vonlottmann 31.03.2011

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Ich wählte Maxim Billers Nummer. Als er meine Stimme erkannte, wurde er sofort schlecht gelaunt. Er hatte gerade einen ziemlichen Hass auf mich, eine Stinkwut sozusagen, und deswegen rief ich an. Ich wollte mich entschuldigen, so machte man das inzwischen in Deutschland, und zwar grundsätzlich und flächendeckend. Ich hatte auf einen kleinen Zettel sogar die Worte aufgeschrieben, die Guttenberg kürzlich in ähnlicher Lage gebraucht hatte. Wir lebten schließlich in der Entschuldigungsgesellschaft.
Maxim hatte in der Wochenzeitung Die Zeit geschrieben, er hasse mich, weil ich in einer launigen Buchpräsentationsrede kolportiert hatte, er und ich hätten als Kinder vor den Stufen der Hamburger Kammerspiele gespielt und manchmal mit Ida Ehre Tee getrunken. Das stimmte zwar nicht, war aber semantisch richtig. Wenn es ein Wort hätte geben sollen, das die kleine Schnittmenge zwischen seiner und meiner Familiengeschichte semantisch auf den Punkt brachte, sozusagen verdichtete, und wir waren ja Dichter, so wäre es das Wort ›Ida Ehre‹ gewesen. Ich hatte ihm das schon zweimal erklärt, einmal in der Lang-, ein anderes Mal in der Kurzfassung, aber er hatte es gleich wieder vergessen, weil er mir sowieso nichts glaubte. Nach dem Motto »Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er dann die Wahrheit spricht«, waren alle meine Aussagen für ihn wertlos. Die Stichworte hatte ich mir trotzdem notiert: die Jahre 1937 bis 1947 mit Borchert und Onkel Günter, Hegepenne, Isot, meine Mutter, Hochkamp, der ¬liberal-jüdische Familienhintergrund, Uraufführung von ›Draußen vor der Tür‹, Umzug in die Hartungstraße, um den Kammerspielen nahe zu sein, die Prinzipalin, die gemeinsamen Texte, das uneheliche Kind, die Theaterkritiken bis kurz vor Mutters Tod … Wie gesagt, alles schon mal erzählt. Maxim glaubte davon immer nur die Hälfte. Und ich konnte das nur zu gut verstehen. Auch die Hälfte reichte eben nicht. Sonst könnte ich als nächstes erzählen, Maxims Eltern und meine hätten bei Ben Gurion Tee getrunken, oder etwas in der Art, etwas, bei dem auch irgendwas stimmte.
Schließlich hatte ich in meinem Leben schon ebenso oft gelogen, wie ich die Wahrheit gesagt hatte. Für Maxim musste meine kleine Ida-Ehre-Bemerkung nichts weiter sein als eine dreiste Aneignung der Person und ihrer kulturellen Bedeutung, ein Raub also, noch dazu spielerisch und halbspaßig. Das, wofür Ida Ehre stand, sollte auf meine Biographie einen matten Glanz werfen, und zugleich würde das Ganze auch noch irgendwie verblödelt wirken. Kein Wunder, dass Maxim mich daraufhin hasste. Wenn ich ihm aber erneut erklärte, dass es sich diesmal nicht nur um die Wahrheit handelte – Ida Ehre war wie gesagt tatsächlich eine Art Familienheilige für uns, eng verwoben mit dem Mythos der Stunde Null –, sondern um den vielleicht einzigen Punkt, bei dem ich selbst dünnhäutig wurde, wo selbst bei mir der Spaß aufhörte, konnte ich vielleicht sein Verständnis erreichen. Seine Wut würde vielleicht verrauchen. Aber wie sollte ich ihm das vermitteln? Wie? Ich überlegte hin und her, aber: Es gab keinen Weg. Ich merkte es jetzt, als ich seine mürrische Stimme hörte. So sagte ich nur:
»Maxim, ich wollte mich nur für die Ida-Ehre-Bemerkung entschuldigen.«
»Warum?«
»Ich will nicht, dass du so eine Wut auf mich hast.«
»Habe ich nicht. Ich habe doch geschrieben, dass wir quitt sind.«
Stimmt. In dem Zeit-Artikel stand am Ende, er fühle sich nun quitt, nachdem er mir die Freundin ausgespannt hatte. Hatte ich ganz vergessen. Ich atmete tief durch.
»Na, dann ist ja alles gut!«
»Nichts ist gut.«
»Äh, ja klar. Nichts ist gut. Aber wollt’ ich nur so mal, äh, gesagt haben.«
»Ruf nicht mehr an.«
»Kein Problem, Maxim.«
Er hängte ein.
Ich saß, wie nach jedem Freundschaftsgespräch mit Maxim, noch ein paar Minuten etwas betäubt auf meinem Telefonstuhl. Ein Gefühl breitete sich in mir aus, das ich seltsamerweise, im Gegensatz zu allen anderen Menschen, fast nie habe.

http://jungle-world.com/artikel/2011/11/42809.html

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