vonzwiespalt 18.07.2021

Zwiespalt der Ordnungen

Von kleinen und großen Herrschaftsverhältnissen, von Zwickmühlen der Realpolitik und den Ambivalenzen ihrer Ordnungsgrundlage.

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Die militärischen Truppen des Westens verlassen Afghanistan – Trump hat den Stein ins Rollen gebracht, Biden – und im Gefolge die restlichen militärischen Kräfte des Westens – setzen den Kurs fort. Angesichts der Lage – der drohenden Übermacht der Taliban, d.h. auch eines drohenden Kollaps errichteter Strukturen – kann man erneut die Frage stellen: Was bedeutet der militärische Einsatz in Afghanistan eigentlich politisch? Welches Ziel hatte er und wie kann man politisch mit solchen Zielen umgehen? Natürlich wurden solche Fragen die letzten Jahre immer wieder gestellt – aber man kann mit guten Gründen sagen, dass sie viel zu wenig gestellt und viel seltener noch beantwortet worden, d.h. vor allem viel zu selten in einer öffentlichen Diskussion räsonierten. Ich glaube, folgende Punkte oder Fragen lassen sich hier nennen:

* War es ein Krieg gegen den Terror?

* War es, in einer vielleicht schwächeren Form, der Versuch die eigene Sicherheit zu verteidigen (insbesondere hier wäre der Einbezug Deutschlands zu nennen – siehe damals Struck)?

* War es ein Glaubenskrieg (Bush Jr.)?

* War es ein Prozess der Staatenbildung im stärkeren Sinne?

* War es ein Prozess der Demokratisierung?

* War es ein Prozess der Kulturalisierung?

Für alle Positionen hat es prominente Vertreter und Argumente gegeben – ich glaube aber, dass sich mehr oder weniger eine Linie zwischen ihnen allen zeichnen lässt, in der sich die Idee eines Krieges gegen den Terror (eines Krieges, den einige eher als Bürgerkrieg bezeichnen) über Ansprüche der Staatenbildung in die Herstellung einer institutionellen Demokratie und demokratischen Kultur wandelt. Man könnte auch sagen, die Absicht, die eigene Sicherheit durch Zerstörung des Gegners zu schaffen ist der Idee gewichen, Sicherheit durch Prävention – und hier dann genauer durch die >richtige< politische Praxis zu erreichen. Damit würde man Implikationen der These vom demokratischen Frieden folgen, denen nach Sicherheit im äußeren Verhältnis am besten durch die Errichtung einer Demokratie erreicht wird. Hierzu wieder – so könnte man Erfahrungen aus Staatenbildungsprozessen zusammenfassen – sind eben nicht nur Strukturen wichtig, die durch Autorität oder Gewalt aufrecht gehalten werden, auch wenn es demokratische Strukturen sind, sondern Überzeugungen und Motive der Anerkennung – also die Schaffung einer demokratischen Kultur. Erst die eigene, zwanglose (d.h. von fremden Mächten nicht aufgezwungene) Praxis und Hervorbringung demokratischer Strukturen kann demnach Garant sicherer Verhältnisse zwischen Staaten werden. Als wichtiger Nebenschauplatz und Eigenwert der Verstrickung wurde freilich immer auch die Demokratie als einzige, menschenwürdige Staatsform hervorgehoben, so dass die Demokratisierung Afghanistans wechselweise Selbstzweck der militärischen Intervention wurde.

Betont werden muss dabei freilich, dass mit der Weiterentwicklung und Vertiefung der militärischen Agenda auf ein weitreichendes demokratisches Programm hin, sich auch die >Kosten< für die Bevölkerung Afghanistans und das Risiko des Scheiterns verändert haben. Die durch die westliche Einmischung verursachten Tode und Leiden wurden mit dem verlängerten Programm in die Länge gezogen, das Risiko des Scheiterns stieg mit den Ansprüchen mehr und weitere Dinge verändern zu müssen. Gewisser Weise kam es zu einem Paradox, insofern die Errichtung eines Zustandes der größeren Sicherheit (des Demokratischen) mit einem größeren Risiko des Scheiterns verbunden gewesen ist. Natürlich gab es eine innere oder praktische Notwendigkeit – man hat gesehen, dass man mehrere Hebel ansetzen muss, um das erste Ziel, den Kampf gegen den Terror, überhaupt zu gewinnen (der eben nicht als bloßer, physischer Kampf zu gewinnen war).

Damit lud (und läd) man sich schließlich einige (gut bekannte) legitimatorische Fragen auf: Ab wann darf man sich überhaupt auf eine solche Paradoxie einlassen? Gibt es Grundannahmen, die es erlauben oder sogar fordern, dass man unter allen Bedingungen Demokratisierungsvollzüge angeht? Sollte man, aus praktischer Perspektive, überhaupt >Kriege< gegen den Terror austragen? Hat nicht Libyen gezeigt, dass selbst ein kurzer Einsatz mit recht engen Grenzen und Absichten einen Staat nachhaltig ins Chaos stürzen kann (einige würden freilich sagen, dass für dieses Chaos die durch Khadafi geschaffenen Strukturen bzw. Un-Strukturen verantwortlich waren)? Oder hatte vielleicht Struck recht mit der These, Deutschlands Sicherheit auch am Hindukusch zu verteidigen? Ist es nicht aber, so könnte man wieder entgegnen, eine Spirale der Gewalt gewesen, die den Terror, als eine Aversion gegen den imperialistischen Westen (man denke nur an Bushs Rhetorik der Glaubenskriege), mit-hervorgebracht oder ihn über den Afghanistan-Einsatz hinaus vorangetrieben hat?

Mit etwas Zuversicht könnte man nun darauf hoffen, dass eine öffentliche Debatte genau diese Fragen stellt – mit der neuen historischen Erfahrung im Rücken. Dass man, sollte es irgendwie ein nächstes >Vielleicht< geben, größere Klarheit bekommt über die konzeptuellen Koordinaten, entlang derer man sich bewegt und der praktischen Herausforderungen, die es gibt. Mein erster Eindruck geht allerdings dahin, dass die allgemeine Aufmerksamkeit angesichts des in vielen Hinsichten ausbleibenden Erfolges, oder anders gesagt: der Dramen und menschlichen Leidenswege, die erzeugt wurden, zerstreut werden und entweder die Maske der Feierlichkeit aufzgesetzt (Militärparaden und Ehrungen) oder der Diskurs im elitären Kreis von Universität und Berfuspolitik geführt wird.

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