vonDetlef Guertler 05.09.2009

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

Plötzliches Schaudern: Krankenhäuser bezahlen Fangprämien an Ärzte, die ihnen Patienten überweisen! Krankenhauslobbyisten meinen, es handle sich um Einzelfälle – dabei handelt es sich tatsächlich allenfalls um Auswüchse eines seit der jüngsten Gesundheitsreform florierenden Systems. Denn seither werden Krankenhäuser von den Kassen nicht mehr entsprechend ihrer Kosten bezahlt (das war eine Einladung zum unwirtschaftlichen Wirtschaften), sondern nach Fallpauschalen: Ein Blinddarm ist ein Blinddarm und wird honoriert wie ein Blinddarm.

Die Konsequenz: Eine Klinik, die überleben will, braucht Fälle. Und da sich diese Fälle in den seltensten Fällen unaufgefordert in der Aufnahme melden, müssen sie von irgendwoher kommen, in der Regel vom behandelnden Arzt. Und deshalb müssen Kliniken “Zuweisermarketing” betreiben.

Dazu gibt es schon längst dicke Bücher. Ein kleiner Auszug aus dem Vorwort zu Zuweisermarketing mit sektorenübergreifender Kommunikation:

Der Erfolg eines modernen Krankenhauses entsteht heute nicht mehr allein durch perfekte Leistungen am Patienten im stationären Bereich, sondern auch bei der strategischen Lenkung, Dosierung und Veredelung der Patientenströme im Klinikvorfeld, sowie beim Schnittstellen-Management der Patientenübergabe zwischen ambulantem und stationärem Bereich. Im Mittelpunkt stehen deshalb suffiziente Bemühungen des Krankenhauses, durch gezielte Maßnahmen die Zufriedenheit der einweisenden Ärzte zu erhöhen. Gelingt es nicht, das Augenmerk auf die Zielgruppe der niedergelassenen Ärzte zu lenken, ist die Zukunftsplanung des Krankenhauses von Unsicherheit geprägt. Um dieser Unsicherheit zu begegnen, ist die Entwicklung eines Marketingkonzeptes eine wichtige Voraussetzung für die optimale Beziehung zwischen den einweisenden Ärzten einer Region und der stationären Einrichtung.

Schnittstellen-Management der Patientenübergabe.
Veredelung der Patientenströme.

Auch die direkte Honorierung des Arztes durch das Krankenhaus wurde schon 2003 im Deutschen Ärzteblatt thematisiert:

Infolge der Abrechnung nach Fallpauschalen im stationären Sektor werden künftig immer mehr Tätigkeiten in den ambulanten Bereich verschoben, weil sich die Liegezeiten in den Kliniken verringern. Hier ist die Vergütungsfrage nicht geklärt. Eine Beteiligung der niedergelassenen Ärzte an der Fallpauschale ist folgerichtig und den Krankenhäusern auch deshalb anzuraten, damit sie haftungsrechtlich auf der sicheren Seite sind.

Für die Beteiligten handelt es sich offensichtlich um ein komplexes Thema der effizienten oder suffizienten Steuerung von Geld- und Patientenströmen, das eine logische Konsequenz der ökonomisierenden Gesundheitsreform ist. Und wie so oft, wenn komplizierte Begriffe dicht aneinandergereiht werden, versteckt sich dahinter eine einfache Wahrheit. Ex-Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer bringt es im (auch von mir mitbestückten) Wahlblog der Heinrich-Böll-Stiftung auf den kleinstmöglichen Punkt:

Fangprämien? Wir haben zu viele Krankenhäuser.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/zuweisermarketing/

aktuell auf taz.de

kommentare