Es ist sagenhaft, wie sich Geschichte wiederholen kann. Augenblicklich reiben sich eine ganze Reihe Niederländer überrascht die Augen, weil ein Mann tatsächlich das Wahlprogramm von Geert Wilders‘ PVV gelesen hat. Humberto Tan, Jurist und bekannter Fernsehmoderator, hat es getan. Und er hat in einer RTL-Talkshow erzählt, worüber die wohlanständigen möglichen Koalitionspartner nur allzu gerne hinwegsehen.
Der in Surinam geborene Tan erwähnte die dort schwarz auf weiß nachlesbare Tatsache, dass die PVV die „ethnische Registrierung von jedermann. Inklusive Angabe „Antillianisch““ einführen will. Sogleich fangen die Beschwichtigungen der gutbürgerlichen Machterhalter an. Werde doch alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Zugespitzt, weil Wahlkampf herrscht. Würden wir als Koalitionäre doch nie zulassen.
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Das hatten wir doch schon einmal? Nachdem ein gewisser Herr Hitler „Mein Kampf“ veröffentlicht hatte? Und alle sagten, er krakeele nur. Und von Papen erklärte, „In drei Monaten haben wir Hitler so an die Wand gedrückt, dass er quietscht“? Tatsächlich meinte dieser Herr Hitler aber alles, was er schrieb, genau so, wie es da zu lesen stand. Und als die NSDAP endlich die Möglichkeit dazu hatte, setzte sie dieses Programm auch sukzessive um. Sich selbst und ein ganzes Volk immer weiter radikalisierend.
Verweist man auf diese Analogien, wird einem schnell Hysterie vorgeworfen. Aber es geht ja gar nicht darum, zu behaupten, Wilders wollte einen Genozid. Man darf die Sache nicht rückwirkend vom Holocaust aus betrachten. Sondern von der im „Dritten Reich“ Stück für Stück erfolgenden Entrechtung von Menschen anderen Glaubens, anderer Volkszugehörigkeit, Andersdenkender, die den Holocaust erst möglich machte.
Man lese noch einmal die paar Tausend Seiten von Viktor Klemperers Tagebüchern. Jede Woche eine neue Verordnung, die Juden aus dem gesellschaftlichen Leben ausschloss, sie stigmatisierte, ihnen die Existenzmöglichkeit raubte, sie vogelfrei machte. Die Basis waren zunächst inoffizielle, dann später amtlich angelegte „Judenkarteien“, denen das in den Pass gestempelte „J“ und später der gelbe Stern folgten. Die damit erfolgende Indoktrination und Gewöhnung der Bevölkerung machte schließlich jede Gewalttat oder wenigstens das Verschließen der Augen vor diesen Taten möglich.
Genau das ist aber, was Wilders mit seiner Forderung im Wahlprogramm für andere Ethnien vorbereitet: analog zur „Judenkartei“ nun eine „Migrantenkartei“. Mit einer Ergänzung für niederländische Staatsbürger, die antillianischer Herkunft sind. Vielleicht ein „M“ für die einen, ein „A“ für die anderen in den Pass, Herr Wilders? Damit Polizei und Behörden gleich wissen, mit wem sie es da zu tun haben? Den Angehörigen einer höchst verdächtigen, prinzipiell sogar verbrecherischen Rasse? Und alles, was man sich dann an „leider unerlässlichen Gegenmaßnahmen“ so einfallen lassen kann, würde auf der Basis dieser neuen Kartei erfolgreich umgesetzt werden. Und alles, was einzelne Angehörige einer Ethnie tun, würde Argument sein, alle noch weiter zu stigmatisieren und zu kriminalisieren. Von da an ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zur Sippenhaft und Internierung. Aber das hat der Herr Wilders ja nicht gewollt, nicht wahr, liebe Freunde von der VVD und der CDA?
P.S. Besonders interessant war übrigens auch diese eine Aussage in der Talkshow: Wir dürfen doch nicht den Willen von 1,5 Millionen Niederländern ignorieren, die die PVV gewählt haben. Ach so, wenn also unser antisemitischer, rassistischer Bodensatz von 15 Prozent der deutschen Bevölkerung plötzlich gesammelt zur Wahl einer Neonazipartei schreiten würde, dann muss man die schon in eine Koalition holen? Es lebe die Demokratie, die so dumm ist, sich selbst abzuschaffen? Auch die NSDAP wurde so lange hoffähig gemacht, bis sie das verhasste „System“ abschaffen konnte.
In Facebook gibt es mittlerweile eine schnell wachsende niederländische Gruppe, die sich für die 1,5 Millionen Wilderswähler entschuldigt. Mir wäre lieber, dass die niederländischen Politiker sich daran erinnerten, dass ihr Land mit Erasmus von Rotterdam zum Hort von Aufklärung und Humanismus wurde, und sie nochmal nachlesen würden, was Europa als Idee eigentlich ausmacht.