Als ich zum ersten Mal eine solche Einladung bekam, traute ich meinen Ohren kaum. Die Kollegin hatte mich zwar zu einem “Abendessen” eingeladen – aber ich sollte schon am Nachmittag bei ihr sein. Um 18 Uhr 30. “Dann sind wir um zehn Uhr fertig”, hatte sie hinzugefügt: “Meine Bettgehzeit.”
Mein zweites Abendessen in Gesellschaft begann um 19 Uhr. Wieder saßen ein paar EuropäerInnen mit am Tisch. Um zehn Uhr abends begannen sie mit den Füßen zu scharren. Auch diese Tischgesellschaft war vor elf Uhr abends aufgelöst.
Inzwischen habe ich mich selbst auf einen neuen Rhythmus eingestellt. Das hilft beim täglichen Zeitzonenspagat. Morgens lebe ich in Deutschland. Mittags und Nachmittags in den USA. Am späten Abend auf halber Strecke.
Praktisch geht das so: Ich stehe in Washington vor den Hühnern auf. Mein Wecker klingelt um 5 Uhr 45 (Ortszeit). Dann bleibt eine Viertelstunde, um wachzuwerden, Zähne zu putzen, Kaffee zu trinken. Die taz soll nicht in mein Bett telefonieren.
Ab 6 Uhr Washingtoner Zeit können die KollegInnen aus der Redaktion bei mir anrufen. In Berlin ist es dann 12 Uhr und sie haben bereits auf mehreren Konferenzen die Weltlage geklärt.
Wenn sie einen Text von mir haben wollen, bleiben noch zwei – im besten Fall drei – Stunden bis zur Deadline. Das ist nicht zu viel Zeit zum Schreiben.
Nach dem Abliefern meines Textes bleiben noch weitere zwei Stunden, während derer auch ein Gespräch mit KollegInnen in Berlin möglich ist. Danach trennen sich unsere Wege wieder. Sie entschwinden in ihren Feierabend. Und ich kann den us-amerikanischen Teil meines Tages beginnen. Theoretisch.
Am Anfang habe ich das auch genau so gemacht. Ich ging nahtlos von der Produktion für Berlin zu der Recherche in Washington über. Und empfand dabei ein doppeltes Glücksgefühl: Ich hatte einen längeren Tag. Und ich wurde ab Mittag von niemandem aus der Redaktion gestört. Anders als in Paris, wo ich zu jeder Tageszeit mit einem Anruf aus der Redaktion rechnen musste.
Der Übermut währte nicht lange. Nach wenigen Tage hatte ich Ringe unter den Augen. Und fühlte mich bleischwer. Da ich auch in Washington eine Spätzubettgeherin geblieben bin, kam die Zeit fürs Schlafen einfach zu kurz.
Auf die Zeit kurz vor und kurz nach Mitternacht kann ich nicht verzichten. In Washington schon gar nicht. Da höre ich die letzten Nachrichten des Tages. Und bereite Themenan und Texte für den kommenden Morgen vor. Wenn ich möchte, dass meinE Themenangebote eine Chance haben, müssen sie morgens auf dem Schreibtisch der Redaktion liegen. Das bedeutet, dass ich sie abschicken muss, bevor ich ins Bett gehe. Manchmal schreibe ich abends auch meinen Blog.
Neuerdings experimentiere ich mit Mittagsschlaf. Zu dem Zeitpunkt, da meine KollegInnen in Berlin zu Abend essen, halte ich in Washington eine Siesta. Wenn sie ins Bett gehen, beginne ich meinen Nachmittag. Und Abends achte ich genau wie die anderen europäischen KollegInnen darauf, spätestens um 11 Uhr zuhause zu sein.
In Paris hätte mich ein solcher Rhythmus einsam gemacht. Abendessen beginnen dort oft erst um 21 Uhr. Mit dem Appéro. Bis man am Tisch sitzt, vergeht eine weitere Stunde.
Aber Washingtonians stehen früh auf und gehen früh zu Bett. Wenn ich mich morgens um 6 Uhr an den Computer setze, sind unter meinem Fenster schon JoggerInnen unterwegs. Auch die öffentlichen Verkehrsmittel haben in Washington einen anderen Rhythmus: In der Woche fährt die letzte Metro schon um Mitternacht ab.
PS: Am vergangenen Wochenende haben die USA auf Sommerzeit umgestellt. Damit bin ich Berlin eine Stunde näher gerückt und sind meine Nächte um ebenso viel länger geworden. Leider währt dieses Glück nur zwei Wochen. Dann schaltet auch Europa auf Sommer. Und meine Nächte werden wieder kürzer.