Peter Sunde, Mitgründer des Mirco-Bezahlsystem Flattr, spricht über unabhängigen Journalismus, das Ende der Demokratie und Katzenvideos.
Von Elisa Heuser
Sagt eine Flattr-Klickzahl etwas über den Wert einer journalistischer Arbeit aus? Auf taz.de bekamen ein emotionaler Kommentar über die Atomlobby und ein investigatives Stück über Schleichwerbung bei Zeitungen, dessen Produktionsaufwand um einiges höher ist, beide etwa 150 Flattr-Klicks. Ist das gerecht?
Man kann die beiden Artikel nicht vergleichen. Der Leser des Kommentars hat den investigativen Artikel vielleicht gar nicht gelesen. Die wirklichen Leser sind ja nicht die gleichen. Aber sie besitzen für den jeweiligen Nutzer einen Wert. Aber ein Katzen-Video, dass ich in zwei Minuten aufgenommen und auf YouTube hochgeladen habe, lässt sich natürlich nicht mit einem Kunstfilm zu vergleichen, an dem ein Jahr gearbeitet wurde. Wir müssen lernen, dass wir keine Preisschilder an einen Inhalt heften können. Man muss den Leser nicht nur unterhalten, sondern auch erziehen. Man muss ihm die Chance geben, selbst zu entscheiden, wofür und wieviel sie bezahlen wollen.
Besteht nicht die Gefahr, dass Journalismus dadurch sehr einseitig wird und nur noch Inhalt produziert wird, der gefällig ist?
Jeder Mensch braucht Abwechlsung. Auch wenn man im großen Konsens mit der Gruppe übereinstimmst, dass das ein wirklich süßes Katzenvideo ist, so wird man sich nach wie vor auch für Anderes und Nischenthemen interessieren. Wenn eine Zeitung den Mix nicht anbietet, wird man natürlich Leser verlieren und hat nur noch die Katzenliebhaber.
Wie sollte man mit den Flattr-Einnahmen umgehen? Sollte der beliebte Autor alles bekommen?
Nein. Wie in jeder Firma, gibt es Produkte, die keine großen Herstellungskosten haben und viel Geld reinbringen. Dann sollte man aber dieses Geld nehmen und damit ein anderes Projekt finanzieren, das auch einen Wert für die Gesellschaft hat.
Entsteht durch Flattr eine weitere Möglichkeit für unabhängigen Journalismus?
Es gibt und gab nie unabhängigen Journalismus. Man muss immer sehen, wie man sein Essen bezahlt. Aber es geht darum, mehr oder weniger abhängig sein. Flattr ist ungerecht und gerecht zur gleichen Zeit, weil es einem Individum die selbe Macht gibt wie einem Unternehmen. Tim Pritlove als einzelner Blogger verdient durch Flattr wahrscheinlich mehr als die ganze taz.de-Redaktion. Das ist ungerecht.
In der Diskussion „Zahlen bitte“ geht es um Bezahlsysteme. Welches eignet sich am Besten für Onlinejournalismus?
Man kann nicht sagen, dieser Weg ist besser als ein anderer. Das hängst ganz davon ab, wer man ist und wer die Leser sind. Flattr-Nutzer halten Flattr für das optimalste und Paypal-Fans finden Paypal besser, also sollte man möglichst viele Möglichkeiten anbieten. So viele Wege es gibt Journalismus zu vermitteln, so viele Bezahlsysteme sollte man nutzen. Eigentlich ist es egal, ob man Inhalt online oder offline nutzt, wenn es einen Wert für dich besitzt und du mehr davon willst, ist es ganz natürlich, daas man das Projekt finanziell unterstützt.
Worin liegt der Vorteil von Flattr?
Über Flattr kann man sowohl schon Produziertes bezahlen und genauso nächste Projekte vorfinanzieren. Wir sind von alten Vorstellungen geprägt. Warum muss ich überhaupt für einen Artikel bezahlen? Warum werde nicht ich dafür bezahlt, einen Artikel zu lesen? Der Journalist verschwendet doch meine Zeit! Angenommen ein Journalist schreibt zwei Stunden an einem Artikel und ich brauche fünf Minuten, um den Text zu lesen, dann sind das bei 1.000 Lesern über 80 Stunden. Wir sollten anfagen, unsere Grundüberzeugungen in Frage zu stellen.
Lässt sich Flattr bezeichnen als einen Weg aus dem Kapitalismus hinein in eine gerechtere Welt?
Ja, wir bezeichnen uns als ein sozialistisches Unternehmen. Jeder von uns bekommt das gleiche Gehalt. Wir sind ein vegetarisches Unternehmen, es wird kein Geld wird für Fleisch oder Lederprodukte ausgegeben. Wir glauben, dass wir eine soziale Verantwortung haben. Aber nicht jeder bei Flattr ist ein Sozialist ist – noch nicht. Nein im Ernst, ich will die Macht von den großen kaptialistischen Firmen nehmen, die den Markt kontrollieren. Flattr ist demokratisch und gibt allen Menschen, die ja gleich wertvoll sind, die Möglichkeit zu sagen, was ihnen gefällt und was nicht. Man könnte uns natürlich vorwerfen, dass wir ein mit einem kapitalistisches Werkzeug – nämlich Geld – arbeiten. Wir sind politisch, aber links.
Können Sie sich vorstellen, selbst Politiker zu werden?
Nein. Nein, nein, nein. Ich möchte keine Verantwortung tragen. Ich schaffe es nicht einmal, alle E-Mails zu beantworten. Ich kann gut kritisieren, meine Ideen in die Welt bringen, Fragen stellen. Zumindest Fragen, die das Internet betreffen. Ich bin der Junge mit dem Internet-Hintergrund, dem man zuhört. Bei den anderen Dingen, die mich wirklich interessieren, habe ich keine Antworten. Und als Poliker sollte man die Antworten haben.
Wie kann man dann etwas verändern?
Ich bin für Aktivismus und zivilen Ungehorsam auch wenn er in Grauzonen passiert. Mein Bruder wurde in den 90ern verurteilt, weil er Pflanzensamen auf die Landebahn von Militärflughäfen gepflanzt hat. Er saß zwei Jahre im Gefängnis dafür, was natürlich verrückt ist. Man könnte sagen, dass das Aktivismus undemokratisch ist, aber ich finde das ok, wenn man wirklich an das glaubt, was man tut. Ich glaube auch nicht an Demokratie, aber das ist eine andere Geschichte.
Was ist falsch an der Demokratie?
Den amerikanischen Präsidenten beispielsweise wählen bloß einige hundert Millionen Menschen, aber sein Handeln hat Konsequenzen für fast alle Menschen in der Welt. Aber ich habe noch keine bessere Lösung. Demokratie ist sozusagen das am wenigsten schlechte System, das mit den wenigsten Fehlern. Was wir brauchen, sind noch mehr Menschen, die aktiv werden. Andereseits zeigt eine hohe Anzahl an Aktivisten natürlich auch, dass da viele Probleme sind.