In zwei Wochen und zwei Tagen steige ich ins Flugzeug nach Washington. „You will love it“, haben mir alle möglichen Leute aus den USA versichert. Darunter auch solche, denen ich nie begegnet bin. Woher sie das wissen wollen, kann ich nicht sagen. Aber sie scheinen sich ihrer Sache sicher zu sein.
Bis ich selbst meine Liebe zu den USA testen kann, muss ich noch ziemlich viele Hürden überwinden. Darunter bürokratische und handfest materielle und finanzielle. Ich hatte unterschätzt, wie kompliziert so ein transatlantischer Umzug ist. Vor 15 Jahren, als ich von Berlin nach Paris wechselte, habe ich einfach ein Auto bis unters Dach voll gepackt und bin los gefahren. Meine Wohnung hatte ich mit einem Architekten getauscht. Er setzte sich in mein gemachtes Nest in Berlin. Ich in seines in Paris. Am Anfang unserer Zeit in der anderen Stadt, hatten wir je ein Dach über dem Kopf. Dazu einen Fernseher, funktionierende Telefonanschlüsse und eine nach Landessitten eingerichtete Wohnung. Ohne zusätzliche Kosten.
Wir hatten uns über einen Aushang im Institut Français gefunden. Bei einem kurzen Telefonat technische Details geklärt. Und dann unsere Schlüssel bei NachbarInnen hinterlegt. Über persönliche und finanzielle Dinge haben wir nie gesprochen. Bis zum Schluss wusste ich nicht, wie der Mann, der drei Monate in meinen Bett schlief, aussah.
Abgesehen von unseren unterschiedlichen Hygienestandards, war der Austausch mit dem Architekten eine gute Erfahrung. Sie währte drei Monate. Wie geplant. Danach suchten er in Berlin und ich in Paris eine Wohnung für länger. Nachdem ich meine gefunden hatte, brachte ein LKW meine Möbel und mein Klavier von Berlin nach Paris.
Den Anfang in Washington hatte ich mir ähnlich vorgestellt: Mit einem Apartment-Swap, von wo aus ich in die us-Gesellschaft starten wollte. Dieses Mal veröffentlichte ich mein Tausch-Ansinnen im Internet, das es 15 Jahre zuvor noch gar nicht gab. Als Forum wählte ich CraigsList, ein viel gelesenes „social-network“ aus den USA. Ich beschrieb meine Wohnung in Paris, nannte meine Termine und stellte Fotos von meiner Küche, meinem Schlaf- und Wohnzimmer dazu.
Skrupel über solchen Exhibitionismus vor der weltweiten Netz-Öffentlichkeit erwiesen sich als unnötig. Schon am ersten Tag erhielt ich mehrere Mails, die mir tiefe Einblicke in den Alltag in Washington verschafften. Mit Fotos von Personen, Beschreibungen von beruflichen Werdegängen, und Zahlen über Einkommensverhältnisse. Eine junge Frau, bot mir im ersten Mail ihre Wohnung an. Im zweiten sprach sie von ihrem Auto. Im dritten schlug sie vor, dass ich auch den Pritschenwagen benutze, auf dem sie normalerweise ihr Pferd transportiert. Leider wohnte sie ziemlich weit vom Stadtzentrum entfernt. Ein Mann, der seinen französischen Ahnen nachforschen will, hatte die Idee, dass ich mit ihm darauf warte, dass er demnächst entlassen wird und eine hohe Abfindung erhält, um damit nach Paris zu gehen. Eine Professorin für Literatur fragte, ob ich meinen Washington-Aufenthalt nicht bis zum Frühjahr verschieben könnte, weil ihr in Paris der Mai am liebsten ist. Eine andere hat ungefragt Wohnungsaushänge für mich in ihrem Stadtteil gemacht.
Nach ein paar Wochen habe ich meine Suchanzeige für den Wohnungstausch gelöscht. Nicht nur, weil ich niemanden in Washington gefunden hatte, der zu meinen Terminen nach Paris wollte. Sondern vor allem, weil mir die Kontaktpflege mit meinen neuen elektronischen Bekannten buchstäblich über den Kopf wuchs. Wann immer ich an den Computer ging, fand ich ein neues „Hi Dorothea“-Mail, in dem sich Unbekannte aus Washington nach meinem Befinden erkundeten. Und mir freundlich ihre Hilfe anboten.
Seither suche ich auf dem kommerziellen Wohnungsmarkt. Auch der Makler in Washington ist umwerfend freundlich. Allerdings hat er hörbar geschluckt, als ich ihm am Telefon sagte, dass ich „nur“ 2500 Dollar für eine Wohnung ausgeben kann. Er schickt mir jetzt täglich Angebote, damit ich mich einfühlen kann. Im Januar, gleich nach meiner Landung, wird er mir Wohnungen zeigen. Er meint, dass ich binnen weniger Tage etwas finde. „Zu einem Souterrain dürfte es reichen“, sagt er. In Washington DC hat die Krise den Immobilienmarkt nicht erschüttert.