vonDaniel Erk 30.07.2008

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

Ein Xitele-Shirt, gesehen in China von Katharina Erk

Der verehrte Christian Y. Schmidt ist einmal quer durch China gefahren und hat aufgeschrieben, wie das wo war und wie das so wirkte. In der Riesenmaschine hat Holm Friebe ein paar schlaue Zeilen zu Schmidts Buch „Allein unter 1,3 Milliarden“ verfasst – in der Jungle World ist ein Auszug aus dem Buch erschienen. Und da erzählt Schmidt, unter anderem, wie begeistert auch die Chinesen auf den Bekanntesten aller deutschen Politiker reagieren : Adolf Xitele.

„Am Fuß des Berges sind die Hotels so teuer wie noch nie auf dieser Reise. So lasse ich mich entgegen allen Vorsätzen noch einmal in eine Privatunterkunft abschleppen. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Schlepperin ein junges hübsches Mädchen ist, das ein blaues T-Shirt trägt, auf dem steht: »This movie is presented by: Walt Disney Productions«. (…)

Ich bleibe auch, weil mir Miss Disney »Leben in einer chinesischen Familie« versprochen hat. Das hatte ich auf dieser Reise noch nicht, sieht man einmal von der kurzen Episode in Frau Colonel Kurtzens Rumpffamilie ab. Und tatsächlich soll ich Familienanschluss bekommen. Am Abend versammeln sich das Mädchen, ihr Freund, die Mutter, der Großvater und zwei Tan­ten auf der Terrasse vor dem Haus und warten Mah-Jongg spielend auf das Essen. Das kocht der Vater, der auf seinem Oberkörper nichts anderes trägt als Hunderte von Mückenstichen. Es gibt Tofu, Bohnen, Zwiebeln, Wintermelonensuppe, Reis und dazu ein Verhör durch den halbnackten Vater. Als er mich auf vierzig schätzt und mir partout mein wahres Alter nicht glauben will, werfe ich meinen Führerschein auf den Tisch. So erfährt er, dass ich Deutscher bin. »Xitele«, schreit der Vater sofort begeistert. Immerhin geht dieses Mal nicht der Arm hoch, sondern nur der Daumen.

Das ist jetzt das vierte Mal auf dieser Reise, dass jemand den Führer hochleben lässt. Erst Xitang, dann Yingshan und Chongqing, dort war in einem Fotoladen, in dem ich mir DVDs brennen ließ, der Arm gar nicht mehr runtergegangen. Und jedes Mal war ich schlecht vorbereitet. Auch jetzt winke ich nur müde ab und sage: »Xitele bu hao«, was so viel heißt wie: »Hitler nicht gut.« Könnte da das Goethe-Institut nicht mal was machen? Zum Beispiel eine Milliarde Flugblätter drucken lassen, auf denen man den Chinesen in einfachen Worten erklärt, dass dieser Herr Xitele nicht nur ein großer Verbrecher war, sondern im Zweiten Weltkrieg auch ein großer Freund und Bundesgenosse der Chinesen metzelnden Japaner? Das wäre sicher sinnvoller, als immer nur Juli Zeh oder DJ Fix und Foxi nach Peking einfliegen zu lassen.

Ich habe jedenfalls bald genug davon, das deutsche Schneewittchen bei den sieben Hitlerzwergen zu spielen, und ziehe mich recht früh in meine Tropfsteinhöhle zurück. Hier liege ich lange auf der feuchten Bettwäsche und lausche Milliarden von Zikaden, die draußen im subtropischen Bambuswald vor sich hin kreischen. Nur ab und zu wird dieser Lärm von der durchdringenden Quäkstimme des Hitlervaters unter­brochen, der lautstark das Fernsehprogramm kommentiert. Später setzt starker Regen ein.“

Christian Y. Schmidt: Allein unter 1,3 Milliarden. Rowohlt Verlag, Berlin 2008, 320 Seiten, 19,90 Euro. Das Buch erscheint Anfang August.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/xitele/

aktuell auf taz.de

kommentare