von 06.12.2012

taz Hausblog

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Zwischen den beiden taz-Redakteuren Annika Stenzel und Sven-Michael Veit liegt eine ganze journalistische Generation. Im Interview mit Jan Kahlcke offenbart sich, wie unterschiedlich die beiden die Zukunft der Zeitung sehen.

Annika Stenzel, Sven-Michael Veit, hat die Zeitung noch eine Zukunft?

Annika Stenzel: Bestimmt nicht als Print-Produkt. In zehn, fünfzehn Jahren wird die Tageszeitung nur noch im Internet stattfinden. Die gedruckte taz mag als Wochenzeitung funktionieren, mit schönen Hintergrundberichten und dem eigenen Zugang. Aber die Tageszeitung wird vom Internet überholt. Die Leser sterben aus, weil nur noch wenige Leute in meinem Alter Zeitungsabos haben.

Sven-Michael Veit: Ich würde zustimmen bei bestimmten Zeitungsformaten wie Boulevardblättern, wo die Menschen nur in kurzen Happen informiert werden wollen und ab 40 Zeilen überfordert sind. Aber die klassische Lokalzeitung wird bleiben, vor allem auf dem platten Land, weil die Leute keine andere Möglichkeit haben, zu erfahren, was in ihrem Gemeinderat passiert.

Annika Stenzel: Das können sie ja auch aufs iPad bekommen.

Sven-Michael Veit: Dort werden auch in 15 Jahren nicht alle ein iPad haben. Und die überregionalen Qualitätszeitungen können überleben, wenn sie deutlich mehr bieten als online. Online erfährt man, was passiert ist, und in der Zeitung, warum es passiert ist. Das ist die Chance, auch in 15 Jahren noch gedruckt zu werden.

Um möglichst lange gedruckt zu erscheinen, was müssen wir ändern? Mehr Häppchen? Oder mehr lange Riemen?

Sven-Michael Veit: Wir müssen Hintergrund-Informationen für die liefern, die mehr wissen wollen. Kurzmeldungen kriegt man aus dem Internet oder über Twitter.

Werden wir eine Essay-Sammlung?

Annika Stenzel: Nee, aber wir müssen Mehrwert liefern. Und gleichzeitig auch kurze Stückchen, die man schnell weglesen kann, weil sich nur noch wenige Leute hinsetzen und eine Zeitung von vorne bis hinten lesen.

Wenn wir das Nachrichtengeschäft im Internet abhandeln – müssen wir dann noch täglich erscheinen?

Annika Stenzel: Ich finde: nein.

Sven-Michael Veit: Ob wir das müssen, weiß ich nicht. Aber ich glaube nicht, dass das Internet in 15, 20 Jahren dieselbe Hintergrundqualität liefern kann wie die Zeitung. Deswegen wird es für politische Zeitungen und Wochenmagazine weiterhin einen Markt geben.

Annika Stenzel: Bei Wochenmagazinen widerspreche ich gar nicht. Ich glaube nur nicht an die Tageszeitung. Deshalb müssen wir uns online besser aufstellen. Es gibt eine Menge Leute, die sich nur noch über Twitter und personalisierte Newsdienste über die Dinge informieren lassen, die sie auch interessieren. Das ist auch ein Widerspruch zu dem, was Sven über das Lokale sagt: Du kannst dir einen News-Feed mit „Rendsburg“ einrichten, und da bekommst du dann eben alles, was Rendsburg betrifft, ohne überhaupt suchen zu müssen. Und die Leute interessieren sich auch gar nicht mehr für alles, was lokal läuft. Sie interessieren sich zum Beispiel nicht für Bildungspolitik, für Wohnungsbaupolitik aber schon. Dafür muss man kompakte Angebote schnüren, Dossiers etcetera.

Sven-Michael Veit: Da sind wir gar nicht auseinander. Aber ich bleibe romantischerweise dabei: Auch in 15 Jahren werden noch Tageszeitungen gedruckt werden in diesem Land.

Welche Rolle spielt Vertrauen?

Annika Stenzel: Das ist eine Generationenfrage. Die jungen Leute vertrauen der Marke taz und unterscheiden nicht zwischen der gedruckten Ausgabe und taz.de. Für die Älteren, die nicht damit aufgewachsen sind, ist das Internet vielleicht noch das schnelllebige, fehlerbehaftete Medium, was sie in der Zeitung nicht so sehen, weil sie es aber auch einfach gewohnt sind.

Hebt das Vertrauen in die Marke die taz aus dem Informationswust im Netz heraus?

Annika Stenzel: Das sieht man ganz deutlich bei den originären taz-Themen wie Atomkraft. Da kann es durchaus auch mal vorkommen, dass ein User 15-Mal am Tag auf taz.de geht, um den Liveticker zu lesen. Da kriegen wir dann Klicks, dass Spiegel Online hinten über fällt.

Sven-Michael Veit: Der Journalismus im Netz muss seriöser werden, und das wird er auch. Das Problem sind eher Blogs und vor allem die anonymen Leserkommentare. Das ist eine Kinderkrankheit, die abgebaut werden muss. Dann kann man im Netz noch mehr Vertrauen erwerben als bisher.

Ermöglicht nicht gerade die Anonymität im Netz eine niedrigschwellige und damit demokratische Teilhabe?

Annika Stenzel: Auf jeden Fall.

Sven-Michael Veit: Aber das hat den Nachteil, dass man keine Verantwortung für das übernehmen muss, was man von sich gibt. Ich kann unter fünf verschiedenen Pseudonymen fünf verschiedene Meinungen abgeben – und immer noch weiß niemand, wer ich bin.

Annika Stenzel: Es sind existierende Debatten, die abgebildet werden. Die schränkst du enorm ein, wenn du auf Klarnamen bestehst.

Sven-Michael Veit: Es gibt schon Zeitungen, die genau das machen. Das stärkt die Seriosität und das Vertrauen der Nutzer in das Medium.

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https://blogs.taz.de/hausblog/medienzukunft-ich-glaube-nicht-an-die-tageszeitung/

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kommentare

  • „Sven-Michael Veit: Der Journalismus im Netz muss seriöser werden, und das wird er auch. Das Problem sind eher Blogs und vor allem die anonymen Leserkommentare. Das ist eine Kinderkrankheit, die abgebaut werden muss. Dann kann man im Netz noch mehr Vertrauen erwerben als bisher.

    Ermöglicht nicht gerade die Anonymität im Netz eine niedrigschwellige und damit demokratische Teilhabe?

    Annika Stenzel: Auf jeden Fall.

    Sven-Michael Veit: Aber das hat den Nachteil, dass man keine Verantwortung für das übernehmen muss, was man von sich gibt. Ich kann unter fünf verschiedenen Pseudonymen fünf verschiedene Meinungen abgeben – und immer noch weiß niemand, wer ich bin.

    Annika Stenzel: Es sind existierende Debatten, die abgebildet werden. Die schränkst du enorm ein, wenn du auf Klarnamen bestehst.

    Sven-Michael Veit: Es gibt schon Zeitungen, die genau das machen. Das stärkt die Seriosität und das Vertrauen der Nutzer in das Medium.“

    Herr Veit, es sind nicht die anonymen Leserkommentare, sondern einzig und allein die Artikel, die für Seriosität und Vertrauen der Nutzer in ein Medium verantwortlich sind. Anonyme Leserkommentare sind auch keine „Kinderkrankheit“, sondern ein Fortschritt: Nämlich fort vom herrschaftlichen Sender-Empfänger-Prinzlp und hin zu demokratischer Kommunikation. Die direkte Konfrontation mit dem Publikum mag für gestandene Journalisten schmerzlich sein, aber der Rückweg in den Elfenbeinturm ist versperrt. Eine fehlende oder eingeschränkte Kommentarfunktion ist mittlerweile ein Wettbewerbsnachteil. Wer das Kommentieren unmöglich machen will, kastriert sich selbst, denn oftmals liefern die Kommentare gewisse Zusatzinformationen, die dem Hauptartikel fehlen.

    Diese finanzgesteuerte Gesellschaft beschränkt uns schon zu stark, als daß die Menschen freiwillig noch weitere Schranken inkaufzunehmen gewillt sind. Und Zeitungen sind in Zeiten sinkender Einkommen und steigender Lebenshsaltungskosten (sowie angeblich alternativloser Entscheidungen) sowieso nur purer Luxus. Ich jedenfalls bin heute weitaus besser informiert als zu den Zeiten, wo Radio, Fernsehen und Zeitungen die einzigen Quellen und zugleich Gate Keeper waren…

  • „Aber ich glaube nicht, dass das Internet in 15, 20 Jahren dieselbe Hintergrundqualität liefern kann wie die Zeitung.“

    Warum denn nicht? Ein Tablet-Computer ist nur ein anderes Trägermedium als toter Baum.

    Liebe Anja,
    eine „Generation von Scheuklappenträgern“? Ich stoße gerade auch im Netz immer wieder auf Themen, die mir zuvor kaum bewusst waren. Und zur Erinnerung: Auch eine Tageszeitung hat einen separaten Wirtschaftsteil, den ich weglegen kann, wenn ich meine, dass mich Wirtschaft nicht zu ineressieren braucht.

  • Jede Zeitung glaubt, mit ihren Informationen und Artikeln für die Welt erforderlich zu sein und etwas bewirken zu können. Ich wage mal die provokante These, dass Information heute eigentlich nur noch der Unterhaltung dient.
    Was nützen denn all die Artikel über Euro, Stuttgart 21, diverse Skandale. Letztlich ändert sich das Leben nicht, ob man eine Zeitung liest oder nicht. Einfluss auf irgendwelche politischen Entscheidungen hat man doch im Resultat nicht. Die politischen Parteien sind längst so nah zusammengerückt, dass selbst Wahlen nur noch geringfügige Korrekturen bewirken können. Die Richtung bleibt doch immer irgendwie gleich. Wird Stuttgart 21 nicht weiter gebaut, weil ein grüner Ministerpräsident oder ein grüner Oberstadtdirektor gewählt wurde?
    Die Krise der Tageszeitung ist das sichtbare Zeichen der Krise unserer Demokratie. Wenn ich als Bürger an den Entscheidungen beteiligt würde, dann hätte ich auch den Bedarf und das Interesse an grundlegenden täglichen Informationen. So wie es heute aussieht, reichen aber die zehn Kurzzeiler in Google News.
    Schaut doch nur mal die Startseite der TAZ von heute an. Nur Artikel über Skandale, Mißstände, Dinge, die schief laufen. Ist da irgendein Artikel, den ich wirklich brauche oder der etwas beschreibt, auf das ich Einfluß habe?
    Man verkauft auf Dauer nur das das, was der Kunde wirklich braucht oder zu brauchen glaubt. Und deshalb finde ich die Aussage, dass eine Wochenzeitung eher als eine Tageszeitung ein Zukunft haben könnte, gar nicht so abwegig. Wenn auch aus anderen Gründen. Die Tageszeitung von heute zeigt auf, wie schlecht die Welt von heute ist. Eine Wochenzeitung könnte zeigen, wie die Welt sein könnte, welche Möglichkeiten es für den Einzelnen gibt. Positives mit Gewinnchance verkauft sich (besser) als Negatives mit Verlustankündigung.

  • Moin!
    Ich glaube und hoffe, das eine kleine Anzahl Tageszeitungen die derzeitige noch einige Monate andauernde Neuordnung der analogen versus Digital-Medien, überleben können! Dabei helfen Alleinstellungsmerkmale wie Exlusiv-Mitgliedschaften;meint Club oder Genossenschaften etc; meint eine bewusste stolz zur Schau getragene Standpunkt bestätigende Tageszeitung die dann (wie eine Clubkarte) abonniert und vorgezeigt wird. Ausserdem ist die derzeit stark ausgeprägte Retro-Welle, hier die Sehnsucht nach dem Rascheln, dem Geruch und dem Gefühl beim Umblättern von Zeitungspapier zu berücksichtigen!

  • Die Ansichten von Herrn Veit zum Thema Klarnamen finde ich problematisch und sehr gefährlich. Dass gerade Diktaturen und repressive Apparate sich für Klarnamen im Internet einsetzen, sollte Herrn Veit eigentlich zum Denken anregen.

    Wahrscheinlich liegt hier der klassische Denkfehler vor, dass man sich einbildet, es würde keine Anonymität im realen Leben geben, sondern nur im Internet. Das ist natürlich Unsinn, denn im normalen Leben sind die Menschen zu den meisten Gelegenheiten anonym unterwegs. Es gibt nur eine sehr kleine Gruppe von Menschen, die meinen vollen Namen, meine Adresse oder und meine Privatsphäre kennen – dagegen treffe ich jedes Monat tausende Menschen, für die ich eine völlig anonyme Person XY bin.

    Der Großteil des realen Lebens findet in anonymen Städten statt, in denen Menschen untereinander genauso anonym sind. Wenn mich jemand auf der Straße anrempelt, weiß ich nicht, wer das war. Wenn mir jemand einen Vogel zeigt oder „schau nicht so blöd, du Volltrottel“ sagt, steht bei dem kein Namensschild auf der Stirn…..was ich damit sagen will: Die Anonymität ist keine Ausnahme, sondern die Regel im normalen Leben einer freien Gesellschaft – nur in Diktaturen ist es anders!

    Wer Klarnamen fürs Internet fordert, verkennt nicht nur die Lebensrealität, sondern geht deutlich über das hinaus, was in der realen Welt üblich ist: Wenn ich im normalen Leben aus dem Affekt meinen Arbeits-Kollegen „Du Arschloch“ an den Kopf werfe, kennt nur dieser meinen Namen und dass mir mal ein Schimpfwort rausgerutscht ist, bestenfalls ein paar unbekante Zuhörer am Nachbartisch. – ABER in der selben Situation im Internet würde ein „Du Arschloch“ gegenüber einem Kollegen nicht einfach nach ein paar Wochen vergessen sein, sondern mir faktisch für immer und lebenslang mit Klarnamen hinterherhängen und zudem würden nicht nur zwei Leute vom Nachbartisch wissen, dass ich das irgendwann mal gesagt habe, sondern ALLE Menschen auf der ganzen Welt mit Internetzugang könnten meine Aussage mit meinen Klarnamen Jahre später noch mir zuordnen.

    Ein einfaches „Du Arschloch“ gegenüber einem Kollegen in der realen Welt hätte tatsächlich wenig bis keine Konsequenzen, wenn man sich wieder verträgt oder den Job wechselt – ein „Du Arschloch“ im Internet unter Klarnamen-Zwang, würde jedem Menschen lebenslang nachhängen und könnte ihm 20 Jahre später noch einen Job kosten, wenn ein Personalchef vor einer Bewerbung den Namen im Internet sucht.

    Also so lange es kein „Vergessen“ oder einen „digitalen Radiergummi“ für das Internet gibt (und das wird es aus technischer Sicht wohl nie geben), sind Klarnamen im Internet nicht mit dem realen Leben vergleichbar, völlig weltfremd und zudem gefährlich.

  • „Dort [auf dem platten Land] werden auch in 15 Jahren nicht alle ein iPad haben.“

    Vor ein paar Monaten sah ich im Hochland von Sezuan auf über 3000 Meterns Höhe tibische Nomaden, in traditioneller Kleidung, auf Pferden Yaks vor sich hertreibend. Mit Tablet-PCs und Smartphones, um dabei mobil das Internet zu nutzen.

    Mit etwas Glück sollte es Deutschland in 15 Jahren schaffen, das heutige Niveau Chinas zu erreichen.

    Philipp

  • Das Scheuklappen „lesen“ ist allerdings auch nur ein Schutzmechanismus um von der Informationsflut nicht überwältigt zu werden.
    Ich für meinen Teil würde Artikel die ich Online nicht lese auch in gedruckter Form nicht lesen.
    Die „Vielfalt“ die sie meinen war damals wohl eher die Langeweile und die _Nicht_ Möglichkeit auf andere Informationsquellen zuzugreifen. Also hat man eben den uninteressanten Artikel auch gelesen.
    Das Problem hierbei ist: Die heutigen Medien sind alle tendenziell (die taz z.B. geh tendenziell nach Links) Will man nun aber einen Ausgewogenen Überblick über gewisse Themen haben sollte man sich zwingend auch die Konservativen Blätter Durchlesen, Nur wer hat soviel Zeit und Geld sich drei bis vier Zeitungen ins Haus zu holen?

  • Ach liebe „anja“,

    da kann die Welt ja froh sein, dass es Sie gibt, nicht wahr?

    Eine tugendhafte Generalistin meldet sich zu Wort und erklärt uns die Welt. Wie großartig! Ein wahres Vorbild für unsere verkommene Jugend!
    Das es solche Heldinnen der Allgemeinbildung noch gibt, schenkt uns Hoffnung. Rührend. Wirklich zutiefst rührend.

  • Das Schlimme ist, dass hier eine Generation von Scheuklappenträgern heranwächst. Nur noch das lesen, was einen interessiert? Nur noch danach suchen? Nie mehr über den Tellerrand schauen, Allgemeinbildung bekommen? Sich anregen lassen, inspirieren, beim Blättern durch eine Zeitschrift oder Zeitung? Sehen, was man noch nicht wusste? Auf Spannendes stoßen? Nein, „wer sich nicht für Bildungspolitik interessiert, für Wohnungspolitik aber schon“, der wird auch nie etwas anderes zur Kenntnis nehmen. Das ist die wahre Tragik. Lauter eindimensionale Spezialisten. Gute Nacht.

  • Ob es die Tageszeitung in 10-15 Jahren noch gibt oder nicht, das ist Glaskugellesen. Wir wissen es einfach noch nicht.
    Wahrscheinlich ist es schon, dass der Markt einbrechen wird und es mehr Monopolisierungen geben wird.
    Andererseits gibt es natürlich immer die Möglichkeit auf Marktveränderungen zu reagieren. Deshalb ist das einfach nicht vorauszusagen.
    Vielleicht gibt es dann Abo-Möglichkeiten, so dass man am WE die gedruckte Ausgabe bekommt und Werktags nur Schnippsel aufs i-Pad etc. Diese Debatte ist so auf jeden Fall zu eindimensional.

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