Zwischen den beiden taz-Redakteuren Annika Stenzel und Sven-Michael Veit liegt eine ganze journalistische Generation. Im Interview mit Jan Kahlcke offenbart sich, wie unterschiedlich die beiden die Zukunft der Zeitung sehen.
Annika Stenzel, Sven-Michael Veit, hat die Zeitung noch eine Zukunft?
Annika Stenzel: Bestimmt nicht als Print-Produkt. In zehn, fünfzehn Jahren wird die Tageszeitung nur noch im Internet stattfinden. Die gedruckte taz mag als Wochenzeitung funktionieren, mit schönen Hintergrundberichten und dem eigenen Zugang. Aber die Tageszeitung wird vom Internet überholt. Die Leser sterben aus, weil nur noch wenige Leute in meinem Alter Zeitungsabos haben.
Sven-Michael Veit: Ich würde zustimmen bei bestimmten Zeitungsformaten wie Boulevardblättern, wo die Menschen nur in kurzen Happen informiert werden wollen und ab 40 Zeilen überfordert sind. Aber die klassische Lokalzeitung wird bleiben, vor allem auf dem platten Land, weil die Leute keine andere Möglichkeit haben, zu erfahren, was in ihrem Gemeinderat passiert.
Annika Stenzel: Das können sie ja auch aufs iPad bekommen.
Sven-Michael Veit: Dort werden auch in 15 Jahren nicht alle ein iPad haben. Und die überregionalen Qualitätszeitungen können überleben, wenn sie deutlich mehr bieten als online. Online erfährt man, was passiert ist, und in der Zeitung, warum es passiert ist. Das ist die Chance, auch in 15 Jahren noch gedruckt zu werden.
Um möglichst lange gedruckt zu erscheinen, was müssen wir ändern? Mehr Häppchen? Oder mehr lange Riemen?
Sven-Michael Veit: Wir müssen Hintergrund-Informationen für die liefern, die mehr wissen wollen. Kurzmeldungen kriegt man aus dem Internet oder über Twitter.
Werden wir eine Essay-Sammlung?
Annika Stenzel: Nee, aber wir müssen Mehrwert liefern. Und gleichzeitig auch kurze Stückchen, die man schnell weglesen kann, weil sich nur noch wenige Leute hinsetzen und eine Zeitung von vorne bis hinten lesen.
Wenn wir das Nachrichtengeschäft im Internet abhandeln – müssen wir dann noch täglich erscheinen?
Annika Stenzel: Ich finde: nein.
Sven-Michael Veit: Ob wir das müssen, weiß ich nicht. Aber ich glaube nicht, dass das Internet in 15, 20 Jahren dieselbe Hintergrundqualität liefern kann wie die Zeitung. Deswegen wird es für politische Zeitungen und Wochenmagazine weiterhin einen Markt geben.
Annika Stenzel: Bei Wochenmagazinen widerspreche ich gar nicht. Ich glaube nur nicht an die Tageszeitung. Deshalb müssen wir uns online besser aufstellen. Es gibt eine Menge Leute, die sich nur noch über Twitter und personalisierte Newsdienste über die Dinge informieren lassen, die sie auch interessieren. Das ist auch ein Widerspruch zu dem, was Sven über das Lokale sagt: Du kannst dir einen News-Feed mit „Rendsburg“ einrichten, und da bekommst du dann eben alles, was Rendsburg betrifft, ohne überhaupt suchen zu müssen. Und die Leute interessieren sich auch gar nicht mehr für alles, was lokal läuft. Sie interessieren sich zum Beispiel nicht für Bildungspolitik, für Wohnungsbaupolitik aber schon. Dafür muss man kompakte Angebote schnüren, Dossiers etcetera.
Sven-Michael Veit: Da sind wir gar nicht auseinander. Aber ich bleibe romantischerweise dabei: Auch in 15 Jahren werden noch Tageszeitungen gedruckt werden in diesem Land.
Welche Rolle spielt Vertrauen?
Annika Stenzel: Das ist eine Generationenfrage. Die jungen Leute vertrauen der Marke taz und unterscheiden nicht zwischen der gedruckten Ausgabe und taz.de. Für die Älteren, die nicht damit aufgewachsen sind, ist das Internet vielleicht noch das schnelllebige, fehlerbehaftete Medium, was sie in der Zeitung nicht so sehen, weil sie es aber auch einfach gewohnt sind.
Hebt das Vertrauen in die Marke die taz aus dem Informationswust im Netz heraus?
Annika Stenzel: Das sieht man ganz deutlich bei den originären taz-Themen wie Atomkraft. Da kann es durchaus auch mal vorkommen, dass ein User 15-Mal am Tag auf taz.de geht, um den Liveticker zu lesen. Da kriegen wir dann Klicks, dass Spiegel Online hinten über fällt.
Sven-Michael Veit: Der Journalismus im Netz muss seriöser werden, und das wird er auch. Das Problem sind eher Blogs und vor allem die anonymen Leserkommentare. Das ist eine Kinderkrankheit, die abgebaut werden muss. Dann kann man im Netz noch mehr Vertrauen erwerben als bisher.
Ermöglicht nicht gerade die Anonymität im Netz eine niedrigschwellige und damit demokratische Teilhabe?
Annika Stenzel: Auf jeden Fall.
Sven-Michael Veit: Aber das hat den Nachteil, dass man keine Verantwortung für das übernehmen muss, was man von sich gibt. Ich kann unter fünf verschiedenen Pseudonymen fünf verschiedene Meinungen abgeben – und immer noch weiß niemand, wer ich bin.
Annika Stenzel: Es sind existierende Debatten, die abgebildet werden. Die schränkst du enorm ein, wenn du auf Klarnamen bestehst.
Sven-Michael Veit: Es gibt schon Zeitungen, die genau das machen. Das stärkt die Seriosität und das Vertrauen der Nutzer in das Medium.
Herr Veit, es sind nicht die anonymen Leserkommentare, sondern einzig und allein die Artikel, die für Seriosität und Vertrauen der Nutzer in ein Medium verantwortlich sind. Anonyme Leserkommentare sind auch keine „Kinderkrankheit“, sondern ein Fortschritt: Nämlich fort vom herrschaftlichen Sender-Empfänger-Prinzlp und hin zu demokratischer Kommunikation. Die direkte Konfrontation mit dem Publikum mag für gestandene Journalisten schmerzlich sein, aber der Rückweg in den Elfenbeinturm ist versperrt. Eine fehlende oder eingeschränkte Kommentarfunktion ist mittlerweile ein Wettbewerbsnachteil. Wer das Kommentieren unmöglich machen will, kastriert sich selbst, denn oftmals liefern die Kommentare gewisse Zusatzinformationen, die dem Hauptartikel fehlen.
Diese finanzgesteuerte Gesellschaft beschränkt uns schon zu stark, als daß die Menschen freiwillig noch weitere Schranken inkaufzunehmen gewillt sind. Und Zeitungen sind in Zeiten sinkender Einkommen und steigender Lebenshsaltungskosten (sowie angeblich alternativloser Entscheidungen) sowieso nur purer Luxus. Ich jedenfalls bin heute weitaus besser informiert als zu den Zeiten, wo Radio, Fernsehen und Zeitungen die einzigen Quellen und zugleich Gate Keeper waren…