Seit Joe Bidens Rückzug versucht die demokratische Kampagne, Trump als unseriösen Sonderling abzustempeln, als Weirdo, dessen besten Zeiten langsam aber sicher vorbei sind. Bei der TV-Debatte changierte Kamala Harris‘ Mimik entsprechend zwischen entsetzter Belustigung und ungläubigem Staunen. Ihre polit-theatralische Darstellung überzeugte, gemäß Umfragen ging das TV-Duell klar an die amtierende Vizepräsidentin. Nach einhelliger Meinung vieler Kommentator:innen sei es ihr gelungen, Donald Trump zu provozieren. Tatsächlich hatte der sich zur völlig sinnbefreiten Äußerung hinreißen lassen, in Springfield/Ohio würden Zugewanderte die Haustiere der ansässigen Bevölkerung essen. Noch während der Sendung überführte ein Moderator per Faktencheck den Ex-Präsidenten der Lüge. Die Internet-Gemeinde johlte und Scherz-Clips gingen in Serie, worin niedliche Katzen und Hunde aus Kochtöpfen lugten. – Herzallerliebster Gruselspaß.
Rassismus »light«
Den Vogel abgeschossen hat jedoch »The Kiffness« mit dem viralen Video »Eating the Cats«. Der südafikanische Musiker unterlegt Trumps Lügen mit chilligen Afrobeats. Naiv bittet er die Bevölkerung von Springfield darum, seine Katze nicht zu essen. Der kurze Clip geht in den so genannten Sozialen Medien viral und tatsächlich ist es wohltuend, Trumps abscheulichen Rassismus für einen Moment zu vergessen und sich im Takt der Musik an seiner Blamage zu berauschen. Aber hatte sich Trump, der Medienmann, tatsächlich von der gewitzten Kamala Harris zu einem Fehler hinreißen lassen? Oder hatte der orange angemalte Mann es mal wieder geschafft, mit einer dummdreisten Lüge eine postfaktische Hass-Kampagne zu lancieren?
Zuwanderung nach Springfield/Ohio
Flüchtlinge aus Haiti genießen in den USA einen vorübergehenden Schutzstatus (temporary protected status), erhalten eine Sozialversicherungsnummer und eine Arbeitserlaubnis. Sie wurden in großer Zahl von Unternehmen in Springfield/Ohio angeworben, um dem Mangel an Arbeitskräften entgegenzuwirken. Bei einer Bevölkerung von rund 60.000 Menschen (2010) verändern geschätzte 15.000 Menschen aus Haiti natürlich das Stadtbild (vgl. Aymann Ismail in »Slate«, siehe unten). Die Wirtschaft profitierte jedenfalls von der Zuwanderung. Das Wall Street Journal berichtet am 18. September 2024: »The local economy boomed«.
Es gibt aber auch Probleme, die mit dieser Zuwanderung einhergehen, die Sprachbarriere zum Beispiel oder der Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Diese vermischen sich mit der allgemein verbreiteten Wut über gestiegene Lebenshaltungskosten. Unwahre Gerüchte, die Menschen aus Haiti bekämen alles vom Gemeindezentrum geschenkt, sorgen überdies für Sozialneid (vgl. Aymann Ismail in »Slate«). Alles in allem ist die Lage in Springfield/Ohio komplex und ohnehin angespannt, beste Voraussetzungen also für eine rassistische Hetzkampagne.
Wie falsche Verdächtigungen zu »Tatsachen« werden
Die Katze Miss Sassy war auf einmal verschwunden. Die Halterin, Anna Kilgore, verdächtigte ihre haititianischen Nachbarn, das Tier gegessen zu haben, und erzählte das der örtlichen Polizei. – Diesen Polizeibericht legte ein Sprecher von James David Vance dem Wall Street Journal vor, um einen Tweet von Trumps Running Mate zu »beweisen«:
»Reports now show that people have had their pets abducted and eaten by people who shouldn’t be in this country.«
»Berichten zufolge wurden die Haustiere von Menschen entführt und gegessen, von Menschen, die nicht in diesem Land sein sollten.« J.D. Vance via X/Twitter am 9.9.24.
Donald Trump wiederum verwandelte diese »Berichte« im TV-Duell zu Tatsachen und stieß damit auf große Resonanz. – Zurück zu Miss Sassy: Zum großen Glück von Anna Kilgore tauchte die geliebte Katze wenige Tage später in ihrem eigenen Keller wieder auf. Die glückliche Finderin entschuldigte sich mithilfe einer Übersetzungs-App bei ihren Nachbarn für die falschen Anschuldigungen.
Eating the Cats: Eine Lüge aus dem Lehrbuch der Demagogie
Lügen waren zu allen Zeiten sehr effiziente Werkzeuge, um Gesellschaften zu spalten, schon im Mittelalter wurde Menschen jüdischen Glaubens unterstellt, die Brunnen zu vergiften. Die Story von den Haustier-essenden-Haitianern hat alle Zutaten, um fanatisierte US-amerikanischen Massen des 21. Jahrhunderts auf die Barrikaden zu bringen: Trump konnte sich zum Opfer stilisieren, weil die böse Kamala den armen Ex-Präsidenten bei der Debatte ausgelacht habe. Überdies habe dieser gemeine Moderator für Harris Partei ergriffen. Kein Wunder, diese Fake-Medien würden ja ohnehin immer auf der Seite von denen-da-oben stehen … Außerdem kann sich der gemeine Trump-Fan darüber freuen, vom Guru höchstselbst einen Einblick in höhere und geheime Wahrheiten zu erhalten, die dem Mainstream für immer verborgen bleiben würden …
Zum Wir-gegen-die-da-oben kommt das Wir-gegen-die-anderen. Klare Feindbilder vermitteln Halt und Orientierung. Der altbekannte Rassismus wird hier originellerweise mit Haustierliebe verknüpft, große Emotionen und eine rasante mediale Verbreitung sind garantiert. Im Kern geht es darum, Angst zu schüren und mit allen Mitteln eine Lawine loszutreten, die jede vernünftige Debatte im Keim erstickt.
In der postfaktischen Politik entscheidet in allererster Linie die emotionale Wirkung einer Aussage auf die eigene Zielgruppe, ihr Wahrheitsgehalt hingegen spielt allenfalls eine untergeordnete Rolle. J.D. Vance hält sich daher nicht lange damit auf, seine Lügen zu rechtfertigen:
»If I have to create stories so that the American media actually pays attention to the suffering of the American people, then that’s what I’m going to do …«
»Wenn ich Geschichten erfinden muss, damit die amerikanischen Medien tatsächlich auf das Leid des amerikanischen Volkes aufmerksam werden, dann werde ich das tun …« J.D. Vance am 15.9.24 in einem TV-Interview
Aus der Story wird eine Kampagne
Trumps Leute tun alles dafür, um die Story der vermeintlich Haustier-essenden-Haitianer mit suggestiven weiteren Clips zu einem medialen Tsunami aufzubauen: Kurz vor der TV-Debatte verbreitete Trump War Room die Meldung, in Springfield/Ohio sei der 11-jährige Aiden Clark auf seinem Schulweg von einem haitianischen Migranten getötet worden. Daran wird deutlich, dass Eating-the-Cats kein impulsiver Fehltritt Trumps war, sondern eine bewusst losgetretene Kampagne. Das Dementi ließ jedenfalls nicht lange auf sich warten. Aiden Clarks Vater stellte klar, dass sein Sohn nicht getötet wurde, sondern bei einem tragischen Verkehrsunfall ums Leben kam. Um Fassung ringend, untersagte er Trump und Vance, den Tod seines Sohnes für politische Zwecke auszunutzen. – Sogar ein solcher medialer Rückstoß erhöht die Reichweite der Lügen maßgeblich, produziert Empörung und Schlagzeilen und ist paradoxerweise ein substanzieller Beitrag zum Erfolg der Hass-Kampagne.
Außerdem wurde eine TV-Reportage über Bonbon Té aus dem Jahr 2009 ausgegraben und verbreitet. Dabei handelt es sich um Erdkekse, die in Haiti aus Schlamm, Salz und wenig Fett geformt und in der Sonne getrocknet werden. Traditionell werden Bonbon Té von Schwangeren als Nahrungsergänzung verzehrt. Doch 2009 avancierten Bonbon Té während einer Hungersnot in den Slums zu einem bedeutenden Ersatzlebensmittel. – Die manipulative Botschaft von Trumps Leuten ist klar: Wer sogar Kekse aus Dreck frisst, ist zu allem fähig. Menschliche Not wird instrumentalisiert, um die Betroffenen verächtlich zu machen. Abscheulicher geht es kaum.
Die Kampagne verfängt
Nach dem Rückzug Joe Bidens war Trump für eine Weile paralysiert und wirkte völlig orientierungslos. Die eilig einberufene Pressekonferenz in Mar-a-Lago Anfang August zeigte einen konfusen Ex-Präsidenten, der wahllos vor sich hin polterte und sichtlich darunter litt, nicht im Zentrum des medialen Interesses zu stehen. Dann geriet Trumps Kampagne auch noch durch unbedarfte Äußerungen seines Vizes Vance über kinderlose Katzenmütter ins Trudeln. Mit ihrer Eating-the-Cats Kampagne versuchen die Republikaner den Spieß umzudrehen und nutzen die Liebe zu Katzen und Hunden, um das Thema Migration wieder in die Schlagzeilen zu bringen. Das Kalkül ist einfach und taugt auch zur Analyse der Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg: Dominiert das Thema Zuwanderung die öffentliche Debatte, profitiert der rechte Rand.
Trumps Fans springen auf Eating-the-Cats an: Rechtsextreme Milizen marschieren in Springfield/Ohio auf und der Ku-Klux-Klan verteilt Flugblätter, um neue Mitglieder anzuwerben. Bombendrohungen erschüttern die Stadt und öffentliche Gebäude werden geräumt. Trump und Vance müssen das Chaos nur noch politisch ausbeuten, das sie selbst angezettelt haben. Klaus Brinkbäumer und Rieke Havertz betonen in ihrem USA-Podcast, Trumps Umfragewerte hätten sich nach mehreren schwierigen Wochen wieder stabilisiert. Mit seiner Eating-the-Cats Kampagne sei es Trump gelungen, aus der Defensive zu kommen und hier und da sogar ein Prozentpünktchen zuzulegen. – Gegenüber der Süddeutschen Zeitung erklärt der Musiker »The Kiffness«: »Republikaner lieben den Song. Und Demokraten lieben den Song. Natürlich aus unterschiedlichen Gründen.« Wer »Eating the Cats« zu oft hört, hält den Ex-Präsidenten schnell für einen harmlosen Spinner und verbreitet dessen rassistische Hetze vielleicht selbst weiter.
Trump wurde schon immer unterschätzt. Auch das macht ihn so gefährlich.
Links und Belege
- The Kiffness: Eating the Cats, YouTube.
- Aymann Ismail: Fear and Hope in Springfield, Ohio, Slate vom 18.9.24.
- Kris Maher/Valerie Bauerlein/Tawnell D. Hobbs: How the Trump Campaign Ran With Rumors About Pet-Eating Migrants—After Being Told They Weren’t True, Wall Street Journal vom 18. September 2024.
- Kit Maher/Chris Boyette: JD Vance defends baseless rumor about Haitian immigrants eating pets, CNN vom 15. September 2024.
- tazBlog: Das erste postfaktische Rennen ums Weiße Haus, Zylinderkopf-Dichtung.
- Mud Cookies, Artikel in der englischsprachigen Wikipedia.
- Benno Schmidt: Haitians eating dirt cookies to survive (2009), YouTube.
- https://x.com/TrumpWarRoom/status/1833158652389208198
- Christian Zaschke: Hallo, ich bin auch noch da, Süddeutsche Zeitung vom 9.8.24.
- Wenn Kekse singen könnten, Süddeutsche Zeitung vom 22. September 24.
- Klaus Brinkbäumer/Rieke Havertz: America first oder Teamplayer USA?, Zeit-Podcast: OK, America vom 26. September 24.
Bilder
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