vonWolfgang Koch 31.03.2011

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Blogserie, Teil 5, gewidmet der »Falter«-Redaktion

5- WALTER SEITTER

Der 1941 in Engstetten geborene Philosoph, Kunsthistoriker und Medientheoretiker erlebte in jungen Jahren ein paar Sternstunden der europäischen Geistesgeschichte. Er studierte in Salzburg und München bei Eric Voegelin und Hans Sedlmayr, hörte 1969/70 ím studentenbewegten Paris Jacques Lacan, Raymond Aron und Michel Foucault.

Bereits ab 1973 übersetzte Seitter verdienstvoll Foucault ins Deutsche; er gehörte in den 1980er-Jahren zu den ineinanderwirkenden Autoren bei Merve. 1989 begründete er die »Neuen Wiener Gruppe« (Lacan-Schule) mit, einen mutigen intellektuellen Kontrastzirkel zur Wiener Heurigenseligkeit. Und über 20 Jahre lehrte Seitter Kommunikationstheorie an der Universität für angewandte Kunst Wien.

Wien steht dem Mann freilich immer schon ratlos gegenüber. Sein Produktivsein versank nie in Relativismus, weil er sein Denken lieber einem Verfahren des impliziten Philosophierens annähert, in dem Beispiele ebenso ernst genommen werden wie Argumente. Bilder und Parabeln, Zitate und Paraphrasen müssen einen Großteil der Last der philosophischen Argumentation tragen.

Den Mandarinen der öffentlichen Haltungen (von Rudolf Burger bis Robert Menasse) war das immer zu intensiv, zu theorielastig, zu elitär; sie fürchteten sich bei diesem Grübelriesen in unverkäufliche Abstraktionen zu verlieren. Gegen Seitters Vielfalt und Wandelbarkeit scheint das Wiener Klima machtlos zu sein. Seine Bescheidenheit ist ein größeres moralisches Rätsel als jeder Narzissmus.

Nicht nur erfolgreiche Selbstverkäufer die Medien strafen Seitter mit Ignoranz. Die Alma-Mater-Rudolphina-Vindobonensis hat ihm nie verziehen, dass er 1991 tat, was brave Kinder nicht tun, nämlich das eigene Selbstwertgefühl beschädigen, ruhig und ohne Rücksicht auf das allgemeine Ansehen eine unangenehme Wahrheit verraten. Und das hat Seitter gesagt: »Das Wien des Universitätsmilieus war das einzige, das sich gegenüber der Diktatur geöffnet hat. In den Institutionen des Wissens war die Faszination durch den Nationalsozialismus am größten und der Widerstand am geringsten«.

An Seitters Wohnsitz am Hohen Markt markieren an der Hauswand ein paar Betriebe ihre Niederlassungen mit pompösen Firmenschildern. Gewissermaßen als Affront dazu hat der ja gleichberechtigt im Haus wohnende Philosoph eine Messingtafel mit der minimalistsch-bestimmten Inschrift »Walter Seitter. Analytiker« anbringen lassen. Das ist eine Art von Humor, den man hier seit Abraham a Sancta Claras Zeiten nicht mehr verstehen will.

Wer sich mit der »Subversion des Wissens« beschäftigte, wer sich den »Tumult« und eine »unreine Phillosophie« auf seine Fahne schreibt, wer das feinsäuberliche Nebeneinander von Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften in Verwirrung bringen will, wem der Mensch bloß als »ein Tier mit schlecht gelingendem Wahrheitsbezug« gilt, der konnte in Wien auch schon Mal in die Fänge polizeilicher Profilern geraten.

Genau das geschah, als die Behörden in den 1990er-Jahren den rechtsextremen Briefbombenattentäters Franz Fuchs jagten. Die Beamten stand damals unter einem so starkem Erfolgsdruck seitens der Öffentlichkeit, dass sie in alle möglichen und unmöglichen Richtungen ermittelten und selbst auf Seitters Schreibtisch nach der ominösen »Bajuwarischen Befreiungsarmee« (BBA) fahndeten.

Auch das ist Wien. Wer sich mit der Frauenmacht in der Kriemhild-Diskussion des 13. Jahrhunderts ebenso souverän zu beschäftigen weiß wie mit Geopolitik, der musste der österreichischen Polizei und deutschen Poplinken (Diedrich Diedrichsen) irgendwann einfach suspekt erscheinen.

Walter Seitter, der Lacanist und begeisterte »Physiker der Philosophie«, tritt in österreichischen Zusammenhängen praktisch nicht in Erscheinung. Seit seiner Pensionierung 2006 versammelt er nur noch zwei private Reflexionszirkel um sich; in einem wird regelmäßig Platon gelesen, im anderen werden psychoanalytische Thesen diskutiert.

Doch nicht nur Seitters geistige Gestalt ist singulär in Wien, seine privaten Schrullen sind es auch. Der regelmäßiger Gang dieses Intellektuellen ins Kaffeehaus ist ein einziger Symbolismus. Der Mann mit der polierten Denkerstirn sitzt nämlich mit Vorliebe in der ehemalige k.u.k. Hofzuckerbäckerei Demel am Kohlmarkt 14 bei einer großen Kanne Tee, die er im Laufe von ein paar Stunden bis zu dreimal mit heißem Wasser nachfüllen lässt.

Welch gnadenlose Vergeudung des Daseins! Auf die Idee, sich unter Horden von Touristen mit aufgefalteten Stadtplänen zu setzen, käme kein gewöhnlicher Wiener ohne schiere Angst vor Identitätsverlust. Seitter aber schon; er hat im Demel so erfolgreich das Fehlen von Tageszeitungen beim Personal moniert, dass er jetzt sein eindrucksvolles Haupt an einem hofburgnahen Tischchen u. a. hinter Le Monde verstecken kann.

»Ich war der erste Wiener, der ins Demel ging«, sagt der Philosoph stolz, »seither liegen dort Tageszeitungen für die Gäste auf«. Und zwar Blätter – fügen wir hinzu –, die in ihren Spalten den inspirierten Exzentriker beim hemmungslosen Zelebrieren seiner Individualität zwar schmählich übergehen, ihm aber doch aufgeschlagen bestens als Tarnung im Schaumgebäude von Wienreisenden dienen.

© Wolfgang Koch 2011

 

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