Blogserie, Teil 4, gewidmet der »Falter«-Redaktion
4- PETER GORSEN
Peter Gorsen ist – neben Burghart Schmidt – der wichtigste Intellektuelle aus dem Kreis der erloschenen Frankfurter Schule, der in der Kreisky-Ära den Weg nach Wien gefunden hat. Der Kunst- und Mentalitätshistoriker wirkte ein Vierteljahrhundert lang als Ordinarius für Kunstgeschichte an der Universität für angewandte Kunst.
Ebenso lange lebt er nun nach eigenem Gefühl in Österreich im Exil – »als Einsiedler, kulturell nicht wirklich integriert«, sagt Gorsen, und: »Ich weiß auch nicht, ob ich mir das wünschen sollte«.
In den raunenden Diskurswelten Wiens tritt der langjährige F.A.Z.-Kunstkritiker kaum mehr in Erscheinung. Sein Status eines ewigen Fremdlings hat sich seit der Pensionierung sogar noch verstärkt. Dabei ist Gorsens Name von der künstlerischen Bewegung des Wiener Aktionismus, deren Zeitzeuge und Kommentator er war, nicht zu trennen; Gorsen dachte diese Wiener Jahrhundert-Avantgarde als erster von de Sade, Baudelaire, Bataille und Klossowski her.
Gorsens Bücher Das Bild Pygmalions und Das Prinzip Obszön (beide 1969) sowie Sexualästhetik (1972) zählen zu den Klassiker der Forschung über Kunst und Sexualität. Eine ganze Generation von Kunstschaffenden hörte in seinen Vorlesungen zum ersten Mal die Begriffe Art Brut, Feminismus, Erweiterter Kunstbegriff.
Heute bewohnt Gorsen mit seiner Frau eine elegante Hietzinger Villenetage, deren Kleinodien und Gemäldesammlung jeden Museumsdirektor schier erblassen lassen würden.
Meist sitzt er im kleinsten Raum seines Refugiums, da er sich nur dort das Rauchen gestattet, und sinniert über Walter Benjamins Hypothese vom optisch Unbewussten und anderen ungelösten Fragen seines Faches nach. Und da Gorsen das Zwielicht liebt, steht auch bei hellichtem Tag eine brennende Kerze am Schreibtisch. Sie bringt ein beträchtliches Maß Anmut mit sich.
© Wolfgang Koch 2011