vondorothea hahn 06.08.2010

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Bevor sie mich in die USA schickten, wollten meine KollegInnen wissen, wie mein Verhältnis zu Land und Leuten ist. Welche Themen mich interessieren. Ob ich mir vorstellen kann, morgens um 5 Uhr 30 aufzustehen. Und was meine Englischkenntnisse hergeben.

Für eine andere Frage – die für eine US-Korrespondentin nicht minder wichtig ist – haben sie sich gar nicht interessiert:  die Transportmittel. So konnte ich ihnen vorenthalten, dass ein Wechsel über den Atlantik verkehrstechnisch eine echte Herausforderung für mich werden würde. Ich habe nämlich Flugangst. Und ich fahre nur ungern Auto.

In Europa, wo die Entfernungen klein und das Zug-Netz trotz aller Strecken-Stilllegungen immer noch phantastisch ist, war das kein Problem. Im Gegenteil: In Frankreich kommt frau selbst an weit von Paris entfernten Orten wie Marseille schneller mit dem Zug an, als mit dem Flugzeug.  Es dauert exakt drei-einviertel Stunden für stattliche 900 Kilometer.  Und ist zwar in der Regel unverschämt teuer, aber immerhin ökologisch korrekt. Anschließend findet sich fast immer ein Bus oder ein anderes öffentliches Verkehrsmittel, zum Weiterkommen.

In den USA ist Zugfahren etwas für NostalgikerInnen. Die meisten Bahnhöfe sind längst für andere Zwecke umfunktioniert. Und selbst an jenen Orten, wohin noch Schienen führen, ist es sinnvoll, sich mit Ruhe zu wappnen. „Wieviel Verspätung hat Dein Zug?“, steht in der sms, die mir eine Freundin, die mich an einem Bahnhof abholen will, eine halbe Stunde vor der fahrplanmäßigen Ankunft schickt.

Im konkreten Fall hat der Zug auf der zweistündigen Fahrt 20 Minuten Verspätung angesammelt.  Meine Sitznachbarin, die häufig auf der Zugstrecke südlich von Chicago unterwegs ist, sagt, das sei noch verhältnismäßig wenig.

Selbst auf der viel befahrenen Ostküstenstrecke, ist Zugfahren Glücksache. Im Sommer haben die Züge Verspätung, weil die Gleise zu heiß sind. Im Winter haben sie Verspätung, weil Schnee darauf liegt. Und in den Zwischenzeiten gibt es ebenfalls Verspätungen. Warum, erfahren die Fahrgäste nur in Ausnahmefällen. Mit Informationen ist die Zuggesellschaft geizig. Bloß ihre Preisgestaltung ist üppig. Damit hat sie zahlungsschwache KundInnen längst auf die privaten Busse vertrieben. Bei denen dauert die Reise zwischen Washington und New York zwar eine oder zwei Stunden länger. Aber sie kosten nur ein Viertel des Preises.

Wer in den USA reisen will, muss fliegen und Auto fahren. In den ersten Monaten meines Aufenthaltes habe ich noch systematisch nach Alternativen gesucht. Habe Ausschau nach Zügen gehalten, nach Bussen und nach Gemeinschaftstaxis. Fast immer vergeblich.

Inzwischen habe ich mich in dieses Schicksal gefügt. Ich fliege jetzt kreuz und quer über die USA. Und lasse mich – wenn das den Flugpreis senkt – sogar auf so absurde Dinge ein, wie hunderte Meilen lange Umwege, bei denen eine Fluggesellschaft auf dem Weg in den tiefen  Süden einen Zwischenhalt im Norden macht, um zusätzliche PassagierInnen aufzunehmen. Ich verspanne mich nicht mehr, wenn ich hinter Hunderten unbekannter Leute meine Jacke ausziehen, meinen Gürtel abschnallen und auf  Socken durch einen Scanner gehe muss, während meine Schuhe über ein Band laufen. Und ich habe es ertragen, mich auf einem Flughafen wiegen zu lassen. Nach jener Prozedur, der alle PassagierInnen unterzogen wurden, konnte ich ohne weitere Kontrolle in die winzige Maschine steigen, die nach Miami flog. Auf dem Sitz hinter mir saß ein Mann, der sich unterwegs mit einem Taschenmesser die Nägel schnitt.

US-AmerikanerInnen reisen mit Flugzeugen, so wie unsereins Zug fährt. Sie nehmen ihr komplettes Gepäck mit an Bord (denn hierzulande kassieren die Fluggesellschaften Extra-Gebühren für eingechecktes Gepäck). Sie packen ihre Lunchpakete aus (weshalb es in der Luft nach Ketchup duftet). Sie tragen (auch weil das die Kontrollen am Flughafen beschleunigt) Schlappen und kurze Hosen. Und sie lassen sich nicht einmal dann beeindrucken, wenn ein Pilot schon vor dem Start durchgibt, uns stünden „sehr schwere Turbulenzen“ bevor.

So viel Normalität ist ansteckend. Ich bestehe immer noch darauf, einen der mir sicherer erscheinenden Sitzplätze am Gang zu bekommen. Und ich mache auch weiterhin bei jedem Flugzeug-Start ein kleines Woodoo-Ritual, das noch nie versagt hat. Aber ich verspüre immer seltener Angst, wenn der Boden unter meinen Füßen schwindet.

In der Luft freue ich mich jetzt manchmal schon auf das Mietauto, in das ich nach der Landung umsteigen werde. Auf die elektronische Stimme aus dem Navi, die mich über mehrstöckige Autobahnkreuze lotsen wird. Und auf Landschaften – die mal aus Hochhäusern mal aus nicht enden wollenden Maisfeldern bestehen.

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