»Anschlussfähigkeit« ist in Österreich keine wirklich geschätzte Tugend. Viele erinnern sich an die gewaltsame Einverleibung des Landes in das Deutsche Reich 1938. Damals bejubelten die Hitlerfans die Gewaltpolitik als den ersehnten »Anschluss« an eine Grossmacht, feierten unter dem Titel den neuen Unterdrücker als Befreier von der Schmach anno 1918.
Wenn wir ein anschlussfähiges Wochenend-Feuilleton fordern, das es mit der Qualität deutschsprachiger Grossmedien aufnehmen kann, so ist damit gemeint: dass die Kulturteile der Wiener Qualitätsblätter ihr Niveau dem von Frankfurter Allgemeine Zeitung, Neuer Zürcher Zeitung und Süddeutsche Zeitung annähern mögen, dass die Kulturredaktionen Debatten der internationalen Blätter aufnehmen und endlich die Buntheit der Zeitungswelt spiegeln sollen.
Nun hat der eine Anschluss allerdings etwas mit dem anderen Anschluss zu tun. Das Isolation des Wiener Geistesleben nach 1945 geht ursächlich auf das Unglück der Diktaturen der Zwischenkriegszeit zurück. Die kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung der Zweiten Republik konnte nach dem Exodus der Intelligenz nie wieder an die aussenordentlich potente Grösse auf künstlerischen und wissenschaftlichen Gebiet in der Zwischenkriegszeit anknüpfen.
Die Zustände im Wiener Kulturleben und in der Medienlandschaft geben bis heute Zeugnis von diesem Epochenbruch. Alle drei Qualitätsblätter Der Standard, Die Presse und Wiener Zeitung vermögen ihren Status als Lokalzeitungen nicht zu überwinden; ihr medialer Wirkungsgrad verbufft schon in St. Pölten. Anders als die Wien benachbarten Metropolen München, Zürich und Ljubeljana verfügen wir über kein Blatt, das ausserhalb der Stadtgrenzen ernsthaft zur Hand genommen wird.
Diese Tristesse spiegelt sich auch in den Kulturressorts. Die Haupteigenschaften des Wiener Feuilletons sind heute nicht Geselligkeit, Spieltrieb und Streitlust, sondern simuliertes Denken und der faule Kult der grossen Namen.
Die drei Wochenendbeilagen der genannten Blätter – Spectrum, Album und Extra – übertönen die provinzelle Melodie ihrer Mutterblätter wohl da und dort. In ihnen schlummert gewissermassen der Keim für das Bessere. Aber auf jeder zweiten Seite findet man sentimentales Flickwerk, schrullige Zärtlichkeit für die Freunde, das gute Essen und die Europäische Union.
Diese Mängel sind zunächst personell unterbesetzten Redaktionen geschuldet; die Zeilenhonorare sind schmal, die Bildarchive bescheiden. Dass die Feuilleton-Beilagen von der Chefetage in der Regel ignoriert werden, dürfte allerdings ein Segen sein.
Der grösste Schwachpunkt sind unserer Beobachtung nach die Autoren. Selbst die Grossindustriellen in diesem Geschäft liefern kaum gleichbleibende Qualität. Von Karl-Markus GAUSS konnten wir im Testzeitraum luzide Rezensionen lesen, aber auch Fünftklassler-Texte. Wohin man schaut, schimmert das ortübliche System der Verhaberung durch die Zeilen. Sogar der ungekrönte König des Wiener Feuilletons, der Essayist Franz SCHUH, verliert seine Urteilsicherheit, weil er immer öfter über Mitbewerber in der Feuilleton-Konkurrenz schreibt.
So funktioniert das Wiener Kulturleben schon immer: hier eine Gefälligkeitsrezension, da eine Vorwort, dort eine Preisrede. Man kennt sich seit Jahren, es wird im Vorbeigehen geknuddelt und auf die Schulter geklopft – ganz egal ob die Protagonisten nun Wolfgang FELLNER und Richard LUGNER heissen oder Franz SCHUH, Adolf HOLL und Kurt PALM.
Gewiss, wir wollen nicht zu streng sein! Manche Autoren würden ohne das Wiener Feuilleton in diesem Land überhaupt nicht wahrgenommen werden: u.a. Peter ROSEI, Martin LEIDENFROST, Holger RUST, Marlene STREEUWITZ. Hier erfüllt diese Institution eine
wichtige Aufgabe. Aber wieviele Talente sind in den letzten Jahren auf diesem Blatt-Humus gewachsen? Wieviele hat man ermutigt, und wieviele abgeschreckt, verhindert, in die Resignation getrieben?
Neben den grossen Namen dominiert eine relevante Gruppe von Viel- und Dauerschreibern den Markt: Rudolf BRETTSCHNEIDER, Dietmar GRIESER, Klaus TASCHWER, Friedrich WEISSENSTEINER gehören in diesen Kreis, und nur die wenigsten unter ihnen – Robert MISIK zum Beispiel – können ein erkenntnisreiches Niveau über Monate und Jahre halten.
Im Wettlauf um die Aufmerksamkeit der Sofaleser haben alle drei Wiener Feuilletons ihre eigene Stärken ausgebildet: das Spectrum mit seiner unbedingten Nähe zur Literatur, einem hartnäckigen Österreichskeptizismus, dem Dauerbrenner Vergangenheitspolitik sowie einer sicheren Hand bei der Auswahl von Cartoons.
Das Albums hat bei der gesellschaftspolitischer Berichterstattung und bei Auslandsreportagen die Nase vorne. In der Herrengasse wetteifern die besten Hausredakteure um den Aufmacher; das Wochenende-Team nippt an vielen Moden und rudert im Schatten der Tagesaktualität durch das Donauwasser.
Auch die Extra-Redaktion hat sich Alleinstellungsmerkmal erarbeitet. Hier ist man spezialisiert auf die Popularisierung von Naturwissenschaften, breite historische Portraits und die Präsentation von Fotokunst.
Traurig stimmt uns, dass ausgerechnet der Sieger aus dem Test, das Spectrum, in Zukunft mit Lesereinbussen zu rechnen hat. An diesem Wochenende startet nämlich Die Presse das Experiment einer eigenen Sonntagsausgabe. In der Folge wird das Spectrum
nicht mehr in den Selbstbedienungstaschen am Wochenende aushängen; die bisherigen Gratisleser und Minderzahler werden sich kaum in den Kiosk locken lassen.
Die Presse am Sonntag ist keine üble Idee, aber doch nur eine Fortsetzung der täglichen Tristesse geworden. Im Leitartikel unter dem Aufmacher »Wie Frauen über Sex reden« ruft Herausgeber Michael FLEISCHHACKER ausgerechnet beim Amoklauf von Winnende nach »Schuld und Verwantwortung«, so als ob uns die kompetentesten Kommentaroren nicht seit Tagen versichern würden, dass die Gesellschaft nicht verhindern kann, dass ein Mensch sich an der Welt rächt, von der er sich gedemütigt fühlt.
Zum Schluss noch eine gute Nachricht: Das Album aus dem Hause BRONNER erscheint dieses Woche erstmals mit erweitertem Umfang und schliesst mit zwölf Seiten zur Konkurrenz auf. – Wir gratulieren!
© Wolfgang Koch 2009
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