Passiert ist es entweder beim Möbelschieben. Oder bei der Radtour, die ich an Ostern gemacht habe. Jedenfalls war plötzlich mein Rücken verklemmt. Ich habe verschiedene Hausmittel ausprobiert: Abwarten. Wärmflasche. Yoga. Schwimmen. Aber es hilft nichts. Ich kann mich kaum bewegen.
In Paris bin ich in einer ähnlich misslichen Lage an einen wunderbaren Ostheopathen geraten. Er hat mir Fragen über meine Arbeitsabläufe und meine Schlafgewohntheiten gestellt. Das Gewicht meiner Handtasche geprüft. Mich ein paar Schritt machen lassen. Meine Körperhaltung angeschaut. Und gewusst, was zu tun war.
Mit zielstrebigen, ebenso sanften, wie effizienten Manipulationen an meinen Knochen brachte er mich wieder in Form. Ich war buckelig in seine Praxis geschlichen. Und habe sie eine Dreiviertelstunde später erhobenen Hauptes und gut gelaunt verlassen.
Äußerlich ist seine Praxis wie viele andere in Frankreich: Eingerichtet und angestrichen, wie ein Vorgänger sie Jahre zuvor hinterlassen hat. Und völlig ohne Angestellte. Mein Pariser Ostheopath macht alles allein: Er beantwortet das Telefon. Öffnet die Türe. Erledigt den Schreibkram. Behandelt. Und kassiert. Mich würde nicht wundern, wenn er auch putzt.
In anderen französischen Praxen hat mich so viel Multi-Tasking gestört. Ich fínde, ÄrztInnen sollten sich auf ihre PatientInnen konzentrieren. Und mir passt auch die Vorstellung nicht, dass dieselbe Hand mich untersucht und anschließend einen Scheck oder Geldschein entgegen nimmt. Aber bei meinem Osteopathen war ich auf Anhieb überzeugt, dass er seine Arbeit verstand und mochte. Zu dem guten Eindruck trug bei, dass er sich Zeit nahm und nicht die geringste Neigung hatte, mich zu einer neuen Behandlung zu bewegen. Sein Honorar war zudem so niedrig, dass ich nie einen Erstattungsantrag an meine Versicherung gestellt habe. Der Zeitaufwand wäre unverhältnismäßig gewesen.
All das habe ich im Sinn als ich meine neuen NachbarInnen in Washington nach jemandem für meinen Rücken frage. Sie staunen ungläubig über meine Erzählung aus Paris. Aber nach ein paar Stunden bekomme ich eine Reihe von Namen von ÄrztInnen in Washington. Ich entscheide mich für einen „Chiropractor“, den eine us-amerikanische Kollegin empfiehlt.
Den Termin bekomme ich problemlos für den nächsten Tag. Am Telefon fragt die Assistentin nicht nach meinen Beschwerden, sondern nur nach dem Namen meiner Versicherung. Bei meiner Ankunft in der elegant möblierten Praxis in Georgetown stoße ich als erstes auf einen Wandschmuck, der meinen „Chiropractor“ als jemanden ausweist, den seine PatientInnen als „Top“ bewerten. Dann überreicht mir eine der drei gestylten Damen am Empfang einen langen Fragebogen. Unter anderem sollt ich den Namen meines Anwaltes sowie den eines engen Vertrauten nennen. Ich muss auch unterschreiben, dass ich auf jeden Fall bezahlen werde.
Ungefragt erklärt die Dame mir, dass der Einstiegspreis für eine Behandlung in der Praxis 150 Dollar beträgt. Ostheopathische Manipulationen sind extra.
Das ist eine Menge Geld. Aber ich habe noch nie über Arzt-Tarife verhandelt. Und ich will nicht damit beginnen, während mein Rücken schmerzt und ich dringend nach Erleichterung suche. Außerdem bin ich vorgewarnt. Die monatelange Debatte über die Gesundheitsreform hat schließlich zutage gebracht, dass Arzt-, Untersuchungs- und Medikamentenkosten in den USA Weltrekordniveau haben.
Erst nachdem ich „okay“ gesagt habe, führt mich eine zweite hübsche Dame zu dem Arzt. Der lächelt freundlich und stellt mir ein paar Fragen, die strikt auf die schmerzende Zone an meinem Rücken begrenzt sind. Dann bringt die zweite Assistentin mich in einen Raum mit einer Liege und erklärt, was ich ausziehen und was ich anbehalten soll. Der Arzt befindet sich unterdessen in einem anderen Behandlungszimmer.
Nach ein paar Minuten kommt er, und bewegt meinen verrenkten Rücken. Seine Handgriffe halten dem Vergleich mit meinem Pariser Ostheopathen stand. Ich spüre, dass sie an die richtige Stelle gehen. Aber mich wundert, dass er seine Arbeit schon für beendet erklärt, als ich das Gefühl habe, er fange gerade erst damit an. Während er den Raum verlässt, empfiehlt der Arzt eine Elektromassage. Das wäre gut für meinen Rücken. Falls ich noch ein paar Minuten Zeit hätte.
Natürlich antworte ich mit: „ja“. Doch der Arzt hört das nicht mehr. Er hat den Raum bereits verlassen. An seiner Stelle ertönt plötzlich wieder die Stimme der Empfangsdame. Während ich mich bäuchlings auf der Liege befinde, steht sie irgendwo hinter mir und zählt auf, welche Kosten mit der Elektromassage auf mich zukommen. „Wollen Sie es machen?“ fragte sie meinen Rücken.
Wieder muss ich „okay“ sagen, bevor es weiter geht. Eine Assistentin schliesst die Elektroden an meinen Rücken an. Und ich bekomme 15 Minuten lang kleine Elektrostöße. Sie sind nicht unangenehm. Ob sie meine Rückenlage verbessert haben, vermag ich nicht zu sagen.
Beim Verlassen der Praxis kreuze ich noch einmal den Weg des Arztes. Er ist unterwegs zwischen zwei Behandlungsräumen und sagt freundlich: „Falls Ihre Beschwerden anhalten, kommen Sie wieder. Wir sind von Montag bis Mittwoch für Sie da.“
Mir geht es körperlich viel besser, als bei meiner Ankunft in seiner Praxis. Aber ich fühle mich nicht annähernd so leicht und fröhlich wie dereinst in Paris. Mir schwirrt der Kopf vor Zahlen. Die 20 Minuten in der Chiropractor-Praxis in Washington haben so viel gekostet, wie ich an dreieinhalb kompletten Arbeitstagen bei der taz verdiene. Falls ich tatsächlich eine Nachbehandlung benötige, wird am Ende eine Summe herauskommen, die so hoch ist, wie ein Hin- und Rückflug nach Paris – der Preis für eine Behandlung bei meinem französischen Ostheopathen inklusive.
Dieses Mal werde ich die Rechnung bei meiner Versicherung einreichen. Sollte ich mir in Washington erneut den Rücken verrenken, steige ich gleich ins Flugzeug.