vonHeiko Werning 02.08.2009

taz Blogs

110 Autor*innen | 60 Blogs
Willkommen auf der Blogplattform der taz

Mehr über diesen Blog

Je klarer es selbst jenen Sozialdemokraten wird, die auf Kohle als Energieträger der Zukunft und auf Vollbeschäftigung als Ziel der Politik setzen, dass der büroklammerhafte Charme von Franz- oder Frank-Walter Steinmeier, wer weiß das schon so genau, möglicherweise nicht ganz vollständig reichen könnte, bei der nächsten Bundestagswahl die absolute Mehrheit zu erringen, desto lauter wird der Ruf, Klaus Wowereit solle „in der Zeit danach“, als wäre diese nicht schon vor fast 30 Jahren angebrochen, den Job übernehmen. Der Gedanke ist durchaus naheliegend, schon aus einem relativ einfach einzusehenden Grund: wer sonst? Und das ist nicht so, als ginge man im Kopf einen möglichen Kandidaten nach dem anderen durch, wöge das Haupt nachdenklich hin und her, um dann zu dem Schluss zu gelangen, dieser und jener sei wohl doch nicht so geeignet. Das ist eher so, dass da erst gar nichts im Kopf auftaucht, was man durchgehen könnte. Wer behauptet, die Personaldecke der SPD sei dünn, der nennt auch einen Punkt eine kurze Linie.

Also Wowi. Aber geht das denn? Ist das denn nicht der, der mit den Linken …? So ist es halt in Zeiten der allgemeinen Sprachverwirrung. Da kann sich auch ein Teil der regierenden Besitzstandswahrer, Strukturreaktionäre und Upperclassbuddys „Die Linke“ nennen, und keiner lacht. Wenn aber selbst die publizistische Platzpatrone Jan Fleischhauer, der noch jeden Standstreifen am linken Rand verortet hat, anmerkt: „Ein Missverständnis hat aus Wowereit einen Linken gemacht“, dann sollte auch dem Letzten klar sein, dass mit dem Berliner die neoliberale Schiene geradlinig weiter befahren würde.

Wenn also eh alles egal ist – warum dann nicht Wowi? Die Vorteile liegen auf der Hand. So hätte, praktisch als Staatsbürgschaft, die gesamte Kabarett- und Comedy-Mischpoke jahrelang Inhalt und Brot, indem sie jeden noch so bekloppten Schwulenwitz plötzlich als politisch legitimiert wieder auftischen könnte. Und würde er gar Kanzler, könnte man sich jetzt schon auf die dummen Gesichter von Ahmadinedschad & Co. bei potenziellen Staatsbesuchen freuen. Und schließlich: Der Mann wird immerhin bald zwei Legislaturperioden in Berlin durchregiert haben, und die Berliner sind, im Rahmen ihrer diesbezüglich ausgesprochen rudimentären Möglichkeiten, zufrieden. Und wer Berliner befrieden kann, der könnte letztlich auch Mullahs zum Ausleben ihrer homoerotischen Phantasien bewegen oder den Papst überreden, für „Billy Boy“ Modell zu stehen. Der Mann hat außerdem Erfahrung, wie man mit einem vollständig ruinierten Haushalt regiert. „Arm aber sexy“, vor einem Jahr noch von der Restrepublik mit Häme bedacht, könnte bald schon das Versprechen eines besseren Lebensgefühls im Speckgürtel von Frankfurt/Main oder am Tegernsee sein. Von Wowereit können sie lernen, wie man auch als Pleitier noch Großmannssucht und Glamour wahrt. Endlich könnte die Hauptstadt wie ein Leuchtturm in das Land hinausstrahlen, denn wir hier haben das doch alles längst hinter uns. Wir können helfen, wenn es gilt, die Düsseldorfer Kö in eine Flaniermeile aus Ein-Euro-Shops, Spätkaufs mit Telefonkabinen, An- und Verkaufsläden, Wettbüros, ALG-II-Beratungsstellen und Handy-Shops umzuwandeln. Von Berlin kann der Rest der Republik auch vorbildlich lernen, wie man alle Arten von Verhaltensauffälligen, Knallchargen und hoffnungslosen Fällen in die Gesellschaft einbinden kann, ohne dass sie groß stören und ohne dass sie Behandlungskosten verursachen: Lasst Stuckrad-Barre einfach für die B.Z. schreiben. Lasst Ben Becker die Bibel vorlesen und glauben, dies sei ein quasi originärer, nie dagewesener Einfall. So haben die wenigstens was zu tun. Lasst sie einfach alle machen: die einen Irren dürfen ihr Stadtschloss wieder aufbauen, die anderen dafür absurde Anziehsachen auf ehemaligen Nazi-Flughäfen spazieren tragen. Die einen sollen schön verschleiert zu ihren Halal-Imbissen gehen, damit die anderen von Islamisierung faseln und den Untergang des Abendlandes beschwören können. Die einen sollen glauben, wenn sie ihre lahme Literaturliteratur demnächst von Berlin aus an die paar Feuilletonzombies verteilen, sei das irgendwie besser, als wenn sie das von Frankfurt erledigten, die anderen dürfen aus Hamburg herkommen und dasselbe behaupten, wenn sie ihre Boulevardkloake zum Verschachern von Fickanzeigen und Volksbibeln hier zusammenpanschen. Wir nehmen sie alle. Und lassen uns weiter nicht stören.

Die seelenheilspendende spezifische Berliner Mischung aus Ignoranz und grundlosem Selbstbewusstsein repräsentiert Wowereit wie kein Zweiter. Und am Ende verkauft er diese Melange als Lebensgefühl, indem er alles in einen Sack schüttet und groß „be berlin“ draufschreibt. Wie? Das ist im Rest des Landes alles auch nicht anders? Was wir Berliner uns schon wieder einbilden, da so viel Bohei drum zu machen? Und diesen Motivationskampagnenquatsch hat es schließlich mit „Du bist Deutschland“ vorher auch schon gegeben, das ist doch alles nur geklaut? Na eben, sag ich doch: Wowi für Deutschland!

—-

Entstanden für und zuerst veröffentlicht in der jungle world

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/wowi_fuer_deutschland/

aktuell auf taz.de

kommentare