Der konservative Politiker Erhard Busek nennt Wien grossspurig ein »Tor zum Osten«. Ich konzediere in dieser Richtung gerne, dass die Ostautobahn das schönste aller Stadttore besitzt – aber das vielgerühmte Scharnier (oder Relais), das diese Stadt im globalen Kontext angeblich bildet, die berühmte Drehscheibe oder Brücke in den europäischen Osten – das ist seit jeher eine Fiktion gewesen. Das angebliche Kommunikationstalent des Österreichers gehört zu den hartnäckigsten Mythen, die sich das Land selber andichtet.
Wiens Tore zur Welt funktionieren seit Marc Aurels Zeiten eindeutig besser nach drinnen als nach draussen.
Beispiel 1: Die Flughafenpiste 16/34 ragt in Schwechat in Form einer 14,4 Meter höhen Brücke über die Verkehrskolonne. Dieses Galeriebauwerk auf schlankkantigen Streben stellt eigentlich einen Blendschutz für Fahrzeuglenker gegen landende Jumbos am Flughafen dar. Doch das Ende der in 176 Meter Seehöhe über die Adria gelegenen Piste bildet seit der Fertigstellung 1977 auch ein unerhört elegante Portal zu den unerschöpflichen Weiten des Ostens.
Der Galeriebau am Flughafen kann es in Punkto Schönheit spielend mit dem antiken Heidentor in Petronell aufnehmen (das als Liegenschaft erst mit der Trennung Wiens von Niederösterreich 1921 in Landesbesitz geraten ist).
Direkt vom Airport kommend passiert man das neue, symbolische gewordene Ostportal der Stadt aber gar nicht; Luftreisende landet nämlich gewissermassen schon innerhalb Wiens. Der Einfall auf der Höhe des Flughafen in die Stadt bildet nur die eindrucksvollste Anfahrtsmöglichkeit per Auto oder Bahn.
André Heller bemerkte einmal spöttisch, über Schwechat könne der Mensch Erlösung finden: der Flughafen oder der Zentralfriedhof stünden zur Wahl. Erst umgekehrt wird ein Handschuh aus diesem Bonmot! – Über die Raffinerie Schwechat und den schlanken Galeriebau lässt sich ein Zugang zu Wien finden, der dem aktuellen Innenleben der Stadt adäquater ist als alle anderen.
Ankunft in einer Weltstadt? – Ich halte es für eine absolut legitime Frage, wie Wien seine Gäste empfängt; ob es sie freundlich mit einem Panorama verführt oder ihnen dreist mit knalligen Plakatwänden ins Wort fällt. Seit mein erster Eindruck von der Stadt verblasst ist, beschäftigt mich die Frage, wie dieser Eindruck wohl bei anderen ausfällt.
Der Ankömmling aus dem Osten erfreut sich zunächst am matten Glanz der Industrieanlagen in der Simmeringer Haide und den herausgeputzen Gasometern zur Rechten. Er gleitet sanft auf eine Stadt zu, die erst bequem hingestreckt, dann
sprühend-geschäftig vor ihm ansteigt. – Je nachdem, wohin man das Auge schweifen lässt. Wien wird hier im Osten zu einem vitalen Versprechen an Modernität, mit geschickt eingesetzten Traditionalismen; einem Versprechen, das später nur mehr enttäuscht werden kann.
Alle anderen Wien-Einfahrten sind im Vergleich zur Ostautobahn trübe und unentschlossen. Im Norden gibt es gleich ein halbes Dutzend solcher Möglichkeiten. Nur mit dem Auto oder per Bahn am rechten Donauufer entlang – das zeigt einigermassen Charakter. Auf der Höhe der Schleusenanlage Nussdorf empfangen dich zwei gestreng ins Leere stierenden Bronzelöwen von Rudolf Weyr. Der Stadtplaner und Architekt Otto Wagner hat die hier von ihm konzipierte Wehranlage tatsächlich als »Stadttor« aufgefasst und ihr mit mächtigen Pfeilern eine imposante Wirkung verliehen.
Löwen am Wasser? – Otto Wagners auf den Säulen postierte überdimensionierte Tiere sollten einst die Bedeutung des Donaukanals als projektierte Wasserstrasse optisch vorwegnehmen. Heute bewachen die beiden Raubkatzen an der Stelle, wo der Kanal vom Hauptarm der Donau abzweigt, eine nie erstandene Vier-Millionen-Metropole. Die Löwen scheinen ja das dramatische Fehlen der projektierten mitteleuropäischen Grossstadt hinter ihrem Rücken nie recht bemerkt zu haben. Sie hocken da in einem unbeweglichen Ernst, wachsam und entschlossen, als könnten jeden Augenblick Wikingerschiffe die Wogen der Donauf herabgleiten.
Eine starke Erinnerung an das Fin-de-siècle, keine Frage! – Ein unübersehbares Zeichen dafür, dass Wien einmal von mutigen Männern in zupackenden Dimensionen gedacht worden ist.
© Wolfgang Koch 2007
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