von 27.11.2010

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Mit Eis und Frostschutzmittel die Zeit überdauern (Foto: Michael Kulmus / Lizenz: by)

Früher oder später: Sterben müssen wir alle. Der Kreislauf des Lebens bedeutet unausweichlich auch den Tod. Was nach der Zeit auf Erden auf uns wartet, darüber streiten sich Religionen, Philosophie und Wissenschaft. Reinkarnation? Das Paradies? Die Hölle? Oder einfach das Nichts? Manche Menschen, so auch die so genannten Kryoniker oder Transhumanisten, rechnen fest mit einem Leben nach dem Leben. Nicht als Reinkarnation oder auf metaphysischer Ebene, sondern ganz real.

Dafür lassen sie sich nach dem letzten Atemzug in flüssigem Stickstoff einfrieren. Die Idee dahinter: Der medizinische Fortschritt könnte in ein, zwei Jahrhunderten soweit sein, die tiefgekühlten Körper wieder zu beleben. Eine vage Hoffnung zwar, doch wer hätte vor hundert Jahren mit der Transplantation von Herzen, der Züchtung von Organen im Reagenzglas oder den Möglichkeiten der Gentechnik gerechnet? Bisher warten in den Stickstofftanks zweier amerikanischer Kryonik-Anbieter rund 200 Verstorbene auf ihre Wiederbelebung. Das Wagnis war ihnen zu Lebzeiten eine Menge Geld wert – Ganzkörperkonservierungen kosten je nach Anbieter bis zu 150.000 Dollar. Üblicherweise wird ein Teil der Gebühren angelegt, um die zukünftige Lagerung und das Heilungsverfahren nach einer eventuellen Wiederbelebung zu finanzieren.

Auch in Deutschland hat der Transhumanismus Anhänger. Die „Deutsche Gesellschaft für Angewandte Biostase“ oder die „Deutsche Gesellschaft für Transhumanismus“ mit derzeit rund 40 Mitgliedern setzen sich für die Belange der Kryonikbefürworter und Aufklärung rund um das Thema ein. So wünschen sie sich beispielsweise die Aufhebung des Friedhofzwangs, um eine Lagerung von Verstorbenen nach dem kryonischen Verfahren auch hierzulande zu ermöglichen.

Einer von ihnen ist Torsten Nahm. Der 33-jährige Mathematiker tingelt sozusagen als Kryonik-Botschafter durchs Land. Mit einem amerikanischen Anbieter schloss er seinen persönlichen Biostase-Vertrag: Nach dem Tod soll sein vom Körper abzutrennender Kopf dort im Stickstofftank konserviert werden. Das Gehirn beherbergt nach Ansicht vieler Transhumanisten die komplette Persönlichkeit eines Menschen – der Rest wird in ferner Zukunft schon irgendwie ersetzbar sein. Zur Finanzierung des Vorhabens schloss er eine Risiko-Lebensversicherung ab. Ethische Bedenken hat der zukunftsgläubige Naturwissenschaftler nicht. Die Kryonik-Bewegung sieht er in der Tradition des Humanismus. Es gehe um selbstbestimmtes Leben, die Überwindung von Krankheiten und Tod. Den natürlichen Alterungsprozess möchte er sich und der Menschheit am liebsten ersparen – und hofft auf die medizinischen Möglichkeiten der Zukunft. Den Zeitpunkt seines Ablebens lasse er sowieso nur ungern von der Natur bestimmen.

Was wie aus dem Science-Fiction-Genre wirkt – in der Serie “Futurama” beispielsweise wird die Hauptfigur nach 1000 Jahren Kälteschlaf wieder zum Leben erweckt – soll als Medizintechnik und Lebensrettungsverfahren etabliert werden. Bei tödlichen Krankheiten und Unfällen könnte die kryonische Kühlung als eine Art Zeitreisen-Rettungsdienst dienen und Heilung in einer späteren, medizinisch höher entwickelten Epoche ermöglichen.

Würde man die Verstorbenen aber einfach nur einfrieren, entstünden irreversible Verletzungen durch Eiskristalle. Deshalb wird der Körper in der Kryonik vitrifiziert: Dem Verstorbenen werden vor dem Einfrieren in flüssigem Stickstoff spezielle Frostschutzmittel zugeführt. So kann die Bildung von Eiskristallen verhindert werden und Körperflüssigkeiten werden zu einer Art Glas. Die Körper lagern dann in so genannten Dewargefäßen, die alle paar Wochen mit -196°C kaltem Flüssigstickstoff nachgefüllt werden müssen, und warten auf ihre Wiederbelebung. Erfolg oder Misserfolg der Methode wird sich sowieso erst in der Zukunft zeigen. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt – zumindest unter Lebenden.

Text: Michael Kulmus

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