vonDetlef Guertler 28.12.2008

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Als alle nur noch darauf warteten, die Geburt Christi zu feiern, wurde jenseits des Ärmelkanals auch noch ein Wort geboren: das „Wii Knee“, zu deutsch: Wii-Knie. Und während die Geschichte von der Geburt Christi in diesen Tagen millionenfach erzählt wurde, wurde die Geburt des Wii-Knies noch kein einziges Mal geschildert. Wohlan, so lest mir zu:

Es muss so um den dritten Advent herum gewesen sein, dass Kate Devlin, Medizin- und Schottland-Korrespondentin des Daily Telegraph, sich auf die Suche nach einer Weihnachtsgeschichte machte. Nicht einer der üblichen Medizin-Weihnachtsgeschichten, mit Plätzchen, Diät oder Depressionen, nein, eine ganz andere. Und weil die ganz anderen, ganz neuen Geschichten grundsätzlich nicht vom Leben, sondern von Journalisten geschrieben werden, dachte sie sich eine aus: Viele Menschen würden zu Weihnachten eine Wii-Konsole bekommen, und weil da bei einigen Spielen nicht nur Maus oder Joystick bewegt werden, sondern der ganze Spieler, kann es zu Verletzungen kommen – was sich liebt, das neckt sich, und was sich bewegt, das verletzt sich.

Also erfand sie eine Gruppe von Forschern des „Leeds Teaching Hospital“, die den Begriff „Wii Knee“ geprägt haben sollen. Zumindest müssen diese Forscher geradezu erfunden worden sein, weil es das „Leeds Teaching Hospital“ gar nicht gibt – es gibt nur die „Leeds Teaching Hospitals“, insgesamt sechs Krankenhäuser in der nordenglischen Stadt Leeds. Es gibt auch auf der Webseite dieser Häuser keinen Hinweis auf eine solche Forschergruppe mit entsprechenden Forschungsergebnissen, und Miss Devlin hätte bestimmt irgend einen Namen oder eine Quelle angegeben, wenn es die Gruppe wirklich gäbe.

Aber wenn das Wii Knee erst mal geprägt ist, findet man auch immer einen Arzt, der befürchtet, dass es so etwas auch in Wirklichkeit geben wird. Also fand Kate Devlin Ärzte, die der Wii Rückenprobleme sowie einen gebrochenen Finger zuschrieben. Was zwar wiederum wenig mit dem Knie zu tun hat, aber dafür den Artikel rund machte.

Und weil in der Vor- und Währendweihnachtszeit so wenig passiert, ging ein Journalist nach dem anderen in die Knie. Noch am gleichen 20. Dezember schickte Sun-Medizinkorrespondentin Emma Morton gleich 10 Engländer pro Woche wg. Wii in die Klinik.  Die Kollegen vom Die-Sun-lügt-Blog fanden zwar heraus, dass der von Morton mit der Zehner-Zahl zitierte Arzt dieses Zitat als „unkorrekt“ beanstandete, aber die Geschichte von der Wii-Verletzungskraft war nicht mehr zu stoppen. An Heiligabend tauchte sie in den USA auf, und erreichte heute via Turi den Wortisten. Der würde gerne das Wii-Knie wieder zurück in die Pandorabüchse stopfen, weil es zwar gut klingt, aber mutmaßlich nicht existiert, aber es wird wohl seinen Weg um die Welt machen.

Aber deswegen bitte nicht gleich ein Wii-Verbot fordern, liebe britische Medizinkorrespondentinnen, auch wenn das bestimmt eine steile Geschichte wäre. Schließlich verbessert das Wii-Spielen die Qualität der Chirurgenausbildung. Doch, bestimmt – das hat schließlich Emma Morton vor fast einem Jahr in der Sun geschrieben, und die muss es ja wissen.

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