Ein Zeuge will nicht
Helmut berichtet aus Düsseldorf
Der 6. Strafkammer unter Richter Breidling ist kein Aufwand zu groß. Wenn’s der Wahrheitsfindung dient, werden nicht nur psychisch kranke, sondern auch herzkranke türkische Folteropfer einbestellt. So reiste der Zeuge Mustafa Atalay, der sieben Jahre Haft in der Türkei, einschließlich der dort offenbar üblichen Behandlung und eine Herzoperation hinter sich hat – mit einem Krankenwagen an. Mit seinem Rechtsbeistand und den anwesenden Ärzten kam das Gericht überein, dass nach höchstens 30 Minuten eine Pause notwendig sei. Atalay klagte über allerlei Beschwerden, doch der Senat schenkte ihm keinen Glauben. Auf Atalays Hinweis, dass er nicht lange sitzen könne, reagierte der sonst mit Wortmeldungen eher zurückhaltende Bundesanwalt Homann mit dem – von ihm jedenfalls ernst gemeinten – Vorschlag, wenn der Zeuge nicht sitzen könne, solle er doch im Stehen seine Aussage machen. Der Bundesanwalt bekräftigte seinen Vorschlag in dem er anregte, ein Stehpult für den Zeugen zu beschaffen. Das war selbst dem Richter zu viel und er verwarf den Vorschlag des Anklägers mit einer lockeren Bemerkung.
Wo kranke Zeugen aufgefahren werden, sind natürlich auch Medizinmänner zugegen. Auch dieses Mal war es Dr. Seifert, der die Verhandlungsfähigkeit des Zeugen aus psychiatrischer Sicht bescheinigte. (Vergleiche den Blog-Eintrag am 6.8.2010 – Jedem Richter sein Gutachter.) Als weiterer Gutachter war dieses Mal auch Dr. Marko Feldmann zugegen, ein Assistenzarzt und Anästhesist aus einem Düsseldorfer Krankenhaus. Um es kurz zu machen – Atalay verweigerte jegliche inhaltliche Aussage.
Aussageverweigerungsrecht schützt nicht vor Verfolgung im Ausland
Der Zeugenbeistand stellte einen umfänglich begründeten Antrag auf Zuerkennung eines umfassenden Auskunftsverweigerungsrechts gemäß § 55 STPO. Bundesanwalt Hohmann erwiderte: “ Das was hier läuft, ist eine ganz große Ungeheuerlichkeit.“ Das Publikum quittierte diese Aussage mit zustimmendem Gemurmel. Allerdings bezogen die Zuschauer die Formulierung „Ungeheuerlichkeit“ auf den gesamten Prozess.
Das Gericht lehnte Atalays Antrag ab, schließlich sei der Zeuge ja nach seiner Haft in der Türkei auch in Stuttgart rechtskräfitig verurteilt und habe deshalb keine weitere Strafverfolgung – etwa durch die Bundesanwaltschaft zu fürchten. Dabei hatte Atalays Rechtsbeistand ebenso wie später die Verteidigerin Anni Pues dargelegt, dass Atalay wenn schon nicht in Deutschland, so doch in der Türkei weitere Verfolgung zu befürchten habe. Pues verwies auf die Tatsache, dass der – relativ neue – Strafrechtsparagraph 129 b sich auf Gruppen und deren mögliche Terrortaten im Ausland beziehe. Ergo müsse des Auskunftsverweigerungsrecht bei 129 b-Prozessen auch vor einer Verfolgung im Ausland schützen. Diese Rechtsauffassung mochten Richter und Bundesanwalt nicht teilen.
Wer ist Richter, wer ist Ankläger?
Man muß bei diesem Prozess schon genau hinschauen, wer da spricht. Manch einem Besucher kam es so vor, als übe der Richter tatsächlich die Rolle des Anklagevertreters aus. Doch die Anklage wird von Männern und Frauen in roten Roben vertreten – von Bundesanwälten und Anwältinnen. Weil aber Richter Breidling deren Rolle faktisch ausfüllt, haben Bundesanwalt Hohmann und seine Kollegin Zeit für andere Dinge. So beobachtet Hohmann aufmerksam das Publikum. Heute bewies der Bundesanwalt erneut seine Aufmerksamkeit den Zuschauern gegenüber. Eine junge Besucherin hatte auf ihrem schwarzen Mantel in ca. drei Zentimeter großer Schrift die Buchstabenfolge ACAB. Der eher des Deutschen als des Englischen kundige Prozesschronist ließ es sich von den jungen Menschen erklären: diese Buchstabenfolge werde vom Ankläger wohl so interpretiert, als habe es etwas mit „Cops“ und „Bastards“ zu tun.
Zurück zum Prozessgeschehen. Der aussage-unwillige Zeuge wurde für morgen erneut geladen und vom Richter auf die Möglichkeit der Beugehaft hingewiesen. Kurz vor Ende des Prozesstages bestätigte Atalay auf Vorhalt des Bundesanwaltes, er habe gegenüber dem dort tätigen Gutachter Prof. Dr. med. Norbert Leygraf bestätigt, man „könne sagen, er sei Mitglied der DHKP-C“. Diese, ziemlich gedrechselte Formulierung läßt vermuten, dass Atalay diese Aussage gegenüber dem Arzt und nicht im Gerichtssaal machte. Norbert Leygraf und seine Kollegen vom Institut für Forensische Psychiatrie der Uni Duisburg/Essen werden vom OLG öfter mit Gutachten beauftragt. Für den Düsseldorfer Prozess ist sie jedoch von großer Bedeutung. Die Verteidigungsstrategie geht nämlich nur von einer Mitgliedschaft der Angeklagten in nicht verbotenen „Kulturvereinen“ aus.
BND-Zeugen: Zeugen erster Klasse?
Ein seit Jahren mit dem BND kooperierender ex- DHKP-C-Aktivist fand im Bundesanwalt hingegen einen Fürsprecher. Während die Verteidigung diesen Belastungszeugen gerne hören würde, wurde ihm – wegen einer vorliegenden Anklage – ein allumfassendes Aussageverweigerungsrecht nach § 55 STPO zuerkannt. Der Mann braucht gar nicht erst zu erscheinen. Er war auf der Zeugenliste, wurde aber wieder davon gestrichen. Hohmann erklärte, „auch bei den hervorragenden Fähigkeiten des Senatsvorsitzenden“ (Breidling) sei nicht davon auszugehen, dass der BND- Zeuge sich zu einer Aussage bereit erkläre.
Folglich wird am Donnerstag, den 2.9., ein weiterer kranker Mensch zu einer Aussage gezwungen – während über den BND- Informanten lediglich ein BKA-Beamter als weiterer Zeuge vom Hören-Sagen vernommen wird. So bleibt die Frage auch ungeklärt, ob der Zuträger des BND nicht nur für diesen, sondern auch für den türkischen Partnerdienst MIT gearbeitet hat.