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vonDarius Hamidzadeh Hamudi 31.05.2024

Zylinderkopf-Dichtung

Essays, Glossen, Kommentare und Neuigkeiten aus der Menagerie der kleinen Literatur.

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In der Nacht des 22. November 1930 attackierten fünfzehn bis fünfundzwanzig SA-Männer das Stiftungsfest des Arbeitervereins Falke im »Tanzpalast Eden«. Einige Monate später wurde vier SA-Männern der Prozess gemacht. Die Anklage lautete auf Landfriedensbruch. Dem »Rädelsführer«, der die Schüsse abgegeben hatte, wurde zudem versuchter Totschlag und unerlaubter Schusswaffenbesitz zur Last gelegt. Einer der Angeklagten musste sich auch wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten. Die Angeklagten stritten sämtliche Vorwürfe ab und beriefen sich auf Notwehr. Der Verteidiger führte an, dass Mitgliedern der SA das Tragen von Waffen verboten sei.

Hans Litten, Rechtsanwalt und Widerstandskämpfer, vertrat die Opfer als Nebenkläger. Aus seiner Sicht griff die Anklage viel zu kurz. Er plädierte dafür, die SA-Männer nicht wegen Landfriedensbruchs, sondern wegen versuchten Mordes am politischen Gegner anzuklagen. Es handle sich nicht um die Tat eines Einzelnen, sondern alle Angeklagten hätten die Schüsse »als eigene gewollt«. Es habe sich mitnichten um eine spontane Rauferei gehandelt, sondern um ein »Rollkommando«, das waren »planmäßig organisierte Überfälle mit dem Ziele der vorsätzlichen überlegten Tötung auf politische Gegner«. Die NSDAP wisse nicht nur von diesen Rollkommandos, so Litten, sondern dulde sie sogar. Also wurde Adolf Hitler als Zeuge vorgeladen und betrat am 7. Mai 1931 über ein Nebengebäude den Gerichtssaal. – Würde es Hans Litten gelingen, das kriminelle Netzwerk hinter der SA aufzudecken?

Re: OLG München, 11.07.2018 – 6 St 3/12

Auch beim NSU-Prozess traten die Opfer als Nebenkläger auf und kritisierten die juristische Aufarbeitung der Mordserie. Die Kölner Rechtsanwältin Lunnebach bemängelte den »unzureichenden Ermittlungseifer [und] Selbstgerechtigkeit« der Bundesanwaltschaft, die davon ausgehe, dass es sich beim NSU lediglich um eine aus drei Personen bestehende Terrorzelle gehandelt habe. Anstatt das Netzwerk von Unterstützer:innen aufzudecken, gab die Bundesanwaltschaft sich mit der  »Zuschreibung der Taten in die Isoliertheit des Trios« zufrieden. Lunnebach bemängelte, dass gegen einen namentlich bekannten Kölner Neonazi nur deshalb nicht ermittelt worden sei, weil es sich um einen V-Mann des Verfassungsschutzes gehandelt habe.

Hitlers Schmierentheater vor Gericht: »Granitfest auf dem Boden der Legalität«

Auf die Frage, ob die NSDAP Rollkommandos zur vorsätzlichen Tötung politischer Gegner billige, antwortete Hitler mit viel Pathos: »Ich halte es für gänzlich ausgeschlossen, dass irgendein Sturm in Berlin sich in dieser Weise mit einer Aufgabe betraut gefühlt hätte, die nach den Grundsätzen der Partei vollkommen ausgeschlossen wäre.

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Die Partei lehnt Gewaltmethoden auf das schärfste ab. Die S.A.-Gruppen sind gebildet worden mit der Aufgabe, die Partei gegen den Terror von links zu schützen …« Hitler setzte sich nicht hin, sondern stand buchstäblich Rede und Antwort, so wie es den damaligen Gepflogenheiten entsprach.

Später bekräftigte Hitler theatralisch seine eigene Unschuld und auch die seiner Partei: »Ich werde, so lange ich die Ehre habe, Führer der Nationalsozialistischen Partei zu sein, mich nicht vom Weg der Legalität abdrängen lassen.« Indem er sich mit der Faust auf die Brust schlug, fuhr er fort: »Die Legalität der Partei wird erst dann in Frage gestellt, wenn ich Rollkommandos billigen würde.«

Re: LG Halle, 14.05.2024 – 5 KLs 6/23

Die SA und ihre Parolen haben in jüngster Vergangenheit wieder Schlagzeilen gemacht. Das Landgericht Halle sah es als erwiesen an, dass Björn Höcke bei einer Wahlkampfveranstaltung den in §86a des Strafgesetzbuches formulierten Straftatbestand der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen erfüllt hat.

Am zweiten Prozesstag stand Björn Höcke auf. Jan Sternberg berichtet für den Stern, dass der AfD-Mann sich in Positur warf, als stünde er am Rednerpult des Landtages oder auf einer Wahlkampfbühne. Höcke nestelte an seiner Krawatte. Der Vorsitzende Richter Jan Stengel wies ihn darauf hin, dass er sich auch setzen dürfe, weil er dann besser über das Mikrofon zu hören sei. Höckes Antwort lautete: »Es ist mein Bedürfnis, vor dem hohen Gericht zu stehen, weil ich weiß, wie wichtig Institutionen für den Rechtsstaat sind.« Wortreich wies er jede Schuld von sich, verharmloste sein politisches Handeln und inszenierte sich als Opfer einer politischen Justiz. Der Stern beschreibt seinen Tonfall als larmoyant. Doch das Landgericht folgte Höckes Argumentation nicht, sondern verurteilte ihn zu einer Geldstrafe. 

Litten lässt nicht locker und Hitler rastet aus

Hitlers Zeugenaussage vor Gericht lässt sich im Wortlaut im Berliner Tageblatt vom 8. Mai (Abendausgabe) und 9. Mai (Morgenausgabe) nachlesen. Er behauptete, der Begriff Rollkomando habe in der SA eine »ganz lächerliche Bedeutung« angenommen. Doch Litten nahm Hitler dessen ostentativen Gewaltverzicht nicht ab und hakte nach: »Hat nicht Goebbels die Parole ausgegeben: Man müsse die Gegner zu Brei stampfen?« Hitler versuchte sich rauszureden: »Die gegnerische Ideenwelt als Idee und Organisation muss beseitigt werden …« Später fügte er an: »Die These in dem Goebbelsschen Buch ist gänzlich ohne Parteiwert, denn die Broschüre trägt nicht das Parteizeichen« und sei auch nicht parteiamtlich autorisiert.

Am Nachmittag kam Litten darauf zurück und hielt Hitler vor, dass Goebbels’ Buch »von dem Parteiverlag übernommen ist und eine Auflage von 120 000 erreicht hat.« Als auch der Richter Hitler auf Ungereimtheiten hinwies, brüllte der NSDAP-Führer mit hochrotem Kopf: »Wie kommen Sie dazu Herr Rechtsanwalt, zu sagen, das ist eine Aufforderung zur Illegalität? Das ist eine durch nichts zu beweisende Erklärung!« – Während Hitler noch am Vormittag beschworen hatte, »absolut granitfest auf dem Boden der Legalität [zu] stehen«, verstrickte er sich am Nachmittag in peinliche Widersprüche, verlor die Contenance und rastete völlig aus. Obwohl Hitler nicht angeklagt war, entlarvte er sich mit Littens Unterstützung selbst.

Re.: The People of the State of New York against Donald J. Trump, Defendant

Heute, am 31. Mai 2024, ist ein historischer Tag. Das Geschworenengericht in New York sah es als erwiesen an, dass Donald Trump eine Schweigegeldzahlung falsch verbuchen ließ, um sie zu vertuschen und die Wahl zu manipulieren. Trumps Verteidigung hatte hingegen argumentiert, der damalige Präsidentschaftskandidat habe weder diese Verschleierung der Zahlung veranlasst noch davon gewusst.

Die Geschworenen hatten Trump in allen 34 Anklagepunkten schuldig gesprochen. Trump trat nach der Sitzung vor die Kameras und schimpfte, das sei eine Schande, ein manipulierter Prozess. Er sei ein unschuldiger Mann und die USA wären ein faschistisches Land.

Bild:

Titelseite des Berliner Tageblatts vom 8.Mai 1931 (Ausschnitt), gemeinfrei.

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https://blogs.taz.de/zylinderkopf/hitler-als-zeuge-granitfest-auf-dem-boden-der-legalitaet/

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kommentare

  • Die Blamage im Edenpalast-Prozess und die Gefahr für die nationalsozialistische Bewegung durch den Rechtsanwalt hat Hitler nie vergessen. Noch Jahre später durfte der Name Litten in seiner Gegenwart nicht erwähnt werden.

    Weitere Stationen seiner fünfjährigen Inhaftierung waren das KZ Sonnenburg und das Zuchthaus Brandenburg, wo auch der Anarchist Erich Mühsam interniert und gefoltert wurde. Im Februar 1934 wurde Litten in das „Moorlager“ Esterwegen im Emsland und wenige Monate später ins KZ Lichtenburg verlegt. Im August 1937 kam Litten nach Buchenwald und im Oktober 1937 schließlich nach Dachau. Dort wurde er vor einem erneuten Verhör am 5. Februar 1938 von seinem Freund Alfred Grünebaum erhängt in der Latrine gefunden. Es wird davon ausgegangen, dass Litten, der schon früher während der Inhaftierung Suizidversuche unternommen hatte,[10][1] durch die langjährigen Folterungen und Misshandlungen in den Tod getrieben wurde.…“
    https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Litten
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    https://www.nn.de/kultur/er-blamierte-hitler-patricia-litten-aus-nurnberg-uber-ihren-onkel-hans-in-babylon-berlin-1.13623308
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    Die Mutter Irmgard Litten entstammte auch dem gehobenen Bürgertum. Als Sproß einer schwäbischen Pfarrer- und Professorenfamilie war ihr allerdings das herrschaftliche gesellschaftliche Leben in den nationalkonservativen Kreisen, in denen sich ihr Mann bewegte, fremd.
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    https://www.deutschlandfunkkultur.de/ns-opfer-irmgard-und-hans-litten-der-lange-kampf-einer-100.html
    “… Trotz allem hat Freisler sich doch an Hitler gewandt, um ein Wort für Hans einzulegen. Freisler bemerkte später zu Freunden: „Es wird niemand etwas für Litten erreichen. Hitler lief blaurot im Gesicht an, als er den Namen hörte.“
    Im Schutzhaftlager Spandau und dem Zuchthaus Brandenburg begegnet Hans Litten einigen der Männer wieder, die er in Moabit auf die Anklagebank gebracht hat. Jetzt sind sie Aufseher und Offiziere.
    „Die haben natürlich ihr Mütchen an ihm gekühlt, die haben das so was von ausgekostet, ‚dieses Schwein‘ fertig zu machen. Die haben ja ihn nach wenigen Wochen schon so derartig…, seine Zähne waren zu Stumpen geschlagen, er hat das Augenlicht verloren“, sagt Patricia Litten. Die Schauspielerin hat sich intensiv mit der Familiengeschichte befasst und 2016 in dem Theaterstück „Der Prozess des Hans Litten“ ihre Großmutter Irmgard auf der Bühne verkörpert.…“
    Fazit
    „Keine Löwin wäre imstande, so lange und so ausdauernd um ihr Kind zu kämpfen“, sagte der Schriftsteller Max Fürst über Irmgard Litten. © Uccello

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