vonWolfgang Koch 12.03.2011

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

Blogserie, Teil 1, gewidmet der schläfrigen »Falter«-Redaktion

1- PETER SLOTERDIJK

Mal ehrlich, wo in der Welt hätte der deutsche Starphilosoph Sätze schreiben können wie diesen: »Ein Individuum in einer Gesellschaft von Individuen zu werden bedeutet, sich auf das Verlassenwerden durch den früher sterbenden unersetzlichen Anderen einzurichten«? – Solch schmerzliche Einsichten ergeben sich bei einem Spaziergang über den Wiener Zentralfriedhof wie von allein.

Seit vielen Jahren kehrt Peter Sloterdijk von seinen Lehrverpflichtungen und Medienterminen am Wochenende zurück in den 1. Wiener Gemeindebezirk. Hier hat er sich sein Lese- und Schreibrefugium eingerichtet, hier zerbricht er sich den Kopf über unser »Gemeinwesenbewußtsein«, von hier aus ruft er die Verantwortlichen in Staat und Gesellschaft auf, die gute alte Ethik der Gabe in eine »Psychopolitik der Großzügigkeit« einzubetten.

Sloterdijk, der zu den westlichen Wissenschaftsstars gerechnet werden muss, hat seine Prominenz qua Fernsehpräsenz auf deutschen Bildschirmen erworben. Sie bestimmt seinen guten öffentlichen Ruf, sie verleiht seinen Worten in halb Europa Gewicht. Auf österreichische Diskurse lässt er sich nie ein, wie auch umgekehrt sich Wiens Medienvertreter kaum auf den wortgewandten Philosophen einlassen. Nur selten erscheinen Interviews oder Essays in der heimischen Presse, und wenn, dann zu generalisierenden Themen ohne Lokalbezug.

Sloterdijk ist ein Medienintellektueller mit einem Übermaß an Luzidität und Streitbarkeit; seine produktive Denk-, Sprech-, Schreib- und Publikationsenergie pulsiert fernab von den Doxosophen in den umliegenden Wiener Kaffeehäusern und von Schaudenkern wie Konrad Paul Liessmann im heimischen Universitätsbetrieb.

Der Philosoph aus Deutschland kann bestens einschätzen, wann etwas in den Wind gesprochen ist. Das politische Feuilleton unserer Tage lebt davon, hat er unlängst erklärt, in endlos variierten Formulierungen vier Gemeinplätze umzuwälzen: asoziale Globalisierung, Aufstieg des Prekariats, integrativer Wohlfahrtsstaat, kalkulierter Skandal.

»Sphäre« lautet der von Max Scheler bis Sloterdijk populärisierte Begriff deutschen Philosophierens. Nahezu ungestört in seiner Wiener Privatsphäre träumt Sloterdijk das alte Sphärenmotiv in der Debatte über den Weltgrund weiter. Nur gelegentlich klingeln männliche oder weibliche Bewunderer, die auf irgendeinem Weg seine Adresse herausbekommen haben, an der Wohnungstür: Studentinnen, Künstler, Autogrammjäger, Heidegger-Leser, Freimaurer, etc.

Dann öffnet ein zerknitterter Kobold, den man unsanft aus seiner Lektüre gerissen hat, dem ungebeteten Gast die Tür. Das Buch noch in der Hand antwortet Sloterdijk mit ausgesprochen ortsunüblicher Freundlichkeit, nickt geduldig bis das jeweilige Anliegen hervorgestammelt ist und verweist den zudringlichen Besucher herzlich bedauernd auf ein weiterführendes Telefonat mit seiner Manager-Gattin.

© Wolfgang Koch 2011

 

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/wiens_spannendste_intellektuelle_2011_1/

aktuell auf taz.de

kommentare