Noch sieben Tage bis zu den Wiener Gemeinderats- und Bezirksvertreungswahlen. Die Stadt braucht eine Allianz der Mutigen, damit sich die SPÖ in der Opposition erneuern kann.
»Ganz Wien is so herrlich hi-hi-hin« – Erich Joham, Falco-Freud der ersten Stunde und quirliger Kommunikator des Wiener Kulturlebens, travestiert seit Pfingsten 2009 bei jeder Adabei-Gelegenheit zum großen Michi-Zampano: ein durch den Seitenscheitel gebändigter Haarhelm, Tränensäcke und der blondgraue Moustache auf der Oberlippe.
Diese partygeile Imitation soll den wahlkämpfenden Dr. Michael Häupl irgendwie sexy machen. Gelungen ist das keine Minute. Die Wahlschlacht zu den Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahlen 2010 wird als lahme Inszenierung von Integrationshysterie, Muselmanenphobie, Verdummungspanik und Intelligenzkastrierung in die Geschichte eingehen.
Hier die marianischen Vorwerke der Nächstenliebe unter Einschluss der Ottakringer Brauerei – da die »böhsen Onkelz« der FPÖ, die sämtliche Minarette um die Heidentürme herum einreißen wollen. Wenn etwas den Wiener zu völligem Ernst zwingt, so ist es nach wie vor nicht die Politik, sondern der Wein.
Bleierne Herrschaft
Die SPÖ verweist stolz darauf, dass sie zu allen demokratischen Zeiten den Bürgermeister der Bundeshauptstadt gestellt hat. Man muss schon blind sein, um das für ein Argument zu halten. Zu einer lebendigen Demokratie gehört zweierlei: 1. die Mehrheitsentscheidung, 2. der Wechsel der Gewichte unter den Parteien. – Erst der Austausch von Machtkonstellationen garantiert Kontrolle und Transparenz im engbrüstigen Geschäft der Politik.
Viele halten die rote Machtkonzentration in Wien für charismatisch: eine zur Herrschaft verewigte Gewohnheit – ja, Herrschaft, denn nach Foucault treten »Herrschaftszustände« immer dann ein, wenn es einer gesellschaftlichen Gruppe gelingt, ein Feld von Machtbeziehungen zu blockieren, sie unbeweglich und starr zu machen. Das unbegrenzte Fortbestehen in einem Zustand, das Nicht-Endenwollen des SP-Paternalismus liegt heute wie Blei über der Stadt.
Unter dem Gesichtspunkt der Verfassungslebendigkeit verletzt die rote Hegemonie auch den Stadtbürgerstolz von Sozialdemokraten. Auf keinem einzigen Politikfeld vermag sich das kommunale System noch selbst zu steuern, überall ist es ein Opfer von Begierden privater Cliquen und Seilschaften geworden, vor allem ein Selbstbedienungsladen für das parteinahe Firmengeflecht der SPÖ.
Selbst wenn der rote Rathausklub ein Hort der Vernunft wäre [was er nicht ist], wäre seine Dauerherrschaft widersinnig – ein Hemmorgan für die Stadtentwicklung. Dieser Mühlstein namens SPÖ wiegt heute schwerer etwa als die Last der »Democrazia Cristiana« (DC), die bis Anfang der 1990er-Jahre auf die italienische Gegenwart drückte, oder bleiernen als der Anachronismus der ehemaligen mexikanischen Staatspartei »Partido Revolucionario Institutional«, die das Land bis zum Jahr 2000 über 70 Jahre lang beherrscht hat.
Die SPÖ regiert Wien seit sage und schreibe 81 Jahren mit neun Bürgermeistern in nur einmal unterbrochener Serie. Das Ergebnis: ein Minderwertigkeitskomplex der politischen Gegner, die Entdynamisierung der Modernisierungsprozesse, ein Glaubwürdigkeitsverlust der politischen Kultur auf allen Ebenen, Mangel an Dialogfähigkeit und Durchlässigkeit für neue Ideen – kurz: eine ausgehungerte Stadtgesellschaft und Demokratie als Synonym für eine unbarmherzige Mediokratie.
Fetisch Lebensqualität
Die Macht der Wiener Sozialdemokratie ruht auf: 1. der Omnipotenz eines mit allen Privilegien ausgestatteten Beamtenheeres, das zahlenmäßig die rund 35.000 Beamten der EU-Kommission übertrifft, 2. der notorischen Schwäche, ja Anschmiegsamkeit ihrer Kontrahenten im bürgerlichen und im alternativen Lager.
An der Spitze agiert ein hochprofessionelles Bürgermeisterbüro. Im Hintergrund feilen die Genossen und Genossinnen der Parteizentrale mit hoher Eigenkomplexität am Markenauftritt, damit sich die jeweils neueste Sprachregelung bis hinunter zum Badewaschel im Gänsehäufl durchsetzt.
Natürlich sagt heute niemand offen: »Die Partei ist uns alles!« Die SPÖ ist ja keine Lebensreformbewegung mehr, die mit Idealen überzeugen und den Neuen Menschen schaffen will. Heute überschwemmt eine gut geölte Propagandamaschine auf Tonnen von Gratispapier den tristen Alltag der Menschen mit Bildern von der angeblich überragenden Lebensqualität der Stadt.
»Wiener Hausordnung« heißt der neue ideologische Kern der Babuschka, »Traumstadt Wien« das aktuelle charakterologische Signet des Stadtimaginären. Slogans, unhintergehbar wie die Überwindung der Türkengefahr, simpel wie ein Klimt-Gemälde von 1908.
Trinken wir etwa nicht das sauberste Wasser der Welt? – Ja, aber der Grundwasserspiegel im Hochschwabgebiet sackt bei täglich 221 Liter pro Kopf und Nase in der fernen Hauptstadt immer weiter ab. Mit recyceltes Regenwasser hätten sich im heurigen Sommer sämtliche Forellen aus dem Wiener Kanäu spülen lassen.
© Wolfgang Koch 2010