vonhausblog 31.10.2018

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Seit dem Wochenende sorgt der Fall Adil Yigit für Aufregung. Die taz berichtete als erste, dass dem türkischen Journalisten eine Abschiebung drohe – und sie wurde dafür kritisiert, als sich herausstellte, dass Yigit laut Ausländerbehörde doch bleiben darf.

tagesschau.de kritisierte in ihrem Faktenfinder, dass die taz auf einen offensichtlichen Widerspruch in einem Schreiben der Hamburger Behörden nicht eingegangen ist. Ein Kolumnist des Tagesspiegel schrieb gar, Yigit verbreite Fake News in eigener Sache.

Wir dokumentieren daher im Folgenden den genauen Verlauf unserer Recherche, wieso es zu einem Missverständnis kommen konnte und welche Unsicherheiten es in dem Fall immer noch gibt.

Die Vorgeschichte

Ende September wurde Adil Yigit einem größeren Publikum bekannt. Er war der Journalist, der bei der gemeinsamen Pressekonferenz von Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan abgeführt wurde, weil er ein T-Shirt mit der Aufschrift „Pressefreiheit für Journalisten in der Türkei“ trug. Yigit betreibt seit vielen Jahren das regimekritische Onlinemedium Avrupa Postasi und schreibt gelegentlich auch für die taz. Schon beim G20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg wurde ihm, wie auch anderen Journalisten, aus unbekannten Gründen die bereits erteilte Akkreditierung entzogen. Er klagte deswegen zusammen mit anderen gegen das Bundespresseamt.

Yigit war Anfang der 1980er-Jahre nach Hamburg gekommen. Dort heiratete er eine taz-Redakteurin, bekam zwei Kinder mit ihr. Ursprünglich hatte er eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Nach einer Verurteilung 1996 wurde ihm diese entzogen, sie muss seither alle zwei Jahre erneuert werden.

Im November 2017 teilte ihm die zuständige Abteilung des Bezirksamtes Hamburg-Mitte mit, dass sie beabsichtige, seine Aufenthaltserlaubnis nicht zu verlängern. In dem Schreiben hieß es zur Begründung: Die laut Aufenthaltsgesetz notwendige Lebensgemeinschaft mit seinen deutschen Kindern bestehe nicht. Und er sei nicht erwerbstätig.

Der aktuelle Fall

Am Freitag, 26. Oktober 2018, bekommt Yigit von seinem Anwalt Michael Spielhoff eine Mail. Der Anwalt schreibt, es gebe schlechte Nachrichten, der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei abgelehnt. Angehängt ist ein Schreiben des Bezirksamtes Hamburg-Mitte.

Unter dem Titel „Verfügung (Versagung)“ heißt es darin, dass sein Antrag abgelehnt wurde. Und weiter: „Sollten Sie nicht bis zum 22.01.2019 (Fettung im Original, Anm. der Red.) ausgereist sein, wird Ihnen hiermit nach § 59 AufenthG die Abschiebung ins Heimatland (Türkei) angedroht.“

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Schießlich folgt der ebenfalls gefettete Satz: „Nach Eintreten der Bestandskraft dieses Bescheides wird Ihnen einen Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt.“

In einer ausführlichen Begründung wird auf der vierten Seite des Schreibens nochmals erklärt: „Unter besonderer Berücksichtigung Ihrer langen Aufenthaltszeit im Bundesgebiet und damit einhergehender Integration wird Ihnen, nach Eintritt der Bestandskraft dieses Bescheides, eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt.“

Direkt im Anschluss und bis zum Ende des Schreibens heißt es jedoch wieder: „Für den Fall, dass Sie Ihrer gesetzlichen Ausreisepflicht innerhalb der gesetzten Frist nicht nachgekommen sein sollten, wird Ihnen hiermit nach § 59 Abs. 2 AufenthG die Abschiebung ins Heimatland (Türkei) angedroht“. Dem Schreiben ist eine „Grenzübertrittschbescheinigung“ beigefügt, die Yigit bei seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet der Polizei oder einer Auslandsvertretung der BRD abgeben soll.

Yigit und sein Anwalt verstehen das so, dass ihm die Abschiebung droht. Yigit wendet sich an die taz.

Die erste taz-Recherche

Eine Autorin der taz nord versucht vergeblich den Anwalt zu erreichen.

Um sich rückzuversichern ruft sie beim Bezirksamt Hamburg-Mitte an, das das Schreiben verschickt hat, und fragt, ob Yigit abgeschoben werden soll. Die Sprecherin des Amtes kennt den Fall, will sich aber beim Abteilungsleiter des „Fachbereich Ausländerangelegenheiten“ rückversichern. Das tut sie nach eigenen Angaben und gibt eine Stunde später an, dass Yigit nach dem Ausländerrecht keine Möglichkeit habe, eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Es gebe für ihn aber noch den Rechtsweg. Und: Yigit sei asylberechtigt. Er bekomme bestimmt Asyl. Sie will aber nicht zitiert werden, aus datenschutzrechtlichen Gründen.

Dass Yigit in dem Schreiben tatsächlich ein Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen erteilt wird und somit keine Abschiebung droht, erwähnt die Sprecherin des Amtes nicht. Die Asylfrage war in dem Schreiben des Amtes nicht thematisiert worden.

Am Samstag berichtet die taz in ihrer Nord-Ausgabe in dem Text „Erdogan-Gegner soll in die Türkei zurück“ über den Fall. Yigit, heißt es in dem taz-Artikel, sei überzeugt, dass er mit der Abschiebung für seine Vergangenheit bestraft werden soll.

Im Laufe des Wochenendes berichten auch andere Medien sowie die Nachrichtenagentur dpa mit dem gleichen Tenor.

Die zweite taz-Recherche

Am Montag, 29. Oktober, rechechiert die taz erneut den Fall. Ein taz-Redakteur telefoniert mit Florian Käckenmester, dem Sprecher der zentralen Ausländerbehörde der Stadt Hamburg, die die Fachaufsicht über die für Ausländer zuständigen Abteilungen der Bezirke hat. Käckenmester sagt, dass es ein „Missverständnis“ sei, dass Yigit am 22. Januar abgeschoben werden solle:

„Tatsächlich ist dieses Datum im Bescheid als Frist für das Verlassen der Bundesrepublik angegeben. Allerdings handelt es sich dabei um eine Formalität, die bei der Ablehnung eines Aufenthaltstitels angegeben werden muss.“ Denn die Aufenthaltsgenehmigung aus humanitären Gründen kann laut § 25 (5) Aufenthaltsgesetzt erst erteilt, wenn der Betroffene eigentlich ausreisepflichtig ist.

Die Autorin der taz-Nord telefoniert erneut mit der Sprecherin des Bezirksamtes. Die Sprecherin sagt, dass was sie am Freitag gesagt habe, damals ihr Sachstand gewesen sei und dass ihr nichts bezüglich der möglichen Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen (§ 25 Abs. 5 AufenthG) mitgeteilt worden sei – obwohl dies in der Verfügung an Yigit auftauchte. Die Sprecherin sagt, dass dieser Bescheid für Laien schwer zu verstehen sei und es für die humanitäre Aufenthaltserlaubnis formal eine Ablehnung brauche.

Die taz berichtet über diese Entwicklung in dem Text „Journalist will kein Flüchtling sein“, der erstmals Montagabend online erscheint. Darin heißt es, „am Montag rudert die Hamburger Ausländerbehörde zurück.“ Und: „Yigit führt diese Erklärung der Behörde auf öffentlichen Druck zurück“.

Gegenüber der Nachrichtenagentur epd räumt auch der Sprecher der zentralen Ausländerbehörde ein, dass das rechtliche Verfahren für Außenstehende schwer zu verstehen sei.

Die Nachrichtenagentur dpa zieht ihren Bericht über den Fall zurück. „Die Folgen des Bescheids wurden nicht komplett berücksichtigt“, schreibt die dpa.

Nachbetrachtung der taz-Berichterstattung

Auch in beiden taz-Texten wird nicht klar, dass die Hamburger Behörden Yigit bereits im ursprünglichen Schreiben eine Aufenthaltsgenehmigung aus humanitären Gründen erteilt hat. Das ist ein Fehler.

Das Schreiben des Bezirksamts Hamburg-Mitte ist sehr missverständlich. Zudem stellt sich am Dienstag nach erneuter Rückfrage bei den Hamburger Behörden heraus, dass ihre Schilderung gegenüber der taz am Freitag nicht korrekt waren.

Der Anwalt von Adil Yigit, Michael Spielhoff, erklärt am Dienstag: Der Bescheid sei widersprüchlich und in dieser Form unüblich. In 40 Jahren als Anwalt habe er so ein Schreiben nicht gesehen. Die Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen hätte auch erteilt werden können, ohne dass mit der Abschiebung gedroht wurde.

„Wenn dieser Bescheid rechtskräftig wird, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Behörden versuchen, Yigit abzuschieben – auch wenn man das gerichtlich anfechten könnte“, sagt der Anwalt. Schließlich sei seinem Mandaten auch eine Grenzübertrittbescheinigung ausgehändigt worden, die er bei der Ausreise an der Grenze abzugeben habe.

Yigit und sein Anwalt wollen in jedem Fall Widerspruch gegen den Bescheid einlegen. Er beharrt darauf, dass er nach über 35 Jahren in Deutschland nicht nur aus humanitären Gründen ein Bleiberecht haben möchte.

Von VOLKAN AGAR, ALI ÇELIKKAN und GEREON ASMUTH, taz Redakteure

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