Er gründete den Berlin-Teil der taz mit – obwohl er aus dem schwäbischen Bopfingen kam, er liebte die Debatte und scheute den Streit nicht, er wandelte sich vom Linksradikalen zum linksliberalen Bürger: Johann Legner. Ein Nachruf von Michael Sontheimer
Er trug gewöhnlich einen grünen Parka, steckte gerne die Hände tief in die vorderen Taschen seiner Jeans, zog seine Schultern hoch und hatte dabei eine Zigarette im Mundwinkel hängen. Johann Legner war 26, als er in den taz-Redaktionsräumen im West-Berliner Wedding auftauchte, 1980, ein Jahr nach der Gründung der linksradikalen Tageszeitung.
Sein Akzent und Tonfall verrieten schnell, dass er kein Berliner war, er kam aus Bopfingen, einem Städtchen zwischen Nürnberg und Stuttgart und hatte in Straßburg und West-Berlin Volkswirtschaft und vor allem Politologie studiert; am OSI, dem Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, dessen Studierende einen beachtlichen Teil der taz-Gründer stellten.
Johann hatte eine große Leidenschaft für Politik, ursprünglich wollte er Diplomat werden. Wie er viel später erfuhr wurde daraus deshalb nichts, weil er als linker Aktivist an der Uni ins Visier des Verfassungsschutzes gekommen war.
„Er gehörte zur realpolitischen Fraktion und im taz-Spektrum zum konservativen Flügel.“
Ende 1980 zählte er zu den Gründern des Berlin-Teils der taz. Er berichtete aus dem Rathaus Schöneberg mit einer Differenziertheit, der mancher der politischen Akteure nicht gewachsen war. Dabei zählte er zu den Journalisten, die Meinungen haben und mit denen nicht hinter dem Berg hielten. Er liebte die Debatte.
Eines Nachts zogen deshalb selbsternannte Antiimperialisten zu seiner Wohnung und warfen mit Steinen die Fenster ein. Johann hatte während des israelischen Feldzuges im Südlibanon darüber geschrieben, wie junge Juden in West-Berlin diesen Krieg wahrnahmen. Er hatte zum Glück anderswo übernachtet und konnte am nächsten Tag an der Wand des Hauses, in dem er wohnte, ein Graffitti lesen: “Liebe Nachbarn, hier wohnt das Zionistenschwein Johann Legner. Schmeisst ihn raus.”
Noch heute finde ich es beschämend, dass ein beachtlicher Teil der pro-palästinensischen taz-Redaktion damals die Solidarität mit Johann verweigerte. Er gehörte zur realpolitischen Fraktion und im taz-Spektrum zum konservativen Flügel.
Um die Zeit dieses Anschlages herum muß er das Glück gehabt haben, seine spätere Frau Sharona Zuriel kennenzulernen, eine Journalistin, deren Vater ein wichtiger Mann in der jüdischen Gemeinde zu Berlin war. Johann blieb Christ, aber wurde Berliner.
Nach fünf Jahren bei der taz wechselte er auf die andere Seite der Barrikade und heuerte als Sprecher bei der FDP-Senatorin Cornelia Schmalz-Jacobson an. Aus dem Linksradikalen war ein linksliberaler Bürger geworden. Zum Journalismus kehrte er 1990 zurück, zum TV-Magazin “Kontraste” des SFB, wo er Roland Jahn, Peter Wensierski und andere Kollegen kennenlernte, die kenntnisreich über die DDR und die deutsche Einheit berichteten. Er arbeitete dann als Chef vom Dienst beim privaten TV-Nachrichtenkanal n-tv, bevor er 1996 Sprecher von Joachim Gauck wurde, damals Beauftragter für die Stasi-Akten.
Geheimdienste und Akten waren ein Metier, das Johann lag. Er konnte vollkommen verschwiegen sein, aber er war auch im Geschäft mit Nachrichten und Dokumenten ausgesprochen versiert. Zusammen mit seiner profunden Bildung kam ihm das später als stellvertretender und kommissarischer Chefredakteur der Lausitzer Rundschau und als dapd-Korrespondent in Washington zugute. Erst in den letzten Jahren zog er sich aus dem Tagesgeschäft zurück und schrieb Bücher, zum Beispiel eine interessante Biografie über Joachim Gauck.
Und Johann war eine treue Seele. Unseren schwer erkrankten einstigen taz-Berlin-Kollegen und Freund Benedict Maria Mülder besuchte er beständig. Am Tag bevor Johann starb, nachdem er sich wegen Herzbeschwerden selbst ins Krankenhaus eingeliefert hatte, schrieb er an Benedict eine Mail, dass er drei Tage später operiert werde. Alles werde gut gehen. Er hatte schon zwei Herzinfarkte hinter sich.
Und es ging leider nicht alles gut. Johann Legner starb im Alter von 61 Jahren in der Nacht vom Freitag auf den Samstag vergangener Woche in Berlin.
MICHAEL SONTHEIMER – Mitglied des Kuratoriums der taz Panter Stiftung und Spiegel-Redakteur.
Titelbild: Johann Legner (2.v.l.) Ende der 80er Jahre in der taz-Redaktion mit KollegInnen; Foto: taz