Drei Dresdnerinnen inkognito im Garten des Karl-May-Museums in Radebeul („Zwei Welten – ein Erlebnis“). Photo: Peter Grosse
Jörg Schröder ließ sich, noch als März-Verleger, in der taz einmal über Karl May, Arno Schmidt und Fußball aus – und darüber, wie er diese drei Dinge in den Sechzigerjahren hassen lernte. „Maggi Pur“ hieß seine 1983 veröffentlichte Suada: „Und Karl May war endlich auch durchschaut: was für ein widerlicher, blöder, verkappter protofaschistischer deutscher Autor er ist. Und prompt kommt dieser Arno Schmidt in den frühen Sechzigern mit seinem ekelhaften Blick und den grässslichen Augen in dem schrecklichen Gesicht – und seiner Karl-May-Analyse angewackelt und erklärt mir, daß die Appalachen eigentlich Arschfalten sind. Na, das brauchte der mir doch nicht auszudeuten, das haben wir gelebt als Kinder, was die Karl-May-Werke für Wichsvorlagen sind. Glücklich davon entwöhnt und ebenso von den rennenden Menschen auf den Fußballfeldern, ruckt jetzt alles wieder hoch.“ Und wie! Nicht nur Fußball.
So veranstaltete z.B. das Deutsche Historische Museum 2007 eine ganze Ausstellung über „Karl May“ – und seine „Imaginären Reisen“. Den Karl-May-Verächtern und -Kritikern versicherte ein Professor Zeilinger, Mitglied in der Karl-May-Gesellschaft, im Katalog: „Nicht nur der junge Hitler hat Karl May gelesen, sondern auch Persönlichkeiten wie Albert Einstein, Karl Liebknecht und Albert Schweitzer. Die Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner bezeichnete May als ihren Gesinnungsgenossen, und Adolf Hitler, der May nur sehr selektiv gelesen hatte, war ja weit entfernt von Mays Postulat, der Mensch müsse sich vom Gewaltmenschen zum Edelmenschen verwandeln.“
Schon Ernst Bloch äußerte einst liebvoll über Karl May: „Dieser wunderbare Proletarier hat sich den Traum von seiner Welt aus der Seele geschrieben.“ Diese „Welt“ war kleinbürgerlich und von Heimatkitsch durchdrungen, sie trat gegen die zersetzende Großstadtliteratur an – und ihre Lichtgestalt hieß „Winnetou“. Noch 1943 ließ Adolf Hitler trotz Papiermangel 300.000 Exemplare des Winnetou-Bandes drucken, um die Frontsoldaten mit diesem vorbildlichen Helden anzuspornen (im Ersten Weltkrieg hatte man ihnen – schon vor dem Fronteinsatz – Goethes „Faust“ in den Tornister gepackt).
Für den jungen Hitler war seinerzeit in Wien ein Vortrag von Karl May so etwas wie ein Gottesdienst gewesen. U.a. lernte der Damals-noch-nicht-Führer aus den Karl-May-Büchern fürs spätere Leben – wie man z.B. eine Armee in der afrikanischen Wüste befehligt, ohne jemals dort gewesen zu sein. Albert Speer riet deswegen nach dem Krieg allen Hitler-Biographen, Karl May gründlich zu studieren, um die Seele des Führers zu verstehen.
Dazu erschienen 2007 fünf neue Bücher „Karl May in Berlin – Eine Spurensuche“ (von J.Zeilinger), „Auf Karl Mays Fährte“ (von F.Gusky und W.Ollbrich), eine „Karl May-Chronik“ (von D.Sudhoff und H.D. Steinmetz), ein Dokumentenband „Karl May und seine Zeit“ (von G.Klussmeier und H.Plaul), ein neues „Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft“ und eine etwas breiter angelegte Populärliteraturanalyse von H.Schmiedt mit dem Titel „Dr.Mabuse, Winnetou & Co“
Um die Seele der postfaschistischen Deutschen – wenigstens der im Westen – zu verstehen, muß man weniger die Winnetou-Bände als den Winnetou-Verkörperer in den Karl-May-Filmen, – Pierre Brice – studieren. Der 1929 geborene Kriegsfreiwillige eines Partisanenvernichtungskommandos in Indochina war zunächst Fotoroman-Model in Paris geworden. In der dortigen Filmbranche fand er jedoch keine „Clique“ – und ging deswegen als Schauspieler nach Rom (wo er u.a. „Zorro“ und „Robin Hood“ spielte). 1959 wurde er auf der Berlinale von Horst Wendland als „Winnetou“ entdeckt. Es entstand daraus 1962 abermals ein „Heimatfilm“, der jedoch erstmalig in einem fremden Land – in Amerika nämlich – spielte: „Der Schatz im Silbersee“. Er geriet zum teuersten, aber auch erfolgreichsten deutschen Film der Nachkriegszeit. „Pierre Brice gab Winnetou eine Seele,“ urteilte ein deutscher Professor jetzt in einem ARTE-Film über den Winnetou-Darsteller, der kürzlich ausgestrahlt wurde. Pierre Brice selbst meint darin: „Der berühmte Blick in die Ferne wurde mein Markenzeichen.“ Die Nazis wollten es kurz zuvor noch den Amerikanern nachtun und alle Russen als „Indianer“ ausrotten – sie waren auch sehr erfolgreich damit, aber nun ging es, anders als etwa in den US-Western, um eine Männerfreundschaft zwischen einem Weißen (Lex Barker) und einem Roten. Über Jahre wählte man den eher handelnden als dialogisierenden Apachen Pierre Brice dafür zum „beliebtesten deutschen Schauspieler“.
Als er 1965 in „Winnetou 3“ starb, bekam 1. sein weißer „Mörder“ nie wieder eine Rolle in Deutschland und wurde auch nicht mehr auf Parties eingeladen, 2. organisierte „Bravo“ eine Kampagne: „Winnetou darf nicht sterben!“ Und so geschah es dann auch. Ein Karl-May-Experte erklärte sich das Phänomen so: „Er ist eine Erlösergestalt – jesusähnlich. Deswegen kehrte er auch auf die Erde zurück.“ Aber 1968 war dieses Comeback auf der Leinwand dann doch zu Ende: die Studentenbewegung räumte mit dem ganzen postfaschistischen Karl-May-Film-Muff auf, auch die unsäglichen „Heimatfilme“ verschwanden im Archiv. „Die Winnetoufilme waren in einer ästhetischen Sackgasse gelandet,“ so der Karl-May-Experte. Sie waren überdies nie – außer gelegentlich im sozialistischen Osten – über die ideologisch zu engen deutschen Grenzen hinweggekommen.
Anfang der 70er-Jahre spielte Pierre Brice in einer neuen feministischen Science-Fiction-TV-Serie mit, die erstmalig in Farbe ausgestrahlt wurde. Er sehnte sich darin jedoch nach seinem alten „Männerplaneten“ zurück. Die Serie floppte, Brice fing an, Schlager zu singen, einer hieß „Winnetou“. Das war bereits ein Hilferuf, in seiner Verzweiflung heiratete er eine „Hella“. Aber all das war vergeblich. Erst als er 1976 wieder den Original-Winnetou gab – bei den Karl-May-Spielen im Sauerland, war „der Erfolg“ wieder „umwerfend!“ so Pierre Brice. Derweil ging es mit den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg bergab.
Die dortige Betreibergesellschaft kürte schließlich einen freigekauften DDR-Cascadeur namens Peter Hicks, der bis dahin in Segeberg immer bloß den Bösen in Nebenrollen verkörpert hatte, zum Intendanten. Hicks, der seit der Wende die ehemaligen „Arbeiterfestspiele“ auf Rügen unter dem Logo „Störtebecker-Festspiele“ weiter betreibt, gelang es, Pierre Brice als Winnetou nach Bad Segeberg zu verpflichten. Das führte dazu, die Freiluft-Veranstaltung dauerhaft aus dem Minus zu katapultieren, wie Hicks sich erinnert.
„Kein Schauspieler kann sich auf Dauer als Winnetou gegen Pierre Brice durchsetzen,“ erklärte dazu der Karl-May-Experte. Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse an Brice für sein Lebenswerk war deswegen überfällig. 1997 versuchte Brice in dem TV-Zweiteiler „Winnetous Rückkehr“ erneut ein Leinwand-Comeback. Danach war aber wirklich Schluß, d.h. er wirkte nur noch in der Vorabend-Serie „Ein Schloß am Wörthersee“ mit und warb im deutschen Fernsehen für den französischen Camembert „Val Bries“.
2007 filmte Arte den 78jährigen noch einmal an all diesen o.e. Wirkungsstätten seiner kerndeutschen Winnetou-Werdung, die sich ironischerweise vor allem in Kroatien abspielte. Der Bretone Brice ist darüber jedoch eher trist geworden: „Am Ende gehöre ich immer noch keiner Clique an,“ meinte er fast erstaunt, während er sich seine einstigen Triumphe noch einmal im Kino ankuckte – ganz allein.
Nun gibt bzw. gab es aber noch ein zweites – antifaschistisches – Deutschland. Hier warf man Karl May „Rassismus“ und „Deutschtümelei“ vor und benannte die Radebeuler „Karl-May-Straße“ deswegen gleich nach dem Krieg in „Hölderlinstraße“ um. Stattdessen wurde in der DDR der Indianer-Darsteller Gojko Mitic berühmt. Man nannte ihn bald den „Winnetou des Ostens“. Auch über ihn gibt es einen „Hommage“-Film: „Ein Leben als Indianer“ – man kann ihn als DVD bei der Firma „Icestorm“ bestellen, die regelmäßig ihre Filmware auch auf dem Rosa-Luxemburg-Kongress in Berlin verkauft. Dazu gehören sieben weitere Indianerfilme, in denen Gojko Mitic die Hauptrolle spielte.
Der 1940 in Serbien geborene Mitic, desssen Vater im Krieg Partisan gewesen war, studierte Sport in Belgrad und wirkte nebenbei als Statist in italienischen Kostümfilmen mit. Ab 1964 bekam er kleine Rollen in den westdeutschen Karl-May-Filmen „Old Shatterhand“, „Winnetou 2“ und „Unter Geiern“, die in Jugoslawien gedreht wurden. Danach arbeitete er in der DDR: 1966 gab er den Lakota-Häuptling Tokei-ihto in dem DEFA-Film „Die Söhne der großen Bärin“ – nach einem 1951 im Berliner Verlag Lucie Groszer erschienenen „Millionenbestseller“ von Liselotte Weiskopf-Henrich.
Ihr sechsbändiger Romanzyklus beruht im Gegensatz zu den Karl-May-Büchern auf „wissenschaftlichen Erkenntnissen“ und ist auch deutlich weniger vom Gut-Gegen-Böse-Schwarz-Weiß-Denken („der gute Rote Mann gegen den bösen Weißen Mann“) geprägt. Der Autorin galt die Gesellschaftsordnung der Prärieindianer als eine Form von „Urkommunismus“. Der Literaturwissenschaftler Thomas Kramer hat dazu Näheres in der Zeitschrift der Humboldt-Universität „Spektrum“ veröffentlicht – unter dem Titel „Tokei-ihto versus Winnetou“ (Heft 1/2001)
Der DEFA-Spielfilm „Die Söhne der großen Bärin“ war ähnlich erfolgreich wie zuvor der Romanzyklus von Liselotte Weiskopf-Henrich: 10 von 17 Millionen DDR-Bürger sahen ihn sich an. „Gojko Mitic wurde Tokei-ihto und Tokei-ihto wurde Gojko Mitic,“ schrieb der Tagesspiegel. „Es gibt Schlimmeres als den DEFA-Chefindianer,“ so sah Gojko Mitic das. Seine DDR-Karriere wies dann erstaunliche Parallelen zu der von Pierre Brice in der BRD auf, so dass man hierbei geradezu von einer Konvergenz der Systeme sprechen kann. Ihre zwei Indianerrollen waren jedoch sehr unterschiedlich angelegt – und mitunter direkt auf das Heute bezogen.
So etwa, wenn in dem DEFA-Indianerfilm „Blutsbrüder“ der in die DDR übergesiedelte US-Sänger und -Schauspieler Dean Reed mitspielen durfte, um die Überlegenheit des Kommunismus gegenüber dem Westen zu demonstrieren. In dieser zu Vietnamkriegszeiten verfilmten „Geschichte aus seiner Heimat“ geht es um das Massaker von Sand Creek in Colorado und Dean Reed gibt einen US-Soldaten, der wegen des menschenverachtenden Verhaltens seiner Kameraden gegenüber den „Indianern“ die Seiten wechselt, d.h. fortan mit „den Roten“ und Gojko Mitic gegen den Westen kämpft. Die spätere DDR-Autorin und Historikerin an der Humboldt-Universität Liselotte Welskopf-Henrich hatte schon als Elfjährige einen Brief an den damaligen US-Präsidenten Roosevelt geschrieben, in dem sie sich über die Vernichtung der Indianer durch die US-Truppen beschwerte. Zu ihrer und ihrer Eltern großen Überraschung beantwortete Roosevelt den Brief – und gelobte Besserung.
Gojko Mitic gab bis 1975 jedes Jahr einen Indianerhäuptling, seine letzte diesbezügliche Rolle spielte er 1988 in dem Film „Präriejäger in Mexiko“. In Mexiko wirkte auch Pierre Brice einmal in einer Reihe halbwegs realistischer französischer Indianerfilme mit. Und wie dieser übernahm dann auch Mitic Nebenrollen in einigen schlechten Sex- und Science-Fiction- sowie Kostümfilmen. Er moderierte „Ein Kessel Buntes“, heiratete eine Renate Blume, ließ sich zwei Jahre später scheiden, nahm einige Platten auf, obwohl er nicht singen kann, machte Werbung für „Fisherman’s Friend“, spielte 1996/97 in der gesamtdeutschen Nachmittags-Serie „Verbotene Liebe“ mit, hatte einen Auftritt in der ZDF-Serie „Erfolgreich zum Nichtraucher“, schrieb seine Autobiographie und war dann ab 1992 Nachfolger von Pierre Brice in Bad Segeberg als „Winnetou“.
2006 wurde Mitic dort von dem Türken Erol Sander abgelöst, weil er seit Beginn diesen Jahres am Schweriner Staatstheater in dem Stück „Einer flog über das Kuckucksnest“ den Indianerhäuptling Bromden spielt. „Würde er einmal aufhören, sollte es mit ‚Winnetou 3″ sein. Da stirbt er dann den Heldentod,“ schrieb der Tagesspiegel.
Die DDR hatte schon Anfang der Achtzigerjahre ihre ablehnende Haltung gegenüber Karl May korrigiert – ihn sozusagen rehabilitiert und sogar – für 1992 – die Herausgabe einer Briefmarke mit seinem Konterfei geplant. „Die Gründe für diese radikale Umkehr liegen im Dunkeln,“ heißt es dazu im Katalog der Karl-May-Ausstellung im DHM, mutmaßlich läge es daran, dass die „DDR dem Bedürfnis der Bevölkerung nach Unterhaltung entgegenkommen mußte“. Dafür spräche, dass um das „Karl-Marx-Jahr“ 1983 „Winnetou“ zum beliebtesten „Wunschnamen junger Eltern für ihre Neugeborenen wurde“. In der BRD gab die Bundespost 1987 eine 80-Pfennig-Briefmarke mit Winnetou heraus. Ach.
Aber 2007 kam es noch dicker: Da veröffentlichte der laut Schweizer Wochenzeitung „einflußreiche Strippenzieher Manfred Pohl“ ein Buch zur Rettung des „Weissen Mannes“ – bevor es zu spät ist: eine regelrechte „Handlungsaufforderung“, die dann der Industriehäuptling Hans-Olaf Henkel stolz auf einer Bundespressekonferenz vorstellte. Das muß man sich mal vorstellen.