Eine Beobachtung:
Es hat schon eine schreckliche Ironie, dass in dem Augenblick, da sich die Coronakrise zumindest in einigen Hinsichten entspannt hat und eine lang erhoffte Normalität eintreten könnte, sich mit dem Russlandkonflikt ein neues Krisenszenario bildet, das zum Teil nicht von der Viruskrise zu unterscheiden ist. Beispielsweise ist das mit Blick auf die gesellschaftliche Selbstverständigung über Krisen- und Notfallpläne der Versorgung der Fall, oder mit Blick auf mediale Graphiken der Virusverbreitung und Krankenhausüberlastungen, die nun als Graphen der Versorgungsleistung und Füllstandsregelung wiederkommen. Hier ist eine geradezu apokalyptische Kontinuität angedeutet. Man hat den Eindruck, das technokratische Zeitalter der Herrschaft der Graphen und Parameter über die gesellschaftliche Zukunft ist kaum jemals so hartnäckig in seiner Wiederkehr gewesen, so präsent im gesellschaftlichen Alltag und politischen Entscheidungen, wie derzeit.
Ein Kommentar:
Linkenchef Schirdewan wandte sich kürzlich gegen die Appelle der Bundesregierung auf Einsparungen bzw. warnte vor einer sogenannten Verzichtspropaganda. Ich finde es erstaunlich, wie unterschiedlich sich immer wieder >linke< Positionen auslegen lassen. Denn … eine solche Forderung kollidiert durchaus mit einem >linken< Verständnis.
Natürlich ist klar, was Schirdewan im Hinterkopf hat – er sagt es ja mitunter explizit. Er möchte nicht, dass benachteiligte Gruppen sich in der Krise noch mehr beschränken müssen, als sie es ohnehin schon tun, wohingegen die Krise an gut betuchten Teilen der Gesellschaft mehr oder weniger vorüberzeiht. Genauer gesagt möchte er nicht, dass benachteiligte Gruppen die Kosten der Krise tragen, wohingegen andere Teile der Gesellschaft durchgängig – und dann auch noch in dieser Situation – Profite machen.
Dieses Szenario ist natürlich ein neoliberales Motiv, da hat Schirdewan völlig recht. Die Krisenlösung >nach Unten< weiterzugeben und gleichzeitig zuzusehen, dass Ölmultis und Großkonzerne Krisenprofite abschöpfen, folgt einem Muster struktureller Ungleichheit radikalisierter Märkte. Die Coronakrise lässt grüßen – auch hier.
Andererseits stehen Motive des gemeinsamen Handelns, die ja ebenfalls Teil der Regierungsappelle zur Bewältigung der Krise gewesen sind, für klassische Wendungen im >linken< Denken. Der Anspruch, auf politische Fragen die Antwort einer ganzen Gesellschaft zu geben, ist ein Ur-Linkes Programm. In diese Richtung lässt sich nun ebenfalls der regierungspolitische Anspruch deuten private, zivilgesellschaftliche und öffentliche Akteure in die Verantwortung zu nehmen, um im gemeinsamen Kraftakt verzichtsorientiert zu handeln. Eine Reduktion der Lichtreklame in Einkaufszeilen gehört dann genauso zum gemeinsamen Handeln, wie die Reduktion der beleuchteten Zurschaustellung von Denkmälern oder eine Sparsamkeit im Haushalt. Die gemeinsame Ausschöpfung, oder genauer gesagt: Bessernutzung der vielen (auch verzichtbaren) Elemente unserer Überflussgesellschaft kann nicht nur viele (mithin verschwendete) Kraftquellen freilegen. Sie kann uns zu Strategien führen, um diese Potentiale künftig besonnen einzusetzen.
Ich sehe mitunter nicht, wie anders mit der Klimakrise umgegangen werden könnte, als ebenso – durch die gemeinsame Neustrukturierung und besonnene Nutzung der vielen Potentiale und Ressourcen, die auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Umgangs immer noch von unserer kapitalistisch-konsumtiven, naiv-unbekümmerten Art des Lebens geprägt sind.
Angesichts der versorgungspolitischen Problemlage, die sich in vielen Hinsichten in Fragen der Neunutzung von Ressourcen mit der Klimakrise überschneidet, scheint Schirdewans Kritik (bei aller Berechtigung) kleinkrämerisch und visionslos zu sein – vielleicht sogar gefährlich. Natürlich muss man sehen, dass erneut, wie in der Coronakrise, Menschen um ihre Existenzen bangen – und das ist keine Bagatelle. Die Krise nach Unten weiterzugeben ist fatal. Trotzdem glaube ich, dass man früher oder später um ein kollektives Handeln auf allen gesellschaftlichen Feldern (des Privaten, Ökonomischen und Politischen) nicht herumkommt. Und ich glaube, dass auf diesem Weg auch einiges für sozialpolitische Maßnahmen zu holen ist.