vonzwiespalt 07.05.2021

Zwiespalt der Ordnungen

Von kleinen und großen Herrschaftsverhältnissen, von Zwickmühlen der Realpolitik und den Ambivalenzen ihrer Ordnungsgrundlage.

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A) Man wundert sich oft über die kürzliche Entscheidung des Verfassungsgerichts – Rechte und Klima von zukünftigen Generationen aus denken? Das sei etwas Neues! Ja, für die Praxis des Verfassungsgerichts vielleicht, für die Demokratietheorie nicht so sehr. Beispielsweise lässt sich bei Habermas eine weitläufige Diskussion zum advokatorischen Diskurs ausmachen, die auch den Einbezug künftiger Generationen ins Auge fasst.

B) Allerdings ist zu betonen, dass sich weder Habermas` advokatorischen Diskurs und mehr noch andere Versuche einer solchen Begründung ohne Metaphysik (zumindest im schwachen Sinne) denken lassen. Es geht hier weder um bloße Empirie (oder Positivismus), noch um Dekonstruktion, sondern, im Gegenteil, um die Modellierung oder Konstruktion von einer Welt der Zukunft. Lässt damit die Demokratie das nachmetaphysische Zeitalter der Demokratietheorie des 20 Jh. nicht doch hinter sich?

C) Geht es beim Klimaurteil des Verfassungsgerichts bloß um Freiheitsrechte? Offenbar gibt es auch hier einen Paradigmenwechsel, denn die Freiheitsrechte werden durch das Materielle, durch die Naturgrundlagen gedacht. Sie sind nicht zuerst mit der Autonomie des Subjekts verbunden, sondern mit seiner Körperlichkeit, nicht dem Subjekt einer praktischen Vernunft, sondern dem Subjekt als räumlichem, empirischem Wesen. Damit wird gewisser Weise das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit neu artikuliert, das die neuzeitlichen Staatstheorien auf den Plan gerufen haben. Der Sicherheitsanspruch wird aus dem Moment der gegenseitigen Schädigung zwischen Menschen auf das Naturverhältnis bzw. die Naturschädigung übertragen, um daraus Freiheitsansprüche abzuleiten.

D) Natürlich ist klar, dass in der Klimapolitik der CO2-Bezug in großen Teilen ein rein symbolischer Bezug sein muss. Von der Vielzahl an Umweltproblemen, die verheerend sind und zunehmend verheerend werden können, ist das Feld der CO2-Wirkungen nur ein Teil. Pestizide, Mikroplastik etc. bergen ebenfalls große Gefahren für Mensch und Natur, die durchaus mit Freiheitsrechten bereits heutiger Menschen konfligieren – nicht zu sprechen von dezidiert Tierethischen Problemen und Positionen – diese Punkte haben es allerdings weit weniger auf die politische Agenda geschafft.

E) Man nun kann spekulieren, warum v.a. Pestizide eine politisch doch geringe Rolle spielen. Eine Antwort wäre: Die wirksame Verbindung von CO2-Kritik, Verbrennungsmotor und Energiewende lässt weniger eine Krisenbewusste Politik vermuten, als eine Politik, die ihre Abhängigkeit von der Wirtschaft gerade nicht überwunden hat: erst nachdem die Autoindustrie die Energiewende als Gewinngeschäft verbuchen konnte, wurden auch politisch die Weichen Richtung Energiewende gelenkt. Im Gegenzug könnte man sagen, dass die Landwirtschaft noch keine Alternative zur Pestizidnutzung besitzt (und offenbar nicht genügend Druck bekommt, eine zu suchen), so dass auch eine emanzipative Umweltpolitik in diesem Feld zurückgehalten wird.

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