Anläßlich des gestern vollzogenen Abstiegs des Fußballvereins Hertha BSC Berlin sei noch einmal an den geradezu prophetischen Artikel in der taz (Papierausgabe) erinnert, der bereits im Dezember die Ursachen des Niedergangs aufzeigte. Denn: Seitdem hat es in 177 deutschen Tages- und Wochenzeitungen zwar insgesamt 23.369 Artikel zum Thema Hertha gegeben, aber kein einziger klärte in vergleichbarer Weise über die Ursachen der Unternehmenspleite auf. Auch nicht in der taz, wo stattdessen über Pech beim Torabschluß, den üblichen Verletzungen, den noch üblicheren meist erfundenen Hakeleien unter den Spielern und dergleichen lamentiert wurde – über Dinge also, die in jeder Mannschaft vorkommen und nichts erklären. Nun, da der Abstieg besiegelt ist, sollten die beteiligten Sport“journalisten“ (das Wort sollte ihnen aberkannt werden!) auch mitabsteigen in die untere Liga. Der Text im Wortlaut:
Arme Hoeneß Brüder
Von Joachim Lottmann
Sportjournalist zu sein in Deutschland ist eine schöne Sache zur Zeit. Erst wochenlang mit Robert Enke auf allen Kanälen, dann mit dem „größten Sportbetrug aller Zeiten“ (WELT), also den manipulierten Wetten in Fernost. Und das Langweiler-Thema Doping, immer mit dem heiligen Ernst einer scheinbaren Neuigkeit vorgetragen, bringt jeden Schreiberling zuverlässig in der Zeitungshierarchie nach oben. Gerade hat es damit der Sportredakteur des SPIEGEL Lothar Gorris bis zum Kulturchef gebracht. Und sein Nachfolger durfte gleich mal den völlig nichtssagenden, gänzlich uncharismatischen Torwart Enke zur Lichtgestalt und zur Titelgeschichte hochschreiben.
In der Fußball Berichterstattung, der Königsklasse des Sportjournalismus, profilieren sich ‚kritische‘ Kollegen mit ‚knallharten‘ Fragen im sogenannten Spielerinterview: Ist es wahr, daß Sie intern die Mannschaft kritisiert haben? Mutige Antwort: ‚Nun, über Internas rede ich nicht, aber wir müssen die Antwort auf dem Platz geben.‘ Absoluter Höhepunkt an Zivilcourage ist die Forderung, Spieler müßten Charakter zeigen und Moral. Womit nicht das gemeint ist, was Knigge oder Kant darunter verstanden hätten. Sondern sinnloses Laufen kurz vor Ende eines bereits entschiedenen Spiels.
Wenn aber wirklich einmal etwas Schreckliches passert, wie jetzt der von Menschen gemachte Untergang des Hauptstadtclubs Hertha BSC Berlin, liest man nichts darüber. Jedenfalls nichts über die Ursachen. Kein Wort, das man kritischen Journalismus nennen könnte. Was ist geschehen: Dieter Hoeneß, ein mächtiger Patriarch und Manager, Typ Gründervater, hatte den Verein einst aus der Bedeutungslosigkeit der unteren Ligen ganz nach oben bis zur Champions League geführt. In diesem Jahr nun, Hertha stand auf Platz eins, wurde der Koloß nach 15 Jahren mitten in der Saison gestürzt. Vom Trainer und mit ihm befreundete Vereinsobere samt Medienanhang. In nur wenigen Wochen wurde das Lebenswerk von Hoeneß zerschlagen, der Volksheld Mirko Pantelic gedemütigt und kaltgestellt (weil er beliebter war als der geltungssüchtige aber nur zweitklassige Trainer), die besten Spieler verkauft, mit dem Geld Flaschen, pardon, schlechte Fußballer verpflichtet. Die Mannschaft stürzte ab wie ein abgeschossenes Flugzeug und zerschellte auf dem letzten Platz der Bundesliga. Das war schon vor acht Wochen. Seitdem liest man die immer gleichen Aufrufe zur Arbeit: Die Mannschaft müsse ‚mehr arbeiten‘, um aus dem ‚Tal der Tränen‘ herauszukommen. Woche für Woche, Niederlage für Niederlage, dieselbe Diagnose, dieselbe Therapie: mehr arbeiten. „Es nützt ja nichts, wir müssen jetzt alle mehr arbeiten, um wieder Anschluß zu finden.“ Der Trainer redete vom mehr Arbeiten, bis es ihn zerriß, und sein Nachfolger genauso.Und alle fürs Desaster Verantwortlichen stimmten ein in die Melodie: „Was soll ich sagen? Arbeiten, arbeiten, arbeiten!“
Ja, was sollen sie sagen? Der Verein ist zerstört, könnten sie zugeben, und: wir haben ihn zerstört. Wir treten zurück und geben Dieter Hoeneß sein Amt wieder. Die Leute, die ihn bei Nacht und Nebel ohne jede Not weggeputscht haben, also der Präsident und seine Chargen, müssen zur Verantwortung gezogen und geächtet werden. Favre muß beschimpft, Gegenbauer bestraft, Preetz entlassen, Pantelic zurückgeholt werden, mindestens. Und wenn sie es nicht sagen, könnten es, MÜSSTEN es die Journalisten tun. Aber das sind sie eben nicht, Journalisten. Sondern ‚befreundete Medienleute‘, also Kumpels innerhalb der entsprechenden Seilschaften.
Und wenn sie unbedingt welche sein wollen, Journalisten, schreiben sie eben wieder die übliche Grütze, äh, die ‚schonungslose Enthüllungsstory‘ über Doping. Menschen nehmen Tabletten, furchtbar. Erkenntniswert gleich Null.
Bis zum Ende der Saison – das ist bis nächsten Sommer! – wird unsere Intelligenz mit hundert weiteren Spielerinterviews à la „Wir müssen mehr arbeiten!“ beleidigt werden (wie gestern zu lesen nach dem fruchtlosen 1:1 gegen Mitabsteiger Stuttgart). Während die armen Hoeneßbrüder vor Gram keinen Schlaf mehr finden. Denn auch der andere, Uli Hoeneß, räumt gerade seinen Schreibtisch und sieht seinen Verein, Bayern München, in den Fluten des Mißmanagements versinken…
Anzeige