Eine Parade von potentiellen Selbstmordattentätern. Das ist das übliche Bild aus meiner Region, wenn es um Selbstmord geht. Selbstmordattentate sind bei den militanten Islamisten ein fester Bestandteil ihres Jihad-Konzeptes. Eine spektakuläre Methode, bei deren Anwendung sie glauben, sich für eine größere Sache zu opfern und als Märtyrer zu sterben.
Eine unter islamischen Rechtsgelehrten übrigens sehr umstrittene Angelegenheit. Natürlich gibt es radikale Prediger, die dazu anstacheln. Aber es gibt viel mehr Scheichs, die Selbstmordanschläge ablehnen, vor allem wenn die Opfer keine Militärs, sondern unschuldige Zivilisten sind.
Aber es gibt in der arabischen Welt noch eine völlig andere Art von Selbstmord über die nicht oft geredet wird: den Freitod aus Verzweiflung. Die Latte hängt hier, in solch religiösen Gesellschaften, sehr hoch. Denn für gläubige Muslime ist es „haram“ – islamisch verboten, sich so das Leben zu nehmen. Nach dem Motto, das auch für andere Religionen gilt: Was Gott dir gegeben hat, das kannst du nicht selbst wegnehmen. In der Überlieferung des Propheten wird beispielsweise Gott sinngemäß zitiert “Mein Diener ist Meinem Willen bei sich selbst zuvorgekommen, daher verbiete ich ihm den Eintritt in den Himmel“.
Trotzdem nehmen Selbstmorde in Ägypten zu. So findet man in den ägyptischen Tageszeitungen immer wieder kurze Notizen von Menschen, die sich umgebracht haben.
Letzten Donnerstag wurde der 30jährige Abdu Anas Abdu erhängt in seiner Wohnung gefunden. Er war zuvor als Hausmeister einer Schule gefeuert worden und konnte keine neue Anstellung finden. Erhängt hat er sich am Ende scheinbar, weil er damit seinen Heiratsplänen nicht mehr folgen konnte, da er kein Geld hatte, für seine Verlobte und sich eine Wohnung herzurichten.
Vor wenigen Tagen hat sich eine 65jährige im südlichen Oberägypten von einer Nilbrücke gestürzt. Sie konnte das Geld für die Medikamente ihres Sohnes nicht zusammenbringen.
Letzten Dienstag nahm ein 30jähriger Mann in Minya, ebenfalls in Oberägypten, einen vergifteten Saft zu sich, Er konnte keine Arbeit finden, und das, obwohl er von der Universität graduiert war. Auch er hat sich das Leben genommen, weil er nicht das Geld zusammenbrachte, heiraten zu können.
Laut der Weltgesundheitsorganisation begehen monatlich 183 Menschen in Ägypten Selbstmord. Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich wesentlich höher, da sich die Familien oft schämen und die wahre Todesursache verschleiern.
Arbeitslosigkeit und Armut sind laut Experten der Hauptgrund, warum Menschen, trotz religiöser Konventionen, für sich nur noch diesen letzen Ausweg sehen.
Und häufig sind es junge Männer, die es nicht geschafft haben, Geld zu sparen, um zu heiraten. Eine Wohnung herzurichten, so schreibt es die soziale Norm in Ägypten vor, ist die Voraussetzung, um eine Ehe eizugehen und eine Familie zu gründen. Wer das nicht schafft, gilt in Ägypten gesellschaftlich als gescheitert.
Ein junger Ägypter hat mir vor kurzen seine Zukunftsoptionen in einem Satz zusammengefasst:
„Entweder wanderst du aus, wirst verrückt oder du bringst dich um“.