vonzwiespalt 29.05.2023

Zwiespalt der Ordnungen

Von kleinen und großen Herrschaftsverhältnissen, von Zwickmühlen der Realpolitik und den Ambivalenzen ihrer Ordnungsgrundlage.

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Rückblick:

Im Textabschnitt >Machiavelli in the House I< habe ich darauf hingewiesen, dass in der westlichen Politik gerade eine Machiavellische Renaissance stattfindet. Sie wird angetrieben durch das, was man als Zeitenwende oder Zivilisationsbruch bezeichnet. Von Zeitenwende spricht man deshalb, weil der russische Angriffskrieg auf eine Weise die kooperative Entwicklung der sich globalisierenden Weltverhältnisse torpediert hat, die nicht in den Kommunikations- und Handlungskatalog der spätmodernen Weltgesellschaft passt.

Um hier eine gängige Fortschrittsperspektive der Wahrnehmung der internationalen Welt zu benennen: Man glaubte in der Gegenwart ein Geflecht von Beziehungen errichtet zu haben, das sich auf einer freiheitlichen Staatenordnung gründet (v.a. der UN-Charta) und so eine gemeinsame Verbesserung der Lebensumstände durch ökonomische und politische Kooperationen erzeugt. Eine win-win Situation für alle Seiten. Das Recht des Stärkeren als politischer Modus, der durch Russland nun eingetragen wird, wirkt dagegen antiquiert und (man sagt oft) imperial.

Das Recht des Stärkeren als Vexierbild:

Hat das globale Arrangement der Staatenwelt aber das Recht des Stärkeren hinter sich gelassen? Kann man von einer freiheitlich-gemeinsamen Grundordnung sprechen?

Das wird seinerseits bezweifelt – und nicht nur von Russland oder China. Es wird darauf hingewiesen, dass die Welt-Kooperation bis heute durch die Schirmherrschaft westlicher Mächte gestützt und geleitet gewesen ist.

Nun können Machtzentren wichtig dafür sein, eine gesellschaftliche Ordnung auf den Weg zu bringen. Wie soll das Gute in die Welt kommen, wenn nicht jemand, der die Mittel hat, sich dafür einsetzt? So hat Robert Habeck noch vor kurzem das Bild einer globalen Ordnung aktualisiert, die bis zur Zeitenwende vor allem Effizienz und Erfindergeist beförderte.

Dennoch liegt die Möglichkeit nahe, dass die gemeinsame Agenda in der Vergangenheit durch Eigeninteressen verzerrt wurde. Es wäre verkürzt, der westlich-globalen Agenda >nur< ein besonnen-modernes Heilsbringertum zuzuschreiben.

Gleichzeitig drängt sich die Frage auf, um welche Prinzipien einer geteilten globalen Ordnung es eigentlich geht. Was genau bedeuten sie? Auf welcher Ebene regeln sie Verhältnisse zwischen Staaten? Der bloße Verweis auf ein Völkerrecht oder demokratische Werte reicht nicht aus, um die vielen strittigen Punkte zu klären, die hier im Spiel sind und weiterhin zu sehr verschiedenen Vorstellungen einer internationalen Ordnung führen können.

Für viele Staaten der Welt ist das Recht des Stärkeren heute nicht vergangen. Es bleibt in einer Vorstellung geborgen, wie Kooperation und Freiheit weiterhin aussehen. Was sich dabei als konfliktuelle Linie zwischen Demokratien/ Autokratien, West/ Ost etc. zeigt, kann dann als Auflehnung gesehen werden, einer solchen Ordnung zuzustimmen.

Die Zeitwende sieht mit dem Ausbruch der Gewalt nicht nur dem Anfang von etwas Neuem, sondern auch dem Ende von etwas Altem entgegen: Der sinkenden Bereitschaft von Staaten, sich einer bestimmten Gestalt der internationalen Ordnung einzupassen (zu erinnern ist mithin an die europäischen Klassenkämpfe im 20 Jh.).

Völkerrecht als Wirkung von Kräften:

Interessant ist nun, dass beide Positionen (Demokratien/ Autokratien, West/ Ost etc.) für sich die Seite der Unterlegenheit reklamieren. Sie wollen aufrüsten, um diesem Mangel abzuhelfen. Und sie verorten sich beide auf der Seite des Rechts. Sie glauben das Recht, das sie mit ihrer Stärke verbinden, ob es nun ein Recht des Stärkeren ist oder nicht, mit Recht zu behaupten.

Offenkundig stellt das ein Dilemma dar, das aus sich heraus keine Lösung anbietet. Damit wird es gefährlich, da seine Logik der Zurüstung kein Zurück kennt. Allerdings legt sich mit ihm auch etwas offen…

Wenn gesagt wird, dass das Völkerrecht nur durch militärische Aufrüstung zu verteidigen sei, die zur Aufrüstung der Gegenseite aufholt und diese militärisch hemmt bzw. zur Rechtseinsicht bewegt – was sagt man eigentlich? Sagt man nicht, dass die Rechtsgeltung eine Folge ausgeglichener Kräfte ist? Ist es nicht das, was man zu erreichen versucht – ein Momentum ausgeglichener Kräfte, das dazu führt, eine Ordnung wieder herbeizuführen, die nicht auf ein explizites Gewaltverhältnis angewiesen ist?

Hier ist ein konzeptueller Perspektivwechsel markiert. Es geht weniger darum, das Völkerrecht nur wegen bestimmter Ordnungsgesichtspunkte anzuerkennen. Umgekehrt gilt: Weil mit dem Völkerrecht (und durch es) ein Wirken von Staaten und ihren Kräften zum Ausdruck kommt, kann dessen Geltung erst als Folge eines gelingenden Ringens dieser Kräfte verstanden werden.

Das Problem ist doch dieses: Wenn das Völkerrecht nicht wirklich geteilt ist, dann gilt es nicht, weil nicht nach ihm gehandelt wird. Oder es gilt nicht, weil der Streit um seine Geltung über es hinausführt, nämlich zur Gewalteskalation. Also kommt man nicht um eine allseitige Beteiligung umhin. Und dieser Umstand ist unhintergehbar.

Erst eine geteilte Macht am Recht kann diesem Recht Geltung zusichern, die eine geteilte Geltung ist, weil sie geteilte Macht ist und nicht, wie derzeit, auf ihren eigenen Exzess gerichtet wird. Das ist zumindest dann anzunehmen, wenn die Kräfte eines Staates und die Kräfteverhältnisse zwischen Staaten eine bestimmte Intensität annehmen.

Mithin verringert sich der Druck, der im Dilemma der Zurüstung steckt, da es weniger darum geht, auf seinem Recht (als dem Recht aller) zu bestehen, als vielmehr ein Recht, im Hinblick auf eine geteilte Macht, die mit ihm zum Ausdruck kommt, als geteiltes anzunehmen. Dieser Blick ist konform mit der derzeit erstarkten Annahme eines Selbsterhaltungs- und Autonomieinteresses von Staaten.

Freilich muss man nicht auf normative Ansprüche verzichten. Diese müssen Teil des Ringens um geltendes Recht bleiben. Bereits aber der Umstand, das Völkerrecht als Ergebnis einer Wirkung von Kräften zu verstehen, trägt Freiheits- und Gleichheitsaspekte ein. Sie lassen eine Rede vom Recht des Stärkeren als eines Rechts, das sich >nur< auf Macht gründet, nicht zu.

An dieser Stelle hätte man sich (erneut) auf Machiavelli beziehen können. Zwar hat Machiavelli sein Denken von einem Gleichgewicht der Kräfte nicht auf die Außen-, sondern auf die Innenpolitik bezogen. Dennoch findet sich die Vorstellung, den Rechtsbegriff an ein Gleichgewicht der Kräfte zu binden, bei Machiavelli.

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