vonErnst Volland 24.07.2009

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Die russische Witwe

Eine zierliche Dame öffnete uns die Tür. Wir traten in das kleine Zimmer.

Die Witwe eines in der Sowjetunion sehr bekannten Fotografen wünschte sich unseren Besuch und jetzt saß ich mit einer befreundeten Dolmetscherin auf einem abgewetzten Sofa im inneren Ring der Stadt Moskau. Wir überreichten unser Gastgeschenk und ich betrachtete die Wohnung, die lange schon nicht renoviert worden war. Die Witwe hatte in besseren Zeiten gelebt, wie sie sofort erklärte, ihre ganze Leidenschaft war das Tennisspielen, aber jetzt sei sie zu alt dafür. Sie hatte uns zu einem Besuch gebeten, da sie hörte, dass ich mit einem ebenso bekannten Kollegen ihres verstorbenen Mannes zusammen arbeitete und mit diesem Kollegen eine Ausstellung in Deutschland zeigen konnte und ein Buch veröffentlichte.

Sein berühmtestes Foto war die Hissung der sowjetischen Flagge auf dem Berliner Reichstag von 1945.

Ich war aber auch an den Arbeiten der Witwe sehr interessiert und hielt ihren Mann für einen der wichtigsten sowjetischen Fotografen des 20. Jahrhunderts. Als ich diese Meinung äußerte, strahlte sie und ich konnte sehen, dass ihr an der oberen Zahnreihe mehrere Backenzähne fehlten. Sie goss Tee in dünnwandige Teeschalen. Sie muss einmal eine sehr schöne Frau gewesen sein, dachte ich, machte ihr aber nicht dieses Kompliment.

„Ich arbeite sehr gern mit ihnen zusammen“, sagte sie, und darauf hin begann ich über meine Arbeit, Intention, aber auch über meine Konditionen zu reden.

Die Witwe nickte zufrieden und ließ die Dolmetscherin übersetzen, dass auch sie an einer Ausstellung in Deutschland interessiert sei, es jedoch ein kleines Problem gebe.

„Wenn es meine Konditionen sind“, antwortete ich, dann muss ich Sie enttäuschen. Diese sind für alle Fotografen gleich und haben sich auch bewährt. Mir war zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, dass sich die Uhren in Moskau anders drehen, manchmal schneller, manchmal langsamer, oft sogar rückwärts. Aber ich war noch am Beginn meiner russischen Erfahrungen und voller Energie.

„Möchten Sie noch etwas Tee?“ fragte sie mit dünner und etwas säuselnder Stimme.

Wir nickten und warteten ab.

„Sie wissen, ja, mein Mann war ein bedeutender Fotograf, Assistent von Rodtschenko und hatte viele Ausstellungen bei uns. Aber seit einigen Jahren ist nicht mehr viel los, ich weiss nicht warum, seit Gorbatschow passiert gar nichts mehr. Keiner interessiert sich mehr für unser Land und für die Arbeiten meines Mannes. Bis auf einen und der war sehr nett.“

Sie stand auf, drehte sich einmal um ihre Achse und sagte.

„Ist das nicht eine schöne Bluse?“

Unser Anblick und unsere Anwesenheit mussten bei ihr eine Lebendigkeit ausgelöst haben, die sie sonst im Alltag verloren hatte, vermutete ich und fragte.

„Was meinen Sie mit dem Einen?“

„Von dem habe ich die Bluse und er hat mir Blumen mitgebracht, rote Nelken, wunderbar.

An der Bluse war noch das Preisschild dran, 19.90, das hab ich aufgehoben, aber das macht nichts. Er baut für meinen Mann in Deutschland ein Museum. Das hat er mir versprochen.“

Die Dolmetscherin schaute mich an, ich schaute in Richtung der Witwe, die uns unaufgefordert Tee einschenkte.

„Von wem sprechen Sie?“, fragte die Dolmetscherin, ohne dass ich diesen Satz zu ihr gesagt habe.

„Ich spreche von dem wunderbaren Galeristen, ein Landsmann, sehr elegant und jung, Russe, der jetzt in Deutschland lebt und der mir Blumen gebracht hat. Ihm habe ich alle, aber auch alle Fotografien meines Mannes gegeben. Ich habe so gut wie kein einziges Foto mehr.“

Sie ging an einen Schrank, öffnete die Türen, blieb stehen und sagte.

„Schauen Sie, alles leer, nichts mehr da.“

Nachdem ich mich erinnerte, dass ich mitten in Moskau war, fragte ich sie, warum sie uns bestellt habe und was sie von uns wolle.

„Ich sagte doch, ich habe ein kleines Problem. Der Mann hat mir die Blumen vor ein paar Jahren geschenkt und seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Er kam noch einmal wieder, brachte mir die Bluse, sagte, es sehe alles bestens aus mit dem Museum und nahm dann alle Negative mit.

Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Ich war sprachlos. Mir war bekannt, dass Witwen oft begehrtes Objekt von Geschäftsleuten aus der Kunstszene sind, jedoch mit einem aktuellen Beispiel im Augenblick konfrontiert zu werden, verschlug es mir die Sprache.

„Ich bin eine dumme Gans,“fuhr die Witwe fort.

„Als er mir die Bluse schenkte und die Negative mitnahm, für das Museum, überzeugte er mich, ihm meine ganze Erbschaft zu überlassen, also alle Rechte für die Arbeiten meines Mannes. Er sagte, er verkaufe nichts, alles nur für das Museum.“

Sie saß senkrecht auf dem kleinen Biedermeiersofa, eine Hand in die andere gelegt.

„Ich bin wirklich eine solche dumme Gans.“

Draußen auf der Straße erzählte mir die Dolmetscherin, dass sie Kakerlaken in der Toilette gesehen hatte. Ansonsten sprachen wir kaum über den Besuch.

Ich flog wenige Tage später nach Basel, zur wichtigsten Kunstmesse der Welt, der „Art Basel“ und ging direkt in die Koje des Mannes, der Blumen und Blusen verschenkt. Anonym fragte ich nach den nicht ausgepreisten Fotos des russischen Fotografen. Die wenigen an der Wand gezeigten Motive umfassten eine Preisspanne zwischen zwanzigtausend. Dollar und hundertfünfzigtausend Dollar.

Unter einigen Fotos klebten rote Punkte, was bedeutete, das Motiv hat einen Käufer gefunden.

Als ich Interesse am Kauf eines Fotos äußerte, blieb der Galerist neben mir stehen und erklärte mir die Qualität des Fotos.

„Iss Orriginalfoto, iss Wintasche von ganze wichtige Fotograf.“

Ich neigte den Kopf näher an das Foto, Kennerschaft andeutend.

„Ja, sicher, Vintage und ein guter Print, zweifellos.“

„Sie nicht automatisch müssen Äntscheidung treffen, lassen Sie sich Zeiät. Ich lade ein in Deutscheland in meine Galerie, ich machen Essen…kommen Sie, bitte.“

„Das ist eine gute Idee,“antwortete ich.

Dann entfernte ich mich von der Kunstmesse, ging mit wenigen Schritten an den Rhein und trank ein helles Bier.

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