vonWolfgang Koch 02.05.2011

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Blogserie, Teil 9 u. 10 (Schluß) , gewidmet der »Falter«-Redaktion

9- HEINZ GÄRTNER

Der Universitätsprofessor am Österreichischen Institut für Internationale Politik (oiip) ist ein sehr zugänglicher Akademiker, aufgeweckt und weltoffen, kritisch und engagiert. Er hat sich in den letzten Jahren neben seiner eigentlichen Forschungs- und Lehrtätigkeit auch als stiller Politikberater einen klingenden Namen gemacht.

So wie zu Joschka Fischers Zeiten der Berliner Politologe Herfried Münkler der rotgrünen Koalition in Deutschland schicksalhafte Strategien soufflierte, so textet Gärtner heute als österreichischer »Ein-Mann-Think-Tank« Reden für sozialdemokratische Regierungsmitglieder. Und nicht nur das. Gärtner zählt zu jenen bissigen Kräften hinter den Regierungskulissen, die mit akademisch beglaubigten Papers aktiv den umstrittenen Umbau der österreichischen Wehrpflichtarmee in ein Freiwilligenheer betreiben.

Im scharfen Widerspruch zu anderen Sicherheitsexperten verteidigt Gärtner allerdings die österreichische Doktrin einer immerwährenden völkerrechtlichen Neutralität des Landes. Neutralität kennt eine Mittlerrolle in Konflikten; sie bietet nach Gärtner im Kontext internationaler Sicherheitseinsätze dem kleinen Land klare Vorteile: dem neutralen Österreich werden z. B. öfter Kommandos bei internationalen Einsätzen angetragen als Nato-Staaten.

Heinz Gärtner ist in vielen universitären Beiräten vertreten, er begutachtet Texte für internationale Zeitschriften, analysiert laufend das weltpolitische Geschehen mit Schwerpunkt USA, wofür ihn lehrreiche Aufenthalte in New York, Oxford, Vancoucer, Standford und New Haven qualifizieren. Sprachaufschwünge wird man bei ihm keine entdecken. Doch neben der akademischen Begleitmusik zum gemeinsamen Bundesheer-Reformbegehren von Neuer Kronenzeitung, SPÖ und Grünen liefert der Mann auch lesenswerte Rezensionen von außenpolitischen Neuerscheinungen für die Tagespresse. Und er betreibt eine Website mit Stellungnahmen zu aktuellen Themen.

10- HELMUT LETHEN

Ein weiterer bekannter deutscher Intellektueller, den man mit dem Versprechen von rosigsten Arbeitsbedingungen nach Wien gelockt hat. Der aus Rostock kommende Literaturwissenschafter steht als Direktor dem Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften (IFK) vor, einem Institut mit Sitz hinter dem Rathauspark, das aktuell durch eine dramatische Sparinitiative der Bundesregierung in seiner Existenz bedroht ist.

Lethen ist ein Wissenschafter der 68er-Generation; er beherrscht eine breite Palette von humanwissenschaftlichen Themen, kümmert sich fürsorglichem um den ausgewählten akademischen Nachwuchs, wirkt in wichtigen universitären Lehrgremien und versieht jede Diskussion an seinem Institut mit netten Apercus.

In der veröffentlichten Meinung Wiens spielt er keine Rolle. Woran kann das liegen? – Dem akademischen Publikum bekannt wurde Lethen durch seine Buchveröffentlichung Verhaltenslehren der Kälte (1994). Im Mittelpunkt dieses Buches stehen die neusachlichen Intellektuellen der Weimarer Republik und das Eindringen des physikalischen Denkens in deren moralische Ideen. Der Autor untersucht den Kälte-Habitus der Intelligenz zwischen den Kriegen, sieht im Dadaismus den Ausdruck einer weitverbreiteten mentalen Einstellung, die nicht mehr gewillt war, sich mit der inneren Geißel der »Kriegsschuld« herumzuplagen. Weiters sieht er in den Avantgarden den Wunsch, sich die ungeheure Komplikation der verschuldeten Person, in die die Psychologie des 19. Jahrhunderts das Subjekt verstrickt hatte, vom Hals zu schaffen.

In diesem Werk geht es also um das Innenleben der erkalteten Generation vor der Flakhelfer-Generation. Das passt recht gut zur hierzulande fälligen Analyse der Waldheim-Haider-Ära, in der Österreich einen katastrophalen mentalen Rückfall erlitten hat. Die Wiederkehr der Ignoranten in den 1980er-Jahren hat die Kumpanei mit dem NS-Regime schließlich nachträglich noch einmal legitimiert und die Aufklärungsdemokratie gegenüber dem stillschweigende Wegschauen, die Haltung der Innerlichkeit, erneut ins Hintertreffen gebracht.

Insofern wäre Lethen der richtige Mann zur rechten Zeit am rechten Ort. Andererseits brauchen wir keine Kulturwissenschaften, die der zersetzenden Kraft und Flüchtigkeit eines wurzellosen Geistes das Prinzip intellektueller Bodenhaftung gegenüber stellen. Heute müssen die Kulturwissenschaften auch mal von sich aus die mit dem Bildungsbegriff begangenen Schandtaten zur Sprache bringen.

Wien tickt aus verschiedsten Gründen anders als die in dieser Blogserie vorgestellten Intellektuellen. Immer noch bilden mittelmäßige Beiträge die tragenden Säulen der Debatten (siehe das jüngste Liberalismus-Geplänkel im »Spektrum« der Die Presse). Weitschweifigkeit, Unfähigkeit zur Lakonik, Titelsucht und die Große Männer-Verehrung sind in Wien epidemisch verbreitet. Doch warum sollte es in der Intelligenzzone anders zugehen als in der Welt um sie herum? Ja, warum eigentlich?

© Wolfgang Koch 2011

 

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