vonWolfgang Koch 22.08.2010

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1. Platz: SPECTRUM der Tageszeitung »Die Presse«, Redaktion: Karl Woisetschläger

Plus: »Der Papst weiß sicher, dass er verdammt ist« – – »Jeden Tag stehen in der Zeitung neue Todesarten« … Man braucht kein Peter-Handke-Fan zu sein, um die wunderbare Leichtigkeit solcher Sätze zu goutieren. Der Vorabdruck ist zwingend, da die Lektüre der kurzen Sentenzen ungeübte Leser rasch ermüdet. Ärgerlich nur, dass uns das SPEKTRUM die Handke’schen Gedanken- und Gesprächsfetzen als »Traumsätze« verkaufen will. Die Nacht spricht ja keineswegs nur im Schlaf aus uns.

Plus: Eine glänzende Verteidigung des französischen Schriftstellers Stendals durch Oliver vom Hove gegen dessen jüngsten Biographen Johannes Willms.

Plus: Unter den Kurzrezensionen ein Roman der Deutschrussin Ilga Martynova aus dem Kreis um Daniil Charms im Droschl Verlag und ein Verriss des neuen Schmökers von Isabel Allende (»edelfeministischer Kitsch«).

Plus: Der Bauingenieur Helmut Hölzenbein erinnert daran, dass Brücken mitunter auch zur Überwindung der Höhenangst gebaut werden.

Plus: F. K. Waechter parodiert in einem Cartoon den Dokumentarismus des Reisefotografen Paul Albert Leitner.

Minus: Egyd Gstättner, der Peter Roseggger der Nullerjahre, beschreibt einen Familienausflug nach Verona. Schiefe Bildern und viel Angeberei mit einer Pressekarte.

Minus: Während die Neue Kronenzeitung dieses Wochenende über den Bienenstock auf dem Dach der Wiener Staatsoper berichtet, kommt im SPEKTRUM leider der nächste Direktor des Hauses zu Wort. Dominique Meyer liefert unerträgliche Platitüden, indem er in der dritten Person von sich spricht: »Intendanten sollten … Der Intendant hat sich … Ein Intendant ist kein …«.

Minus: Noch ein ärgerlicher Text, und zwar von Elke Krasny anlässlich der Expo Shanghai. Im Hieroglyphisch der Kulturwissenschaften (»eine bis heute spürbare Wende in der räumlichen Konfiguration des Mediums«) wird hier billigste PR für den Herrn Wirtschaftsminister betrieben (»eine Volksbildungsmaßnahme in Sachen Nachhaltigkeit«).

Minus: Ein Vorabdruck aus einem Georg-Kreisler-Buch, der uns ratlos zurück lässt. Sowie ein undefinierbarer Romanauszug aus der Produktion des NÖ-Schriftstellers Andreas Weber.

Minus: Offenbar muss sich jede Generation den Vegetarismus selbst neu erklären. Die Besprechung von Jonathan Safran Foers Mode-Buch Tiere essen lobt die »emphatische Sachlichkeit« des Autors (Vgl. ALBUM).

Minus: Architektur-Autorin Franziska Leeb müht sich über fünf Spalten vergeblich den pathetischen Reduktionismus eines neuen Langenloiser Weinbauernquaders als »bodenständig und schlüssig« auszuweisen.

 

2. Platz: EXTRA der »Wiener Zeitung«, Redaktion: Gerald Schmickl

Plus: Ein zwar zu langer, aber durchaus interessanter Bericht über den Aufbau des Züricher Liebesbrief Archivs (ZLA) von Verena Mayer.

Plus: Ein nettes Interview mit dem Künstler Daniel Spoerri, der trotz seines umwerfenden Österreich-Engagements im Wiener Blättersalat kaum gewürdigt wird. Wir lernen aus dem Gespräch u. a., dass der Mensch das einzige Tier ist, das kocht.

Plus: Endlich, zu seinem 80. Geburtstag, eine breite Würdigung des französischen Philosophen Michel Serres, dessen Denken in Wiener Universitätsseminaren zwar fleißig beklaut, aber nur sehr selten ausgewiesen wird. Autor: Nikolaus Hamler.

Plus: Ein Gedichtband der Österreicherin Cvetka Lipus, ausgelobt von David Axmann.

Plus: der Kunsthistoriker Timm Starl über die Darstellung von Händen in der Fotografie.

Minus: Am Titel ein stilistisch und inhaltlich äußerst dürftiger Aufsatz über moralische Forderungen von Franz M. Wuketits. Es hieße im richtigen Deutsch zum Bsp. nicht »Wir sind zum Überleben programmiert«, sondern »Wir sind aufs Überleben programmiert«.

Minus: Martin Kolozs über den Maler Max Weiler – Schulaufsatzniveau.

Minus: Birgit Schwaner stellt über eine vollen Seite unfreiwillig die ganze Ratlosigkeit der aktuellen Frauengeschichtsforschung zur Schau.

Minus: Auf der Music-Seite beklagt Gerald Schmickl, dass das lässliche Popgeschehen in den letzten 50 Tagen »enttäuschend dahin dümpelt«.

Minus: Was geschieht im Leben wirklich? Das weiß angeblich der freischaffende Oberwarter Künstler Christian Ringbauer auf der galerie-Seite. Wir erfahren es nicht.

 

3. Platz: ALBUM der Tageszeitung »Der Standard«, Redaktion: Christoph Winder

Plus: Die mutige Prognose, dass in der Finalpaarung der Schacholympiade 2030 China gegen Indien spielen wird (auf der Spiele-Seite).

Plus: Alexander Kluy bespricht ausführlich den Kunst-Roman des Linzers Wilfried Steiner (»überinstrumentiert«, »papierene Aufdringlichkeiten«).

Plus: die Beschreibung eines Vorarlberger Bahnhofsfaktotums durch Wolfgang Hermann. Dieser literarische anspruchsvolle Text riskiert viel, ohne auf die Nase zu fallen.

Minus: Michael Freund, an und für sich einer der besten Schreiber des Blattes, traf den meditierenden Selbstheilungsschriftsteller Tim Parks in München. Es geht aber sicher nicht »erst ab der Hälfte des Buches« um etwas, sondern, wenn überhaupt, dann »ab der Mitte des Buches«.

Minus: Hier wird die Vegetatismus-Mode der nächsten Dreißigjährigen mit einem Interview Jonathan Safran Foers befeuert (vgl. SPEKTRUM).

Minus: ein unkritisches Gespräch mit dem Kommissär der kommenden Architekturbiennale in Venedig. Eric Owen Moss lobt seinen Auftraggeber über den grünen Klee: »Österreich ist einer der weniger Leader der Baukultur«. Außerdem lernen wir aus einer klugen Frage des Reporters, dass es eine der wichtigsten Aufgabe des Bauens ist, die Begegnung von Leuten zu ermöglichen. – Also, das hätten wir nicht gedacht.

Minus: Anonyme KunstmarktbeobachterInnen versichern uns: »Auktionsexperten erachten diese Reproduktionen allerdings nicht als Originale« – Allerdings.

Minus: Im Wandertipp der Woche werden »weitere gute Viertelstunden« an keine vorhergehenden angehängt. Im slowenischen Goriška laden »unzählige Winzer« zu Verkostungen ein und in Edinburgh »passt der Dr.-Jekyll-und-Mr.-Hyde-Stoff wie Nessie ins Loch«.

Minus: Unter den Kurzrezensionen lobt Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid einen Europa-Essay von Clemens Sedmak. Dass die liberale Blattmacherin das Bändchen in einem Museumsshop gekauft hat, ist uns ziemlich egal, dass sie die intensive Beschäftigung des Autors mit dem Heimatbegriff bewundert aber nicht mehr.

Minus: Michael Köhlmeiers neuer Roman wurde schon im SPEKTRUM besprochen (siehe 32. Woche).

Minus: Dem Klinkengel Florence Nightingale hat schon mal das EXTRA eine Seite gewidmet (siehe 31. Woche).

© Wolfgang Koch 2010

 

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