vonzwiespalt 27.08.2020

Zwiespalt der Ordnungen

Von kleinen und großen Herrschaftsverhältnissen, von Zwickmühlen der Realpolitik und den Ambivalenzen ihrer Ordnungsgrundlage.

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Russland ist erneut im Gespräch, oder besser: in der Kritik. Der Oppositionelle Alexej A. Nawalny wurde offenbar vergiftet und fügt sich damit in eine Reihe prominenter (oder prominent gewordener) Opfer gewalthafter Übergriffe Russlands ein. Wenn freilich Russland im Gespräch ist, dann ist immer auch der Kreml im Gespräch und schließlich läuft alles bei der Person Wladimir Putin zusammen. Auch wenn Russland gemeinhin nicht mehr in einem starken Sinne als totalitäres Regime bezeichnet wird, werden doch, über Wladimir Putin, nachhaltige Züge einer personalregierten Diktatur und Despotie identifiziert. Im Grunde handelt es sich dabei um Zuschreibungen einer Willkürherrschaft und nicht legitimierbaren Gewalt, körperlicher und psychischer Repression in Verbindung mit subtilen und weitereichenden Strategien manipulativer Regierungstechnik. Mit und durch Wladimir Putin ist die Möglichkeit liberaler Demokratie in Russland, so viele enttäuschte und kritische Stimmen, trotz Auflösung des Ost-Blocks, auf unbestimmte Zeit verschoben.
Auch wenn nun die Analyse der Putin-Diktatur durchaus zutreffend sein mag, ist sie doch, gerade in demokratischen Terms, in einem wichtigen Sinne unvollständig. Sie nimmt ausschließlich die Person Putin ins Visier, denkt also nicht über gesellschaftliche Machtkonstellationen oder Strukturen nach und bleibt dadurch verengt. Mehr noch erzeug sie einen soziologischen Kurzschluss, diktatorische Verhältnisse an nur eine Person (oder Clique), an ihren Wunsch, Willen und Einfluss zu binden, ohne nach gesellschaftlichen Kräften und Gegenkräften als Bedingungen dieser Wünsche und Willen zu fragen. Es soll im folgenden allerdings nicht eine vertiefte Russland-Kritik verhandelt, sondern eine Problemstellung erörtert werden, die sich aus der Übertragung der Russland-Kritik auf die westlichen Demokratien ergibt. Nimmt man nämlich die gängige Form der personenorientierten Putin-Kritik, des bösen Diktators, ernst und überträgt sie auf die Grundzüge unserer Demokratien, wäre das konzeptuelle Äquivalent in der (substantialistisch gedeuteten) guten Regierung zu finden. So, wie Putin die politische Macht an sich reißt und gegen demokratische Prinzipien missbraucht, ehren und respektieren westliche Politiker diese Prinzipien und Regeln und erhalten damit immer wieder das freiheitliche Grundgefüge aufrecht.
Dass dieser Gedanke Schwierigkeiten besitzt, ist klar. Natürlich kann man annehmen, dass westliche Politiker, die sich oft Demokratie-hochlobend und prinzipientreu geben, eine starke Überzeugung und Prinzipientreue besitzen. Nicht zuletzt sind die meisten von ihnen bemüht, ihre Autoritätspositionen zu verlassen und sich – zwar abseits klar-populistischer Gesten – doch aber immer wieder als Freunde des Volkes, der Bevölkerung oder der Menschheit zu zeigen und damit eine Gemeinsamkeit des Regierens, eine gemeinsame Beteiligung des Regierens und ein Für-Einander-Regieren nahezulegen. Auf der anderen Seite aber kann man, mit guten Gründen, die Annahme einer unverrückbaren, in die Politik der westlichen Politiker, ihre Seelen und Einstellungen eingebrannte Prinzipientreue als Missdeutung verstehen. In diesem Fall lässt sich, entlang der Leerstelle der Putin-Kritik, Prinzipientreue auf ein Kräfteverhältnis oder Kräftegleichgewicht zurückführen, das im starken Sinne von zivilgesellschaftlichen Akteure – also Medien, Aktivisten, soziale Bewegungen etc. – abhängig ist. Es geht dann, auch in der westlichen Demokratie, weniger um den autonomen Willen der Repräsentanten, oder eine arbeitsteilige Vorstellung von Demokratie (als getrenntem Feld politischer Repräsentation und sozialer Bewegungen), sondern um ein gesellschaftliches Kräftemessen, dessen Ergebnis immer durch Akzeptanz (Trägerschaft) und Gegenkräfte sozialer Bewegungen von >Unten< mit-bedingt wird. Wird aber das Politisch-Gewollte als Kräfteverhältnis verstanden, das gerade nicht dem Willen des Politikers frei verfügbar ist und Abstriche oder Rückschritte der Positionen mit (für sie) untragbaren Konsequenzen verbindet, erhält die Stärke, der an diesem Kräftemessen beteiligten Akteure, für das Ergebnis demokratischer und undemokratischer Entscheidung, neue Relevanz.
Diese Relevanz steht nun selber immer wieder auf dem Spiel. Handeln westliche Politiker prinzipientreu oder treten Demokratie-lobend auf, stellen, aus dieser Sicht, ihre Handlungen und Prinzipientreue zwar das Ergebnis sozialer Kämpfe und Kräfteverhältnisse dar, zeigen sich aber trotzdem oft genug als statisches Bild, Momentaufnahme oder Sequenz der effektiven Inszenierung einer Regierungslogik, Entscheidungen für die Demokratie, als personale Qualität (von >innen heraus< gewollt) erscheinen zu lassen. Man kann hier von dem Problem der politischen Selbstinszenierung der Demokratie >von Oben< sprechen, die selbst anerkannte liberale Demokratien – exemplarisch in der negativen Selbstüberschätzung der Figur Donald Trumps – trifft. Die konstante und intensive Trump-Kritik, die für das politische Elend und den Verfall der liberalen Demokratie der USA vor allem oder alleine die Person Trump verantwortlich macht, verkürzt die (historische) Rolle, Möglichkeit und Aufgabe sozialer Kräfte auf einen glorifizierten Präsidialbezug hin, ohne die demokratischen Möglichkeiten solcher Kräfte hinreichend geltend zu machen.
Im Grunde lässt sich hier ein komplementäres Elend zum Elend vieler Post-Ostblock-Länder absehen. Haben dort, nach der Wende, gesellschaftliche Kräfte einen schweren Start gehabt widerständig-partizipative Strukturen bzw. eine gegen politische Führung, aber auch gegen wirtschaftliche Führung, unverzichtbare Machtposition einrichten zu können (ein solches Machtverhältnis kann zwar vorhanden sein, ist offenbar jedoch stark zu Ungunsten des >Volkes< verschoben), sah und sieht die Situation der westlichen Staaten deutlich besser aus. Hier haben sich, aus einer Reihe historischer Kämpfe, signifikante Machtstrukturen herausgebildet (und bilden sich heraus), erodieren aber auch, im Gegenzug, Jahrzehnte lang. Versteht man nun die Demokratiefähigkeit der Demokratie als bewegliches Verhältnis zwischen >herrschenden und beherrschten< Kräften, dann ist die Möglichkeit und Gefahr immer (in allen Demokratien) gegeben, dass Strukturen zum Nachteil sozialer Akteure umgestaltet werden. Die politische Inszenierung der Demokratie >von Oben< kann dann selber als politischer Akt verstanden werden ihre gesellschaftliche Bedingtheit, d.h. die gesellschaftliche Bedingtheit demokratischer Politiker, zu verschleiern und eine Verschiebung der Machtverhältnisse zu erreichen (Demokratie in einer Schwundstufe als demokratisch zu reartikulieren). Wird diese Inszenierung zudem von sozialen Akteuren geteilt und getragen, lassen diese sich von der Selbstevidenz demokratischer Herrlichkeit, von demokratisch-mythischen Selbst-Regulierungskräften (z.B. über den bloßen Verweis auf das Institut der Menschenrechte), oder dem guten Willen der Politik verführen bzw. fokussieren sie, im Gegenteil, zu sehr konstruktive Kritik auf berufs-politische Ämter, dann stimmen (und reproduzieren) schließlich auch sie (die sozialen Akteure) in eine Verschiebung der Machtverhältnisse zu eigenen Ungunsten mit ein.

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