vonSchröder & Kalender 06.11.2008

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Es ist dunkel, wir sehen nicht, wie der Bär flattert.

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Warum der kleine Jörg sich im Donald-Duck-T-Shirt nicht wohl fühlte und auch nicht zum Amerikaner wurde, steht heute in unserer Kolumne in der jungen Welt:

Good bye America!

Von den schrecklichen Sweatshirts mit Donald Duck!

Ein Jahr nach dem »Umbruch«, wie die Berliner das Kriegsende euphemistisch nannten, nahm mein Stiefvater, »Onkel Siegfried«, Kontakt zu seiner Schwester Sieglinde auf, denn sie wohnte im Paradies, in Miami Beach, Florida, und wir in Niederschönhausen. Bereits im ersten Brief kündigte Sieglinde ein Paket an, und von nun an waren wir Privilegierte. Niemals habe ich so innig etwas herbeigesehnt wie diese monatliche Paketsendung, sie kam regelmäßig, aber wir wußten nicht, an welchem Tag genau. Wenn unser Paket endlich dabei war, erkannten wir es schon von oben, wo wir am Fenster lauerten, es hatte immer die gleiche gelbbraune Pappkartonfarbe und die braunroten Aufkleber der US Mail.

Sieglinde schickte Hersheys Kakao, Blockschokolade, Zigaretten und Kaugummi. Der wurde nur als Tauschgut verwendet, einem Jungen aus meiner Klasse, dem Sohn eines Schusters, machte ich damit die Nase lang, kaute lustvoll und angeberisch, hauchte ihm meinen Spearmint-Atem »hhhhhö hhhhhö« ins Gesicht. Er reagierte darauf, wie wenn du einem Kokainsüchtigen eine Linie auf den Spiegel legst. Für einen einzigen silbrigen Streifen klaute er Holznägel bei seinem Vater, die gab ich Onkel Siegfried. Er brauchte sie für seine New-Look-Schuhe, denn er zerschnitt die Lederpuffs aus dem Wohnzimmer und machte daraus Sandalen mit Keilabsätzen. Alle lebten vom Organisieren, die Kinder mittenmang, eine Gesellschaft von Sammlern und Jägern.

Was war noch in den Paketen? Corned Beef und Butterschmalz, mein Gott, das Wichtigste nach den Zigaretten hätte ich fast vergessen: Bohnenkaffee für die Erwachsenen und für mich das Höchste: die wunderbare sämige Erdnußbutter, die die Zähne mit einem stumpfen Belag besetzte, die aß ich noch lange nach. Manchmal war auch eine große grüngoldene Dose Süßkartoffeln dabei, darüber wurde wütend gemeckert: »Der schöne Platz in dem Paket! Kartoffeln eindosen, die Amerikaner haben sie doch nicht alle, das schmeckt ja eklig!«

Von den grellen gelben Sweatshirts mit dem groß aufgedruckten Donald Duck war ich ebenfalls nicht begeistert, weil die anderen Kinder mich auslachten. Am schlimmsten waren aber die Unterwäschekombinationen, innen angerauhte Underalls aus weißer Baumwolle. Sie hatten angeknöpfte Scheißklappen hinten, was jedesmal bei den Schuluntersuchungen ein Spießrutenlauf für mich bedeutete.

Nach dem zweiten Brief und Paket war klar, daß die USA unsere neue Heimat werden würde, denn Sieglinde schrieb: »Mein liebes Brüderlein! Ich muß dich wiedersehen, dich und deine liebe Familie. Ihr müßt zu uns kommen aus dem schrecklichen Deutschland. Ich habe schon vieles veranlaßt. Leider ist alles auch sehr kompliziert.« Das konnte man laut sagen, die Einwanderungsquote war winzig. Du mußtest einen Amerikaner vorweisen, der mit fünftausend Dollar für dich bürgte – sehr, sehr viel Geld. Sieglinde schrieb: »Wir leben in Miami Beach. Ich habe mich selbständig gemacht als Tanz- und Gymnastiklehrerin. Serge arbeitet immer noch an seinen Erfindungen, auch in Amerika ist nicht alles Gold, was glänzt, wir sind keine Millionäre, aber es geht uns gut.« Von diesem Satz merkte sich Onkel Siegfried nur das Wort ›Millionäre‹.

Sieglinde hatte früher auf dem Berliner Patentamt gearbeitet, Serge meldete dort einen Papierstapelschneider an. Über diesen Apparat hatten die beide sich liebengelernt, geheiratet, waren ausgewandert, um ihr Glück zu machen. Das war wirklich ein Traum! Sehnsüchtig beglotzte ich hundertmal Sieglindes Söhne auf den zwei Fotos, die sie mitgeschickt hatte. Die Knaben saßen braungebrannt und gutgenährt vor einem Swimmingpool. Eigentlich waren sie zu fett, aber ich fand sie bildschön. Die Sehnsucht nach diesem Glück zogen mir alle Poren zusammen, jeder Brief aus Miami wurde fünfzigmal vorgelesen, exegiert und interpretiert, bis wir ihn alle auswendig konnten.

Das Ende unseres amerikanischen Traums ist schnell erzählt. Wir waren über die grüne Grenze gegangen und warteten in Rinteln an der Weser auf die Schiffstickets nach den USA. Endlich kam der ersehnte Brief, feierlich wurde er aufgeschlitzt: »Mein liebes Brüderlein! Wie du ja an dem Stempel siehst, habe ich so lange nichts von mir hören lassen, weil wir nicht mehr in Florida sind. Wir mußten den Kontinent durchqueren und sind jetzt in San Francisco, Kalifornien. Dort verkaufen wir Weihnachtsbäume, denn es geht uns wirtschaftlich sehr schlecht. Es gab Schwierigkeiten mit meiner Tanzschule, außerdem ereignete sich ein Unfall …« Was immer sie noch schrieb, es war ein sehr langer Brief, später brachte meine Mutter den Grund für diese Verarmung und unsere gescheiterte Auswanderung immer so auf den Punkt: »Sieglinde hat jemand überfahren.« Tatsächlich war es wohl eher so, daß es ihr schlecht ging, der Erfinder keinen Job fand, und die Knaben nicht am eigenen Swimmingpool gesessen hatten. Mit diesem Brief war Sieglinde für Siegfried gestorben, er legte eine seiner üblichen Verzweiflungsszene hin: »Sie war schon immer eine unzuverlässige, verlogene Schwester, diese Sieglinde!« Ein Schock für uns alle, wir saßen im Westen im Hotel ›Rintelner Hof‹, hatten alle Klamotten verkauft, kein Geld und nun auch noch: »Good bye America!«

(BK / JS)

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