhenrekordhalter unter den Extremfallschirmspringern, Autor: Michael Ossenkopp.

Plus: Gerald Schmickl glossiert die Frage, ob Künstler etwas Besonderes zum Leben zu sagen haben (Nein!) bzw. ob Jonathan Meese oder Karl-Maria Brandauer den hohleren Kopf in Salzburg haben (Meese!).

Plus: Franz Zauner über den lästigen Schweißgeruch beim Fahrradfahren.

Plus: Ein Buchhinweis auf die Lebens(zwischen)bilanz des Wiener Politaktivisten Reinhard Wegerth.

Minus: ein begriffsschwacher Beitrag über die Heimatfotografen der 1930er-Jahre von Anton Holzer. Falsches Präsens und akademischer Seminarton.

Minus: eine Montenegro-Reportage vom journalistischen Schwergewicht Herbert Hutar. Man demonstriere uns bitte mal, wie beim Kaffeeschlürfen unter einer Gedenktafel »die venezianische Vergangenheit, die orthodoxe Kultur und der österreichisch-ungarische Einfluß auf eine Festung lebendig wird«.

Minus: eine verschenkte Albanien-Reportage von Wolfgang Ludwig.

Minus: ein gut gemeinter Aufruf an Jugendliche der Unterschicht, ihren Schulabschluss zu machen von Ruth Pauli. Stilistisch inakzeptabel; und das Thema »Ausbildung« mit einem unausgebildeten Kebab-Verkäufer illustriert.

Minus: Ein völlig belangloses Interview in cinesmaskopischer Breite mit dem Münchner Sozialtherapeuthen Rupert Voß, der »in einer Welt von Gelähmten, die nicht mehr handlungsfähig sind», lebt. – Also, wir nicht.

Minus: Eine halbe Seite zu Karl-Markus Gauß, der bereits in den letzten Wochen im Wiener Feuilleton überpräsent war.

Minus: Sogenannte Music, die »mit Hallbreitseiten durch Dreampop brettert«. Daß der Satz »I can be myself« eine Tautologie ist, fällt Andreas Rauschal natürlich nicht auf; für ihn »verdichtet er die Ambivalenz jugendlicher Einsamkeit«.

Minus: auf der Galerie-Seite setzt die Künstlerin Sabine Hörtner »an der Schnittstelle der divergenten verräumlichten Diskurse an«. Wir setzen uns da lieber ab.

3. Platz: ALBUM der Tageszeitung »Der Standard«, Redaktion: Christoph Winder

Plus: Beatrice Uerlings beschreibt den Untergang der ältesten New Yorker Künstlerkolonie La Bohème. Leichte stilistische Mängel.

Plus: ein Ausflug ins finnische Südkarelien, »wo sich Elch und Bieber Gute Nacht sagen«. Regina Bruckner wendet hier erfolgreich den TV-Reportage-Stil an.

Plus: ein Bericht aus der Bodenseeregion, in dem zwar viel »links liegen gelassen« wird, aber auch Nützliches zum Thema »Schlafen auf Stroh« abfällt.

Plus: unter den Kurzbesprechungen ein Buch über die Musik-Hörgewohnheiten von Künstlern und Kreativen.

Minus: Martin Pollack zeichnet ein Bild galizischer Auswanderer vor 110 Jahren. Fakten ohne Relevanz, schwere Sprachmängel (»Menschen schwarz wie die Nacht«, »wie Vieh von Deck getrieben«, »die toten Polizisten schreien nach Rache«), falsches Präsens, »Amerika« statt die Vereinigte Staaten – und dann auch noch ein Vorabdruck (siehe oben).

Minus: ein PR-Text für das Wiener Rathaus über den neu gestalteten Yppenplatz in Wien-Ottakring. Es kommen nur Gebietsbetreuer, Parkbetreuer und der Architekt zu Wort. Für die sozialtechnologische Gewalt solcher Planungen fehlt jedes Sensorium.

Minus: die Kunstmark-Seite bietet keinen einzigen feuilletonistischen Satz.

Minus: eine Wanderstreckenbeschreibung von Bernd Ofner, in der sich »viele Mountainbiker tummeln«.

Minus: Anders als seine Kollegin im SPECTRUM nimmt Klaus Zeyringer Norbert Gstreins neuen Roman tatsächlich für bare Wien-Münze (siehe oben).

Minus: eine Besprechung von Doron Rabinovicis neuem Roman, auf dem schon das SPECTRUM hockt wie auf einer Schatzkiste. Allein der letzte Satz im Artikel von Volker Kaukoreit kostet 17 verbockte Zeilen.

Minus: Infantuttl wie immer der Comix von Walter Schmöger.

Minus: Paul Divjak portraitiert rund um einen Altherrenwitz herum einen typischen Wiener Aida-Kunden. Kategorie »Jugend schreibt«.


© Wolfgang Koch 2010

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/wiener_feuilleton_32_woche_2010/

aktuell auf taz.de

kommentare