von 18.12.2012

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Bewährtes Versteck für Bekennerschreiben: Das Handschuhfach des taz nord-Chefs
Bewährtes Versteck für Bekennerschreiben: Das Handschuhfach des taz nord-Chefs
Von Magda Schneider, Kai von Appen und Peter Müller

Es gibt Briefe, die lösen in der Reaktion Freude aus, weil die Macher gelobt werden. Es gibt Briefe, die verärgern, weil sich die Kolleginnen und Kollegen zu Unrecht kritisiert fühlen. Dazwischen liegt eine Spezies von Schreiben, die beides beinhaltet. Freude und Ärger. Der sogenannte „Bekennerbrief“.

Freude deshalb, weil es uns ermöglicht, einen Blick auf die Motive hinter einer gesetzeswidrigen Aktion zu werfen, von denen die Polizei keinen blassen Schimmer hat. Ärger, weil vorprogrammiert ist, dass der Staatsschutz der Polizei die Redaktion ins Visier nehmen und mit allen Mitteln versuchen wird, an das Material zu kommen.

Seit Gründung der taz hamburg als linksalternativer Zeitung sind Unmengen Bekennerschreiben eingegangen: Von radikalen Feministinnen, die dem Patriarchat den Kampf angesagt haben, autonomen Gruppen, die das Staatsgefüge infrage stellen, Antifaschisten, die dem schleichenden Faschismus entgegentreten, antirassistischen Gruppen, die im Umgang mit Flüchtlingen Menschenrechtsverletzungen anprangern und von Tierschützern, die den Umgang mit den Tieren missbilligen. Sie schrieben uns alle.

In den achtziger Jahren war das Verfassen von Bekennerschreiben eine schwierige Sache. Mühsam sind sie mit Durchschlagpapier auf klapprigen Schreibmaschinen getippt worden, die anschließend entsorgt werden mussten. Später ging man zum Kopieren über, dann wurde mit Latex-Handschuhen hantiert, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen.

In der Redaktion herrschte Einigkeit darüber, dass wir uns nicht zu Hilfspolizisten machen lassen wollten. Denn ein Bekennerschreiben, das meist nicht von den Akteuren selbst stammt, hat rechtlich die gleiche Qualität wie von Informanten zugespieltes Material – es unterliegt dem Redaktionsgeheimnis.

Deshalb schafften wir uns einen fiktiven Redaktionskater an, der noch bei laufender Produktion die Briefe verspeiste – was wir auch in der Zeitung mitteilten. Das verschonte uns sicherlich von vielen unangenehmen Hausbesuchen. Zwar gab es damals nicht die DNA-Analyse, doch Spuren wie Faser-Reste und Fingerabdrücke wären sicher identifizierbar gewesen.

Es gab aber auch Ausnahmen: Als Neonazis einen Antifaschisten, der gegen rechtsextreme Infotelefone demonstrierte, schriftlich mit dem Tod bedrohten und ein IG Metall-Sekretär ins Visier der Ermittler geriet, haben wir uns zur Kooperation mit der Abteilung „Staatsschutz rechts“ entschlossen und ihm Material zur Verfügung gestellt. Wir sprachen auch mit den Staatsschützern und es schien, als freuten sie sich, dass einmal jemand mit ihnen redete.

Es gab aber auch Fehlschläge, was Geheimhaltung anging. So drangen 1999 zwei Staatsschützer vor einem großen Neonaziaufmarsch in das Büro einer Volontärin in der Hamburger Chemnitzstraße ein. Die hatte zuvor über einen Brandanschlag auf ein Busunternehmen berichtet, das Rechtsradikale zu Demos fuhr. Die Beamten fragten am Empfang so nach der Mitarbeiterin, als ob sie verabredet wären. Bevor die überrumpelte Frau überhaupt Rat einholen konnte, war das Bekennerschreiben zum Brandanschlag schon in den Händen der Fahnder verschwunden.

Aber auch erfahrene KollegInnen sind überrascht worden. So tauchte der Staatsschutz auch schon mal in Begleitung einer Staatsanwältin auf – wohl gemerkt ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss. Um sich unnötigen Stress zu ersparen, gab der damalige Redaktionsleiter das Schreiben heraus. Das war allerdings zuvor durch zahlreiche Hände gegangen und somit voller DNA-Spuren.

Wie wichtig Informantenschutz bei einer Zeitung sein muss, zeigt das Beispiel der Schanzenpark-Initiative. Ein Boulevardblatt gab 2006 eine Bekenner-Mail zu einer Sachbeschädigung an den Staatsschutz weiter. Der fand so heraus, von welchem Internet-Café aus die Mail geschickt worden war. Über eine illegal angebrachte Kamera wurde ermittelt, wer am betreffenden Tag vor Ort gewesen war und die Mail geschrieben haben könnte. Die Mitglieder der Initiative wurden daraufhin monatelang mit einem Großaufgebot widerrechtlich observiert.

Dass Bekennerschreiben begehrt sind, zeigen auch die Vorwehen des G8-Gipfels in Heiligendamm 2007. Nachdem es im Vorfeld zu Sachbeschädigungen gekommen war – unter anderen wurde der Mini-Cooper der Frau von Finanzstaatsrat Thomas Mirow abgefackelt – ordnete die Bundesanwältin Monika Harms an, die Post in ganzen Regionen zu überwachen. Dazu gehörte auch das Postamt Kaltenkirchener Platz. Millionen Briefe wurden – laut höchstrichterlicher Rechtssprechung widerrechtlich – kontrolliert, unter anderem auch die Post an die taz hamburg.

Auch heutzutage lässt der Staatsschutz nicht locker. Kürzlich lümmelten die üblichen Verdächtigen stundenlang vor dem taz-Gebäude an der Harkortstraße herum. Sie hofften vergeblich auf eine richterliche Anordnung, nachdem sie einen Bekennerbrief nicht bekommen hatten, den der Redaktionsleiter längst in seinem Auto verborgen hatte.

Auch die Farbattacke auf die Wohnung des damaligen Innensenators Ahlhaus (CDU) ließ der Polizei keine Ruhe. An einem Sonntagmorgen rief eine Staatsschutz-Fahnderin an, um nach telefonischer Absprache das Bekennerschreiben abzuholen. Zuerst gab sie sich zurückhaltend, sagte, sie sei ja nur der „Bote“ und klagte über „ihren verpatzten Sonntag“.

Als die Herausgabe verweigert wurde, wurde sie forscher. „Wie können auch mit einem Beschluss vorbeikommen“, drohte sie. Man erinnerte sie freundlich daran, dass Kollegen vom Bundeskriminalamt vor rund zwanzig Jahren gestrauchelt waren, als sie in der Redaktion nach einer Broschüre der „Roten Zora“ mit einem Bekennerbrief zu den Anschlägen auf eine Modehaus-Kette suchten.

Damals hatten sechs Karlsruher Fahnder die Räume im Nernstweg durchforstet. Dummerweise hatten sie sich jedoch vom Eingang her vorgearbeitet, wo Kultur- und Öko-Redaktion arbeiteten, und gaben noch vor der Politik auf, wo der Brief auf einem Schreibtisch lag. Dafür baten die Staatsdiener die taz-Redakteure, ihre Überstunden-Bescheinigung zu quittieren. Der Misserfolg der Kollegen überzeugte die Beamtin. Nach einem Kaffee und dem Eintreffen des taz-Anwalts durfte sie einen Blick auf den Brief werfen und ihre DNA-Spuren hinterlassen.

Neulich sind wir allerdings den Wünschen der Polizeipressestelle nachgekommen. Uns erreichte ein Bekennerschreiben zur Brandattacke auf die Rolls Royce-Zentrale im Hafen, bei der nur geringer Sachschaden entstand. Obwohl wir den Initiatoren durchaus Platz in unserer Zeitung eingeräumt haben, wurde das dem Inhalt nicht gerecht. Die „Autonome Gruppe selbstbestimmte Abrüstung“ schrieb nämlich vier Seiten, vom Kosovo-Krieg über die EU-Außengrenzen bis hin zur Rolle von Rolls Royce in der Rüstungsproduktion. Also haben wir die Erklärung als nicht identifizierbares PDF an die Pressestelle der Polizei weitergeleitet.

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https://blogs.taz.de/hausblog/bekennerschreiben-bei-uns-gibt-es-nichts-zu-holen/

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kommentare

  • Jekaterina says:

    Wie ein Polizeistaat sich anfühlt weiß ich selbst natürlich nicht, aber von Erzählungen meiner Eltern habe ich natürlich einige mitbekommen. Im Kommunismus zu leben ist nichts schönes. Weder in der Sowjetunion noch in der DDR war es schön zu leben, deshalb bin ich auch hier in Deutschland sehr stark gegen linke Gruppen, in meiner Heimat natürlich auch, die Kommunisten sind dort auch sehr stark.

    @dissident
    Ich will aber auch in Deutschland nicht in einem rechtsfreien Raum leben. Momentan ist es aber leider so. Was die taz nämlich macht finde ich erbärmlich. Anstatt zu versuchen Kriminalität aufzuklären wird das verhindert.

    Ja, damit unterstüzt die TAZ die Arbeit linksextremer Demokratiegegner.

    Gruß von eimem dessen Auto von Linksextremisten abgefackelt wurde.

  • @dissident: Und offensichtlich gilt das auch für reiche Europäer, siehe Depardieu.

    Dass ein Staatschef alleinig über die Vergabe der Staatsangehörigkeit entscheiden kann, zeigt, dass es mit der Demokratie in Russland nicht weit her ist.

    Ich bleibe dabei: auch wenn es natürlich auch in Deutschland so einige Mißstände gibt, aber der Willkür einer einzelnen Person möchte ich nicht ausgesetzt sein.

  • In Deutschland über rechtsfreie Räume zu jammern und gleichzeitig das damalige Elend in der DDR zu beklagen hört sich mir schwer nach Jammern auf höchstem Niveau an. Genau so stelle ich mir gelingende Integration vor. Willkommen in Deutschland!

  • @Jekaterina
    Ich würde ihr Beispiel als ein extremes im Zusammenhang mit extremen Linken nehmen. Ich würde es nicht auf alle „linken“ Gruppen extrapolieren. Die Frage stellt sich mir auch, warum sie sich an eine Partei gewendet haben. Selbsthilfegruppen & Polizei wären da wohl geeignetere Ansprechpartner.

    In Deutschland existieren eben auch links-liberale, links-demokratische Gruppen oder auch Gruppierungen „links der Mitte“ sowie freiheitlich Denkende – nicht mit dem kommunistischen System zu vergleichen – und ich denke, diese machen einen größeren Teil als die Extremen in der Bevölkerung aus. Die taz würde ich in dem Zusammenhang eben nicht zur extremen Linken rechnen.

  • Wie ein Polizeistaat sich anfühlt weiß ich selbst natürlich nicht, aber von Erzählungen meiner Eltern habe ich natürlich einige mitbekommen. Im Kommunismus zu leben ist nichts schönes. Weder in der Sowjetunion noch in der DDR war es schön zu leben, deshalb bin ich auch hier in Deutschland sehr stark gegen linke Gruppen, in meiner Heimat natürlich auch, die Kommunisten sind dort auch sehr stark.

    @dissident
    Ich will aber auch in Deutschland nicht in einem rechtsfreien Raum leben. Momentan ist es aber leider so. Was die taz nämlich macht finde ich erbärmlich. Anstatt zu versuchen Kriminalität aufzuklären wird das verhindert.

  • @Tim:
    Die russische Polizei knüppelt halt für ihre Oligarchen, als reicher Moskauer ist man sakrosankt, egal was man tut.
    Dass man, wenn man aus dieser rechtsfreien Situation plötzlich in einen Rechtsstaat kommt, kann das durchaus frustrierend sein…

  • @Jekaterina:

    In Moskau geht die „starke Polizei“ aber auch gegen unbescholtene Bürger vor, nur weil die politische, religiöse oder soziale Einstellung der Regierung nicht passt.

    Also dann doch lieber ein unaufgeklärter Sachschaden, als eine direkt vom Präsidenten beeinflusste Polizei, die sich nur am Rande für Menschenrechte interessiert.

    Aber man kann das natürlich so oder so sehen. Manche fühlen sich ja in einem Polizeistaat sehr wohl.

  • @moep

    Leider nicht, ich habe mich schonmal an die Linkspartei gewendet nachdem meine Mauer mit ausländerfeindlichen Parolen beschmiert wurde. Ich bin für die ja die Schuldige wenn sich Altberliner ihre Wohnungen nicht mehr leisten können. Auf der einen Seite freuen sich die Linken wenn Ausländer nach Deutschland kommen, aber leider nur über arme Ausländer, wenn jemand mit guten Einkommen kommt passt es denen dann aber nicht mehr.

  • @jekaterina
    die taz verindert doch keine ermittlungen, sie hält lediglich informationen zurück, die durch das redaktionsgeheimnis gedeckt sind und in verbindung zu politischen motiven stehen, wie es aus dem text zu lesen ist.
    als „linke“ zeitung würde sie zudem sicherlich solche informationen herausgeben, die ihren spezifischen fall betreffen – falls die täter so dumm sind, auf die zeitung zu zukommen. insbesondere wenn das motiv ein rechts orientiertes oder unpolitisches ist (wie es bei randalierern der fall ist).

  • Ich habe da gerade ein Déjà-vu.
    Habe ich diese Geschichte über Bekennerschreiben und die Redaktionskatze in der TAZ oder im taz-Blog vor ungefähr einem Jahr nicht schon einmal gelesen?

  • Ich bin selbst schon Opfer von einem Brandanschlag auf mein Auto geworden und finde es sehr traurig das die taz Ermittlungen dazu verhindert. Ich hätte da von der taz etwas mehr Zivilcourage erwartet. Gerade aus Ausländerin fühle ich mich in Berlin jetzt nicht mehr wohl. In Moskau wäre sowas nicht passiert, dort haben wir zum Glück eine starke Polizei die gegen Randalierer vorgehen.

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