vonDarius Hamidzadeh Hamudi 17.06.2024

Zylinderkopf-Dichtung

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Was tun in Zeiten der Polykrise? –  56% der Deutschen sind gegen eine Lockerung der Schuldenbremse (ZDF Politbarometer 05/2024). Die Null muss stehen, ob im Fußball oder im Bundeshaushalt. Wenn die Ampel dann allerdings tatsächlich den Rotstift ansetzt wie bei den Landwirt:innen, werden die Straßen mit Traktoren verbarrikadiert. Mehrheitsfähig sind Kürzungen nur dann, wenn beim Bürgergeld oder der Ukraine-Hilfe gespart wird (ARD Deutschlandtrend 12/2023). Wenn sich SPD, Grüne und FDP öffentlich uneins sind, stoßen sie in der Bevölkerung und bei den Medien allenfalls auf geringes Verständnis. Anstatt die jeweils strittige Frage argumentativ aufzufalten und öffentlich darüber zu diskutieren, wird der »Ampelstreit« selbst zur Meldung und das konkrete Sachproblem rückt in den Hintergrund. Regierungen haben in Deutschland so leise und ruckelfrei zu schnurren wie der Motor einer Limousine und sollten obendrein schön sparsam sein.

1930-32: »Gesundschrumpfung« entpuppt sich als Kaputtsanierung

Das Sparen hat in Deutschland Tradition: Auf die Weltwirtschaftskrise 1929/1930 reagierte Reichskanzler Brüning mit einer umfassenden Sparpolitik. Unter anderem wurden die Sozialausgaben gekürzt, Steuern erhöht und  öffentliche Investitionen weitestgehend zurückgefahren. Brünings Ziel, die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, schlug gründlich fehl. Stattdessen brach die Nachfrage ein und die Arbeitslosigkeit explodierte. Was als »Gesundschrumpfung« geplant war, endete als umfassende Kaputtsanierung der deutschen Volkswirtschaft mit grausigen politischen Folgen.

Spare in der Zeit, dann hast du in der Not?

Die Schuldenbremse wurde zuletzt öfter mit Generationengerechtigkeit begründet. Ein älteres Gutachten der Wirtschaftsweisen zu »finanzpolitischer Nachhaltigkeit« betont die Notwendigkeit, die »haushaltspolitische Handlungsfähigkeit« dauerhaft zu sichern:

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»Sorge bereiten insbesondere die dramatisch zunehmenden Finanzierungslasten, die sich künftig aus der Überalterung der Bevölkerung für die öffentlichen Haushalte ergeben werden.« – Steht also schon bald eine Staatspleite ins Haus?

Ebenfalls auf den Seiten des Bundesfinanzministeriums findet sich eine Übersicht über die Staatsschulden im internationalen Vergleich. Mit einer Quote von 64,8% des BIP im Jahr 2023 kann Deutschland es zwar nicht mit dem Niedrigschulden-Europameister Estland (19,2%) aufnehmen. Aber ein Blick nach Großbritannien (97,4%) und Frankreich (109,6%) beweist, dass man die Staatsschuldenquote nicht zum haushaltspolitischen Maß aller Dinge stilisieren muss. Schließlich geht es auch den USA (122,5%) und Japan (251,7%) so schlecht nicht.

Zeit für ein Update: Deutsche Tugenden 2.0

Sparsamkeit gehört zu den preußischen Tugenden. Weder die Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriff noch der Kampf um Klimaneutralität scheinen dieser ehernen Leidkultur etwas anhaben zu können. Hatte nicht der überaus geschätzte Wolfgang Schäuble persönlich noch vor wenigen Jahren dem verschwenderischen Griechenland das Sparen gelehrt? – Inzwischen kontrolliert die chinesische Reederei  Cosco den Hafen von Piräus.

Dass Wertewandel und Modernität sogar hierzulande gelingen können, beweist ausgerechnet der Fußball. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat die »Deutschen Tugenden« upgedatet. An die Stelle von »Kampf« und »Härte« sind u.a. »Leidenschaft«, »Mut«, »Respekt«, »Teamgeist«, »Optimismus« und »Widerstandskraft« getreten. »Disziplin« ist nur noch ein Punkt unter vielen. – Mögen diese neuen deutschen Tugenden der DFB-Kicker:innen zumindest ein bisschen auf die politische Kultur abfärben.

 

Links und Literatur:

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