vonImma Luise Harms 02.02.2010

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Thomas arbeitet seit Jahren an einer Filmidee. Sie handelt vom Blinken, oder vielmehr vom Nicht-Blinken abbiegender Autos. Das empört ihn als Kraftfahrer und als Mitbürger – diese Tendenz, sich im Verkehr so zu bewegen, als sei kein anderer da, als sei der Verkehrsfluss tatsächlich ein Fluss, in dem man, das Medium beiseite schiebend, sich den eigenen Wünschen entsprechend durchwühlt. Aber das Medium des Verkehrs sind die anderen Verkehrsteilnehmer; sie wollen als Subjekte anerkannt werden, sie wollen eine Mitteilung, was der Vor-Fahrer beabsichtigt, um sich darauf einrichten zu können.

Als Kind trampte ich mit meiner Tante Else manchmal ins benachbarte Dorf. Einmal nahm uns ein junger Mann mit einem VW-Käfer mit. Es war ein altertümliches Modell mit Richtungszeigern, die in den Holmen neben den Seitentüren versenkt waren und durch einen elektrischen Impuls gehoben wurden. Nachdem die Kurve genommen war, sollte der Zeiger, nach Abschalten des Anzeigeimpulses, in seine Ruhestellung zurückfallen. Das tat er aber nicht, sondern blieb ausgestreckt – eigensinnig und irritierend, als wolle das Auto seine weitere Richtung selbst bestimmen. Der Fahrer wandte sein Gesicht zu dem Seitenholm, hinter dem sich der Zeiger so starrsinnig stellte, sagte „Los, geh rein!“ und hieb mit der Faust gegen die Seitenwand, woraufhin der Richtungsanzeiger gehorsam im Schlitz verschwand.

Später gab es diese Zeiger nicht mehr, stattdessen blinkende Ecken an den Autos. Ich hörte davon, dass es automatische Blinklichter geben sollte. Und ich grübelte darüber, wie das Auto wissen kann, in welche Richtung der Fahrer fahren will. Das war mir unheimlich. Erst viel später begriff ich, die Automatik bestand darin, dass der Blinker nach der Kurve automatisch wieder abgeschaltet wurde, weil das Lenkrad bei seiner Rückwärtsbewegung den Blinkerhebel in die Ruhestellung mit zurücknahm. Ich war darüber eher enttäuscht als beruhigt und habe ein bisschen Verachtung empfunden für das, was „Automatik“ genannt wurde.
In der Fahrschule lernte ich, dass man im Notfall immer noch die Hand nehmen darf, um die Richtung anzuzeigen. Nach links: die Hand aus dem Seitenfester strecken. Nach rechts: die Hand aufs Wagendach legen. Auch da blieb mir unklar, wie die Verkehrsteilnehmer auf der rechten Seite das denn überhaupt sehen können. Eine der Fragen, die nie gestellt oder nie befriedigend beantwortet wurden, eine Weile auf den Wellen träger Muße-Gedanken kreiseln, dann in Vergessenheit geraten, aber durch die fehlende Erklärung ein tiefes Misstrauen in die Sinnhaftigkeit menschlicher Konventionen hinterlassen. Dieses Misstrauen ist sicher ein Grund dafür, dass man es mit solchen Regeln, wie z.B. die Richtung anzuzeigen, nicht mehr so genau nimmt.

Wir haben ein altes Auto. Einen Opel Astra Kombi. Geräumig und bequem, mit Extras, die ich bis dahin nicht genossen hatte: elektrische Fensterheber, Zentralverriegelung. Alles hat seine Annehmlichkeiten und seine Tücken. Die Fenster lassen sich nicht mehr schließen, wenn die Zündung abgeschaltet ist. Und die Zentralverriegelung inklusive Kofferraum und Tankklappe kann auch durch einen einzelnen Türknopf ausgelöst werden; so kann man gut den Autoschlüssel mit einschließen. Schon zweimal musste Thomas lange Wege machen, um den zweiten Schlüssel herzubringen.
Das alte Auto fährt noch gut, aber es hat verschiedene kleine Gebrechen. Hier geht ein Lämpchen nicht, dort klappert eine Verkleidung. Das Gebläse der Heizung hat Thomas gerade repariert. Das Wasser im Kühlkreislauf verschwindet auf rätselhafte Weise. Man muss immer was zum Nachkippen dabei haben. Die Frontscheibe lässt manchmal Regenwasser durch, wenn der Wind es in ungünstigem Winkel dagegen drückt. Die Heckscheibenheizung muss man raus-rein-raus-ziehen, damit sie wirklich angeschaltet ist. Aber die Binker gehen, und wir ermahnen uns gegenseitig zu ihrer Betätigung – beim Abbiegen, beim Überholen, beim Spurwechsel, beim Ein- oder Ausparken. Durch die Erörterung von Thomas’ Filmidee haben wir einen hohen Bewusstseinsstand in dieser Frage.
Eine Einrichtung, die auch nicht geht, eigentlich noch nie ging, ist die Lichthupe. Mit dem Blinkhebel schaltet man das Fernlicht ein, wenn man ihn nach vorn drückt. Ein kurzes Heranziehen sollte zum Aufblinken der Fernlichter führen, ohne dass der Hebel in dieser Stellung verharrt. Ich habe das noch nie vermisst. Das ist ein Signal für Rowdies und Raser. Lichthupe heißt: Schlaf nicht ein, fahr’ schneller! Mach die Spur frei! Pass auf, ich überhole jetzt! Lass dir bloß nicht einfallen, jetzt auch zu überholen! Oder, z.B. in Thomas’ Fall: Wie wär’s denn mal mit Blinken vor dem Abbiegen!? – Lauter Botschaften von Alpha-Tieren im Verkehr. Wer sich z.B. gegenseitig den Weg freigeben will, kann das nach Blickkontakt auch mit einer Hand- oder Kopfbewegung mitteilen. Lichthupenzeichen fallen den anderen Verkehrsteilnehmern in den Rücken, bleiben anonym und wollen erschrecken oder nachtreten. Nein, ich halte nichts davon.

Der Verschleiß an einem Auto macht sich so bemerkbar, dass plötzlich etwas nicht mehr geht. Dass es zuvor nur noch gerade eben, nur noch ganz knapp ging, merkt man meistens nicht, weil sich dieser vorhergehende Abnutzungsprozess im Innern des Maschinen- und Armaturenraums vollzieht. Dazu gehört auch die Einraststufe eines Hebels, die langsam abschleift, die kaum noch hält, und dann irgendwann eben gar nicht mehr.
Gestern Abend, als ich von Berlin nach Reichenow aufbrechen wollte, ließ sich plötzlich das Fernlicht nicht mehr abschalten. Ich hatte kurz die Hoffnung, dass nur das blaue Kontroll-Lämpchen falsche Impulse kriegt. Aber es zeigte sich dann, dass das Abblendlicht ins Fernlicht überging, sobald ich den Blink- und Lichthebel am Lenkrad losließ. Fatal, mit Fernlicht durch die Stadt zu fahren, noch fataler, auf den Landstraßen entgegenkommenden Fahrern die Sicht zu nehmen. Was sollte ich tun? Ich bewegte den Hebel hin und her, vor und zurück. Ich konnte ihn ja beim Fahren nicht die ganze Zeit festhalten. Ich drückte ihn kräftig zu mir hin, in der verzweifelten Hoffnung, ihn doch noch mal zum Einrasten zu bewegen. Und – oh Wunder – jetzt ging die Lichthupe: Beim Heranziehen blendete das Fernlicht nun auch auf. Aber gerade jetzt hatte ich nicht mehr das geringste Interesse daran. Was sollte ich machen; ich konnte nicht die ganze kalte Winternacht im Auto in den Schluchten des Potsdamer Platzes sitzen bleiben. Ich setzte brav den Blinker nach links, um aus der Parklücke zu fahren, und – oh, noch ein Wunder – als ich den Hebel halb nach unten bewegt hatte, blieb er auf Abblendlicht-Position eingerastet! Ein Hoffnungsschimmer.

Alle marode Mechanik hat, bevor sie ganz zum Erliegen kommt, eine Biege-, Klemm- oder Spreizposition, in der sie gerade noch geht. Man kann sich kurze Zeit der Illusion hingeben, dass das Ding sich selbst repariert hat. Für den Lichthebel unseres Autos war das die Fast-links-Blink-Position. Da gab es so einen ganz kleinen inneren Haltepunkt für die Abblendstellung. Der musste aber aufgegeben werden, wenn der Blinker betätigt wurde. Vor allem die tolle Rückhol-Automatik des Blinkers ließ den Hebel unweigerlich in die Fernlichtposition zurückfallen. Bei jedem Versuch, ihn zu jenem winzigen Haltepunkt in der fast-links-Mittelstellung zurück zu kriegen, löste ich damit auch die nun wieder funktionierende Lichthupe aus. Es war zum Verzweifeln.
Jetzt ist eine Heimfahrtstrecke gut, die stur geradeaus geht, ohne die Notwendigkeit abzubiegen und dies den anderen Verkehrsteilnehmern anzuzeigen. So eine Straße ist die Landsberger Allee, die 30 Kilometer in meine Richtung führt, ohne dass ich ein einziges Mal abbiegen muss. 12 Kilometer ist die Straße drei-, manchmal sogar vierspurig. Die Spuren sind durch unterbrochene weiße Fahrbahnmarkierungen voneinander abgetrennt. Eine disziplinierte Verkehrsteilnehmerin zeigt an, wenn sie die Spur wechseln will – mit Blinker! Die Ampelanlagen auf der Strecke haben „grüne Welle“, wenn man etwas schneller als die vorgeschriebene Stadtgeschwindigkeit fährt. Eine Lichthupe im Nacken bedeutet: Penner!
Ich bin schon ganz erstarrt in der Anstrengung, im fließenden Verkehr nicht widrig zu sein. Ich wähle die mittlere Spur, von der ich nun nicht mehr lassen werde und auf der ich mit beharrlichen 55 Stundenkilometern meiner Heimat zustrebe. Der fließende Verkehr umspült mich von beiden Seiten. Es ist kalt, wenn auch nicht mehr so kalt wie in den letzten Nächten. Die Straße glänzt verdächtig; sie sieht nach Glatteis aus, aber für Lebensängste habe ich jetzt keine Zeit. Hindernisse tauchen auf, rot-weisse Barrieren mitten auf der Straße. Die Frostnächte mit minus 20 Grad haben den Asphalt zerstört. Tiefe Löcher klaffen in der Straßendecke, besonders häufig in der mittleren Spur. Sie sind mit provisorischen Absperrungen vom Verkehr abgepuffert – Absperrungen, die man umfahren muss! Das heißt: Blinken und dann unweigerlich: Lichthupe! Oder nicht blinken und sich rücksichtslos in die andere Spur rüberdrücken. Kein Signal oder ein falsches Signal. Rowdy 1 oder Rowdy 2. Vielleicht sollte ich es mit dem Handzeichen versuchen: Hand links raus oder Hand aufs Wagendach. Auf dem Wagendach liegt eine dicke überfrorene Schneedecke. Da meine Hand hineinzustecken ist bestenfalls ein Zeichen an mich selbst.

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