Was war das denn im Oval Office? – Toni Hofreiter spricht von einer »Schmierenkomödie«. Bernd Pickert von einem inszenierten »Showdown«. Auch in der Ukraine herrscht die Vermutung vor, man habe Wolodimir Selenskyj eine Falle gestellt. Haben die USA den Rohstoff-Deal absichtlich platzen lassen, um Selenskyj politisch zu beschädigen? Ist das Gespräch versehentlich aus dem Ruder gelaufen, obwohl alle Beteiligten sich bemüht haben? Sind unverhofft große Differenzen aufgetaucht, die einer Einigung im Weg standen? – Zumindest letzteres kann eindeutig ausgeschlossen werden. Die Unterschiede waren schon vorher klar: Selenskyj möchte einen Waffenstillstand unbedingt an us-amerikanische Sicherheitsgarantien knüpfen, weil Putin sich in der Vergangenheit nicht an Vereinbarungen gehalten hat. Trump möchte keine Sicherheitsgarantien gewähren, hält Putin tendenziell für vertrauenswürdig und ist felsenfest davon überzeugt, dass es unter seiner Ägide niemals zu einem Krieg gekommen wäre.
Trumps Träume und Motive
Wie Trump sich eine Nachkriegsordnung vorstellt, erläutert er bei einer Sitzung seines Kabinetts am 26. Februar:
»Well, I’m not going to make security guarantees beyond very much. We’re going to have Europe do that, because (…) Europe is their next-door neighbor. But we’re going to make sure everything goes well. And as you know, (…) we’ll be really partnering with Ukraine in terms of rare earth. We very much need rare earth. (…) we need resources. (…) The deal we’re making (…) brings us great wealth. We get back the money that we spent, and we hope that we’re going to be able to settle this up. We want to settle it. We want to stop — I tell you what. I’m doing it for two reasons, but the number one reason, by far, is to watch — all these people being killed. (…) — Ukrainian and Russian soldiers being killed. My number one thing is to get that stopped. My number two thing is I don’t want to have to pay any more money (…). Now we’re going to be getting all of that money back, plus a lot more. (…) We’ll be working with Ukraine and (…) we’re going to be taking what we’re entitled to take. (…) And we’ll be able to make a deal. (…) President Zelenskyy is coming to sign the deal. And it’s a great thing. It’s a great deal for Ukraine, too, because they get us over there, and we’re going to be working over there. We’ll be on the land. And, you know, in that way, it’s — there’s sort of automatic security, because nobody’s going to be messing around with our people when we’re there. And so, we’ll be there in that way. But Europe will be watching it very closely. I know that UK has said and France has said that they want to put — they volunteered to put so-called peacekeepers on the site. And I think that’s a good thing.« – Donald Trump
»Nun, ich werde keine Sicherheitsgarantien geben, die über sehr viel hinausgehen. Wir werden Europa das tun lassen, weil Europa ihr nächster Nachbar ist. Aber wir werden dafür sorgen, dass alles gut geht. Und wie Sie wissen, werden wir in Sachen seltene Erden eine echte Partnerschaft mit der Ukraine eingehen. Wir brauchen dringend seltene Erden. Wir brauchen Ressourcen. Der Deal, den wir machen, bringt uns großen Reichtum. Wir bekommen das ausgegebene Geld zurück und hoffen, dass wir die Sache regeln können. Wir wollen es regeln. Wir wollen aufhören – ich sage Ihnen was. Ich mache das aus zwei Gründen, aber der Hauptgrund ist bei weitem, dass ich nicht zusehen möchte, wie all diese Menschen getötet werden. — Ukrainische und russische Soldaten werden getötet. Das Wichtigste für mich ist, dass das aufhört. Meine Nummer zwei ist, dass ich kein Geld mehr bezahlen möchte. Jetzt bekommen wir das ganze Geld zurück und noch viel mehr. Wir werden mit der Ukraine zusammenarbeiten und wir werden uns nehmen, was uns zusteht. Und wir werden in der Lage sein, einen Deal zu machen. Präsident Selenskyj kommt, um den Deal zu unterzeichnen. Und es ist eine tolle Sache. Auch für die Ukraine ist es ein tolles Geschäft, denn sie bringen uns dorthin und wir werden dort arbeiten. Wir werden im Land sein. Und wissen Sie, auf diese Weise gibt es eine Art automatische Sicherheit, weil niemand mit unseren Leuten herumalbern wird, wenn wir dort sind. Und so werden wir dort sein. Aber Europa wird es sehr genau beobachten. Ich weiß, dass das Vereinigte Königreich und Frankreich erklärt haben, dass sie bereit sind, sogenannte Friedenstruppen vor Ort zu stationieren. Und ich denke, das ist eine gute Sache.« – Donald Trump
Im Vordergrund stehen für Trump also wirtschaftliche Interessen der USA und die Herstellung eines sofortigen Waffenstillstands. Zu diesem Zweck nähert er sich Putin an und sieht sich in der Rolle des Vermittlers zwischen Russland und der Ukraine. Die Frage der territorialen Integrität der Ukraine ist Donald Trump hingegen völlig egal. Dass Putin einen Krieg vom Zaun gebrochen und viele Kriegsverbrechen begangen hat, stellt für ihn auch kein Hindernis dar. Anstatt sich für die Aufrechterhaltung einer Weltordnung zu engagieren, in der Grenzen nicht gewaltsam verschoben werden dürfen, erhebt er selbst territoriale Ansprüche auf Canada, Panama und Grönland.
Trump nennt zwei Motive seiner Ukraine-Politik: Er möchte das Töten beenden und kein Geld mehr in die Ukraine stecken. Doch es gibt noch einen dritten Grund, warum Trump unbedingt mit Selenskyj ins Geschäft kommen möchte: Im Wahlkampf ist der erneut ins Amt gewählt US-Präsident über die Lande gezogen und hat vollmundig versprochen, er würde den Krieg innerhalb eines Tages beenden. Daher steht Trump politisch unter Druck. Er muss liefern.
Selenskyj unter Druck
Ursprünglich forderten die USA unter Trump die Abtretung von Rohstoffen im Wert von 500 Milliarden Dollar von der Ukraine, freilich ohne konkrete Sicherheitsgarantien. Der ukrainische Präsident hat sich dagegen gestellt und am 23.2.25 öffentlich erklärt: »Ich werde nicht etwas unterschreiben, das dann von zehn Generationen an Ukrainern bezahlt wird«. Stattdessen wurde ein aus ukrainischer Sicht wesentlich besserer Deal ausgehandelt, der am 28.2. im Weißen Haus unterschriftsreif im Nebenzimmer bereitlag. Dabei handelt es sich nur um einen Rahmenvertrag, Details der Vereinbarung müssen noch geklärt werden. Die USA sichern sich den Zugang zu ukrainischen Rohstoffen und die Aussicht auf finanzielle Erträge in der Zukunft. Die Ukraine muss »nur« die Hälfte der Rohstoff-Einnahmen in einen Wiederaufbaufonds einzahlen und verfolgt das Ziel, sich die USA zumindest als Geschäftspartnerin gewogen zu halten. Wenn die USA in der Ukraine investieren, so lautet wohl das ukrainische Kalkül, werden sie ihr Investment wohl nicht Russland zum Fraß vorwerfen.
Nach dem Eklat verkündete Trumps Pressesprecherin Caroline Leavitt, dass die Ukraine nun nicht mehr mit Militärausrüstung beliefert werde. Die oberste Priorität der US-Administration liege auf den Friedensverhandlungen mit Russland. Man werde nicht länger »Blankochecks für einen Krieg in einem fernen Land ausstellen«. Ohne Zweifel ist die Ukraine militärisch und finanziell stark von der us-amerikanischen Unterstützung abhängig. Deshalb kann ausgeschlossen werden, dass Selenskyj ein Interesse daran hatte, die Unterzeichnung des Abkommens auf den letzten Metern platzen zu lassen. Im Gegenteil, der Eklat im Oval Office ist eine Tragödie für die Ukraine.
Aus heiterem Himmel
Die mediale Berichterstattung hebt auf die letzten Minuten der Zusammenkunft von Trump, Selenskyj, J.D. Vance und weiteren Regierungs- und Medienvertreter:innen im Oval Office ab. Die Süddeutsche dokumentiert sogar den Wortlaut in deutscher Übersetzung. Trump kanzelt Selenskyj ab wie einen frechen Schuljungen. Selenskyj könne nur den starken Mann spielen, weil die USA ihn unterstützen würden. Außerdem weist Trump ihn darauf hin, dass er sehr schlechte Karten hat und besser keine Ansprüche stellen sollte. Die Szene irritiert und erschreckt, Trumps Verhalten ist aggressiv, überaus dominant und stellt zweifellos einen eklatanten Bruch mit diplomatischen Gepflogenheiten dar.
Doch es empfiehlt sich, die gesamte fast 50-minütige Pressekonferenz anzusehen. Der Eklat kündigt sich nicht an. Zunächst sieht es tatsächlich so aus, als würden die beiden Präsidenten wie geplant zusammen zu Mittag essen, den Vertrag unterzeichnen und eine gemeinsame Pressekonferenz geben. Einleitend betont Trump, wie lange man sich schon kennt und dass es sich um einen fairen Deal handele. Zur Begrüßung kommentiert er Selenskys Outfit scherzhaft mit den Worten: »He dressed up today.« (»Er hat sich heute schick gemacht.«) Doch keine fünf Minuten, nachdem Selenskyj sich die Frage eines Journalisten gefallen lassen muss, warum er keinen Anzug trage (Minute 18 Sekunde 40 bzw. 18’40“), nimmt Trump ihn in Schutz: »And I do like your clothing.« (23′). Bei der Frage, ob die europäische Ukraine-Hilfe der us-amerikanischen in etwa gleichkomme, widerspricht Selenskyj wie zuvor bereits Starmer und Macron dem US-Präsidenten. Aber der vormalige Komiker tut dies auf schelmische Art, und auch Trump scheint zu schmunzeln. Die beiden lächeln Widersprüche und Ungereimtheiten einfach weg (11’54“).
Vance weiß, welche Knöpfe er bei Trump drücken muss
Der Pressetermin eskalisert einzig und allein aufgrund der cleveren und intriganten Einwürfe des Vizepräsidenten J.D. Vance. Zunächst ergreift er das Wort, um eine bereits geklärte Frage eines polnischen Journalisten erneut zu beantworten. Der Vizepräsident tadelt Joe Bidens Ukraine-Politik und lobt Trumps Diplomatie. Selenskyj schaltet sich ein und listet auf, welche Vereinbarungen Putin seit 2014 gebrochen hat. Durch eine Gegenfrage drückt Selenskyj seine Skepsis aus, ob Putin tatsächlich durch Diplomatie zu stoppen ist. Daraufhin wechselt der Yale-Jurist Vance die Gesprächsebene. Er kennt die Empfindlichkeiten und Befindlichkeiten seines Chefs allzu gut und weiß genau, wie er Trump gegen den ukrainischen Präsidenten aufbringen kann:
»Mr. President, with respect, I think it’s disrespectful for you to come into the Oval Office to try to litigate this in front of the American media. Right now, you guys are going around and forcing conscripts to the front lines because you have manpower problems. You should be thanking the president for trying to bring an end to this conflict.« – J.D. Vance, (42’15“)
»Herr Präsident, bei allem Respekt, ich halte es für respektlos, dass Sie ins Oval Office kommen, um zu versuchen, dies vor den amerikanischen Medien zu verhandeln. Im Moment gehen Sie herum und zwingen Wehrpflichtige an die Front, weil Sie Personalprobleme haben. Sie sollten dem Präsidenten dafür danken, dass er versucht hat, diesen Konflikt zu beenden.« – J.D. Vance
Kurz danach insistert er auf dem entscheidenden Punkt, um Trump endgültig in Rage zu bringen:
»And do you think that it is respectful to come to the Oval Office of the United States of America and attack the administration that is trying to prevent the destruction of your country?« – J.D.Vance, (42’54“)
»Und halten Sie es für respektvoll, ins Oval Office der Vereinigten Staaten von Amerika zu kommen und die Regierung anzugreifen, die versucht, die Zerstörung Ihres Landes zu verhindern?« – J.D.Vance, (42’54“)
Wenige Sekunden später fährt Donald Trump aus der Haut und walzt Selensyj rhetorisch nieder, als ob es kein Morgen gäbe. Dass J.D. Vance sich in das Gespräch eingeschaltet hatte, um Trumps Diplomatie in den höchsten Tönen zu loben, ist geradezu bizarr.
Ein Abgesang auf den »Westen« ist vorschnell und leichtfertig
Toni Hofreiters Urteil steht fest: »Die USA sind mit Trump nicht mehr der Verbündete Europas.« Der Spiegel proklamierte bereits kurz nach Trumps Wahl: »Das Ende des Westens«. Der Historiker Norbert Frei führt im Deutschlandfunk aus, dass sich gerade eine »neue Weltordnung« aufbaue, in der Europa »ganz auf sich gestellt« sei. Der überzeugte Transatlantiker Friedrich Merz äußert sich gegenüber der FAZ zurückhaltend auf die Frage, ob wir uns noch in einer Wertegemeinschaft mit den USA befinden: »Das ist eine oft und zu Recht gestellte Frage. Ich würde sie gerne mit Ja beantworten, aber mir fällt es zunehmend schwer.«
Ob und inwiefern der sogenannte »Westen« jemals eine Wertegemeinschaft war, darüber lässt sich streiten. Tatsächlich ist der »Westen« ein vielschichtiges transnationales Gebilde, das militärische, ökonomische, historische und kulturelle Dimensionen aufweist. Ja, Trump möchte die Lastenverteilung innerhalb der NATO zugunsten der USA verschieben, und er versucht durch Zölle Handelsbilanzdefizite gegenüber der EU abzubauen. Mit einer multilateralen, regelbasierten Weltordnung hat er nichts am Hut. Und trotzdem liegt es nicht in seinem Interesse, »über Nacht alle Beziehungen nach Europa abzubrechen.« Auf diesen wichtigen Punkt weist Laura von Daniels, Leiterin der Forschungsgruppe Amerika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), hin. – Die jüngsten Ereignisse offenbaren Risse zwischen Donald Trump und seinem Vizepräsidenten. Das ist bemerkenswert. Weit wichtiger als der Eklat im Oval Office wird die Bedeutung sein, die die politischen Akteure auf beiden Seiten des Atlantiks ihm beimessen. Die Bruchlinie zwischen Trump und Vance könnte dabei eine Rolle spielen.
Mehr über J.D.Vance im Zylinderkopf-tazBlog:
Hillbilly-Elegie: Das Klagelied eines Karrieristen, 30.7.24.
Links
- Treffen im Oval Office in voller Länge (Youtube), auf dieses Video beziehen sich die Zeitangaben.
- Bernd Pickert: Europa muss jetzt viel Geld bereitstellen, taz vom 2.3.25.
- Grünen-Politiker Hofreiter fordert Notlagenbeschluss im Bundestag, Kölner Stadtanzeiger vom 1.3.25.
- Remarks by President Trump before a Cabinet Meeting, February 26, 2025 (The White House).
- Lars Eric Nievelstein: »Werde nichts unterschreiben« – Selenskyj stellt sich gegen Trumps Rohstoff-Deal, Frankfurter Rundschau vom 28.2.25.
- Trumps Rohstoff-Deal mit Kiew: Darum geht es, ZDFheute/FAQ vom 28.2.25.
- Felix Huesmann/Jan Christian Schulz: Nach Eklat im Weißen Haus: Diese US-Hilfen für die Ukraine drohen nun wegzubrechen, RND vom 1.3.25.
- Simon Schröder: Nach Selenskyj-Besuch bei Trump: Unterstützung der USA für Ukraine wackelt, Merkur.de vom 2.3.25.
- Dirk Kurbjuweit: Das Ende des Westens (Leitartikel), Der Spiegel 46/2024.
- Es könnte auch ein für uns sehr schlechtes Szenario eintreten, Friedrich Merz im Interview mit der FAZ am 28.2.25.
- Historiker Norbert Frei im Interview mit dem Deutschlandfunk am 2.3.25.
Bildnachweis:
Eigene Bildcollage unter Verwendung der folgenden Aufnahmen:
- David Bohrer: Number One Observatory Circle (gemeinfrei), Wikimedia Commons.
- Daniel Torok: JD Vance: Offizielles Portrait (gemeinfrei), Wikimedia Commons.