vonHelmut Höge 10.07.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Hausmeister halten sich – im Gegensatz zu Aushilfshausmeistern – gerne Bienen. Auf der derzeit blühenden taz-Dachterrasse lebt eine Hummel – die für den Garten dort verantwortlichen nennen sie Emma. Auch Wladimir Kaminer, der gerade ein Buch über seinen Pankower Schrebergarten schreibt, kommt immer wieder auf Hummeln zu sprechen, die ihm freier als die (staatenbildenden) Bienen zu sein scheinen. Seine Tochter Nicole verfaßte daraufhin sogar einen Hummelrap. Neulich fand auf der Dachterrasse mal wieder eine taz-Abschiedsparty statt, ich glaube, es war wegen Silke aus dem Vertrieb, die für ein Jahr nach Holland geht, um dort ihr Kapitänspatent zu machen, es kann aber auch wegen Petra gewesen sein, der Chefredaktionsassistentin, die demnächst ihren Pilotenschein macht. Auf alle Fälle meinte eine mir unbekannte Frau auf der Dachterrassen-Party, dass diese Location sehr gut zum Aufstellen ihrer Bienenkörbe geeignet sei. Ich gab zu bedenken, dass dort wegen des beschissenen Öko-Hochhauses der US-Wohnungsbaugesellschaft GSW nebendran immer ein starker Wind wehe. Sie erwiderte jedoch, dass das ihren Bienen nichts ausmachen würde. Dennoch meldete sie sich nie wieder bei der taz. Dafür erfuhr ich jedoch, dass es in der besonders grünen Stadt Berlin von Imkern und Imkerinnen nur so wimmeln würde. Darüberhinaus gibt es hier auch noch, und das schon lange, eine starke Bienenforschung.
An der FU ist es das Institut für Tierphysiologie und Angewandte Zoologie unter der Leitung des Neurobiologen Professor Randolf Menzel. Dort ist auch ein Imkermeister beschäftigt. Wenn die angehenden oder schon angegangenen Wissenschaftler ihn allzusehr mit Fachfragen bedrängen, sagt er – etwas spöttisch: „Ihr seid doch die Bienenenforscher.“
Diese Bemerkung deutet auf einen alten Konflikt zwischen Kopf- und Handarbeiter hin, der spätestens in der Renaissance seinen Anfang nahm – als aus dem Handwerkerstand das neue besitzlose Proletariat erwuchs, dessen Kraft nur noch als Kollektiv existierte. Aber vereinzelt auch die ersten Künstler und Wissenschaftler daraus hervorgingen, die vom Verkauf ihres (infolge der Waffenproduktion und des Festungsbaus sich stürmisch entwickelnden naturwissenschaftlich-technischen) Wissens lebten – und zwar nicht selten an Handwerker, die sie damit mehr und mehr zu bloßen Ausführern machten, weswegen man bald stets, wenn sie sich dagegen auflehnten, einen (gebildeten) Anführer dahinter vermutete.

Gestört wurde daneben auch die Beziehung zwischen denen, die mit Pflanzen umgehen – arbeiten (Bauern, Kleingärtner, Kräutersammler, z.B.) und denen, die sie erforschen: den Botanikern. Diese Trennung von Theorie und Praxis, von Experten und Laien, Berufenen (Profis) und Amateuren (von Amator – jemand, der liebt ohne Gegenliebe zu verlangen), – das war am Anfang der Disziplin noch anders. Einer der ersten systematischen Naturforscher, Aristoteles, schöpfte noch ausgiebig aus dem Wissen der Bauern, Winzer, Fischer, Jäger, Imker und Viehzüchter. Gleiches gilt dann wieder für die frühen deutschen Forscher – die Äbtissin Hildegard von Bingen und Paracelsus z.B., die das Wissen von Kräuter- und Heilkundigen sammelten. Umgekehrt verfaßte aber auch noch der Straßburger Fischer Leonhard Baldner 1966 ein Vogel- und Fischbuch, in dem laut Adolf Portmann erstmalig die Paarung von Libellen geschildert wurde. Aber die Trennung war nicht aufzuhalten. Bis dahin, dass die brandenburgische Regierung 2005 es allen Landbewohnern in toto verbot, Kräuer- und Blätter zu sammeln, um sie verarbeitet oder unverarbeitet weiter zu verkaufen: Dies sei nur Botanikern und Pharmazeuten – mithin der Chemieindustrie! – erlaubt. Diese Pflanzen und Pflanzenteile waren bis dahin das letzte in der so genannten Natur gewesen, das man noch als „Gemeinbesitz“ bezeichnen und nutzen durfte.

Im Pariser Jardin des Plantes tat sich daneben bereits Ende des 18. Jahrhunderts eine neue Spaltung auf – in der Wissenschaft selbst, die sich in der Funktion eines Professors, der dozierte, und eines „demonstrateurs“, der zeigte, institutionalisierte: als Vertreter einer deduktiv-spekulativen und einer empirisch-induktiven Methode. Ihr Streit wurde bisweilen offen ausgetragen: Während z.B. der Professor Bourdelin seine Vorlesung mit den Worten beendete: „…Wie Ihnen der Herr Demonstrateur durch seine Experimente sogleich beweisen wird“, begann der Demonstrateur Rouelle, er wurde später Mitbegründer der Chemie in Frankreich, mit den Worten: „… Alles, was der Herr Professor gesagt hat, ist absurd und falsch, wie ich Ihnen sogleich beweisen werde.“

Gegenüber den Laien oder Facharbeitern und ihrer Praxis ist das Verhältnis der Wissenschaftler und Theoretiker nicht selten von Ignoranz geprägt. Selbst wenn es beide schließlich in einer Person betrifft. So berichtete z.B. der gelernte Melker und spätere Diplomagraringenieur Hanns-Peter Hartmann: „Ich studierte dann an der Hochschule für LPG in Meißen. Meine Abschlußarbeit hieß ‚Vorschläge zur Erweiterung und rationelleren Nutzung moderner Milchproduktionsanlagen‘. Für die Note 1 oder 2 mußte man eine noch nicht ins Deutsche übersetzte sowjetische Arbeit als Quelle benutzen. Ich fand eine von Admin und Savzan aus dem russischen Versuchsbetrieb Kutusowska, in der es u.a. darum ging, den Färsen zwei mal täglich die Euter zu massieren: das würde die Milchleistung später um ca. 1 Liter täglich erhöhen. Als Praktiker nahm ich diese Empfehlung jedoch selbst nicht ernst: Wer hätte dafür Zeit gehabt, allen Färsen die Euter zu massieren und wieviel das gekostet hätte – dieses zwei mal tägliche Als-Ob-Melken?! Außerdem standen die meisten Färsen in den sogenannten Chrustschowschen Offenställen, in denen sie frei herumliefen: Da wär man gar nicht so ohne weiteres an die rangekommen.“

Daneben treten die Experten und Profis insgesamt gegenüber den Laien auch manchmal allzu pädagogisch auf – und werden unverschämt, wie sich z.B. dem Werbezettel der „Pilzberatung“ des Botanischen Gartens an der FU entnehmen läßt: „Stolz präsentieren die Sammler ihre Funde, und neugierig sind sie, was der Nachbar im Korb trägt. Mit ihren Kenntnissen wollen sie imponieren oder einfach dazulernen. Selten kommt noch einer mit der Bitte, nur Eßbares aus einem wüsten Sammelsalat auszusortieren…Pilzberatung muß zur Entzauberung beitragen.“

Vielleicht hat diese Einstellung sogar die Facharbeiter im Botanischen Garten nach und nach demotiviert: Im „Führer“ steht, dass nach dem Zweiten Weltkrieg, mit dem Wiederbeginn normaler wissenschaftlicher Grundlagenforschung, die Zeiten vorüber waren, in denen die Gärtner mehr oder weniger selbständig Um- und Neupflanzungen vornehmen konnten. Wie ist das zu verstehen? fragte ich vor einiger Zeit den Wissenschaftler Dr. Zepernick, der im Botanischen Museum des Gartens arbeitet, wo auch unser großes Vorbild, der Weddinger Antifaschist Oskar Huth, während des Krieges als Botanischer Zeichner untergekommen war. Dr. Zepernick meinte: „Diese Entwicklung begann eigentlich schon nach dem Ersten Weltkrieg. Ich weiß nicht warum, aber es ist früher so gewesen, dass die Gärtner teilweise auch noch wissenschaftlich gearbeitet haben. Es gibt z.B. verschiedene Werke, die von einem Gärtner herausgegeben worden sind und vom Obergärtner bzw. vom Gartendirektor. Ob die Gärtner keine Lust mehr haben, oder ob sie von den Wissenschaftlern übern Mund gefahren worden sind … Aber es ist eigentlich schade. Unser gegenwärtiger oberster Gärtner, der ist von Hause aus genaugenommen Techniker, der kümmert sich z.B. um Wegebau und dergleichen. Darüber hält er auch Lehrveranstaltungen ab an der Fachhochschule für Gartenbau. Dass der keine Pflanzen beschreibt, ist verständlich. Aber es sind ja noch eine Reihe von Gärtnermeistern da. Darunter kommen dann die Reviergärtner, dann die Gärtner und dann die Gartenarbeiter – das sind insgesamt etwa 200 Leute. Von den Wissenschaftlern hält manchmal jemand einen Vortrag, da kommen dann daneben auch noch Studenten hin. Sehr gute Vorträge macht übrigens Herr Ern, der ist Pflanzengeograph und Ornithologe und beschäftigt sich schon seit langem mit dem Gebiet der Save, das ist ein Fluß in Jugoslawien. Aber ansonsten ist das alles nicht so doll, also ich meine: es kommt nicht so oft vor.“ Wenn ich das richtig verstanden habe, haben die Botaniker hier das Gespräch mit den Gärtnern abgetrennt und in Form einer Belehrung institutionalisiert, wobei dieses „Geschäft“ nun von beiden Seiten immer lustloser betrieben wird. Auf der anderen Seite hatte auch der neue Direktor den früher regelmäßig stattfindenden „Jour Fixe“ mit seinen Wissenschaftlern, an einem runden Tisch mit Kaffee und Gebäck, gerade abgeschafft – was Dr.Zepernick sehr bedauerte.

Im Starnberger Institut für Verhaltensforschung – zu Zeiten von Konrad Lorenz und seines Nachfolgers – nahm auch der Tierpfleger noch regelmäßig an den Gesprächsrunden der Wissenschaftler teil. Auch hier scheint dann aber eine Trennung erfolgt zu sein. Vermutlich hing die Zusammenarbeit an den Personen, wie man so sagt. Dass die Hand- und Kopfarbeiter sich generell immer weiter voneinander entfernen, hängt aber nicht zuletzt auch mit den Wissenschaftskonjunkturen zusammen, denen die Forschungs- und ihre Finanzierungsfragen folgen (müssen). Sowie auch mit den für die Experimente entwickelten und immer teurer werdenden Hightech-Geräten in den Labors. Damit bewegen sich die Forscher längst „unterhalb einer Sichtbarkeitsgrenze“, bei der ihnen die anderen schon allein aus Kostengründen nicht mehr folgen können. In den Labors hat man es vor allem mit immer mehr Daten zu tun, die interpretiert werden müssen.

Laut dem „Pressedienst Wissenschaft“ und anderer Internetseiten wollten die Berliner Bienenforscher von Professor Menzel zuletzt herausbekommen, wie die Bienen Informationen aus beiden Hirnhälften miteinander verarbeiten, wobei es primär um ihre Orientierung anhand von Düften ging: „Bienen können dreidimensional riechen“, entnahm ich einem Zwischenbericht. In einem anderen Projekt wurde eine Methode entwickelt, „mit der man selektiv die Ausgangssignale des Antennallobus messen kann.“ Bei diesem „Integrationszentrum der Duftwahrnehmung“ von Insekten, wie es auch genannt wird, „können Input- und Output-Signale … miteinander verglichen werden, was Aufschluß gibt, welchen Beitrag die verschiedendsten Hirnzellenarten der Biene im Antennallobus bei der Duftverarbeitung leisten.“ Der Biologietheoretiker an der FU Werner Backhaus beschäftigt sich mit den „Gegenfarbenneuronen“, die vor einiger Zeit auch bei Bienen entdeckt wurden. Es geht ihm dabei um die Frage, ob auch Bienen Elementarfarben sehen, aus denen ihre Farbeindrücke bestehen: „Sehen sie also wirklich Farben oder funktionieren sie eher wie Roboter, bei denen ein bestimmter Reiz nur eine Vielzahl komplizierter elektrischer Impulse auslöst, deren Gesamtheit am Ende eine Reaktion zur Folge hat?“ heißt es dazu in einem Beitrag von Thomas Fester.

Wie ich feststellen konnte, interessieren diese und ähnliche materialistisch-reduktionistische Fragestellungen, die auf Veröffentlichung in „Science“ oder „Nature“ hoffen können, zwar auch die Imker, aber gleichsam nur am Rande – flüchtig. So schwärmte z.B. die Kreuzberger Imkerin Rita Besser mir gegenüber von einer ganz anderen Dreidimensionalität bei den Fühlern der Bienen: „Sie können damit nicht nur riechen, sondern auch hören und tasten.“

Im übrigen machen die Handarbeiter ihre Erfahrungen manchmal fast unbeabsichtigt. So wie ein Kollege des Schriftstellers Bohumil Hrabal in der Altpapiersammelstelle von Prag, der ständig mit den von der Regierung verbotenen sowie aussortierten Büchern zu tun hatte – und dabei „gegen seinen Willen,“ wie er sagte, „gebildet wurde“. Einige Handarbeiter (oder Praktiker) sind anscheinend sogar völlig immun gegen das Wissen, das im Laufe der Zeit für ihre Branche oder Passion angehäuft wurde – z.B. die Jäger. Der Zürcher Zoodirektor Heini Hediger bemerkt – in einem Kapitel über Kaninchen in seinem Buch über die Tierwelt der Alpen: „Das Freileben dieser interessanten Nager ist erst in den letzten Jahren erforscht worden. Auch hier hat es sich gezeigt, dass das Jagen im Grunde wenig Gelegenheit zum Beobachten bietet, die Kaninchenjagd schon gar keine. Ein Schuß, selbst ein Meisterschuß, ist eben niemals Beginn, sondern stets das Ende einer allzu kurzen und meist nicht sehr vielsagenden Beobachtung.“ Während der leidenschaftliche Jäger und Angler Paul Parin als Psychoanalytiker, aber auch Naturforscher behauptete, die Jagd habe zumindestens für seinen Vater eine soziale Funktion gehabt, die seiner ganzen Familie zugute kam, schreibt Leo Trotzki, der zwar auf dem Land aufwuchs, aber sich nie sonderlich für „die Natur“ interessierte – in seiner Autobiographie: „Das Verlockende der Jagd besteht darin, daß sie auf das Bewußtsein wie das Senfpflaster auf eine kranke Stelle wirkt…“ Er ging sogar während seiner kasachischen Verbannung auf die Jagd und im daran sich anschließenden Istanbuler Exil bat er sogleich seine Deutschübersetzerin, ihm von Berlin aus eine besonders reißfeste Angelschnur aus England zu besorgen. Bei Trotzki dienten die Tierbeobachtungen implizit, bei Parin explizit der eigenen Triebabfuhr bzw. -entspannung, die im geglückten Schuß bzw. Fang sich entlädt. Genau umgekehrt war es lange Zeit bei den Naturforschern, die erst ganz am Schluß ihr Beobachtungsobjekt erlegten – und dann zerlegten. In der modernen Molekularbiologie steht die Umwandlung ihrer „Modellorganismen“ in bloße Biomasse dagegen oft am Beginn der Forschung – wenn z.B. für einen Versuch zentnerweise Rattenlebern herausgeschnitten werden, um sie hernach zellfrei zu zentrifugieren.

Um die sich immer mehr auftuenden Kluft zwischen Praktikern und Theoretikern, Laien und Experten, Amateuren und Professionellen zu überbrücken, ist der Wissenschaftsjournalismus angetreten – bis hin zum „Discovery Channel“ und den „Hobby-Zeitschriften“, wie etwa die deutschen „Reptilia, „Draco“ und „Koralle“, in der grob gesagt Arbeiter genauso wie Akademiker ihr gesammeltes Wissen über Reptilien, Amphibien, Insekten, Korallen etc. veröffentlichen, daneben auch noch in Hochglanz-Monographien. Darin ist wirklich „kein einziges Merkmal, das nicht gleichzeitig real, sozial und narrativ wäre“, wie es Bruno Latour in bezug auf die Werke der Ethnologen sagt, die – egal, wo man sie hinschickt, „immer mit einem einzigen Bericht“ zurückkommen. „Den Mut, in der Fremde zu vereinheitlichen, haben sie jedoch nur, weil sie bei sich zu Hause sauber trennen.“ In diesem Fall ist es die Abtrennung des Hobbys vom Beruf, wobei sich unter den Reptilienfreunden aber auch viele finden, die ihr Hobby zum Beruf gemacht haben und umgekehrt. Im Editorial der Zeitschrift „Koralle“ wünscht sich der Chefredakteur eine engere Zusammenarbeit zwischen Aquarianern und Wissenschaftlern: „Dadurch bekäme das Hobby Meeresaquaristik eine noch wichtigere Funktion, denn kein Wissenschaftler der Welt kann das leisten, was Tausende engagierter Aquarianer als ‚Freizeitbiologen‘ in unzähligen Stunden an Beobachtung einbringen, mit einem Miniatur-Korallenriff in ihrem Wohnzimmer.“ Sein Vorschlag läuft auf eine gemeinsame Arbeitsgruppe hinaus, dabei leistet die Zeitschrift bereits so etwas Ähnliches – und das auf hervorragende Weise, wobei es allerdings merkwürdig oder eben noch typisch warenförmig ist, dass die alte Trennung zwischen Laien und Experten ausgerechnet im Konsumenten aufgehoben wird.

Daneben gibt es zwischen Wissenschaftlern und Praktikern aber auch eine kalte Verachtung. Auf einer Verkaufsveranstaltung einer Pharmafirma über ein neues Mittel gegen Bienenkrankheiten entwickelte sich eine kurze Diskussion zwischen dem wissenschaftlichen Referenten und einem Imker. Dieser hatte über seine Erfolge mit einem bestimmten „Kräutermix“ und die dafür selbst konstruierte Technik zu ihrer Anwendung berichtet – welche das zuvor angepriesene neue, aber teure Mittel entbehrlich machen würden. Der Referent im weißen Kittel tat dies mit einer Handbewegung ab: „Ja, ich weiß,“ sagte er lächelnd, „was da in den Imkereien manchmal so zusammengebraut- und gebastelt wird.“ Alles lachte mitwisserisch – und der Imker – in grauem Kittel – schlich wütend und beschämt aus dem Saal.

Umgekehrt erzählte die Weddinger Imkerin Ramona Mai, der 2002/2003 fast die Hälfte ihrer Bienenvölker einging, dass sie die Stöcke in der Nähe von Mais- und Rapsfeldern aufgestellt hätte, deren Saatgut mit einem starken Gift gebeizt worden war. Nachdem sich ihr Mann mit dem dabei verwendeten Pflanzenschutzmittel näher befaßt und darüber auch mit französischen Imkern korrespondiert hatte, besaß sie genug Beweise für ihren Anfangsverdacht, „dass diese Mittel für Bienen schädlich sind“. Auf den Einwand, dass das Bieneninstitut Hohen Neudorf, wo sie zu DDR-Zeiten noch ihre Ausbildung als „Tierwirtin mit der Spezialisierung Imkerei“ absolviert hatte, einen solchen Zusammenhang zwischen der Saatbeize und dem Bienensterben für nicht eindeutig belegt halte, antwortete Ramona Mai: „Sehen Sie, die Institute müssen von irgendwas leben. Die Forschung über Schädlinge, vor allem die Varroa-Milbe, ist eine wichtige Geldquelle. Gerade Hohen Neuendorf kriegt Millionen dafür, dass sie die Milbe erforschen. Wenn die jetzt plötzlich kein Problem mehr wäre – was ist denn dann mit dem Institut?“

Dies legt nahe, dass die Forscher nicht dafür bezahlt werden, dass sie die Vergiftung durch Saatgut-Beize nachweisen, sondern eher die Bienen resistent dagegen zu machen versuchen. Die Vergiftung ihrer Völker stellte sich der Weddinger Imkerin so dar: „Die Bienen sind auf dem Feld, verlieren die Orientierung und finden nicht mehr zurück. Am Stock stellt man nur fest: Die Völker werden schwächer, entwickeln sich nicht, brüten wie verrückt und haben trotzdem keine Bienen oder die Bienen kommen nicht mehr zurück. Im Sommer füttern sie die Brut mit verseuchten Rapspollen, und die Jungbienen sind vergiftet und schwach, wenn sie auf die Welt kommen. Als wir mit unseren Stöcken im Oderbruch noch in die Sonnenblume wanderten, war es besonders schlimm. Dort sind Mais- und Sonnenblumenfelder gebeizt.“

Meine eigenen Recherchen ergaben später: Es handelte sich dabei wahrscheinlich um die Präparate Imidacloprid bzw. Fipronil in den Pestiziden „Gaucho“ von Bayer und „Regent“ von BASF. Beide wurden auf Druck der Nationalen Union der Französischen Imker (UNAF) Anfang 2004 in Frankreich verboten, später auch in Deutschland. Die BASF protestierte gegen das Verkaufsverbot ihres Produkts: Bei „sachgerechter Anwendung“ (das genaue Gegenteil von „Zusammenbrauen und -basteln“) bestehe „kein Risiko für Bienen“, meinte der Konzern in einer Presseerklärung. Bereits 2005 – ein Jahr nach dem Verbot – hatten die Imker jedoch „wieder Bienenvölker wie vor der Gaucho-Ära,“ teilte der UNAF-Präsident Henri Clément der „Le Monde“ mit. Um zu beweisen, dass diese Pestizige für „Verhaltensstörungen bei den Bienen und für das Bienensterben“, das 30-50% der Völker dahinraffte, verantwortlich waren, hatten sich die französischen Imker mit Bauern sowie Chemielaboranten zusammengetan – in einer Art „Kompetenzteam“. Letzere sind in der Branchenorganisation der Basisgewerkschaft SUD aktiv, die sich nicht nur um Lohn- und Arbeitsplatzprobleme, sondern auch um Produktfragen kümmert – u.a. deren Umweltverträglichkeit betreffend. In den Forschungs- und Entwicklungslabors der Industrie bzw. der Universitäten sind die Chemielaboranten so etwas wie die Handarbeiter der Laborleiter und -wissenschaftler: Sie werden von ihnen zwar mehr als die Doktoranden gehätschelt, bekommen jedoch im Falle eines mißlungenen Experiments als erstes deren arbeitgeberlichen Zorn zu spüren. Wenn dagegen alles gut läuft, sind die Forscher sofort verschwunden, um auf irgendwelchen Konferenzen darüber zu referieren, wie der französische Wissenschaftsforscher Bruno Latour meint. Nur wenigen Einrichtungen gelingt es, die Trennung von Hand- und Kopfarbeit in ihren Arbeitskollektiven zu überwinden.

Berühmt war dafür einmal das Wiener Vivarium, dessen Amphibienpfleger Albert Weiser das Herz und die Seele des Instituts war. Aber auch der dortige (lamarckistisch-inspirierte) Forscher Paul Kammerer galt als ein begnadeter Amphibienzüchter, dessen wissenschaftliche Abhandlungen jedesmal lange und für die Biologen irritierende Ausführungen über die Haltung und Pflege seiner Versuchstiere enthielten. Ein derartiger „Geist“ der gegenseitigen Annäherung wurde ansonsten vor allem in den sowjetischen Forschungs- und Entwicklungslabors gepflegt. Noch 1996 traf ich am Baikalsee auf ein Kollektiv von Atomphysikern, die dort im See mittels Photomultipliern Neutrinos „angelten“ – und dabei z.B. einige Wissenschaftler abgestellt hatten, die sich in Irkutsk um Verpflegung, Transport, Bettwäsche und dergleichen zu kümmern hatten – jedoch weiterhin als Autor der wissenschaftlichen Publikationen des Forschungskollektivs in Erscheinung traten. Was die beteiligten ostdeutschen Atomphysiker, die gerade erst vom Westen übernommen worden waren, schon ziemlich „irre“ fanden. Am Baikal war diese Arbeitsteilung noch so neu, dass sie noch nicht vollständig vollzogen war – und zudem bloß den Finanzproblemen der postsowjetischen Forschung geschuldet, von denen man hoffte, dass sie nur vorübergehend seien. An sich ist die Arbeitsteilung in der Sowjetunion sogar noch weitergehender als im Westen gewesen, sie wurde jedoch mit den Kollektiv- und Brigade-Systemen gleichsam überklammert. Zudem verpflichtete der „wissenschaftliche Sozialismus“ und vor allem die Ideologie von den Arbeitern als der herrschenden Klasse mindestens zu einer gewissen Kollegialität zwischen Kopf- und Handlangern, wobei letztere oftmals mehr verdienten als erstere. Dieses Prinzip wurde nach der Wende sofort abgeschafft: Mindestens die ostdeutschen Atomphysiker verdienen heute fünf mal so viel wie deutsche Arbeiter; im Vergleich zu den vor Ort rekrutierten „Hilfskräften“ ihres Baikalprojekts sogar mehr als hundert mal so viel.

Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Westberliner alternative „tageszeitung“, die 1978 einen „Einheitslohn“ für Kopf- und Handarbeiter beschloß und zudem „Setzerbemerkungen“ in den Texten zuließ. Beim Westberliner Tagesspiegel, wurden dagegen die Redakteure in den Sechziger- und Siebzigerjahren bei ihrer Einstellung regelrecht darauf verpflichtet, sich im Falle eines Streiks der Drucker und Setzer nicht mit ihnen zu solidarisieren. In der DDR hat man nach neuen Formen der Kooperation zwischen ihnen gesucht: Für Westler war es immer wieder spannend mitzuerleben, wie sich dies von Fall zu Fall gestaltete – wenn z.B. einige Reisekader aus dem Osten mit ihrem Chauffeur hier in einem Hotel abstiegen: Was für merkwürdige Eiertänze die Funktionäre um den Arbeiter aufführten – an der Bar und im Frühstücksraum. Im Maße die Fahrer und andere Dienstleister selbständiger und selbstbewußter wurden, änderte sich dieses Verhältnis auch im Westen. Inzwischen gibt es schon ganze Forschungsberichte z.B. über den seltsamen Umgang von Westberliner Akademikern mit ihren polnischen Putzfrauen – auch von polnischer Seite.

Die Berliner Imkerin Ramona Mai bekam bereits mit zehn Jahren ihre ersten Völker zur Pflege: von ihrem Vater, und durfte – „ganz wichtig“ – den Gewinn aus dem Honigverkauf behalten. „Das war zu DDR-Zeiten eine lukrative Sache“. Nach der Wende gaben dagegen viele Imker auf: Es lohnte sich nicht mehr. In Ramona Mais Familie werden schon seit fünf Generationen Bienen gezüchtet. „Ich saß bereits mit drei Jahren bei meinem Vater und seinen Stöcken, nur in meinem Spielhöschen. Meine Mutter war immer völlig aufgelöst, aber das sind meine schönsten Kindheitserinnerungen.“ Nach ihrer Ausbildung als Imkerin studierte sie jedoch erst einmal „Saat- und Pflanzgut“ und wurde Agraringenieurin. Danach arbeitete sie als Buchhalterin in einem Büro. Nach der Wende schulte sie sich zur Steuerfachgehilfin um. Erst als sie sich dann neu verheiratete – und ihr aus Frankreich stammender Mann einen Käsehandel eröffnete, machte auch sie sich selbständig: als Imkerin. Mit ihren derzeit 25 bis 30 Völkern ist es immer noch ein Nebenerwerb für sie: „Erst ab 100 Völker gilt man als Berufsimker“. Wie diese verrät sie dem Interviewer (*) jedoch ebenfalls nicht, wieviel Honig sie im Jahr produziert: „Das erzähle ich noch nicht einmal meinen Imkerkollegen. Bei den Anglern ist es genau andersherum: Die Fische werden immer größer, bei uns Imkern werden die Honigmengen immer kleiner. Schon in den Büchern geht dieses Tiefstapeln los: Glaubt man den Angaben, braucht man mit Bienen gar nicht erst anzufangen, weil es sich nicht lohnt. Wegen der Verschwiegenheit der Imker kommt man übrigens auch beim Thema Völkerverluste nicht zu Potte. Niemand gibt gerne zu, dass ihm Völker wegsterben.“

Die Kreuzberger Imkerin Rita Besser erzählte mir dagegen gerne, wieviel Honig ihre zwei Bienenvölker produzieren, die für ein kleines Halbliterglas 2,5 Millionen Blüten anfliegen müssen: „Etwa 30 Kilogramm ernte ich im Jahr, wobei ich den Bienen einige Kilo, drei oder vier Waben, lasse sowie den ganzen Pollen – für den Winter. Das ist bestimmt gesünder für sie, als wenn ich ihnen stattdessen Zucker hinstellen würde, wie es üblich ist. Den meisten Honig verbrauche ich selber, ich backe auch damit, den Rest verkaufe ich – hier im Haus, damit die Mieter auch was von meinen Bienen haben.“ Rita Besser hat seit zehn Jahren Bienen. Einmal, als sie im Urlaub war, verlor sie einen Schwarm, ein andern Mal schwärmte die Königin aus und es war keine neue mehr im Stock: „Sie war wohl auf ihrem Hochzeitsflug verschütt gegangen. Man kann den Arbeiterinnen auch einige Eier in die Königinnenzellen legen, aus denen sie sich dann mit Gelee Royal-Fütterung eine neue groß ziehen, das geht aber nur mit höchstens drei Tage alten Eiern und ich hatte es zu spät bemerkt. Im Neukölln kaufte ich mir dann bei einem Imker eine neue Königin, der züchtet die. Man hängt sie erst eingesperrt in einem kleinen Gitterkäfig in den Stock. Der hat zwei Öffnungen, die mit Honigteig verstopft sind, den die Bienen wegfressen müssen, damit die Königin raus kann. Es geht dabei darum, dass die Bienen sich erst einmal an die neue Königin gewöhnen müssen, sonst würden sie sie totstechen.“ Im übrigen passiert Rita Besser das mit dem Urlaub zur falschen Zeit nicht noch einmal: „Ich weiß jetzt, wenn die anfangen, Waiselzellen zu bauen, für neue Königinnen, dann schwärmen sie 14 Tage später. Und das kann man ein bißchen steuern: Entweder indem man die Waiselzellen abbricht oder indem man eine neue Zarge mit neuen Waben oben drauf stellt – dann haben sie erst mal wieder Platz für neue Trachten.“

Rita Besser kam über eine Heilpraktikerinnen-Ausbildung, bei der sie sich auf Pflanzenheilkunde spezialisierte, zur Imkerei: „Mein Lehrer hatte mehrere Völker und an den Bienen fand ich so toll, dass es absolute Sonnentiere sind, ihr ganzer Tagesablauf wird vom Licht bestimmt – und dass sie vollkommen auf Blumen bzw. Blüten orientiert sind.“ Als ein Freund von ihr nach Honduras auswanderte, kaufte sie ihm seine zwei Völker ab, die sie auf dem Dach ihres Mietshauses aufstellte. Im Neuköllner Imkerverein, dessen Mitglied sie dann wurde, lernte man sie an, und zwar dessen Vorsitzende Erika Geiseler, die ihre Völker im Knüllwald stehen hat, wo sie ein Bienenmuseum leitet. Davor betreute sie die Bienen in der „Ökolaube“ des Britzer Gartens – zuletzt auf ABM-Basis. Sie schreibt außerdem für das „Deutsche Bienen-Journal“, das sich „Forum für Wissenschaft und Praxis“ nennt. Einmal drehte sie auch einen kurzen Film über Bienen – zur Aufklärung in Schulen. Diesen Film hat Rita Besser später den Kindern in ihrem Mietshaus vorgeführt, um ihnen die Angst vor den Insekten zu nehmen, „die schon mal den Himmel über den Hinterhof verdunkeln können, wenn sie schwärmen. Ein Schwarm landete mal am Fabrikschornstein gleich nebenan. Wenn im Herbst die Blütenstetigkeit der Bienen nachläßt, dann fliegen sie auch den wilden Wein an der Hausmauer an: der summt dann ein paar Tage lang richtig.“

Ein andern Mal bemerkte sie eine seltsame Verhaltensänderung bei ihren Bienen: „Sie wurden immer aggressiver, im Winter ist mir dann ein Volk eingegangen.“ Die Ursache dafür sieht sie darin, dass eines Tages ein Mobilfunk-Sendemast auf dem Dach des Nachbarhauses errichtet wurde. Ihr Mann der eine Ausbildung als Baubiologe macht, beschäftigte sich näher damit. Er meint: „Ihre Fühler wirken wie Antennen, das macht die Bienen verrückt. Die Stöcke standen ja nur 10 Meter Fluglinie entfernt von dem Mast – das war zu nahe. Die können von den elektromagnetischen Wellen sterben“. Obwohl die Industrie das abstreitet, gibt eine Broschüre des Kreuzberger Stadtteilausschusses mit neuen Forschungsergebnissen über diesen Elektrosmog ihm das recht, sie heißt: „Informationen zu Mobilfunk und UMTS“. Die Autoren berufen sich u.a. auf den neuseeländischen Wissenschaftler Neil Cherry, der meint, dass die Strahlung die elektrischen Vorgänge im Körper – auch von Menschen, durcheinander bringen: „Die Handys werden innerhalb der nächsten 10 bis 20 Jahre mit hoher Wahrscheinlichkeit die Fallzahl vieler neurologischer Krankheiten sowie der Gehirntumore ansteigen lassen.“

Rita Besser entschärfte das Problem für die Bienen kurzerhand, indem sie ihre Völker in den Hinterhof stellte, wo die Strahlung nicht mehr so stark ankommt: „Die Feldstärke eines elektromagnetischen Feldes im freien Raum nimmt mit dem Quadrat des Abstands zur Sendeantenne zu,“ heißt es dazu in der e.e. Broschüre. „Auch die Hauswände haben eine abschwächende Funktion“, meint Rita Besser, „ich mußte jedoch erst mal ausprobieren, was die Mieter dazu sagen.“ Sie schenkte ihnen Honig und kaufte einige Bienen-Bücher für die Kinder. Niemand hat sich beschwert.“ Dennoch pachtete sie dann einen Schrebergarten in Treptow und stellte ihre zwei Stöcke dort auf. Seitdem lebt sie sozusagen getrennt von ihren Völkern – ähnlich wie Ramona Mai, deren Stöcke bei Oranienburg stehen: „Wir haben dort einen tollen Standort gefunden. Es ist alles da, was wir brauchen: Frühlingsblüte, Raps, Robinien und Linde. Je nach Tracht kann man alle zwei, bis drei Wochen den Honig ernten, dann ist die Kiste voll. Natürlich versuchen wir, nach einer Blütephase zu leeren, damit wir reinen Sortenhonig bekommen. Bienen sind sehr blütenstet. Wenn’s eine Blüte reichlich gibt, fliegen sie die auch bevorzugt an. Deshalb bestäuben sie auch so gut. Stellt man seine Stöcke zum Beispiel auf eine Obstbaumwiese und alles blüht, dann fliegen sie von Apfelblüte zu Apfelblüte.“ Die Baumbesitzer haben auch was davon: „ihre Früchte werden dadurch größer als durch Windbestäubung“, wie Rita Besser, aber auch die Obstbauern im Alten Land bei Hamburg wissen.

Während Ramona Mai behauptet, dass die meisten Imker ältere Männer über 60 sind, bekommt man bei den Erzählungen von Rita Besser den Eindruck, dass fast nur jüngere Frauen sich für Bienen interessieren: In ihrem Schrebergarten, in ihrer Straße am Görlitzer Park, in der Manteuffelstraße, in der Waldemarstraße – überall leben Imkerinnen in Kreuzberg, obwohl gerade dieser Bezirk die wenigsten Grünflächen hat. Die Bienenhalter dort kennen sich und helfen sich mit Geräten (z.B. einer Honigschleuder) aus. Und die Feuerwehr verschenkt hier gerne von ihr eingefangene Schwärme – an „Starter“. Es gibt allein drei Kinderbauernhöfe in diesem Bezirk, in dem die „alternative Scene“ immer noch gut vertreten ist – und sich seit den Siebzigerjahren besonders um die Sanierung der Altbausubstanz sorgt, wobei fast alle Hinterhöfe üppig – also bienenfreundlich – begrünt wurden. Zudem hat man dann auch noch aus dem riesigen Gelände des zerstörten Görlitzer Bahnhofs einen Park gemacht. Das reduzierte jedoch erst einmal die seit dem Krieg dort entstandene Artenvielfalt. Inzwischen sind die neuangepflanzte Bäume und Sträucher aber alle gut angewachsen, an den Straßen stehen außerdem überall Linden und Kastanien. Diese werden auch von Rita Bessers Bienen gerne angeflogen, „sie beginnen jedoch mit den Weiden und Robinien im Park und zuletzt fliegen sie die Balkonblumen an. Jetzt in unserer Treptower ‚Kolonie Vogelsang‘ haben sie mehr Frühlingsblumen als blühende Bäume, aber Obstbäume gibt es dort auch. Meine Nachbarin fand den Honig früher besser – wegen des Geschmacks der Lindenblüten vor allem. Nun gibt es jedoch keine eindeutige Zuordnung zu einer Blütenart mehr bei meinem Honig. Am Besten schmeckt uns der frische erste Honig, der im Mai geerntet wird, wir machen da jedesmal ein kleines Fest draus.“

Ramona Mai erzählt: „Die erste Tracht – also das erste reichliche Nahrungsangebot – ist die Obstblüte, dann folgt der Raps. Das eigentliche Bienenjahr beginnt erst im Juli. Ab dann bereiten sich die Völker auf den Winter vor und produzieren Winterbienen. Eine Sommerbiene lebt nur sechs Wochen, aber die Tiere, die die kalte Zeit überstehen müssen, schaffen vier Monate. Gleichzeitig produziert das Volk Honig als Vorrat, das ist Blütennektar, den die Biene in ihrer Honigblase transportiert und in Waben eindickt.“ Um zu verdeutlichen, was die Bienen ihr außer Honig noch geben, wählt sie „ein Beispiel: Anfang des Jahres war ich stark erkältet, fühlte mich total mies. Dann, zum Saisonstart, konnte ich endlich wieder an die Bienen. Der herrliche Geruch! Bei den Bienenvölkern riecht es ganz intensiv nach Propolis. Diesen Kittharz, der antibakteriell ist, sammeln die Tiere an Knospen von Kastanien oder Pappeln und dichten damit die Ritzen in ihrem Stock ab. Der Geruch hat mir wahnsinnig gut getan, die Erkältung war schnell weg.“

Rita Besser meint, dass die Bienen eines Stockes den Geruch der Königin annehmen, und dass diese auch den Charakter ihres ganzen Volkes bestimmt: „ist sie aggressiv, sind die Bienen es auch.“ Wegen der „extremen Riechfähigkeit“ der Bienen nehme sie zur Geruchsbeseitigung, z.B. von Waben, bevor sie diese in einem anderen Stock verwendet, Thymiantee, „weil die aus dem Nachbarstock sonst denken, das sind ihre Waben und darüber herfallen. Der Thymian überdeckt den Geruch und wird gleichzeitig von ihnen gemocht. Der neue Rahmen wird trocken gemacht – und damit sauber – er ist dann erst für die Eier der Königin bereit, und gleichzeitig ist der Tee eine brauchbare Flüssigkeit für die Arbeiterinnen zum Trinken. Ansonsten lege ich in heißen Sommern einen nassen Schwamm in die Nähe der Stöcke. Jetzt in Treptow haben wir im Garten einen kleinen Teich. Ab und zu fällt da mal eine Biene rein. Ich rette sie dann immer, damit sie die anderen Bienen warnt, am Wasser aufzupassen. Sie sind nämlich lernfähig. Das sieht man z.B. an den Pollenfallen: Damit der Imker in den Besitz der Pollen kommt, verkleinert er das Einflugloch so, dass sie nach ihren morgendlichen Pollenflügen diesen beim Durchschlüpfen in das enge Loch von den Beinen abstreifen. So ist es gedacht, aber die Bienen lernen schnell, wie sie, wenn sie ganz vorsichtig erst das eine Bein und dann das andere mit hineinnehmen, den Pollen nicht verlieren. Sie brauchen den für die Brutaufzucht.“

Rita Besser arbeitet mit Rauch, wobei sie den Rat des Imkers im Botanischen Garten beherzigt, der ihr sagte, sie solle Rainfarn zum Verbrennen nehmen, dessen Rauch sei am Besten. „Das Interessante an der Räucherei ist: Erst denken die Bienen, es brennt – und werden nervös, dann fressen sie sich aber schnell mit Honig voll – auf Vorrat, und werden so träge, dass sie nicht mehr so schnell stechen. Wenn ich aber zu lange am Stock rumarbeite, dann werden sie doch mit der Zeit wieder unruhig.“

Da sie sich aber die Bienen „primär wegen ihrer Begeisterung für diese Tiere“ angeschafft hat, sitzt sie am Liebsten einfach vor den Stöcken und beobachtet die Fluglöcher – „da ist viel zu lernen; ich habe auch ein Buch, das heißt ‚Am Flugloch‘. Wenn z.B. die Bienen keine Pollen mehr bringen, dann kann es sein, dass die Königin gestorben ist. Oder die Drohnenschlacht, die muß auch erfolgen: Wenn die Bienen im Herbst die Drohnen noch immer nicht aus dem Stock geschmissen haben, dann heißt das höchstwahrscheilich auch, dass die Königin tot ist. Und dann sieht man das mit den Wespen – wie sie deren Angriffe abwehren. Wenn die Wespen es schaffen, den Stock zu plündern, dann ist das Volk zu schwach – und kommt wahrscheinlich sowieso nicht über den Winter. Aber man kann ihnen helfen, indem man im Herbst das Flugloch verkleinert, das erschwert den Wespen ihre Angriffe: Ein kleines Loch können die Bienen besser verteidigen. Einen Varroamilben-Befall kann man auch sehen – ein deutliches Anzeichen sind verkrüppelte Flügel. Unser Verein hat im übrigen einen staatlich bezuschußten Ausgleichsfond für Verluste durch Varroabefall. Im Mitgliedsbeitrag ist außerdem eine Haftpflichtversicherung enthalten – die ist aber eher dafür, falls mal ein Passant gestochen wird und umfällt.

Ramona Mai behauptet: „Für viele Imker ist Entspannung die Hauptsache, Honig nur das Nebenprodukt. Sie halten sich Bienen, weil sie die Tiere lieben, so wie andere sich Kaninchen halten. Der Honig ist Abfall und wird so behandelt: Er wird erwärmt, in Gurkengläser abgefüllt, ohne Etikett, überhaupt nicht liebevoll. Manche erhitzen ihn sogar über 40 Grad, der Zucker karamellisiert und der Honig sieht dunkel aus. So wird aus jedem Honig ein Waldhonig. Der Kunde findet das toll, kauft aber letztlich wertlose Pampe. Wir stehen mit unserer Imkerei ‚Maiblume‘ auf Wochenmärkten, unser Hauptverkauf ist Samstags der Kollwitzplatz im Bezirk Prenzlauer Berg. Aber der Absatz bricht ein, die Leute geben eben nicht mehr so viel für Lebensmittel aus. Deshalb probieren wir jetzt etwas Neues aus, im Naturschutzgebiet Schorfheide. Mein Mann hat in Büchern ein 150 Jahre altes System der Bienenhaltung entdeckt. Bienen in freier Wildbahn leben ja in hohlen Bäumen und kleiden sie von oben nach unten mit Waben aus. Das kann man mit Holzkästen nachbauen. Unten schiebt man ab und zu ein leeres Fach drunter, oben nimmt man die mit Honig gefüllten Fächer ab. Die Bienen sind völlig sich selbst überlassen. Mit diesem Honig wollen wir in die Bio-Läden – auch als Rückversicherung für den Fall, dass die anderen Völker wegen der Beizmittel auch sterben.“ Als „hohe Kunst des Imkerns“ bezeichnet sie die Trennung der Honigsorten. Zwar sind die Bienen blütenstet, aber wenn sie „zum Beispiel zu Robinienhonig, der eigentlich flüssig ist,nur ein bißchen Raps sammeln, der sehr schnell auskristallisiert, dann wird der Honig fest.“ Hier muß man dann versuchen, „ordentlich zu trennen“.

Rita Besser hat bereits Erfahrungen mit diversen Bienenkrankheiten gesammelt: „Einmal war die Amtstierärztin schon bei mir – wegen ‚Faulbrut‘, das ist eine übertragbare Krankheit: die Brut verfault dabei in den Zellen. Sie war 2003 in Neukölln ausgebrochen. Meine zwei Völker waren aber zum Glück gesund, sonst hätte man sie vernichten müssen. Dann die Varroa – aus Amerika: Damit haben heute alle Imker zu tun, das sind kleine Milben, die saugen die Bienen aus, schon die Larven. Im Spätsommer muß man dagegen einen ‚Nassenheider Verdunster‘ in die Stöcke stellen, der funktioniert mit Ameisensäure: Die Dämpfe betäuben die Milben, sie fallen von den Bienen ab – in eine Schale, die mit Vaseline eingestrichen ist, damit sie kleben bleiben. Im Winter 2004/05 sind viele Bienen daran gestorben, bei mir jedoch kaum welche. Aus Afrika kommt der kleine Beutenkäfer, der ist neu: Dessen Larven zerfressen die Bienenzellen und minimieren dadurch die Brut. Den habe ich aber noch nicht gehabt. Eher harmlos ist dagegen die Wachsmotte: Die stiehlt sich in den Stock zu den leeren Zellen, wo die Larven ausgeschlüpft sind und frißt die Häutchen, mit denen die Zellen von den Bienen ausgekleidet wurden. Diese Motten hatte ich schon mal: Dann muß man die befallenen Waben einschmelzen. Den Bienen tut die Motte nichts, es ist nur lebensmittelhygienisch – für uns also – unangenehm.“

In Spanien, dass hinsichtlich der Bienenzucht führend in Europa ist (es gibt dort 26.000 Imker, davon 6000 hauptberufliche), sind seit 2004 fast 40% der Völker eingegangen. Im Frühjahr 2005 demonstrierten 3000 Imker vor dem Landwirtschaftsministerium, wo man ihnen die Finanzierung zweier Imkereizentren zur Untersuchung des Bienensterbens versprach. Die Imker sind davon überzeugt, dass fipronil- und imidaclopridhaltige Pflanzenschutzmittel die Ursache dafür sind. Bereits 1999 waren in der Nähe von Valencia 14 Millionen Bienen an einem Insektizid der Firma Reva eingegangen. Bisher sind das noch alles „reine Hypothesen“, meinte der angesehene Zoologe der Universität Cordoba Francisco Puerta. Er geht davon aus, dass die Ursachenforschung für das neuerliche Bienensterben mindestens drei Jahre dauern wird. Die Imker, denen der Billighonig aus China schon das Geschäft schmälert, bangen, ob bis dahin von ihren 2,5 Millionen Bienstöcken überhaupt noch welche übrig bleiben. Das gilt auch für die Bauern, denen die Bienen z.B. den Ertrag eines Sonnenblumenfeldes um 65% steigern können.

In Deutschland beteiligten sich zur gleichen Zeit etliche Imker an Aktionen gegen Freilandversuche mit genetisch behandeltem Saatgut, vor allem Mais – in dem sie ebenfalls eine Bedrohung für ihre Bienenvölker bzw. deren Honigproduktion sehen. Die Initiativen namens „Gendreck-weg“ veranstalten u.a. Aktionscamps und so genannte Feldbefreiungen. Einer der Hauptinitiatoren in Süddeutschland ist der Tübinger Imker Michael Grolm. Zusammen mit dem Imkermeister Jürgen Binder kündigte er 2005 an, Genmaispflanzen von einem Feld in der Nähe von Strausberg in Brandenburg herauszureißen. An ihrer „Feldbefreiungs-Aktion“ beteiligten sich etwa 300 Gentechnik-Gegner, woraufhin die Staatsanwaltschaft Tübingen den beiden Initiatoren vorwarf, öffentlich zu Straftaten aufgerufen zu haben. Für Michael Grolm ist das eine glatte Tatsachenverdrehung: „Politik und Konzerne setzen uns und unsere Landwirtschaft dramatischen Risiken aus. Straftäter sind doch nicht die, die dagegen aktiv werden.“ Zu seinem Gerichtsprozeß erschien er mit einem Bienenvolk: „Wir haben viele stichhaltige Argumente gegen die Agro-Gentechnik!“, sagte er, „sie krabbeln hier im Bienenstock und fliegen draußen auch die manipulierten Pflanzen an. Genmaispollen verunreinigen meinen Honig. Darüber hinaus gefährdet Gentechnik die Existenz von Millionen von Bauern in aller Welt, die Gesundheit der Konsumenten und die Zukunft unserer Ernährung.“ Die Genkritiker nahmen den Prozeß zum Anlaß, um weitere Aktionen anzukündigen: im Juli 2006 wollen sie u.a. ein Genmaisfeld bei Zehdenick nördlich von Berlin „befreien“. Zu den Risiken der Agro-Gentechnik, auch und gerade in bezug auf die Honigproduktion, sollte vor Gericht ein „Sachverständiger“ gehört werden, die Vorsitzende verzichtete jedoch auf dessen Befragung, mit der Begründung, dass sie die Richtigkeit der Argumentation der Angeklagten nicht bezweifeln würde. Desungeachtet verurteilte sie die beiden Imker dann zu Geldstrafen, diese kündigten daraufhin an, in Berufung zu gehen. Michael Grolm erklärte: „Wenn ich erneut verurteilt werde, werde ich für diese Sache auch ins Gefängnis gehen. Es steht zu viel auf dem Spiel!“ Eine wissenschaftliche Studie aus Bayern, die die „unabhängige bauernstimme“ im Juli 2006 vorstellte, kommt zu dem Schluß, dass die Bienen auch jetzt schon die Felder mit Genmais anfliegen – bis zu 5 Prozent der von ihnen gesammelten Blütenpollen stammte von gentechnisch veränderten Maispflanzen. Als tierisches Produkt ist solch ein „versuchter Honig jedoch nicht kennzeichnungspflichtig.

Der wunderbare Insektenforscher Maurice Maeterlinck war nicht nur (um 1900) einer der ersten, der sich nach langer Zeit bemühte, die Wissenschaft und das Leben wieder prospektiv eng zu führen, er forderte auch dazu auf, in der Stadt Bienen zu züchten – zu eigenem und deren Nutzen und Frommen. Er ließ sich dazu einen speziellen Bienenstock bauen: „Einen Beobachtungskasten“ – d.h. „ein Bienenstock mit Glaswänden und schwarzen Vorhängen oder Läden. Die besten sind die, welche nur eine einzige Wabe enthalten, sodass man sie von beiden Seiten beobachten kann. Diese Kästen lassen sich ohne weiteres und ohne jede Gefahr in einem Wohn- oder Arbeitszimmer aufstellen, vorausgesetzt, dass sie einen Ausgang nach draussen haben. Die Bienen meines Beobachtungskastens, den ich in Paris in meinem Arbeitszimmer habe, tragen selbst in der Steinwüste der Großstadt genug ein, um zu leben und fortzukommen.“ Bei genauer und andauernder Beobachtung – nicht nur eines Volkes, sondern einzelner Bienen, die dazu mit Nummern markiert werden, kommen überraschende Ergebnisse heraus: So fanden die Bienenforscher Roesch und Lindauer u.a. heraus, dass es mit dem sprichwörtlichen Fleiß der Bienen nicht allzu weit her ist: „Die Biene 107 z.B., die vom ersten Lebenstag an fortlaufend beobachtet wurde, hat in den 20 Tagen ihres Innendienstes, bis zum ersten Trachtflug, von 139 Beobachtungsstunden nur 50 Stunden gearbeitet und 89 Stunden müßig verbracht. Von diesen 89 Stunden saß sie 39 1/2 still, und 49 1/2 ging sie langsam und ungezwungen auf den Waben umher, wobei sie bald eine Zelle flüchtig inspizierte, bald mit einer Nachbarin kurz Kontakt aufnahm.“ Solche und ähnliche Beobachtungen legen nahe, langsam aber sicher von der Erforschung der Arten weg zu kommen und sich den Individuen zuzuwenden, denn selbst diese staatenbildenden Insekten haben sich laut Karl von Frisch „bei aller erblichen Gebundenheit einen Grad von individueller Freiheit bewahrt“. Michel Foucault meinte einmal: „Unterhalb der Schafsarten kann man nur noch die Schafe zählen“. Die biologische Forschung treibt heute jedoch in die entgegengesetzte Richtung – indem sie partout und dumpf-materialistisch alle Lebensvorgänge in Chemie und Physik auflösen möchte.

(*) Das Interview mit Ramona Mai führte Ulrich Schulte (siehe taz v. 2.5.05), die Interviews mit Rita Besser, Hanns-Peter Hartmann und Dr. Zepernick führte Helmut Höge.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/07/10/von-bienen-und-imkern/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Nun hat sich auch die taz des Themas „Honig aus Berlin“ angenommen. Sybille Mühlke schreibt:

    Auf dem Kreuzberger Dach stehen drei große Kästen in der Sonne. Tritt man näher, hört man es summen, ein leichter Wachsgeruch liegt in der Luft – es sind Bienenstöcke. Sabine Wagner ist Stadtimkerin, seit fünf Jahren hält sie Bienenvölker oben auf dem „Heilehaus“ in der Waldemarstraße. Bienen in der Großstadt? Das ist weniger exotisch, als es scheint. In Berlin wird fleißig geimkert – auf Dächern, in Parks, auf Brachflächen und sogar am Rand von Friedhöfen. 560 Berliner Imker zählt der Deutsche Imkerbund, dazu kommen noch die Individualisten ohne Vereinsmitgliedschaft.

    Bei Sabine Wagner ist die erste Honigernte des Jahres gerade vorbei. Auf dem Dachboden des Heilehauses stapeln sich Gläser mit hellem, mildem Akazienhonig. Wohin damit? „Wir verkaufen unseren Honig unten im Café und haben keine Probleme, ihn loszuwerden“, sagt sie. Andernorts ist das schwieriger – für Imker und Honigliebhaber. Schließlich hat nicht jeder einen Imker in der Nachbarschaft, um sich mit hochwertigem Honig einzudecken. Und im konventionellen Lebensmittelhandel gibt es selten deutschen Honig und erst recht keinen Honig aus Berlin. Im Durchschnitt haben Berliner Imker fünf Bienenvölker, die rund 150 bis 200 Gläser Honig im Jahr produzieren. Das ist zu wenig, um mit einer Lebensmittelhandelskette zu kooperieren. Vertriebsstrukturen für kleinere Imker? Märkte oder ein Schild am Gartenzaun. Schon mancher Imker hat Imkerhut und Smoker entnervt an den Nagel gehängt, weil es so schwierig ist, den Honig zu akzeptablen Preisen loszuschlagen.

    Das kann sich jetzt ändern. Die Berlinerin Annette Müller ist Honigenthusiastin. Und sie vermisste Möglichkeiten, an lokal produzierten Honig heranzukommen. Deshalb gründete sie Ende letzten Jahres „Berliner Honig“ als Vertriebsgemeinschaft und Label für Honig aus Berlin. Via Internet bringt sie Honigproduzenten und Honigliebhaber zusammen: Man kann den Berliner Honig online bestellen oder nachschlagen, wo es Verkaufsstellen in der Nachbarschaft gibt.

    Die Vorteile für die Imker: Bei „Berliner Honig“ wird fair gehandelt, sie erhalten vernünftige Preise. Einen vergleichbaren Ansatz verfolgt Heike Helfenstein aus dem bayerischen Oberhaching. Auf ihrer „Heimathonig“-Website kann man Imkerhonige aus ganz Deutschland – nach Region und Qualität sortiert – bestellen und Imkeradressen suchen. „Heimathonig“ sieht sich vor allem als Marketingplattform für Imker und soll später einmal kostenpflichtig werden.

    Das Konzept scheint zu funktionieren, die Vertriebslücke zwischen Imkern und Honigfans schließt sich: Einige der „Berliner Honig“-Imker haben sich gerade zusätzliche Bienenvölker angeschafft, weil sie wissen, dass sie den Honig jetzt gut verkaufen; „Heimathonig“ hat in kurzer Zeit etwa 100 Imker gewinnen können.

  • Das Berliner Veranstaltungsmagazin „Tip“ hat in seiner neuesten Ausgabe einen Artikel über Imker in Berlin abgedruckt:

    Im Gegensatz zu den Bienennachrichten aus Amerika heißt es beim Tip in der Überschrift:

    Auf dem Vormarsch: Imkerei in Berlin

    Berlin, das Bienenparadies: Die gelb-schwarzen Tierchen lieben die Stadt, Imkern wird mehr und mehr zum angesagten Hobby moderner Großstädter. Vor allem von Kreuzberg schwärmen die Stadtimker.

    „Hey, was macht ihr denn da? Ist das der Platz, den ihr euch ausgesucht habt?“ Aufgeregt rennt Erika Mayr an den Rand des Daches. Sie beugt sich über den Sims und begutachtet die Bienen, die dort als summender Klumpen hängen. Über dem Kopf der Imkerin schwirren unzählige der gelbschwarzen Tierchen. Erika Mayr strahlt: „Das habe ich ja noch nie gesehen!“ Stolz fügt sie hinzu: „Das ist mein erster Schwarm!“

    Erika Mayr ist eine von rund 500 Imkern in Berlin. Die 35-Jährige, die hauptberuflich als Gärtnerin arbeitet, hält ihre Bienen mitten in Kreuzberg, auf dem Dach des Aqua Carre in der Nähe vom Moritzplatz. Vier Völker, das sind im Sommer über 150 000 Bienen, hausen hier oben in übereinander gestapelten Styroporkästen. Die Luft ist von einem lauten Summen erfüllt, überall dunkle, emsig umher sausende Tierchen. „So eine Biene ist mit 28 Stundenkilometer unterwegs“, sagt Erika Mayr und zieht sich ihren Schutzanzug an. Jetzt muss sie erst einmal den Schwarm wieder einfangen.

    Auf diesem Dach fühlt man sich ganz und gar nicht wie mitten in der Großstadt, obwohl man die Oranienstraße, Kreuzbergs Amüsiermeile, gleich um die Ecke weiß und die Aussicht ringsherum von Wohn- und Bürogebäude versperrt ist. Und überhaupt: Gehören Bienen nicht eher in die Natur, auf Wiesen und Felder, als auf Dächer in Wohngebieten? Und bei all der Feinstaubbelastung kann Honig aus Städten wie Berlin doch unmöglich gesund sein.
    „Die Nektarien der Blüten sitzen so tief, dass dort kein Feinstaub hinkommt. Der Schadstoffanteil im Honig liegt weit unter den Grenzwerten für Nahrungsmittel. Giftstoffe gelangen nicht in den Honig, weil vorher die Biene daran stirbt“, sagt Birgit Lichtenberg-Kraag vom Berliner Länderinstitut für Bienenkunde in Hohen Neuendorf. „Viel gefährlicher als Feinstaub sind die Pflanzenschutzmittel, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden.“ Weil es die aber in städtischen Gebieten nicht gibt – in Berlin wird ja keine Landwirtschaft im großen Stil betrieben –, gehe es Stadtbienen grundsätzlich besser als Landbienen, so Lichtenberg-Kraag. Doch das ist nur einer der Gründe, warum sich das nach Rind und Schwein drittwichtigste Nutztier in Deutschland mitten in der Großstadt so wohlfühlt.

    Marc-Wilhelm Kohfink, zweiter Vorsitzender vom Imkerverband Berlin und seit elf Jahren Imker, schreibt gerade an einem Buch mit dem Titel „Bienen halten in der Stadt“, das Ende August erscheinen soll. Der Wirtschaftsjournalist ist mit Bienen aufgewachsen, schon sein Vater und sein Großvater waren Imker. Aber erst als Kohfink 1999 von Bonn nach Berlin zog, belegte er einen Kurs und stellte eigene Bienenvölker auf. Mittlerweile ist er vom Hobbyimker zum Nebenerwerbsimker mit 60 Völkern aufgestiegen. Im Keller seines Einfamilienhauses in Köpenick stehen Honigschleudern und Regale voller Gläser. Es riecht nach Wachs und Honig.

    Für ihn liegen die Vorteile der Stadtimkerei auf der Hand: So viel Honig wie in Berlin, so Kohfink, werde in keiner anderen Gegend in Deutschland geerntet: Durchschnittlich 47 Kilogramm Honig pro Volk und Jahr, in Baden-Württemberg sind es nur 27 Kilogramm. Das liege vor allem daran, dass die Blütenvielfalt in der Stadt um einiges höher ist als auf dem Land, wo es meist nur Monokulturen gibt, also wo etwa nur Raps angebaut wird. Bienen finden in Städten daher ein umfangreicheres Nahrungsangebot vor. Das bestätigen auch Untersuchungen des Länderinstituts für Bienenkunde: Bis zu 150 verschiedene Pollen gibt es in großen Städten, in ländlichen Gegenden hingegen nur bis zu 60. In Fachkreisen ist der Standort Berlin vor allem für seinen Lindenhonig bekannt. „Ein Kollege von mir kommt mit seinen 150 Völkern von Cloppenburg die rund 450 Kilometer nach Berlin gefahren, um seine Bienen in Kreuzberg aufzustellen. Nur wegen der Berliner Linde“, erzählt Kohfink.

    Kreuzberg scheint sehr beliebt zu sein unter Imkern. Auch Heinz Risse hat dort seine Völker verteilt: Zwei im Prinzesinnengarten, zwei weitere auf seinem Balkon und auf dem Brachgelände an der Kommandantenstraße. Wie auch bei Erika Mayr haben sich die Nachbarn bisher nicht beschwert. „Bis zu sechs Bienenvölker in Wohngebieten sind erlaubt, wenn in der Nachbarschaft Kleintierhaltung üblich ist, wenn also auch Hunde und Katzen gehalten werden“, sagt der Bienenexperte Kohfink. „Natürlich darf man niemanden mit seinem Hobby stören. Aber gelegentliche Stiche müssen die Nachbarn schon hinnehmen.“

    Hat man, wie Erika Mayr und Heinz Risse, einen guten, ruhigen Platz für seine Bienen gefunden, dann scheint eine großstädtische Umgebung das Beste für die Bienen zu sein. Vor einem Problem aber ist kein Imker geschützt, ob in der Stadt oder auf dem Land: das alljährliche Bienensterben im Winter. Laut Medienberichten sind im vergangenen Winter mehr als 200 000 Bienenvölker, das ist jedes vierte Volk in Deutschland, an der Varoa-Milbe zugrunde gegangen. Das Ausbreiten des Parasiten zu verhindern, ist schwierig, die Methoden – von chemischen Behandlungen bis hin zum Töten der Drohnenbrut, um die Vermehrung der Milbe einzudämmen – sind umstritten. Da braucht man vor allem Glück, um seine Bienen gut über den Winter zu bringen. Das hatte Erika Mayr. Ende Mai erntete sie sogar schon den ersten Honig in diesem Jahr. Ihren Honig verkauft sie ein paar Stockwerke tiefer, in der Kantine vom Aqua Carre. Dort wird er auch gleich zum Kochen verwendet.

    Auf dem Dach ist inzwischen Mayrs Imkerpate Bernd Bendig mit einem Schwarmfangkasten eingetroffen. Ruhig erklärt er ihr, wie sie ihre Bienen einfangen muss. Der ehemalige Hoteldirektor vom Alsterhof in Charlottenburg ist seit 30 Jahren Imker, seine Völker standen lange Zeit auf dem Hoteldach. Er hält den Kasten, während Erika Mayr die Bienen mit einem kleinen Besen hineinkehrt. Sie imkert seit drei Jahren, so genannte Jungimker werden in den ersten Sommern von erfahreneren Kollegen betreut. „Wenn ich im März nach dem Winter zum ersten Mal wieder zu meinen Bienen gehe und den Kasten öffne, bin ich froh, wenn mein Imkerpate dabei ist“, sagt Erika Mayr. „Da wuseln tausende Tierchen rum. Das ist schon unheimlich.“ Trotzdem arbeitet sie ohne Handschuhe: „Dann habe ich ein besseres Gespür.“ Gestochen wurde sie diese Saison noch nicht.
    „Erika ist unser Shootingstar“, sagt Bernd Bendig. „Der Imkerverein Charlottenburg hat sie zur ersten Vorsitzenden gewählt.“ Das ist ungewöhnlich, war doch die Imkerei bislang eher ein Altherrenhobby, verweist aber auf einen Trend, den auch Marc-Wilhelm Kohfink beobachtet. „Die Imkerei wird zunehmend weiblicher und jünger“, sagt er. Als er vor drei Jahren seinen ersten Kurs anbot, kamen sieben Leute. In diesem Jahr gab es so viele Anmeldungen, dass er einige auf die kommende Saison vertrösten musste. „Die Imkerei ist das perfekte Hobby für den Großstädter, der viel arbeitet und wenig Zeit hat: Die Tiere müssen nicht rund um die Uhr betreut werden, die machen ja alles alleine. Und man hat was mit der Natur zu tun, ohne dass man die Stadt verlassen muss“, sagt Kohfink.

    Text: Katharina Wagner

  • Türkischer Honig- äh Bienenfilm auf Berlinale 2010 bekommt Goldenen Bären:

    Es handelt sich dabei um den Film „Bal“ („Honig“) des Regisseurs Semih Kaplanoglu.

    „Die Kamera heftet sich an die Fersen eines kleinen Jungen“ – er spielt die Hauptrolle in „Bal“.

    Die taz schreibt:

    „Der Vater des Jungen ist Imker, die Landschaft bergig und waldreich, die Familie wohnt auf einem kleinen Gehöft abseits vom Dorf. Der Junge stottert, wenn er in der Schule ein Märchen vorlesen soll. Einmal flüstert er seinem Vater einen Traum ins Ohr, später hilft er ihm beim Anbringen eines Bienenkorbs.

    Kaplanoglu schafft es, das Zusammenspiel von Landschaft, Tieren, Objekten und Menschen in atmosphärischen Bildern einzufangen, und er schafft es auch, sich auf die Kinderperspektive einzulassen. „Bal“ blickt auf die Welt wie jemand, dem sie voller Rätsel ist. „

  • Ich merke gerade das ich diesen Blog deutlich öfter lesen sollte- da kommt man echt auf Ideen.

  • Der wunderbare Insektenforscher Maurice Maeterlinck war nicht nur (um 1900) einer der ersten, der sich nach langer Zeit bemühte, die Wissenschaft und das Leben wieder prospektiv eng zu führen, er forderte auch dazu auf, in der Stadt Bienen zu züchten – zu eigenem und deren Nutzen und Frommen. Er ließ sich dazu einen speziellen Bienenstock bauen: „Einen Beobachtungskasten“ – d.h. „ein Bienenstock mit Glaswänden und schwarzen Vorhängen oder Läden. Die besten sind die, welche nur eine einzige Wabe enthalten, sodass man sie von beiden Seiten beobachten kann. Diese Kästen lassen sich ohne weiteres und ohne jede Gefahr in einem Wohn- oder Arbeitszimmer aufstellen, vorausgesetzt, dass sie einen Ausgang nach draussen haben. Die Bienen meines Beobachtungskastens, den ich in Paris in meinem Arbeitszimmer habe, tragen selbst in der Steinwüste der Großstadt genug ein, um zu leben und fortzukommen.“

    Dies schrieb Maurice Maeterlinck wie gesagt um 1900. Heute stellt sich die Situation für Bienenzüchter genau umgekehrt dar, wie die Junge Welt am 10.9.09 berichtete:

    In Paris wachsen die Bienenvölker

    Auf dem Gehsteig vor dem Grand Palais in Paris scheint es kaum vorstellbar, daß vierzig Meter weiter oben auf dem Dach ein Imker seine Bienen hält. Ein Auto nach dem anderen braust an dem monumentalen Bau mitten in der Millionenstadt vorbei, die achtspurigen Champs-Elysées sind nur wenige Minuten zu Fuß entfernt. Und doch hat Nicolas Géant auf dem Grand Palais zwei Bienenvölker angesiedelt, die sich in den Pariser Gärten und Parks mit Nektar versorgen. Die erste Ernte sei »vielversprechend«, sagt Géant. Rund fünfzig Kilogramm Honig sammelten seine Bienen über den Sommer – deutlich mehr als normale europäische Honigbienen auf dem Land.

    »Natürlich ist Paris eine verschmutzte Stadt«, sagt der 41jährige Imker auf dem Dach des Prachtbaus, der mit seiner riesigen gläsernen Kuppel von weitem ins Auge sticht. »Aber hier gibt es weder Pflanzenschutzmittel noch Pilzmittel noch Insektengifte, wie oft auf dem Land.« Dort, in der Natur, werde mittlerweile ein Drittel bis zur Hälfte eines Bienenvolkes von landwirtschaftlichen Giften dahingerafft. «Das ist dramatisch», sagt der Vorsitzende des französischen Imkerverbandes, Henri Clement. Wenn ein Sonnenblumenfeld mit einem Insektizid behandelt werde, schädige dies auch das Nervensystem der Bienen. »Sie kehren nicht zum Stock zurück. Sie verirren sich.« Die Abgase der Großstadt machen den Tieren offenbar weniger aus.

    Außerdem haben sie mehr Auswahl an Pflanzen als ihre Verwandten vom Land, wie Géant sagt. Im Sommer hätten in Paris »an jeder Ecke« Aka­zien, Roßkastanien, Edelkastanien und Linden geblüht. Selbst Lavendel gebe es, plus »eine Unzahl von Blumen« auf den Balkonen und in den Parks. Leider müsse man »feststellen, daß die Bienen in Paris oder in geschützten Gebieten im Mittelgebirge besser leben als in Gebieten mit Intensivkultur« auf dem Land. Dort gebe es praktisch »keine Hecken, keine Bäume, keine Blumen« mehr. Dazu kommt, dass es in der Stadt immer ein paar Grad wärmer ist als auf dem Land, so daß Bienen hier länger »arbeiten«.

    Laut Géant geben Bienenstöcke in der Stadt mittlerweile »vier- bis fünfmal soviel Honig« her wie in Pflanzenkulturen, sagt Géant, der nur einer von Dutzenden Pariser Imkern ist. Rund dreihundert Bienenkörbe gibt es offiziell in der Millionenstadt, unter anderem auch auf dem Dach der alten Opéra Garnier. Die erste Ernte auf dem staatlich verwalteten Grand Palais sei so ermutigend gewesen, daß das Haus im Frühjahr drei weitere Bienenstöcke anschaffen wolle. Als »Grand Palais-Honig« soll das Erzeugnis dann auch vermarktet werden, für rund acht Euro pro Glas.

  • Heimlich Eier legen (SZ vom 10.9.2009):

    Bei einigen Bienenarten legen die Arbeiterinnen quasi heimlich Eier – aus denen, da unbefruchtet, Drohnen entstehen. Die eierlegenden Arbeitsbienen haben davon den Vorteil, dass sie älter werden, manche sogar so alt wie die Königin.

  • Preseinformation vom 23.10.2007

    * Kein Genmais-Anbau 2008!
    * Gentechnikgegner kündigen für den Fall einer Genehmigung
    Feldbefreiungen an

    Ende April diesen Jahres, kurz nach der Aussaat des Genmaises
    auf rund 2000 Hektar, untersagte Bundeslandwirtschaftsminister
    Horst Seehofer das Inverkehrbringen des manipulierten Saatgutes
    der Firma Monsanto.
    Außerdem lief die europäische Anbaugenehmigung für die umstrittene
    Saat aus.

    „In den nächsten Wochen wird hinter verschlossenen Türen
    verhandelt, ob der giftige Bt-Mais Mon810 im nächsten Jahr
    wieder ausgebracht werden soll“, so Jutta Sundermann von der
    Initiative Gendreck-weg. „Horst Seehofer hat einen „Monitoringplan“
    zur Bedingung gemacht, sein Verbot wieder aufzuheben. Aber eine
    bessere Beobachtung der Katastrophe schützt weder die
    Artenvielfalt oder unsere Gesundheit noch mindert sie die
    Abhängigkeit der Bauern von den großen Agrarkonzernen.“
    Der Landwirtschaftsminister habe selbst vor den Gefahren des
    Genmaises gewarnt, dessen Pollen weit verbreitet werden und
    dessen Gift, das er aufgrund der Manipulation in jeder Zelle
    produziere, vielen Tieren und Pflanzen schade.

    Die Initiative Gendreck-weg, die 2005 von Imkern in Süddeutschland
    initiiert wurde, hatte im Juli mit einer öffentlich angekündigten,
    spektakulären Freiwilligen Feldbefreiung ihre Kritik an der
    Gentechnik und Gentechnikpolitik deutlich gemacht. Wie in den
    Vorjahren machten die Aktiven Genmaispflanzen der Sorte Mon810
    unschädlich, der einzigen Sorte, die seit 2005 kommerziell
    durch Landwirte angebaut wird.

    Berufsimker Michael Grolm erklärte: „Wenn Seehofer jetzt
    einknickt und die EU grünes Licht für den Monsanto-Mais geben sollte,
    wird der Widerstand gegen den Wahnsinn umso größer werden.“
    Die Initiative sammelt ab sofort wieder namentliche Absichtserklärungen
    von Gentechnikgegnern, selbst an öffentlichen Feldbefreiungen
    teilzunehmen.

    Michael Grolm: „Wir kündigen schon heute unseren entschlossenen
    Widerstand an. Wir tun das bewusst vor den politischen Entscheidungen
    und vor der konkreten Anbauplanung der Landwirte. Unsere schwerwiegenden
    Bedenken und unsere Argumente müssen berücksichtigt werden.
    Es darf 2008 keinen Anbau von Mon810 geben – nicht in Deutschland
    und nicht anderswo in Europa!“

    Für Rückfragen:

    Jutta Sundermann, 0175 / 86 66 76 9
    Michael Grolm, 0170 / 10 87 17 4

    http://www.gendreck-weg.de

    — Mit freundlichen Grüssen Gendreck-weg

    mailto:
    aktion@gendreck-weg.de

  • Pressemitteilung von Mittwoch, 31. Oktober 2007
    Schaubienenstand Honighaeuschen

    Die Imkerei Honighäuschen sieht dem Nationalpark Siebengebirge positiv entgegen
    Der Schaubienenstand Honighäuschen zieht innerhalb des Drachenfelses um. Der künftige Nationalpark Siebengebirge ist aus imkerlicher Sicht zu begrüßen.

    Am neuen Standort des Honighäuschens etwas oberhalb von Schloß Drachenburg wird die geplante Errichtung eines Nationalparkes Siebengebirge begrüßt. Aus imkerlicher Sicht stellt ein Nationalpark eine Verbesserung der Lebensbedingungen blütenbesuchender Insekten dar und eine Nachfrage unter den bestehenden Nationalparks in Deutschland ergab, daß Bienenhaltung eher positiv gesehen wird, schließlich sorgt erst die Bestäubungsleistung der Honigbienen für Biodiversität.
    Am neuen Standort des Honighäuschens etwas oberhalb von Schloß Drachenburg wird die geplante Errichtung eines Nationalparkes Siebengebirge begrüßt. Aus imkerlicher Sicht stellt ein Nationalpark eine Verbesserung der Lebensbedingungen blütenbesuchender Insekten dar und eine Nachfrage unter den bestehenden Nationalparks in Deutschland ergab, daß Bienenhaltung eher positiv gesehen wird, schließlich sorgt erst die Bestäubungsleistung der Honigbienen für eine artenreiche Vegetation, die ihrerseits die Nahrungsgrundlage für viele Tierarten bildet. Weltweit sind etwa 180.000 Pflanzenarten von der Bestäubungsleistung durch Honigbienen abhängig.
    Imkerei muß also sein, will man die Natur erhalten.

    Mancherorts wird befürchtet, daß der Tourismus durch die Errichtung eines Nationalparks beeinträchtigt wird. Sicher mag das hier und da so sein, aber es ist nicht wirklich ein Verlust, wenn wild hupende Hochzeitskolonnen die Wanderer künftig nicht mehr zu schnellen Sprüngen auf die Seite zwingen und man als Anlieger im Frühjahr und Herbst dann nicht mehr die Kadaver plattgefahrener Kröten und Salamandern von der Straße kratzen muß. Es ist auch zu hoffen, daß die schon im Naturschutzgebiet unzulässige Verwendung von Herbiziden endlich strenger sanktioniert wird, aufmerksamen Wanderern fällt auf, wie seltsam es ist, wenn auf dem Drachenfels von einer Grundstücksgrenze zur anderen Rasenstreifen plötzlich vergilben und absterben, die ehedem noch satt grün leuchteten.

    Das Publikum des Honighäuschens umfaßt von Schulklassen und Kindergartengruppen über Imkervereine, türkische Frauenvereine bis hin zu arabischen Kurgästen der Godesberger Augenkliniken eine große Bandbreite an der Natur interessierter Kreise.
    Imkerei ist keine die Natur belastende oder intensiv Energie verbrauchende Institution, es werden keine gebietsfremden Tiere gehalten, dafür wird ein hochwertiges, regionales Produkt angeboten. Der Honig aus dem Honighäuschen unterliegt den strengen Auflagen der Öko-Kontrollstellen und darf sich biozertifiziert nennen, nach erfolgtem Umbau des Bonner Hauptbetriebes auf dem Brüser Berg wird die Imkerei sogar nach den jüdischen Speisegesetzen zertifiziert, wozu im Frühjahr ein Rabbiner der Orthodoxen Rabbinerkonferenz die Imkerei begutachten wird. Damit wird das Honighäuschen dann einer der ganz wenigen Hersteller koscheren Honigs sein.

    Die Besucher des Honighäuschens lernen die Bedeutung der Bestäubungsleistung der Honigbiene für die menschliche Ernährung kennen und an der Imkerei als Beruf interessierte Jugendliche erfahren, wo sie sich ausbilden lassen können.
    Das Honighäuschen hält auch den Kontakt zur Wissenschaft und bietet interessierten Laien weitere Informationsquellen rund um Maja und Co., so hielt unlängst der renommierte Bienenforscher Prof. Dr. Jürgen Tautz von der beegroup Würzburg einen Vortrag an der Bonner Universität, 2008 folgen die Wissenschaftler/innen Prof. Dr. Elke Genersch, Berlin, sowie der Grazer Forscher Prof. Dr. Kastberger, der in Assam über Riesenhonigbienen forscht. Ab Mitte Dezember präsentiert das Honighäuschen zum Kinostart von „Bee Movie“ im Kinopolis Bad Godesberg und Koblenz sowie im Cineplex Siegburg eine Fotoausstellung über Bienen, nebst einem Wettbewerb für die Schulen der Region. In diesem Wettbewerb können teilnehmende Schulklassen mit einem eigenen Bienen-Projekt eine Busreise ins Würzburger Bienenforschungszentrum und ins Mayener Bieneninstitut und andere Preise gewinnen.

    Künftig wird es in dem ehemaligen Imbiß oberhalb von Schloß Drachenburg nach der Renovierung dann auch heißen Honigmet und Honigkuchen sowie im Sommer frischen Bienenstich mit eigenem Honig geben. Bienenstich und Honigkuchen werden von einer Bonner Konditorei gebacken.

    An der im kommenden Jahr stattfindenden Diskussion um die Neugestaltung des Tourismus auf dem Drachenfels werde ich mich aktiv beteiligen. Das Honighäuschen ist gut positioniert, hier werden schließlich wesentliche Bestandteile der alten Kulturlandschaft Siebengebirge gezeigt, regionale biozertifizierte Produkte angeboten und im Bereich Umweltbildung einiges getan, so der Imker Klaus Maresch. „Wir zeigen keine exotischen Tiere, belasten die Umwelt nicht durch hohen Energieverbrauch oder fordern gar öffentliche Mittel, sondern üben eine jahrtausendealte Tätigkeit aus, die dem Gemeinwohl dient.“

    Pressekontakt: Klaus Maresch, Fon 0177 9133175 oder info@honighaeuschen.de

    Kontaktdaten:
    Schaubienenstand Honighäuschen
    Drachenfelsstr. 92
    53639 Königswinter
    Tel: 0228 4220850
    Fax: 0228 4220860
    http://www.Honighaeuschen.de
    info@honigmet.de

  • Zu dem obigen Komplex der Trennung von Hand- und Kopfarbeitern bzw. Profis versus Amateure sei noch ein Kolumnen-Text aus der Jungen Welt hier angeführt, der die taz betrifft:

    Der „Qualitätsjournalismus alter Schule ist wohlmöglich in Gefahr,“ meinte die Friedrich-Ebert-Stiftung und startete eine große Medien-Recherche. Die Werbung geht Online – und weg von den Holzmedien. Die Mediengrenzen verschwinden – und ebenso die zwischen journalistischen Profis und „Bürgerjournalisten“/“Blogger“ etc.. , zudem gibt es eine immer stärkere „Multimedia-Konvergenz“, und daneben einen „Trend“ zur Leser-Autoren- statt Leser-Blatt-Bindung.

    Die Scheidelinie zwischen Bürgerjournalisten und Profijournalisten scheint die zwischen Gebrauchswert und Tauschwert zu sein. Grob gesagt hat der Bürger was zu sagen, aber kaum eine Möglichkeit zur Veröffentlichung – und beim Journalisten ist es genau umgekehrt: Er muß fast täglich einen Text absondern, hat aber nichts (mehr) zu sagen. Er nennt das selbstironisch „Auf einer Glatze locken drehen“.

    Etwas anders hat der Publizist Michel Foucault das Problem gesehen, als er sich einmal von der Zeitung Le Monde interviewen ließ, jedoch darauf bestand, dass dies ohne Namensnennung geschehe. Er begründete das mit dem Hinweis, die intellektuelle Szene sei zum Spielball der Medien geworden, die Stars seien wichtiger als die Idee, auf die Gedanken komme es gar nicht mehr an, und was gesagt werde, zähle weniger als die Person dessen, der etwas sagt. Konkret meinte er: Sein erstes Buch sei noch gelesen worden – des Inhalts wegen, seitdem gehe es jedoch mehr und mehr nur noch darum, dass man „Foucault“ lese. Sein Wunsch nach einem „anonymen Interview“ entspringe deswegen einer „wehmütigen Erinnerung an die Zeit, als ich noch unbekannt war und die Dinge, die ich sagte, noch eine Chance hatten, verstanden zu werden.“

    Ich habe ihn hier so ausführlich zitiert, weil dies für die Junge Welt geschrieben ist, in der immer mal wieder ein Autor (sic) Foucault des Irrationalismus, des Strukturalismus, des reaktionären Nihilismus usw. bezichtigt. Das ist altes christlich-sozialistisches Denken und die dümmste Lesart eines Werkes: Wenn man Texte um einen Autor gruppiert – und diesen damit quasi auf eine bestimmte Einheit des Schreibens festnagelt. Seis drum. Der Bürgerjournalist nun, sofern er sich eher als Bürger denn als Journalist begreift, ist (damit noch) kein Autor – und muß sich deswegen auch keinem „Satz von Standards unterwerfen“, wie das gerade ein Springerjournalist auf einer taz-Konferenz über den Bürgerjournalismus mit einigem Stolz sagte (bei ihm im Haus muß man sich schriftlich u.a. der Wahrheit des Pentagons unterwerfen – darf nichts Kritisches gegen die Amerikiki schreiben).

    Jeder hat wohl schon die Erfahrung gemacht, dass er irgendwann beim Zeitunglesen auf einen Artikel von einem Journalisten stieß, der etwas betraf, von dem er selbst betroffen war bzw. worüber er selbst gut informiert war. Fast immer gerät einem ein solcher Artikel dann beim Lesen zu einem Haufen gequirlter Scheiße. Das ist das Elend des Journalismus – und deswegen giften sie gegen die Online-Aktivitäten ihrer Zeitung, reden von „Kannibalisierung“ und Verflachung und versuchen, den Bürger damit möglichst fernzuhalten. Seit der Gründung vom „www“ 1994 gibt es schon diese Anstrengungen, derweil haben die Leser/Bürger jedoch längst gelangweilt ihr „Leseverhalten“ geändert: 27 Minuten täglich wird die Zeitung durchschnittlich gelesen – aber 56 Minuten im Internet geschmökert – gesurft.

    Die Tagesspiegel-Online-Chefin Mecedes Bunz meint: Die Web-„Community“ werde immer noch schlecht gemacht, d.h. die Zeitung gegen Online ausgespielt. Auch die Aufteilung gründlich (Holzmedium) und schnell (Internet) gäbe es nicht mehr. Ihr taz-Kollege Mathias Urban ergänzte: Mit dem Online-Angebot werde der einzelne Beitrag zum Gegenstand des Wettbewerbs (in Form von Klicks) – und nicht mehr das Medium (in Form von Auflage): „Die Konkurrenz verlagert sich“. Der jetzige Streit darüber komme ihm wie die alte Diskussion über E- und U-Musik vor. 85 Millionen Blogs gibt es inzwischen weltweit. Die Online-taz mit ihren 35 Blogs z.B. habe 6-7 Millionen Klicks pro Monat – seit einem Jahr in etwa gleichbleibend, aber das werde sich jetzt – in kürze – ändern mit ihrem völlig neuen Online-Konzept. Da werden die alten Offline-Redakteure noch mit ihrem Kopf wackeln…

    In Summa: Der Bürgerjournalist steht zwar in einem Gegensatz zum Profijournalisten, aber er ist eine Kippfigur.

  • Noch mal zum Thema „Bienenforschung und Imkererfahrung“

    Unter der Überschrift „Optimale Völkerführung“ interviewte Gabriele Goettle gerade die Bienenforscherin am Institut für Bienenkunde in Hohen Neuendorf Dr. Elke Genersch:

    Ihr Honigvögelein, die ihr von den Violen und Rosen
    abgemeyet den wundersüßen Safft.
    Die ihr dem grünen Klee entzogen seine Krafft.
    Die ihr das schöne Feld so oft und viel bestohlen.
    Ihr Feldeinwohnerin‘, was wollet ihr doch holen,
    was so euch noch zur Zeit hat wenig Nutz geschafft,
    weil ihr mit Dienstbarkeit des Menschen seyd behafft.
    Und ihnen mehrenteils das Honig musset zohlen?
    Martin Opitz, 1623

    PD Dr. rer. nat. Elke Genersch, stellv. Direktorin am Länderinstitut für Bienenkunde Hohen Neuendorf e. V., Leiterin d. Abt. Diagnostik u. Molekularbiologie. Dr. Elke Genersch hat a. d. Universität zu Köln Biologie mit Schwerpunkt Molekularbiologie/Genetik studiert und ihre Promotion im Fach Biochemie a. d. Ludwig-Maximilian-Universität zu München u. am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried angefertigt (mit summa cum laude bewertet). Danach bearbeitete sie tumor- und zellbiologische Fragestellungen am MPI in Martinsried, i. d. onkologischen Forschungsabteilung der Schering AG in Berlin, am Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin in Berlin-Buch, am Biomedical Center Lund in Schweden u. a. d. Universität daselbst sowie a. d. Medizinischen Hochschule Hannover. 2001 wechselte sie zum Länderinstitut für Bienenkunde, um sich fortan mikrobiologischen Fragestellungen u. Bienenkrankheiten zu widmen. 2006 Habilitation in Molekulare Mikrobiologie am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin (Thema: Paenibacillus larvae, der Erreger der Amerikanischen Faulbrut der Bienen-Klassifizierung, Molekulare Typisierung und Virulenzunterschiede). Ihre Forschungsarbeiten sind in vielen Veröffentlichungen dokumentiert. Frau Dr. Genersch wurde 1960 in Essen-Werden geboren, sie ist verheiratet und hat ein Kind.

    „Stirbt die Honigbiene aus?“, „Mysteriöses Bienensterben“ – „Dramatische Völkerverluste auch in Deutschland“ – „Bestäubung der Obstblüte in Gefahr!“ Seit Jahren gibt es alarmierende Schlagzeilen über das Bienensterben. Von 1993 bis 2006 gingen bei uns knapp 43 Prozent der Bienenvölker verloren, schätzen Experten. Rundfunk und Fernsehen brachten Berichte, die Zeitungen – vom Imkerblatt bis zur FAZ – widmeten sich dem Thema. Es wurde umfangreich geschrieben über das rätselhafte Verschwinden von zigtausend Bienenvölkern in den USA, es gibt Mutmaßungen, dass sich eine solche Katastrophe auch hier in Europa anbahnt.

    600.000 bis 800.000 Bienenvölker mit bis zu 13 Milliarden Bienen wären in Deutschland vom Aussterben bedroht. Die Folgen wären unabsehbar, denn die Bienen sind ja nicht nur Honigproduzenten, sie bestäuben auch mehr als 80 Prozent des deutschen Obst- und Gemüseanbaus, dazu noch Wildblüten. Wir können uns die Bienen nicht wegdenken, sie sind ein fester Bestandteil in unserem kulturellen Gedächtnis, was nicht zuletzt auch Wilhelm Busch in seiner Bildergeschichte „Schnurrdiburr oder die Bienen“ wunderbar dargestellt hat. Wenn sie also krank sind, ist das ein Grund zur Sorge. Gründe, so ist zu lesen, gibt es viele. Welche es – außer den 40.000 Tonnen an Schädlingsbekämpfungsmitteln, die jährlich auf unsere Nutzpflanzen niedergehen – sein könnten, was sie krank werden lässt, das möchten wir Frau Dr. Elke Genersch fragen. Wir fahren hinaus nach Hohen Neuendorf, das nördlich vor den Toren Berlins im Bundesland Brandenburg liegt. Hier residiert seit 1952 das Länderinstitut für Bienenkunde (LBI, gegr. 1923) in einer alten Villa mit Park und eigener Imkerei. Die Aufgabe des LBI besteht in praxisorientierter Forschung zum Erhalt der Honigbiene, in der Lehre und Betreuung von Diplom- und Doktorarbeiten, in Dienstleistungen wie Schulung und Beratung, Honiganalytik und Krankheitsdiagnostik sowie in Veranstaltungen für Besucher.

    Frau Dr. Genersch empfängt uns in ihrem Büro. Über das dramatische Szenario in den Medien lächelt sie mild und erklärt, es gebe aktuell kein dramatisches Bienensterben. „Tatsache ist, dass die Winterverluste deutschlandweit bei unter 10 Prozent lagen. Der Normalwert liegt zwischen 10 und 20 Prozent. Verluste gibt es immer. Und es kann natürlich auch schon im Herbst zu Verlusten kommen, wenn zum Beispiel gegen die Varroamilbe schlecht oder falsch behandelt wurde. Wenn das Volk an der Varroamilbe eingeht, an zu starkem Varroabefall, dann passiert es sehr häufig, dass die Bienen tatsächlich verschwinden. Sie sind plötzlich weg. Wir haben dafür den Fachbegriff ,kahlfliegen‘. Also das, was jetzt in den USA als vollkommen neues Phänomen dargestellt wird, das Bienenverschwinden, ist eigentlich normal und liegt in der Biologie der Biene. Ihr letzter Dienst am Volk ist, dass sie zum Sterben wegfliegt. Die Bienen sehen ihren Stock nicht als Hospiz, wenn sie sich schlecht fühlen. Die Bienen fliegen aus, um zu sammeln, wie es ihre Aufgabe ist, und sie sterben dann eben außerhalb irgendwo, weil sie nicht mehr können. Also sie verlassen den Stock nicht als Schwarm, der verschwindet, sondern als einzelne Biene, die dann eben draußen bleibt und stirbt. Und es gibt ja auch das ganz normale Bienensterben – wir sind jetzt am Ende des Bienenjahres. Es gehen momentan, das müssen Sie sich mal vorstellen, etwa zweieinhalbtausend Bienen pro Volk und Tag verloren, ein starkes Volk kann im Sommer bis zu 80.000 Bienen haben, aber sie haben nur eine Lebenszeit von zwei bis drei Wochen im Sommer, länger leben sie nicht, die Arbeiterinnen. Bei den Winterbienen ist es anders, sie müssen vier bis sechs Monate überleben. Jetzt grade – ab Juli, August – werden die Winterbienen großgezogen. Und weil das Bienenjahr zu Ende ist, müssen wir demnächst anfangen, die Bienen einzufüttern. Sie fliegen natürlich noch bis Oktober, aber was sie da eintragen, das reicht ja nicht, um das Volk über den Winter zu bringen. Weil wir ihnen ja vorher allen Honig geklaut haben, können wir sie nicht auf dem bisschen sitzen lassen, das sie über die Spätsommerwiesen noch reinkriegen. Ich habe meine Bienen letztes Jahr mit ganz normalem Haushaltszucker, in Wasser aufgelöst, gefüttert. Das ist eine der Methoden. Und das ist nicht wirklich schlechter als der Honig. Alles, was Heilkraft ist am Honig, das hat die Biene reingebracht, sozusagen durch Bienenspucke. Wenn nun die Bienen Zuckerwasser eintragen, dann verarbeiten sie es genauso wie den Blütennektar, geben ihre Enzyme und alles dazu und machen daraus ihr Winterfutter. Die Bienen sind es ja gar nicht mehr anders gewöhnt. Seit 8.000 Jahren wird Bienenhaltung betrieben, und es ist natürlich auch ein Ergebnis der Zucht, dass sie viel mehr sammeln, als sie brauchen, bis zum Zehnfachen dessen, was sie als Winterfutter bräuchten. So ein Wirtschaftsvolk kann in einem Jahr 40 bis 50 Kilogramm Honig sammeln. In Syrien zum Beispiel liegt die Leistung bei 5 bis 10 Kilogramm pro Jahr.

    Mein Fachgebiet ist ja Bienenkrankheiten. Dadurch, dass die Biene seit Jahrtausenden das Nutzinsekt ist, haben wir die einmalige Situation, dass wir ihre Krankheiten recht gut kennen, wir wissen, wie die Krankheiten aussehen, das ist sehr gut beschrieben, aber sie sind bei weitem nicht so gut untersucht. Bienenkrankheiten sind zu lange stiefmütterlich von der Forschung behandelt worden. Bienen können, vom Erreger her, alle Infektionskrankheiten bekommen, die auch bei anderen Tieren und beim Menschen vorkommen, also Viruskrankheiten, bakterielle Erkrankungen, Pilzkrankheiten, und Bienen haben Parasiten. Die Bienenkrankheiten sind eine fantastische Nische, jede Frage, die wir als Molekularbiologen stellen, ist quasi noch unbeantwortet und eröffnet ein neues Projekt. Da ist noch eine direkte Wirkung der Forschungsergebnisse möglich, ich kann richtig von unten anfangen. Wie faszinierend das ist, können Sie am Beispiel der amerikanischen Faulbrut sehen. Die AFB ist eine bakterielle Erkrankung der Honigbienenlarven, ist weltweit verbreitet, hoch ansteckend und führt in der Regel zum Zusammenbruch der erkrankten Völker. In Deutschland ist sie eine anzeigenpflichtige Tierseuche. Bereits der Verdacht muss dem Amtstierarzt gemeldet werden. In Deutschland ist die AFB extrem häufig. Sie ist nicht zu behandeln, wenn sie erst einmal ausgebrochen ist. In aller Regel wird der Amtstierarzt das Abschwefeln der erkrankten Völker verfügen, also das Töten. Der Erreger der AFB ist ein Bakterium, das Sporen bildet. Die infektiöse Form sind die Sporen. Wenn die im Futtersaft sind, dann verfüttern sie die Ammenbienen an die Larven, und die zersetzen sich dann zu einer fadenziehenden Masse. Beim Versuch, die Zellen für die nächste Eiablage zu reinigen, kontaminieren sich die Ammenbienen mit den Sporen, die sie dann auf die nächste Brut übertragen, die immer kränker wird. Dadurch schaukelt es sich auf.

    Und was nun die Forschungsarbeit betrifft, so haben wir ein Rätsel in der Faulbrutdiagnostik lösen können, unsere Arbeitsgruppe hier am Institut. Es gab bis dahin Diagnoseprobleme, es gab Fälle, in denen das Volk sichtbar krank war, das Labor konnte aber, wenn es sich an die Regeln gehalten hat, den Erreger nicht nachweisen. So konnte der Amtstierarzt die Seuche auch nicht offiziell als ausgebrochen erklären. Das war natürlich ein großes Problem. 100 Jahre nach der Erstbeschreibung des Erregers haben wir das Rätsel gelöst. Wir haben gezeigt mit molekularen Methoden, dass der Glaube, der 50 Jahre existierte, es gebe einen nahen Verwandten, der aber nicht gefährlich ist für die Bienen, der Glaube an ein Märchen war. Er ist genauso gefährlich für die Bienen! Und wir konnten beweisen, dass alle Vertreter dieser Spezies die Symptome der Faulbrut verursachen, nämlich Zersetzung zur fadenziehenden Masse. Das heißt, wir bewegen doch wirklich was. Wir bekommen auch Anerkennung, muss ich sagen. Sie läuft über die Veröffentlichung in einem internationalen Journal, es ist zuständig dafür, die korrekte Klassifizierung von Mikroorganismen zu veröffentlichen. Die haben einen extrem genauen Gutachterprozess. Vor jeder Veröffentlichung wird akribisch überprüft, denn im Moment der Veröffentlichung ist es international verbindlich. Wir haben auch gezeigt, dass es Gefährlichkeitsunterschiede bei Erregern gibt, das war bisher nicht untersucht worden – eigentlich eine Banalität -, aber wir konnten zeigen, es gibt Virulenzunterschiede. Also für unseren Bereich ist natürlich die Anerkennung in den USA immer so ein Maßstab dafür, dass man es jetzt geschafft hat, über die eigenen Grenzen hinaus bekannt zu sein. Ich bin jetzt auch beteiligt an der Annotierung von dem Genom des Bakteriums, ich bin zuständig für die Gefährlichkeitsfaktoren. Und dazu bin ich eben eingeladen worden aus den USA. Wir gehören also, was das angeht, möchte ich mit Stolz sagen, weltweit zu den führenden Laboren. Unser kleines Labor hier.

    Das muss auch anerkannt werden, damit es nicht so eine Nischenexistenz in einem Bieneninstitut fristet, Bienenphologie muss ein eigenständiges Forschungsgebiet werden, was auch Geld braucht und wo man die Kompetenz bündelt, um die richtigen Zusammenhänge zu finden, beispielsweise bei der Virusforschung. Das ist übrigens unser drittes Standbein. Wir haben drei Standbeine: Amerikanische Faulbrut, Darmparasiten und Viren. Mich interessiert Varroa als Virusübertragung. Der Überträger, die Varroamilbe, ist ein sogenannter Ektoparasit, ein Spinnentier mit acht Beinen. Es siedelt auf der Biene, saugt Haemolymphe durch die Zwischenringhäutchen aus ihrem Wirt und ist mit bloßem Auge zu sehen. Es verbreitet sich, ebenso wie auch die anderen Krankheiten, durch Übertragung von Stock zu Stock, durch Räuberei und Verflug. Die Bienen verfliegen sich manchmal, finden nicht in den eigenen Stock und fliegen woanders rein. Und die Bienen räubern! Also wenn ein Volk schwach wird, merken das andere Bienen, dann fliegen sie los und räubern das Volk aus und holen sich den Honig. Ist ja viel einfacher, statt sich Blüten zu suchen, den fertigen Honig auszuräubern.“ Wir lachen, meine Freundin Elisabeth bemerkt trocken: „Wie menschlich!“ Frau Dr. Genersch lächelt und sagt: „Richtig! Oder es gibt auch das Einbetteln, Bienen aus einem schwachen Volk kommen angeflogen und betteln sich vorsichtig bei den Wächterbienen ein, geben ihnen etwas Honig und dürfen rein. So ein Parasit wie die Varroamilbe, der hat genug Möglichkeiten, sich zu verbreiten. Durch das Verhalten der Bienen, aber auch durch imkerliche Praktiken. Imker stellen die Waben von einem Volk ins andere und so weiter.

    Und jetzt kommen wir zum Eigentlichen: Die Varroamilbe vermehrt sich nicht auf der Biene, sondern auf der Bienenbrut bzw. in der verdeckelten Zelle. Mit Beginn der Metamorphose verdeckeln die Ammenbienen die Zellen der Streckmaden, und kurz vor der Verdeckelung steigt die Varroamilbe, also das Muttertier, hinein, lässt sich mit verdeckeln und legt zuerst ein Ei, aus dem sich ein Männchen entwickelt. Danach legt sie ein paar Eier, aus denen sich Töchter entwickeln, die vom Sohn befruchtet werden. Danach stirbt der Sohn. Die Milben entsteigen zusammen mit der fertigen Biene der Zelle, und bis dahin saugen sie auch Haemolymphe. Dabei können sie das Flügeldeformationsvirus übertragen.

    Das Flügeldeformationssymptom ist unser Hauptmodellsystem, weil es relativ einfach zu untersuchen ist. Normalerweise haben Sie bei Bienenviren nur die zwei Zustände: lebend oder tot. Es gibt keine Symptombeschreibungen, wie bei unseren Viruserkrankungen. Das ist beim Flügeldeformationsvirus (DWV-Virus) anders. Dieses Virus verursacht, wenn es von der Varroamilbe, während sie auf der Puppe parasitiert, übertragen wird, verkrüppelte Flügel bei den schlüpfenden Bienen. Aber nicht in jedem Fall! Wenn ich 100 mit Varroa infizierte Puppen habe, dann mögen 10 mit verkrüppelten Flügeln schlüpfen – im Herbst vielleicht mehr -, der Rest schlüpft ganz normal. Aber wir haben wenigstens lebende Bienen, die Symptome haben, die wir einem bestimmten Virus zuordnen. Diese Bienen sind nicht wirklich lebensfähig, weil sie ja ihre Arbeit nicht richtig ausführen können und weil sie im Stock nicht geduldet werden. Ob sie sofort beseitigt werden, scheint davon abzuhängen, wie schwer die Symptome sind, spätestens aber wenn sie rausfliegen sollen und nicht können, weil die Flügel fehlen oder verkrüppelt sind, werden sie rausgeschmissen. Da kommen ein bis zwei Bienen, schnappen sich die, es gibt so ein Knäuel, und draußen lassen sie die Kranke einfach fallen. Die krabbelt dann vor dem Stock rum, bis sie verhungert oder an der Virusinfektion eingeht.

    Das sind alles Sachen, die sind noch nicht geklärt. Verhungern die? Gehen sie an dem Virus ein? Wie breitet sich das Virus im Körper aus? Wie kommt es zu den Verkrüppelungen? Was läuft in der Puppe ab, damit dieses Virus als Symptom verkrüppelte Flügel verursachen kann? Diese und andere Fragen stellen wir uns. Gut, das ist also die Virensache, mit der wir uns grade beschäftigen, und dadurch, dass sie wirklich neu ist, können wir auch sehr gut international veröffentlichen.

    Es gibt natürlich noch viele andere Viren, aber an denen arbeiten Kollegen im In- und Ausland, da sind die Gebiete ein bisschen abgesteckt. Mit Pilzen zum Beispiel befassen wir uns ganz bewusst nicht. Weil wir einfach auch die Labormöglichkeiten nicht haben, um alle Erreger sicher nebeneinander behandeln zu können.

    Ich habe kein Pilzlabor, ich möchte auf keinen Fall meine Bakterienkulturen verpilzt bekommen. Und – ich habe keine Ahnung von Pilzen. Das ist ein extrem schwieriges Gebiet. Wir haben jetzt allerdings mit einem Darmparasiten, mit Nosema, das ist – und jetzt widerspreche ich mir – fast ein Pilz!“

    Sie lacht. „Ein Mikrosporidium, und die Klassifizierung, was es jetzt genau ist, ist noch nicht ganz abgeschlossen. Das machen aber nicht wir. Es gab eine Form von Nosema, mit der sich die europäische Biene (Apis mellifera) arrangiert hatte: Nosema apis. Die Sporen sind in vielen Völkern, die Nosemose muss aber nicht ausbrechen. Bricht sie aber aus, dann können die Bienen auch eingehen. 1996 wurde in Asien ein Verwandter von Nosema apis bei der asiatischen Honigbiene (Apis cerana) gefunden. Und der hat jetzt im letzten Jahrzehnt den Wirt gewechselt, von der asiatischen auf die europäische Honigbiene, und sich rasant ausgebreitet.

    In vielen Gebieten gibt es heute nur noch Nosema ceranea. Das heißt, dieser neue Darmparasit scheint den alten zu verdrängen, und dies kann mit höheren Völkerverlusten einhergehen. Da fängt die Erkenntnisgewinnung grade erst an. Nosema ceranae ist auch bei uns schon weit verbreitet, viele Völker haben beide Darmparasiten. Jetzt müssen wir herausfinden: Gibt es wirklich ursächliche Zusammenhänge zwischen Völkersterben und Nosema ceranae? Wenn die Bienen Durchfall bekommen, überträgt es sich schneller? Das sind alles Fragen, die wir beantworten müssen, und zeitweise müssen wir schon daran arbeiten, eine Behandlungsmöglichkeit zu finden. Früher, bei Nosema apis, konnte der Imker durch optimale Völkerführung diese Krankheit wieder in den Griff bekommen, indem er zum Beispiel mehr Jungbienen gefördert hat, weil eben vorwiegend die Altbienen erkranken. Womöglich, wir wissen es noch nicht, ist das bei Nosema ceranae nicht möglich. Es gab früher auch Behandlungsmöglichkeiten mit Antibiotika oder Antiinfektiva bei Bienenvölkern, das ist in Europa aber inzwischen verboten, wegen der Rückstandsproblematik im Honig. Es muss zum Beispiel etwas sein, was natürlicherweise auch im Honig vorkommt. Die Varroamilbe wird jetzt in der Regel mit organischen Säuren wie Ameisen-, Milch- und Oxalsäure behandelt, man kann sie einsetzen, ohne befürchten zu müssen, dass es zu Resistenzentwicklungen kommt. Die Anwendung ist recht gut wirksam und verschafft uns genug Zeit für das, was Professor Bienefeld macht – der Leiter unseres Instituts hier -, die Vorroa-tolerante Biene zu züchten. Das wäre bei Nosema auch ein Fernziel, also die entsprechende Immunabwehr gegen solche Krankheiten in den Bienen heranzuzüchten. Aber in der Zwischenzeit müssen wir sie behandeln können.

    Sehr wichtig ist auch die Art und Weise, wie neue Pathogene, neue Krankheitserreger hier reinkommen. Eben nicht nur über Bienenforscher, wie im Fall der Varroamilbe …“ Wir geben unserer Überraschung Ausdruck. „Na ja … es ist ja allgemein bekannt. Die Varroamilbe, Varroa destructor, ist in den 70er-Jahren von Bienenforschern eines Bieneninstituts – Namen tun hier nichts zur Sache – nach Deutschland eingeschleppt worden. Sie brachten die asiatischen Bienen Apis cerana mit, um daran zu forschen. Die Varroamilbe sitzt auf der Apis cerana, richtet dort aber keinen Schaden an. Aber wie gesagt, die Pathogene kommen eben nicht nur über die Bienenforscher zu uns, sondern natürlich über den Handel mit Bienen weltweit, mit Königinnen. Also ich kann mir Königinnen schicken lassen, Bienenköniginnen muss man sowieso immer mit Pflegebienen verschicken. Ich kann mir aber auch so ein kleines Volk gleich als ,Paketbienen‘ kaufen, die werden im Paket verschickt. Es ist in Europa verboten wegen des hohen Risikos, aber es sind die Imker selbst, die dieses Risiko und das Verbot ignorieren, weil sie gehört haben, dass diese Biene, diese Königin besonders gut sein soll.

    Das Verbot von Bienenimporten einzuhalten ist sehr wichtig, vor allem wegen des Kleinen Beutenkäfers, der in den USA bereits verheerende Schäden angerichtet hat. Es besteht die große Gefahr, dass er auch nach Europa eingeschleppt wird. Ursprünglich stammt er aus Afrika, 1996 wurde er im Süden der USA entdeckt und hat sich inzwischen im ganzen Land ausgebreitet, bis hinauf nach Kanada. Noch spielt er bei uns keine Rolle, es gibt aber vorsorglich eine Anzeigepflicht in der EU. Der ist in der Lage, Imkereien mit tausenden von Völkern dem Erdboden gleichzumachen, das kann man sich nicht vorstellen. Der ernährt sich von allem, was in dem Volk drin ist, Eier, Blut, Honig, Pollen, der vermehrt sich ganz fantastisch in den Völkern. In einem Film wurde eine amerikanische Großimkerei gezeigt, man sah eine riesige Lagerhalle mit Betonfußboden. Der Imker ging in Gummistiefeln durch diese Lagerhalle, weil er zentimeterhoch durch die Maden dieses Kleinen Beutenkäfers gewatet ist. Diese Imkerei war platt. Also es war sehr eindrucksvoll.

    Aber kommen wir wieder zurück zu den Krankheiten, die wir hier haben. Noch mal zu den Ursachen: Ein Bienenvolk hat so viele Faktoren um sich herum, nicht nur Krankheiten, auch Umweltbedingungen usw. Ich muss, wenn ich über Bienensterben rede, nicht zwanghaft nach einem einzigen Grund suchen. Ich kann vielleicht sagen, dieses Jahr hat die Varroamilbe das Fass zum Überlaufen gebracht. Und zwar in Regionen, in denen Pflanzenschutzmittel ein Problem waren, aber auch in Regionen, in denen die Trachtversorgung ein Problem war, und auch in Regionen, in denen das Wetter ein Problem war. Wir haben drei verschiedene Bedingungen, die bedeuten, diesen Völkern geht es nicht gut. Und jetzt kommt noch ein Faktor drauf, und alle kippen um. Hier hängt eine Tabelle an der Wand. Das sind die Völkerverluste in der Vergangenheit. Sie sehen hier: 1945/1946 außergewöhnliche Winterverluste. Es war ein sehr kalter Winter und just Kriegsende, Zucker war Mangelware. Aber 1962/1963, 1972/73 und 1974/75 gab es die Verluste ebenso, 1995/96 und 2002/03 waren sie teilweise zwar höher, aber die Winterverluste gab es immer, schon vor dem Saatgutbeizmittel, schon vor der Varroamilbe, schon vor gentechnisch veränderten Pflanzen. Das heißt, es muss Gründe geben, die unabhängig davon sind. Was nicht heißt, dass zum Beispiel die Varroamilbe keinen Schaden anrichtet. Sie ist einfach ein zusätzlicher Faktor gewesen. Ebenso verhält es sich mit Saatgutbeizmitteln und gentechnisch veränderten Organismen, GVOs. Bei uns sind nur 0,16 Prozent der Flächen mit GVOs belastet, aber die Bienenverluste waren flächendeckend. Gentechnisch veränderte Organismen können als zusätzlicher Faktor dazukommen. Es muss aber nicht so sein. Ich darf sie nicht als alleinigen Faktor an den Pranger stellen wollen. Die Gefahr, die ich dabei sehe, ist: Wenn ich aus ideologischen Gründen einen bestimmten Schuldigen anprangere, dann kann es mir passieren, dass ich den wahren Schuldigen laufen lasse, dass ich nicht mehr neutral das Ganze angucke.

    Natürlich, ich kann nur gute, fundierte Antworten liefern in dem Gebiet, das ich beherrsche. Das sind die Bienenkrankheiten. Das sind nicht Pflanzenschutzmittelvergiftungen und Ähnliches. Aber ich interessiere mich dafür, halte mich auf dem Laufenden. Es gibt grade jetzt zu genmanipulierten Pflanzen extrem gute Studien. Aber grade, weil sie gut sind und zeigen, dass es keine negativen Effekte gibt, die schlimmer sind als die Effekte der Pestizide, werden sie als Auftragsforschung diffamiert. Wenn ich natürlich hergehe und ein Maisfeld, auf dem GVO angebaut wird, mit einem Maisfeld ohne jedes Pestizid vergleiche, dann habe ich einen negativen Effekt. Nun, die Wirklichkeit ist die: Ich habe nicht diese Alternative in der Regel, sondern die Praxis in der Landwirtschaft ist: Pestizide oder GVO. Und da schneiden die GVO-Felder besser ab, was die Effekte auf die sogenannten Nichtzielorganismen betrifft. Vom wissenschaftlichen Standpunkt her ist gegen MON 810 [Mais d. Saatgutkonzerns Monsanto, der mit einem Giftgen gegen den Maiszünsler ausgestattet wurde; Anm. G. G.] nichts zu sagen, weil das, was in MON 810 als Toxin exponiert wird, das wurde vorher tonnenweise auf den Feldern aufgebracht.“ Auf unsere Frage, weshalb die Imker zum Beispiel anderer Meinung sind und ihren Honig untersuchen ließen, sagt Frau Dr. Genersch: „Dass man im Honig was findet, ist schon richtig, weil dieses Konstrukt, was da in die Maispflanze eingebaut wurde, das befindet sich ja dann in der DNA der Pflanze. Und die DNA der Pflanze befindet sich im Pollen, und etwas davon befindet sich auch im Honig. Aber das ist kein Problem! Es gibt keinen Nachweis der Schädlichkeit. Und es gibt eine gesetzliche Regelung, die klar sagt, es gibt keine Kennzeichnungspflicht für Honig. Aber wenn die Imker weiter so auftreten und dauernd behaupten, das sei eine Gefahr und der Verbraucher könne das fordern, dann bekommen sie ein Problem. Ja sicher, diese Verbraucher gibt es, das ist die Klientel, wenn ich die frage, ob diese Tomate schon Gene hatte, bevor sie eine Gentomate wurde, dann sagen die: ,nein‘. Also, wenn ich das in den Diskussionen schon höre: Gentomate …“ Wir werfen ein, dass es ja nicht um irgendwelche Gene geht, sondern um gentechnisch veränderte Pflanzen.

    Sie sagt leidenschaftlich: „Okay, aber Zucht ist immer eine genetische Veränderung. Wie findet denn Zucht heute statt? Die auch von den Grünen akzeptierte Zucht?“ – „Durch Kreuzung“, vermute ich. „Falsch! Die Pflanzen werden mit mutagenen Strahlen bearbeitet, um Mutanten zu erzeugen, völlig ungerichtet. Kein Mensch guckt nach, was durch die Strahlen alles kaputtgegangen ist, was die Nebenwirkung und was die Hauptwirkung ist! Die Auflage gibt es nur bei GVO. Oder ein anderes Beispiel: Die Imker behandeln ihre Waben mit einem Pulver, das Bacillus thuringiensis enthält. Dasselbe Bacillus thuringiensis, das im BT-Mais MON 810 ist. Wenn aber die Imker ihre Waben damit behandeln, dann kräht kein Hahn danach, dass ich dann diese DNA von diesem Bacillus thuringiensis aufnehme, das gilt als biologische Bekämpfung. Nur der MON 810 wird verteufelt. Seehofer hat ja jetzt entschieden, dass das Saatgut nur verkauft werden darf, wenn es ein groß angelegtes Umweltmonitoring parallel dazu gibt. [Das Bundesamt für Verbraucherschutz hat im Mai dieses Jahres keine Bewilligung mehr erteilt für MON-810-Mais, erst sollen die offenen Fragen geklärt werden; Anm. G. G.] Das ist eine politische Entscheidung gewesen. Die wird jetzt aber von den GVO-Gegnern als Beweis dafür genommen, dass hier noch eine Gefahr besteht.“ Auf die Frage, ob sie uneingeschränkt für genmanipulierte Pflanzen sei, sagt sie, ohne zu zögern: „Nein, nein.“ Ich frage, wo denn die Einschränkung sei? „Bei mir ist die Einschränkung da, wo ich sage, ich verurteile alles, was mit einer bestimmten Methode erreicht wurde. Ich will mir das Ergebnis angucken. Ob dieses Ergebnis, diese Pflanze, durch Züchtung oder durch Gentechnik hergestellt wurde, ist für mich egal.“ Elisabeth sagt, dass in der Natur quasi die Evolution die Auslese trifft.

    „Gut. Da ist der Mais das Paradebeispiel. Der Mais ist über Jahrtausende hinweg gezüchtet worden. So sehr gezüchtet worden, dass nicht einmal die Molekularbiologen feststellen können, was einmal die Ursprungspflanze war. Tatsache ist, dass der Mais nicht mehr lebensfähig ist! Das, was wir an Mais haben, ist auf die Aussaat durch den Menschen angewiesen. Er würde, wenn er nicht ausgesät wird, von der Erdoberfläche verschwinden. So viel zur Evolution.“ Ich sage, dass ja wohl niemand etwas gegen Kulturmais einzuwenden hat. „Nein, aber wenn ich durch Züchtung jetzt zum Beispiel eine Rapspflanze erreiche, deren Blüten sich nicht mehr öffnen – und das gibt es -, wieso soll das besser sein, nur weil’s gezüchtet wurde, ohne Gentechnik? Ich muss mir das Ergebnis angucken, ich darf nicht alles verteufeln, nur weil es GVO ist.“ Wir hingegen finden sowohl das eine als auch das andere verteufelnswert.

    Nach einem erquickenden Rundgang übers Gelände, bei dem uns Frau Dr. Genersch ihr Labor zeigte, in dem ihre Doktorandin grade mit Bienenlarven arbeitet, kehren wir zurück ins Institutsgebäude. Im Erdgeschoss betrachten wir einen Schauraum, angefüllt mit Vitrinenschränken, auf denen alte geflochtene Bienenkörbe stehen. Es gibt große, auseinandernehmbare Bienenmodelle, Waben, Honig und altmodische Rollbilder, auf denen Bienen den Stock ausfegen, den Maden das Fläschchen geben und eimerweise Honig herbeischleppen. Wieder im Büro, seufze ich: „Die Bienen sind nicht wegzudenken.“

    „Sie sind tatsächlich unverzichtbar für unser Ökosystem, so wie es jetzt ist“, sagt Frau Dr. Genersch und fügt hinzu: „In unserem jetzigen Ökokultursystem, weil ja auch viel Kulturlandschaft dabei ist. Da würde sich dramatisch was ändern, wenn es die Honigbiene nicht mehr gäbe. Keine Frage. Die Bestäubung wäre nicht mehr ausreichend, um die Quantität und Qualität zu bringen, an die wir uns so gewöhnt haben. Wenn wir aber damit leben könnten, dass der Apfel nicht EU-Handelsklasse 1 hat und nicht endlos zur Verfügung steht, dann könnten wir auch mit der Bestäubung leben, die die übrigen Insekten leisten. Der Mensch stirbt nicht aus ohne die Bienen. In Amerika hat es vor den Siedlern keine Honigbienen gegeben. Die Siedler haben sie im 18. Jahrhundert eingeschleppt. Und die Menschen dort haben vorher auch gelebt. Die Biene ist für uns unverzichtbar. Überleben können wir ohne sie.“

  • Noch mal zur Trennung von Hand- und Kopfarbeit:
    Der Biologe Paul Kammerer, der sich bei seinen Forschungen an Salamandern, Grottenolmen etc. vor allem um den lamarckistischen Nachweis der Vererbung erworbener Eigenschaften bemühte, hat an seinem Wiener Institut „Vivarium“ auch immer wieder an den Grenzen zwischen Laien und Wissenschaftlern, Kopf- und Handarbeitern gerüttelt. Nicht nur stellte er seinen wissenschaftlichen Texten oft und gerne lange pflegerische Anleitungen voraus, wie sie höchstens unter Terrarianern üblich sind, er galt auch als ein geradezu begnadeter Züchter; zudem war der dortige Amphibienpfleger Albert Weiser das Herz und die Seele des Instituts.
    Paul Kammerer veröffentlichte regelmäßig kleine Texte in der populärwissenschaftlichen Monatszeitschrift „Urania“ (Jena). Einem Bericht über seinen Besuch im Darwin-Museum von Moskau stellte er dort einige Zeilen von Christian Morgenstern voran: „Doch die Wissenschaft, man weiß es,/ achtet nicht des Laienfleißes.“ Dieser Vers, so Kammerer, habe in der „bürgerlichen Wissenschaft“ international Geltung, „an Sowjetrußland wird Morgensterns Wort jedoch zuschanden“.

    Sein Text handelt u.a.von dem „Ausstopfer“ (Tierpräparator) des Museums: Ph.Feduloff – ein Bauer, der das Museum mitbegründet hatte – und selbst während der Hungerjahre 1920/21 unermüdlich für das Darwin-Museum tätig war, so dass es schließlich laut Kammerer zu dem wurde, „als was es sich heute darstellt: zu einem unsterblichen Riesendenkmal der Entwicklungslehre und selber zu einem unbesieglichen Zeugnis rastlos arbeitenden Entwicklungsgeschehens.“
    Das Darwin-Museum in Moskau gibt es auch heute noch, es wurde vor einigen Jahren renoviert – was immer das heißen mag, seitdem wirbt die Stadt auf der Berliner Tourismusbörse jedenfalls für einen Besuch der Sammlung.

  • Bienen im Film:
    Das „Frühlingstreffen der Feldhüter“ ist eine kleine, aber genaue anthropologische Studie über Menschen in einem griechischen Dorf, wobei es um das Scheitern einiger Uniformierter dort geht . Der Regisseur Dimos Avdeliodis drehte diesen Film auf der Insel Chios. Bis in die Siebzigerjahre gab es dort – wie auch anderswo in Griechenland – die Institution der Agrophylakon: der Feldhüter. Sie schützten die Felder vor Fruchträubern, waren aber zugleich auch die basisnächste Polizeiinstanz der rechten Militärregierung auf den Dörfern. Hier – sozusagen auf dem Vorposten an der Volksfront – hatten sie die Freiheit der Verhaltenswahl. Etwas überwachen heißt zuvörderst, gegen den eigenen Schlaf zu kämpfen. Nachdem der erste Feldhüter bei der Verfolgung einer jungen Feldfruchtdiebin überraschend starb, wahrscheinlich an einem Herzinfarkt infolge von Überfettung, werden nacheinander vier neue Feldhüter eingestellt – alle scheitern: zu vier unterschiedlichen Jahreszeiten, die natürlich in der Landwirtschaft eine wichtigere Rolle spielen als für die Menschen in der Stadt. Der erste neue Feldhüter ist motorisiert und hat einen Hund, er ist jedoch faul, abergläubisch und lässt sich von den Dörflern durchfüttern. Schließlich wird er von einem Schwarm Bienen in die Flucht geschlagen.

    Spätestens seit Isaak Babels „Reiterarmee“ spielen Bienenstöcke eine große Rolle bei der Schilderung von Kriegen auf dem Land. Ich erinnere nur an den im Zweiten Weltkrieg spielenden slowakische Roman „Die verlorene Division“ von Ladislav Tazky sowie an die Biographie der slowenischen Partisanin Jelka. Sie war Kurierin des Kärntner Partisanenführers Karel Prusnik und Imkerin. Ihre Bienenstöcke stellte sie bei allen möglichen Bauern auf. Auf diese Weise verband sie Partisanentätigkeit und Imkerei. Letzteres intensivierte sie nach dem Krieg noch, wobei sie irgendwann die Longo-mai-Agrarkooperative bei Eisenkappel miteinbezog. Die Kommunarden dort schrieben später ihre Biographie auf.

    Während des „Deutschen Herbstes“ arbeitete ich bei einem Imker in Niedersachsen. Er hatte zehn Völker, die hinter seinem Haus an einem Rapsfeld standen. Weil das Feld so riesig war, stellte ein mit ihm befreundeter Imker noch fünf Völker dazu. Je weiter die Rapsblüte fortschritt, desto aggressiver wurden die Bienen: Bald konnten wir ihren Stöcken nicht mehr auf zehn Meter nahe kommen. Die beiden Imker verstanden die Welt nicht mehr: ihre Bienen hatten doch Nahrung im Überfluß und das direkt vor der Nase! Der Bauer, dem das Feld gehörte, klärte sie schließlich auf: Er hatte erstmalig eine neue Sorte Hybridraps ausgesät, die keinen Nektar mehr produzierte und so für die Bienen wertlos war: Das hatte sie völlig kirre gemacht. Zuletzt spielten die Bienen in dem tadschikischen Dorf-Film „Der Flug der Biene“ noch eine tragende Rolle sowie auch in dem Film über einen islamischen Selbstmordattentäter – „Syriana“, in dem der Protagonist in einer Koranschule mit angeschlossener Imkerei aufwächst. „In der anrührendsten Szene stach ihn eine Biene,“ schrieb die Süddeutsche Zeitung.

    Zurück zu den griechischen Feldhütern: Der zweite eingestellte Feldhüter ist autoritär, übereifrig und schurigelt die Dorfbewohner, z.B. zwingt er den Barbier, ihn noch nachts zu rasieren. Er liebt die Macht. Der schönen Feldfruchtdiebin kann er sich dementsprechend auch nur gewalttätig nähern. Der dritte Feldhüter ist älter und selbstbewusster, er biedert sich jedoch bald bei den in der Dorfkneipe Sitzenden an, und statt ihnen z.B. das Kartenspiel zu verbieten, verfällt er selber dem Glückspiel. Zuletzt wird er verhaftet. Für die junge Diebin hatte er keinen Blick, dafür klaute er ihr jedoch Holzscheite. Erst der vierte Feldhüter, der den Frühlingsdienst antritt – bekanntlich der schönste, aber auch anstrengenste -, konzentriert sich dann ganz auf das Mädchen. Ihretwegen rasiert er sich sogar. Und als er wegen mangelnder Meldungen entlassen wird, zieht er auch noch glücklich seine Uniform aus – sodass dem Einfangen der Diebin – die natürlich inzwischen eine starke Uniform-Aversion entwickelt hat – nichts mehr im Wege steht: zwei glückliche Arbeitslose, die Täter und Opfer nur noch spielen – und zwar auf einem Tulpenfeld in der ersten warmen Sonne. Avdeliodis hat seinen Film mit Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ unterlegt, außerdem sagt er, dass der letzte „Feldhüter des Frühlings“ für ihn Odysseus verkörpere: „Er weiß, dass das Leben etwas Vergängliches ist und man es für einen kurzen Augenblick ergreifen muss, solange noch Zeit dafür ist … Auch die Liebe ist eine Art von Krieg.“ Avdeliodis ist darüberhinaus der Meinung, „dass jeder Filmemacher eines Tages an den Ort zurückkehren muss, an dem er aufgewachsen ist“, das meinen, glaube ich, alle Dorffilmer.
    (Helmut Höge)

  • Zu den Forschungen von unten gehört auch das Berliner „Upper-Class-Projekt“ , das uns dazu im Anschluß an eine „ökumenische Konferenz“ in Moabit ein Memorandum als Kommentar schickte (leider mußten wir darin alle namentlich genannten aus Kostengründen durch drei Punkte ersetzen):

    „Unser Anliegen ist nicht mehr und nicht weniger als die Mobilisierung aller Priester, Mönche, Sozialarbeiter und Sozialforscher, eine ganze Heilsarmee also – zu den Vierteln der Reichen: nach Zehlendorf, Dahlem, Potsdam, Klein-Machnow, Grunewald, Potsdam usw., um dort aktive Seelsorge bei den Wohlhabenden zu betreiben. Dies scheint uns das Gebot der Stunde zu sein! Die Armen haben eher zu viel Religion und Moral – sonst wären sie nicht arm!

    Und viel zu lange haben die obengenannten gesellschaftlichen Kräfte sich nur auf sie konzentriert. Ja, die Kirchen und die Sozialdienste müssen überhaupt und in toto aus den Vierteln der unteren Klassen verschwinden, die sie bereits zu lange und zu intensiv bearbeitet haben. Dieser Paradigmenwechsel bedarf jedoch einer gründlichen Vorbereitung, d.h. der Exploration und Feldforschung – eines Mapping: mittels Straßenkarten, Dokumentationen, Hausbegehungen und „Experten“-Interviews mit den Hausangestellten, den Ehefrauen, Kindern und ihren Lehrern. Wobei man tunlichst jeden „Sensationalismus“ meiden sollte – will man überhaupt von der Verstehens- zur Präventionsperspektive gelangen. In die selbe Richtung ging bereits eine Idee der grünen Europaabgeordneten Eva Quistorp, als sie 1998 statt eines Armuts- einen „Reichtumsbericht“ forderte.

    Dazu braucht es erst einmal einen Katalog von Fragen: „Wie sind die moralischen Verhältnisse? ist die Putzfrau unversichert? werden den Kindern Drogen angeboten (an der… z.B.)? bringt der Ernährer junge Mädchen dazu, ihm Akt zu stehen (…, dem „Klimper-Kutte“ dafür Modelle aus Discos zuführte)? drängt er Prostituierte zu ungeschütztem Geschlechtsverkehr (gegen Aufpreis)? zwingt er sie zu Kokaingenuß (…, …)? prahlt er in der Öffentlichkeit mit seiner Mätresse (…,…)? Oder verschafft er ihnen Arbeit als ‚persönliche Referentin‘ (…)? begeistert er sich heimlich für Militarismus und Neonazismus (wie …)? wiederbelebt er widerlichste Kolonialpraktiken (wie der Bruder des Bauunternehmers … in Mali)? besteht ein ekelhafter Gegensatz zwischen Reden und Handeln (…,…)? betrügt er das Finanzamt (wie …und…)? bildet er Seilschaften zum Zwecke der Bereicherung (wie …, … die …-Boys, die …Brücke)?“ …All das muß gründlich erforscht werden: von Sozialhygienikern, Ethnologen, Theologen und Seelsorgern – als so genannte „friendly visitors“.

    Und es gibt dazu auch schon jede Menge Vorarbeiten. So schrieb z.B. die Nobelpreisträgerin Toni Morrison: „Mein Projekt ist das Bemühen darum, den kritischen Blick zu wenden…von den Dienenden zu den Bedienten“. Ab 1990 entstanden daraus die „Critical Whiteness Studies“. Als Pionier der „ethnographischen Eliteforschung“ (des Mapping der „dangerous classes“) gilt gemeinhin der englische Projektemacher Henry Mayhew, aber auch der Sozialforscher James Kay. Er schrieb über seine sozialen Expeditionen in das „Herz der Finsternis“: „Wer die Aufgabe hat, den Fußstapfen der Todesboten zu folgen, der muß in die Behausungen der Reichen hochsteigen, sich in die schönen Alleen begeben, in die lichten Parks, in die stets untergenutzten Villen der Elenden, wo sich in unseren großen Städten Wohllebe und Distinktion ausbreiten und die Quelle allen sozialen Unmuts und politischer Korruption bilden, er muss in die Brutstätte dieser Pest mit Bestürzung die Übel erblicken, die hier mitten im Herzen der Gesellschaft im Geheimen gedeihen“.

    Es ist ja seit langem kein Geheimnis mehr, dass die moralischen Übel einer Großstadt, einer Gesellschaft, aufs engste mit der materiellen Lage verknüpft sind. Wir dürfen deswegen im Endeffekt nicht davor zurückschrecken, diesen Sumpf (der Reichen) auszutrocken – das ist die „melioristische Perspektive“ des Projekts. Auf alle Fälle müssen wir aber diesen asozialen Elementen („Ich kenne keine Gesellschaft – nur Individuen!“ Margret Thatcher), die sich den Mantel des Neoliberalismus umgehängt haben, um darunter der unanständigsten Libertinage zu frönen, aufs Entschiedendste entgegentreten: Bevor die unteren Klassen ihre gute Erziehung und Conténance verlieren – und ebenso vertieren, indem sie gleichfalls Ausländerhass, Armutsabscheu, Rassismus und Antisemitismus in ihren Herzen zulassen.

    Noch zahlt die Unterschicht in ihrer Mehrheit (55 Millionen sind es immer noch) brav Kirchensteuern. Und deswegen hat sie ein Recht darauf, dass dieses Geld, mit dem die Priester, Pastoren und Rabbiner finanziert werden, auch wirklich den Reichen zu gute kommt. Wer kümmert sich denn überhaupt um die früher so genannten Happy Few – die inzwischen in die Zigtausende gehen und mit ihrer schieren Präsenz und Konzentration ganze Stadtviertel verseuchen?! Das fängt vielleicht – in Ostberlin oder Bernau – ganz harmlos mit einem schicken „Italiener“ an, sowie mit kleinen Verkehrsberuhigungs- und Mieterhöhungsmaßnahmen und hört noch lange nicht mit einem Golfclub oder einem Edelbordell auf. Es geht weiter mit ihren Zweitvillen, die die schönsten Mittelmeerinseln und -küsten ebenso verunstalten und verbarrikadieren wie jetzt auch schon die märkischen Seen, wo ihre Yachten und Jollen den harmlosen FFK-Badenden den Feierabend vermiesen. Nachts schwärmen sie dazu noch mit ihren protzigen Cabrios und Luxuslimousinen aus, um auch in den Wohn- und Vergnügungsvierteln der anspruchslosen Massen den Sozialneid zu schüren. Wieviel Morde im Affekt wurden schon von an sich gutmütigen und humanistisch gebildeten Proletariern begangen – nur weil sie sich sagten: „So ein Leben möchte ich ebenfalls haben“?

    Auch die ganzen Sozialwissenschaftler dürfen sich diesem Problem nicht länger verschließen. Viel zu lange haben sie das „studying up“ – wie die Erforschung der oberen Klassen auch genannt wird – vernachlässigt. Neuerdings gibt die EU Millionen von Euro aus, um z.B. im Rahmen ihrer „Daphne-Programme“ die wenigen armen Frauen aus dem Osten, die es mit Hilfe von Schlepperbanden und Scheinheiraten bis hierher geschafft haben, ausforschen zu lassen. Was ist aber mit den ganzen reichen Frauen, die alles auf den Kopf stellen? Eine mittellose alleinerziehende Mutter kellnert vielleicht nachts in einer Bierbar, eine reiche verheiratete bekellnert dagegen nur ihr Einzelkind. Und nicht nur das, sie bringt es auch noch täglich zum Ballett-, Mal- und Klavierunterricht und holt es anschließend wieder ab – statt es z.B. im Haushalt mithelfen zu lassen, damit das Kind frühzeitig den Ernst des Lebens, d.h. die Notwendigkeit, sich durch ehrliche Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, lernt. Bei den reichen Familien arbeiten jedoch zumeist nicht einmal die Mütter im Haushalt, das erledigen arme philipinische, ukrainische oder slowakische Mädchen, so genannte „Au Pair Girls“, wie sie schick genannt werden, für ein Taschengeld. Und es geht noch weiter: Während die armen Mütter, auf dem Balkon oder im Schrebergarten, Kaninchen und allerlei Kleingetier halten, um auch in Zeiten der Not etwas Eßbares parat zu haben, schaffen die reichen Mütter solche Tiere nur für ihre Einzelkinder an, damit diese sie sukzessive totspielen können. In ihrer frustrierenden Nichtstuer-Existenz scheinen diese Frauen darüberhinaus auch selbst solche schrecklichen Vergnügungen zu suchen. Der Musiker und Schriftsteller Rocko Schamoni, aufgewachsen in einem kleinen Ort in Schleswig-Holstein namens Schmalenstedt, beobachtete oft die Reichen bei ihren Jagdvergnügungen im Dosautal direkt vor dem Grundstück seiner Eltern: „Besonders fielen mir die feinen fetten Tanten in edler Waldgarderobe auf, die ihre Schrotflinten wie Gießkannen des Todes benutzten. Da es bei ihrem beträchtlichen Gewicht ohnehin nicht mehr möglich war, sich an die Beute heranzuschleichen, gingen sie einfach zu den Rebhühnern hin, die durch Handfütterung weitestgehend die Scheu vor den Menschen verloren hatten und dumm schauend stehen blieben, und kippten ihr Blei mit ohrenbetäubendem Krach in die Landschaft und auf das ahnungslose Federvieh. Zurück blieb nichts als eine Rauchwolke und eine Art Buletten aus Fleisch, Federn und Schrotkörnern. Da man so etwas nicht essen kann, wurden die Kadaver anschließend weggeschmissen. Ein Trecker fuhr vor, mit zwei Hängern hintendran. Diese wurden nun mit den zerschossenen Hasen und Hühnern gefüllt…“ – Und die Fuhre später wahrscheinlich als Sondermüll entsorgt, während die Jagdgesellschaft sich ihr abendliches Wildbret aus dem nächsten Feinkostladen kommen ließ.

    Die Reichen leben in einer vollkommen verkehrten Welt – und es ist an uns, den Priestern, Mönchen, Sozialarbeitern und -wissenschaftlern, sie umzudrehen! Dazu müssen sie aber erst einmal begriffen und erforscht werden. Und das ist harte Arbeit. Dabei darf man vor allen Dingen nicht davor zurückschrecken, sich ihnen zu diesem Zweck direkt zu nähern – durchaus erst einmal im Sinne eines „sozialen Experiments“. Egal, wieviel Verkommenheit und sittliche Verrohung uns in den Villen, Vereinen, Clubs, Hotellobbys und sonstigen Treffpunkten der Reichen entgegenschlägt, es muß gewagt werden. Sonst geht das ganze Gemeinwesen koppheister! Auch der Schutz der Privatsphäre darf hier nicht länger gelten: Die Untersucher und Unterweiser müssen sich notfalls mit List, Tücke und Technik Zugang zu den Penthouses, Maisonettes, Lofts und ihren Besitzern, den „Dachgeschoßlumpen, wie man sie in Kreuzberg und Neukölln treffend nennt, verschaffen.

    Genau das war ja immer mit der Erstellung eines surveys – über die moralische, physische und geographische Lage der im Luxus lebenden Klasse gemeint: „survey“ kommt von „surveillance“ – Überwachung – und ist ein Synonym für „surview“, sich einen umfassenden Überblick verschaffen. Dazu ist es vor allem am Anfang notwendig, dass die Forscher, Sozialarbeiter und Seelsorger mit denjenigen Vertretern der unteren Klassen kooperieren, die notgedrungen einem engen Kontakt mit den Reichen ausgesetzt sind – oftmals täglich. Wodurch sie jedoch ein großes Wissen über ihre „Arbeitgeber“ anhäufen, das man nur aufgreifen und systematisieren muß.

    So schreibt z.B. die US-Forscherin Barbara Ehrenreich – über ihre temporäre Arbeit als Putzfrau: „Ich bin in eine bessere Welt (wie die Wohlhabenden ihr Umfeld höhnisch nennen) eingetreten – in eine Luxuswelt, wo jeder Tag ein Urlaubstag ist, den es mit sexuellen Abenteuern auszufüllen gilt“. Beim Reinigen der Klos dieser Spezies bemerkt sie: „Ich weiß nicht, was mit den besseren Kreisen los ist, aber es scheint, dass ihnen in alarmierendem Tempo die Schamhaare ausfallen. Sie finden sich in rauhen Mengen, und zwar überall: in Duschkabinen, in Badewannen, in Jacuzzis (großen Jetstream-Badewannen) und unerklärlicherweise auch im Ausgußbecken. Einmal krauchte ich 15 Minuten lang in einem riesigen, vier Personen fassenden Jacuzzi umher und bemühte mich verzweifelt, die dunklen kleinen Haarspiralen aufzuspüren, die auf den eierschalenfarbenen Keramikwänden kaum zu erkennen waren, wobei ich mir aber auch fasziniert ausmalte, wie nackt und kahl es mittlerweile zwischen den Beinen unserer ökonomischen Eliten aussieht“. Ähnliches berichten nebenbeibemerkt auch die Putzfrauen der hiesigen ökonomischen Elite – z.B. über den zum Bundespräsidenten gekürten Weltbankmanager … und die Familienministerin von …

    Das Putzen ist eine Arbeit auf Knien – wie sie seinerzeit schon der Heilige Benedikt seinen Mönchen als Gottesdienstleistung verordnet hatte. Barbara Ehrenreich bemerkt dazu: „Es ist wohl gerade diese elementare Unterwerfungsgeste – und die anale Willfährigkeit, die sich letztlich darin ausdrückt -, die den Konsumenten solcher Putzdienstleistungen die größte Befriedigung zu verschaffen scheint“. Zum Glück ist es der Autorin, im Gegensatz zu vielen anderen Putzfrauen auf Knien, nicht passiert, dass sie während der Arbeit vom Konsumenten ihrer Dienstleistung auch noch von hinten genommen wurde. Gerade den Reichen nämlich überfällt beim Anblick von Frauen aus den unteren Klassen, die für sie körperlich arbeiten und dabei in Schwitzen geraten, ein unwiderstehliches sexuelles Verlangen, wobei der Ekel vor deren Körpergeruch sogar noch stimulierend wirkt. Wir haben es hier anscheinend mit einer Inversion zu tun. Im Deutschen spricht man beschönigend von einem „fatalen Hang zum Küchenpersonal“. Das geht so weit, wie die Soziologin Malgorzata Irek in einer Langzeitstudie über polnische Putzfrauen schreibt, dass es z.B. den eher schlampigen und linken, aber hochbezahlten Professoren der FU völlig egal ist, ob die Wohnung nach dem Putzen sauberer ist oder nicht – Hauptsache ihre „polnische Perle“ wuselt dort täglich herum und gerät dabei in Schweiß. Auf der Berliner Betriebsrätekonferenz am Alexanderplatz, wo es um die Abwicklung der ostdeutschen Großbetriebe ging, waren auch einige Treuhandprivatisierungsmanager anwesen, einer,…, fiel dort angesichts der vielen aufgebrachten Arbeiterinnen und Ingenieurinnen nichts anderes ein – als gegenüber einem Treuhandkollegen zu bemerken: „Ich muß unbedingt mal wieder Ostweiber beschlafen!“

    Man mag abgestoßen, ja angewidert sein vom Anblick derer da oben, von ihrer dumpfen Lebensgeilheit, ihrem aufdringlichen Benehmen, ihren faden Empfängen – im Adlon, im Esplanade, in den Botschaften, den Repräsentationshäusern der Bundesländer, der Banken, der Bertelsmannstiftung, des Deutschen Historischen Museums, dem adligen Club zu Berlin usw., – von ihren schalen Lustbarkeiten und Witzchen, ihrer immergleichen Kammgarn- und Kaschmir-Camouflage, ihren frivol dekolletierten Toiletten und endlosen Smalltalks über Distinktionsvorschriften und den Subtilitäten des Geschmacks…Allein, es nützt nichts: Wir müssen den Reichen auf die Pelle rücken – und dürfen nicht weichen: um sie zu bessern, zu belehren, zu bekehren, d.h. zu anständigen Menschen zu machen. Notfalls mit Gewalt! Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass sie aus den oben bereits angeführten Gründen notfalls noch gemeiner und gewalttätiger sind, als es selbst der hasserfüllteste Vertreter der unteren Klassen zu träumen wagt. Die Geschichte der Arbeiter- und Bauernbewegungen ist voll von solchen Beispielen, nicht zuletzt deswegen, weil diese Bewegungen stets mit fortschrittlichen, humanistischen Hemmungs-Ideologien einhergingen, während die Reichen längst alle Bande frommer Scheu abgestreift haben.

    Auch aus diesem Grund ist es notwendig, sich zu ihrer Erkundung an den Orten aufzuhalten, wo sich die Reichen selbst verwirklichen und sammeln – meistens nachts, wenn alle anständigen Menschen schlafen: im Edelkoks-Bordell „…“, in privaten Swingerclubs und ebensolchen Saunen und Wellnessclubs am Halensee, Schlachtensee und am Nikolassee (am Wannsee gibt es sogar ein Etablissement, deren Besitzerin für besonders reiche und verkommene Kunden eine Gaskammer bereit hält), ferner in Unternehmerverbänden, in Restaurants wie dem „Ciao“ am Kudamm, wo sich die Immobilienhaie – auch „Freunde der italienischen National…“ genannt, treffen und das deswegen schußsichere Scheiben hat, in diversen Yachtclubs und in Golfvereinen, wie etwa dem Bismarckschen am Seddinsee, wo die meisten reichen Mitglieder sinnigerweise auch gleich in Chalets drumherum wohnen und die schwedische Security laut Werbung in wenigen Minuten zur Stelle ist. Und dann nicht zu vergessen die ganzen neuen Militärinstitutionen in Potsdam sowie die halböffentlichen Schlösser und Seenhäuser Brandenburgs, die teilweise exklusiv für reiche Homosexuelle ausgebaut wurden.

    An sich zeichnen sich die meisten Wohlhabenden jedoch dadurch aus, dass sie polymorph-pervers sind – schon allein deswegen, weil ihre nahezu unbeschränkten Genußmöglichkeiten sie zu immer verwegeneren „Abenteuern“ treiben. Es hat auch hierbei eine komplette Umdrehung des alten patriachalischen Prinzips stattgefunden: Wenn einst insbesondere die protestantischen Unternehmer strengsten Triebverzicht leisteten – zugunsten weitgesteckter wirtschaftlicher Ziele, und diesen im Verfolg auch „ihren“ unteren Klassen einzubleuen trachteten, so hat sich nicht zuletzt aufgrund ihrer jahrhundertelangen Anstrengung nunmehr das Problem geradezu umgekehrt! Der Prominentenanwalt Johannes Eisenberg spricht – durchaus selbstkritisch – von „Reichtumsverwahrlosung“, die noch viel schlimmer sei als die Armutsverwahrlosung, „weil man ihr nicht mit Geld beikommen kann“. Zu dieser Umdrehung gehört auch eine wachsende Zahl von Managern, die tagsüber ihre unterworfenen Mitarbeitergruppen kujonieren und sich abends dafür von armen Dominas für viel Geld auspeitschen lassen, oder der Reichenproktologe in …, dessen Bademeister mit hohen Summen von seinen Bankerpatienten bestochen werden, damit sie ihnen vor wichtigen Sitzungen außer der Reihe Klistiere verpassen. Die Korrumpierung nach unten und allen Seiten geht aber noch weiter. Erwähnt seien z.B. die öffentlich-rechtlichen Sparkassen, mit denen einst die unteren Schichten zur Bildung von Rücklagen für Notfälle animiert werden sollten – und die nun zum hemmungslosesten Konsum und Erwerb von Spekulationsobjekten – wie Immobilien, Aktien, Fondsanteile etc. – auffordern. Oder die größenwahnsinnige sozialdemokratische Architektin Kressmann-Zschach, die ihren „politischen Freunden“ vergoldete Kühlschränke für deren Partykeller zu schenken pflegte. Die Immobilienentwickler … und …, die ihren Geschäftspartnern Ferraris schenkten. Ferner der Treuhandmanager Schucht, der Dow Chemical für die Übernahme von Leuna ohne Not noch 2 Milliarden DM zu einer 6-Milliarden-Förderung obendrauf gab, weil er sich umso großartiger fühlte, je mehr fremdes Geld er verschenken konnte. Aber auch noch der private reiche Erbe …, der in einem seiner Sexreisebücher herausarbeitete, dass und wie ihn zuletzt nur noch der Oralverkehr mit jungen thailändischen Mädchen befriedigte – die blind waren. Andere reiche Genußmenschen verlangt es nach immer ausgefalleneren Speisen – wie z.B.den Schloßbesitzer Wolfram Siebeck, oder nach immer ausgefalleneren Urlaubsorten – wie etwa Reinhold Messmer oder den linken Arbeitsrechtler Jörg Stein, der sich mit seinen ABM-Beschäftigungsgesellschaften zum „größten Arbeitgeber Ostdeutschlands“ aufschwang und dazu regelmäßig Treuhandmanager sowie andere ihn protégierende Unternehmensberater zu einem „Sambatisch“ nach Rio einlud. Wieder andere berauschen sich als vollkommen Unbeteiligte an spektakulären Kriegen und Folterungen – wie Karl-Heinz Bohrer, Josef Joffe und Michael Wolffsohn beispielsweise. Die besonders brutalen Westberliner Immobilienentwickler, Erfinder des Subsubsubunternehmer-Systems, bei dem regelmäßig die letzten vor die Hunde gehen, haben sich auf das Sammeln von Kunst oder das, was sie dafür halten, geworfen: So sammelt … z.B. Ritterrüstungen, für die er von der Stadt gerne ein Museum hätte, … hortet Nagelkunst von Uecker, für die er sich selbst eine Großgalerie unter den Linden errichtete, und der Bauskandal-Protagonist … sammelt Zinnfiguren. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang außerdem noch die Kunstsammlung von Flick, mit der nun ebenfalls Berlin-Brandenburg beglückt werden soll. Wenn die Kunst laut Theodor W. Adorno das Versprechen einer mit sich versöhnten (klassenlosen) Gesellschaft beinhaltet, dann verhöhnen solche verbrecherisch erworbenen Sammlungen und Schenkungen sie aufs Grässlichste. Auch das ist eine vollkommene Umdrehung. Das selbe gilt im übrigen auch für die vielen Stiftungen der Reichen – die Rockefeller-Stiftung z.b.,die sozusagen genetisch darauf fixiert ist, antiaufklärerisch zu wirken. Über ihren Stifter sagte einmal ein Psychoanalytiker: Er hat nur das Wort – „Ich“ – in seinem Bewußtsein.

    Man erkennt an dieser kurzen Aufzählung der Laster der Gutbetuchten bereits, dass wir all unsere sozialarbeiterischen, sozialforscherischen und seelsorgerischen Kompetenzen auf diese armen Schweine richten müssen. Ja, wir würden sogar so weit gehen: Alle sozialen und kirchlichen Einrichtungen in den von Polizei und Justiz so genannten Problembezirken bzw. Brennpunkten zu schließen und sie in die Quartiere der Wohlhabenden zu verlagern. Viel zu lange haben wir uns schon auf die Sorgen, Nöte und Ängste der Ärmsten konzentriert – und sie mit Fortbildungseinrichtungen, Qualifizierungsprogrammen, Beratungen, pädagogischen Instituten und Sendungen sowie moralischen Appellen – bis hin zu KdF-Schiffen, gewerkschaftlichen Ferienhäusern und Wallfahrten mit obligatorischer Zerknirschung – traktiert.

    Es ist höchste Zeit, dass wir nun alle Kräfte bündeln – und auf die Upperclass werfen, die nämlich in der Zwischenzeit nicht nur völlig vernachlässigt wurde, sondern auch ganz und gar auf den Hund gekommen ist. Wobei noch erschwerend hinzukommt, dass ihre ureigendste Yellowpress, neuerdings verbunden noch mit privaten Schmuddelsendern, diesen ihren moralischen Kretinismus nicht nur fortwährend unkritisch aufbläst, sondern ihn darüberhinaus auch noch tagtäglich als vorbildlich propagiert. Schon jetzt machen sich bereits die ersten debilisierenden Folgen dieser verwerflichen Medienpraxis – von Bunte, Bild, Playboy, Sat1 etc. – in den unteren Schichten der Gesellschaft bemerkbar. Bereits 1904 hatte der berühmte Journalistenpreisstifter Joseph Pulitzer davor gewarnt: „Eine zynische, gekaufte und demagogische Presse wird über kurz oder lang eine Bevölkerung erzeugen, die ebenso niederträchtig ist wie sie selbst“. Dazu gehört auch der Fall einer Studentin, die ihre Diplomarbeit über „Gespräche am Nebentisch“ u.a. im Faz-Zeit-Spiegel-Chefredakteurstreff „…“ schreibt und seitdem das publik wurde von den Restaurantbetreibern bzw. – stammgästen geradezu verfolgt wird, um sie zum Schweigen zu bringen. Nebenbeibemerkt haben diese illustren Big shots aus der Medienwelt die Realität inzwischen völlig aus den Augen verloren: So sagte neulich z.B. einer, dessen Mercedes gerade in Reparatur war und der deswegen einmal, wohl das erste Mal, mit der U-Bahn vom Westend in die Französische Strasse fuhr: „Ich weiß gar nicht, was die alle haben mit ihrer Kritik an den zu hohen BVG-Preisen, das war so spannend in der U2 – dafür hätte ich gerne das Doppelte oder Dreifache gezahlt!“ Während für die ideologische Intelligenzpresse der Reichen die ganze Natur inzwischen ein einziger neodarwinistischer Fitness-Park (for Survival) ist, gehen die Arbeitslosen – vor allem im lange Zeit reisebeschränkten Osten Deutschlands – massenhaft in Fitness-Center und Sonnenstudios, um sich anschließend dumm und dämlich zu „bummsen“, wie sie das nennen. Wobei sie sich darüber hinwegtäuschen, dass der Geschlechtsverkehr ein sozialer Akt ist und kein asoziales Zusammenklatschen ästhetischer Annäherungswerte an Prominente. Aber das ist bereits der verderbliche Einfluß unserer Reichen – die, wir wiederholen, zu lange von allem seelsorgerischen Bemühen links liegen gelassen wurden.

    Dabei ist gegen eine ästhetische Annäherung oder Maskierung („mimetisches Eintauchen“), um sich ihnen studien- bzw. beeinflussungshalber zu nähern, gar nichts einzuwenden, im Gegenteil. Die Schriftstellerin Renee Zucker hat das einmal unangenehm erfahren, als sie für eine „Du“-Einschleichreportage in einem Schweizer Luxushotel bereits an der Rezeption scheiterte – wegen ihres falschen „Outfits“. Umgekehrt machte vor dem Krieg eine Mitarbeiterin von Friedrich Siegmund-Schultze in Berlin die Erfahrung, dass sich ihre „Kostümierung“ bei den Gesprächen in solchen Lokalitäten eher als „Hindernis“ erwies. Während die rumänische Schriftstellerin und Mutter von vier Kindern, Carmen-Francesca Banciu, sich heute – im teuren Architekten- und Developer-Treff „Sale e Tabacchi“ – vor Gesprächspartnern nicht retten kann. Sie ist dort aber auch derart eins mit ihrer Umgebung geworden, dass sie solche albernen Sätze schreibt wie: „Berlin hat mehr Flair als Paris“ und „der Stil ist das Wichtigste für mich“. Unter den Männern könnte man hier noch die fast einer „Nil“-Zigarettenreklame entsprungenen Flaneurdenker Nikolaus Sombart und Wolf-Jobst Siedler erwähnen. Aber mit ihrer stilvollen Erscheinung können sie u.U. auch böse auflaufen. So war z.B. Edward W. Said, wie er in seiner Biographie „Am falschen Ort“ berichtete, höchst verwundert darüber, dass an der Universität Princeton unter den Elitestudenten eine zeitlang „ausgefranste Hemdkragen in Mode“ waren: „Völlig verblüfft beobachtete ich, wie zwei Studenten mit Schmirgelpapier über die Kragen ihrer neuen blauen Hemden herfielen, um binnen weniger Minuten die abgetragen-aristokratische Wirkung zu erzielen, die ihnen zu einem besseren Club verhelfen sollte“.

    Der Bourgeoisforscher Alvan Sanborn hat einmal ausführlich erklärt, wie man sich solchem oder ähnlichen Clubleben nähern muß: „Als die Zeit zum Aufbruch gekommen war, wusch ich gründlich Gesicht, Hände und Hals mit ‚Égoiste‘, zuvor hatte ich mir meine Frisur bereits von Udo Waltz richten lassen, nun zog ich Unterkleidung von La Perla an, ein paar üble Hosen von Calvin Klein, ein zerknittertes, aber neues Jackett von Armani, ein Paar klobige Budapester Schuhe und ein 400-Dollar-Stetson, der schon fast eine Verkleidung für sich war. Was die vollendenden Striche anbetraf, so hatte ich einen geradezu künstlerischen Stolz: dazu gehörte ein rotes Seidentuch, eine übel riechende Havanna und ein nach sündhaft teurem Whisky riechender Atem, ein cooler Gang und ein ins Leere gelöster Blick“. Mit diesem „Elendskostüm“ machte sich Sanborn allnächtlich auf zu den Balzplätzen der Reichen, wobei er sich davon leiten ließ, „dass der der unten ist, erfahren muß, was es bedeutet, oben zu sein“, wie das Victor Turner 1989 ausdrückte. Sanborn brachte es mit dieser uns fast als Parodie erscheinenden (und im Gegensatz zu den „organischen Intellektuellen“ Sombart und Siedler möglicherweise auch parodistisch gemeinten) „Ästhetisierung des Reichtums“ immerhin in kürzester Zeit zum Professor – und schließlich zum Beisitzer in nicht weniger als 12 staatlichen Gremien. Außerdem wurde er dann auch noch mit 41 hochdotierten Beraterverträgen bedacht – bis er sich dieser ganzen schmierigen Camouflage entledigte, indem er sie als eine einzige eitle Sauerei entlarvte.

    Eine solche aufklärerische Pointe ist jedoch nicht die Regel. Die Zahl der Bourgeoisforscher, denen ein solches „Gesellschaftsspiel“ (auch „Rollenreportage“ genannt) bitterer Ernst wurde, ist dagegen Legion. Der Berliner Stadtethnologe Rolf Lindner meint, dass sie infolge ihres „dressed up“ (das Pendant zum „studying up“) langsam die Angst vor den Reichen verlieren und sich schließlich einbilden: „Jetzt gehöre ich selbst zu ihnen“. Überdies erfreue sich derzeit alles „cross-cultural“ großer Beliebtheit und diese „Überschreitung“ (transgression) scheint „mit einer spirituellen Erfahrung“ ganz eigener Art verbunden zu sein. Das hat noch nicht oft aber immer öfter zur Folge, wie Emil Klaeger aus Wien berichtete, nachdem er sich forschungshalber in einen Club der Reichen eingeschlichen hatte und dort zu seiner Freude sofort mit einem vermeintlichen „Member“ ins Gespräch gekommen war, dass dieser ihm schließlich gestand: „Ich bin gar kein Reicher, sondern Journalist…und wollte mit dieser Verkleidung nur Studien machen.“ Ähnliches erzählte neulich auch eine russische Edelprostituierte am Berliner Gendarmenmarkt: „An manchen Tagen habe ich schon mehr Journalisten als reiche Freier. Aber das ist mir auch recht: Die zahlen alle das selbe.“

    Es gilt also, bei den Forschern und ebenso auch bei den Seelsorgern, zu unterscheiden – in solche, die die Reichen untersuchen bzw. betreuen, und sone, die sich mit ihnen bloß gemein machen (wollen). Gleicherweise muß man auch bei ihren Zielobjekten unterscheiden: zwischen den „honest rich“ und den „clever bastards“ etwa. Die Übergänge sind hierbei zwar auch fließend, aber generell gilt: Erstere sind aller Unterstützung würdig – und letztere nicht. Ungeachtet früher gemachter Aussagen wie „Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr“ – was dann im Sozialismus ganz pauschal in „Kulakenliquidierungen“ z.B. kulminierte. Bei diesen Unterscheidungen kann man auch noch weitere Gegenüberstellungen treffen – in „routine seekers“ und „action seekers“ beispielsweise…

    Ein Ort, der für solche Trennungsarbeiten geradezu prädestiniert zu sein scheint, ist Sylt – „die Insel der Reichen, Schönen und Prominenten“, wie sie sich selbst bewirbt. Dort gibt es überdies ein Dorf, wo besonders viele Reiche leben: Kampen. Hier trieb sich nicht nur der ehemalige Regierungssprecher Peter Boehnisch herum, der – wie Kellnerinnen berichten – nie seine Zeche bezahlt, sondern bloß die Rechnungen unterschrieb. Die Millionärskommune hat sich auch ein neues kostspieliges Rathaus errichten lassen, aus Mitteln – man höre und staune: des „EU-Fonds zur Förderung strukturschwacher Regionen“. Früher vergnügten sich dort auch noch Rudolf Augstein und Axel Caesar Springer. Letzterer soll laut der inzwischen eingestellten Schweizer Zeitschrift „Alltag – Sensationen des Gewöhnlichen“ angeblich einmal auf einer Orgie einen armen Strichjungen zu Tode gepeitscht haben. Etwas weniger blutig, aber nicht minder verwerflich sind die zuweilen dort noch immer stattfindenen „Partys“ des Besitzers einer Berliner Bordellkette,……, an der einmal auch die tiefreligiöse ukrainische Krankenschwester Lilli Brand, die dann in Berlin als Prostituierte arbeitete, teilnahm. In ihrem Forschungsbericht „Transitgeschichten“ schreibt sie: „Zu den geladenen Gästen gehörten seine besten Freunde, seine Freundin und sein Pitbull. Die Teilnahme der Mädchen aus seinen Bordellen war freiwillig. Aus Neugierde nahm ich auch einmal daran teil, es wurde außerdem gut bezahlt. Auf den Orgien fand alles statt: auch Sex zwischen Männern, zwischen Frauen und zwischen einigen Menschen und dem Hund. Ich mußte einen Dildo umschnallen und den Chef in den Arsch ficken, während seine Freundin ihn anpisste. Danach blies sie auch noch seinem Hund einen.“

    Wir erwähnen diese Beispiele hier, um damit anzudeuten, dass es sich bei den Reichen auf Sylt wohl vor allem um „bastards“ handelt. Dennoch oder gerade deswegen wäre die Insel vielleicht für einen ersten konzentrierten Einsatz aller Kräfte des „Upperclass-Projekts“ besonders geeignet…Wenn doch bloß der „Fonds für strukturschwache Regionen“ einer für „strukturschwache Religionen“ wäre – denn das sind sie, mindestens in den hiesigen Breiten: Die Kirchen sind leer und die Priester leiern nur noch für eine Handvoll verarmter Rentner ein trostloses Gemisch aus Bibelzitat, Pädagogik, theologische Interpretation und Alltagserlebnis herunter. Auf ihren Großveranstaltungen verfallen sie dafür ins andere Extrem – so z.B. beim Kirchentag in Berlin, den viele Besucher als ranschmeißerische „Love-Parade“ empfanden. Höhepunkt war eine Talkshow auf der zentralen Bühne, auf der die französische Pornographin Catherine Millet mit zwei Theologen über den „Kampf ums Glück“ diskutierte. Dazu las man zuvor aus ihrem Buch vor: „Jacques‘ Eier klatschten gegen meinen Arsch…Nachdem er in mir abgespritzt hatte, zuckte er noch drei mal… usw.. Der evangelische Theologe setzte später noch ein Kapitelchen von einem männlichen Pornographen drauf, in dem dieser den dicken Zellulitis-Hintern seiner Geliebten über alle Maßen pries. Der Evangele war ein begeisterter Leser von Millet, weil sie die christlich aufgeladene Sexualität „entstresst“ habe. Die katholische Theologin gab demgegenüber der Pariser Pornographin contra: 1. seien ihre Schilderungen ein „alter Hut“, weil Millet es stets vorziehe, „passiv von den Männern genommen zu werden“; dabei gehe es heute eher um eine „Entwicklung bzw. Kultivierung des weiblichen Begehrens“, 2. waren ihr die Schilderungen zu oberflächlich, denn die „Authentizität ist ja auch bereits normiert“ und 3. sei Millets Aufspaltung „in Körper und Seele“, wobei sie sich auch noch auf den Katholizismus berufe, theologisch kaum mehr haltbar – wenn nicht sogar falsch. Der evangelische Theologe pflichtete ihr da bei und wollte ebenfalls beim Geschlechtsverkehr nicht gerne geistig außen vor bleiben, meinte jedoch gegenüber der Katholin noch einmal betonen zu müssen: „Das Leiden sollte man nicht zu hoch hängen. Glück hat etwas mit Seelenfrieden und nicht so viel mit Euphorie zu tun“… In Summa: Auf dieser Kirchentags-Großveranstaltung kam das kollektive Glück nur noch im „Gruppensex“ und die Gesellschaft (le social) als „Gangbang“ vor. Dies zeigt, dass einige Kirchenobere inzwischen selbst dem asozialen Hedonismus der Reichen verfallen sind, anstatt ihm wenigstens versuchsweise etwas entgegen zu setzen.“

  • Pressemitteilung vom 17.07.06

    * Gentechnik-GegnerInnen: „Einstweilige Verfügung hält uns nicht auf!“
    * Feldbefreiungsaktion findet auf jeden Fall statt

    In Badingen spitzt sich der Konflikt um das Genmaisfeld des Landwirts Eickmann zu. Auf Betreiben des Bauern hat das Landgericht Neuruppin dem Imker Michael Grolm eine einstweiligen Verfügung zukommen lassen. Dem Imker, der angekündigt hatte, das Feld in einer öffentlichen Aktion am 30. Juli vom Genmais zu befreien, wird nun ein Zwangsgeld oder eine Ordnungshaft angedroht, sollte er das Feld betreten.Michael Grolm: „Ein Schreiben an mich nützt der Gentechnik-Lobby wenig –
    es liegen uns bereits über 200 namentlich veröffentlichte
    Absichtserklärungen vor, von lauter selbstständig denkenden und handelnden Menschen. Die Aktion findet in jedem Fall statt!“

    „Obwohl Michael Grolm als einer der ersten öffentlich seine Feldbefreiung ankündigte, handelt es sich dabei nicht um einen Alleingang“, betont die Biologin Anja Becker. „Vom Genmais, vom Einstieg in die Agro-Gentechnik in diesem Land geht eine große Gefahr aus. Der widersetzen sich viele Menschen mit großer Entschlossenheit.“

    Darüber hinaus erklärte Grolm: „Das Zustandekommen der Verfügung macht deutlich, dass die Gentechnikindustrie Muffensausen bekommt. Der Badinger Bauer hat einen Rechtsanwalt aus Düsseldorf beauftragt – kein Wunder, denn dort ist die Deutschlandzentrale von Monsanto, dem Gentechnikkonzern
    Nummer eins und Lieferanten des Genmaises, der in Brandenburg auf etlichen Feldern wächst.“

    Die Gentechnik-Gegner befürchten, dass die großflächige Einführung von Gentechnik schon in wenigen Jahren eine gentechnikfreie Landwirtschaft und Imkerei unmöglich macht. Michael Grolm: „Das deutsche Gentechnik-Gesetz
    schützt die BürgerInnen nicht vor einer schleichenden Verseuchung von Gentechnik. Die Verbreitung von Gentechnik auf den Feldern muss aber jetzt gestoppt werden, denn rückholbar ist diese Technologie in wenigen Jahren nicht mehr. Freisetzungen müssen – wie schon in anderen europäischen Staaten geschehen – verboten werden.“

  • Die Spurbienen, sowohl die, die von einem neuen Blütenfeld berichten, als auch die, die eine „neue Höhle“ für den Schwarm gefunden haben,machen einen Plan – sie tanzen eine Geländekarte.

    Nun ist aber „die Karte nicht das Gelände,“ wie der Anthropologe Gregory Bateson zu bedenken gab. Es gibt jedoch „Kartenmenschen“ und „Geländemenschen“: Erstere sind solche, die stets mit einer Karte vor der Nase durchs Gelände laufen und letztere sone, die sie einfach machen lassen sich selbst im Gelände aber lieber ohne orientieren.

    „Eine Karte ist kein Bild, das angeschaut wird, erklärte Jakob von Uexküll, „sondern eine Zusammenstellung symbolischer Zeichen, die man erlernen muß, um die Karte lesen zu können.“ Der baltische Umweltforscher erzählte dazu eine Geschichte: „Pastor Busch in Estland hatte sich eine neue Karte der Ostseeprovinzen kommen lassen und zeigte sie einer Gruppe von Bauern. Die Bauern betrachteten sie lange und sagten dann mit ernstem Kopfnicken: ‚Sehr ähnlich‘. – ‚Wem ähnlich?‘ fragte der Pastor erstaunt. ‚Nun, dem Herrn Pastor,‘ erwiderten die Bauern.“ Uexküll fügte hinzu: „Eine Landkarte, die nie etwas anderes ist als eine abgekürzte Beschreibung in einer konventionellen Zeichensprache, kann nie ähnlich, sondern höchstens richtig sein.“

    Für die aus dem Bauerntum hervorgegangenen Partisanenführer war das stets ein Problem – jedenfalls dann, wenn sie erfolgreich waren und mit ihrer Einheit die Partikularität überwanden, d.h. z.B. in einer (Roten) Armee aufgingen: Während ihre Leute dabei in die Fronttruppen eingereiht wurden, fanden sie sich im Stab wieder, wo ihnen ihre Geländekenntnisse nichts mehr nützten: Sie mußten dort fortan anhand von Karten entscheiden. Viele Partisanenführer, Budjonny z.B., schnappten sich eine Studentin und ließen sich von ihr erst einmal heimlich die Kunst des Kartenlesens beibringen.

    Systematisch studieren gemeinhin Geographiestudenten diese Kunst. Die an der Freien Universität Westberlin besaßen dazu ein Kartographierungs-Übungsfeld im Tschad. Als sich dort ein Bürgerkrieg anbahnte, fertigten die FU-Studenten Karten für die Partisanen an, während ihre Professoren weiter die Regierung versorgten.

    Den Bienen scheint die Kunst des Kartenlesens angeboren zu sein: Mit ihrem „Bienentanz“ zeichnet eine Biene für die anderen die Lage einer neuen Blütentracht auf, wobei sie Richtung, Entfernung, Menge usw. angibt. Der Biologe W.H.Thorpe meinte: „Die Leistung der Arbeitsbienen ist nichts mehr und nichts weniger als ein elementares Kartenzeichnen und Kartenlesen, ein symbolisches Tun, bei welchem die Richtung der Schwerkraftwirkung symbolisch auftritt für die Einfallsrichtung der Sonnenstrahlen. Wir sind zu fragen genötigt, ob es, von menschlichen Fähigkeiten abgesehen, irgend etwas Vergleichbares zu diesem Gebaren im Tierreich gibt.“ Bisher hat noch kein Bienenforscher von einer Biene berichtet, die eine schlechte bzw. fehlerhafte Karte tanzte.

    Auf der anderen Seite fühlte sich die Bundeskulturstiftung gerade bemüßigt, einen „Tanzplan Deutschland“ – mit 12,5 Mio Euro zu finanzieren. Jorge Luis Borges erzählte einmal von einem Land, in dem die Kartographie besonders gut entwickelt war – und die Kartographen sich schließlich an eine Karte des Reiches im Maßstab 1:1 machten! Wenn dort diese Kunst wirklich hochentwickelt war, so denke ich, dann hätten die Geographen im Gegenteil immer kleinere Karten vom Reich angefertigt. Die FU-Geographen zogen für ihre Kartographierungsaufträge im übrigen gerne Satellitenaufnahmen von der NASA heran; aus Kostengründen wechselten sie ab 1986 zu den Sowjets. Auf deren Karten waren allerdings noch bis 1988 alle geheimen Objekte und Truppenübungsplätze rausgekratzt. Der Rest der Sputnikaufnahmen war aber so scharf, dass man z.B. auf dem Ausschnitt Berlin noch die Siegessäule und den Fernsehturm identifizieren konnte.

    Walter Ulbricht soll den Fernsehturm einmal auf einem Modellplan, wo man ihn auf den Müggelbergen plaziert hatte, von dort abgebrochen und ihn am Alexanderplatz hingepflanzt haben – mit der Bemerkung: „Da muß der hin!“ Als Planwirtschaftler waren die Kommunisten immer ziemlich gut im Kartenlesen und Modelle deuten. Gelegentlich unterschieden sie jedoch nicht genau genug zwischen „den Phänomenen und ihrer Beschreibung – und ahmten am Ende die Beschreibung des Phänomens nach,“ wie Humberto Maturana kritisierte.
    Helmut Höge (in Ergänzung zum obigen Text)

  • …Leider erwähnen Sie nicht, um was für Hummeln es sich auf der taz-Dachterasse und im Pankower Schrebergarten handelt. Es gibt über 30 Arten in Deutschland, am verbreitetsten ist die Erdhummel. Sie hat einen weißen Hintern und zwei gelbe Streifen. Der Biologe Ralf Braun meint, „unter dem Namen Erdhummel verbergen sich vermutlich vier Hummelarten, die sich gerade in der Aufspaltung befinden“.
    Die Gartenhummel unterscheidet sich von der Erdhummel im wesentlichen durch das Fehlen des weißen Hinterns. Letztere nistet gerne in verlassenen Mäusenestern, sieist mitnichten ein Einzelgänger, ihre Staaten umfassen 100-800 Individuen, in den Nestern der Gartenhummel, die dafür u.a. Nistkästen nutzt, leben dagegen bloß 50-100 Individuen. Sie hat nur einen kleinen Sammelradius, während der der Erdhummel bis zu 8 Kilometer groß sein kann. Dafür ist ihr Saugrüssel mit 1 Zentimeter meistens nur halb so lang wie der der Gartenhummel: „Damit ist sie und andere langrüsselige Hummeln für eine ganze Reihe von langkronigen Blütenpflanzen alleine für die Bestäubung zuständig,“ schreibt Ralf Braun (in: „Biene Mensch Natur, Heft 10 2006).
    Daneben haben auch Gilles Deleuze und Félix Guattari in ihren Büchern „Anti-Ödipus“ und „Tausend Plateaus“ bereits Erhellendes über die Symbiose zwischen Hummeln und bestimmten Blumen geschrieben. Kurzrüsselige Hummeln wie die Erdhummel beißen dafür gerne seitlich Löcher in Blüten, an die sie von oben mit ihrem Rüssel allein nicht herankommen: „Allerdings werden hierbei die Blüten nicht bestäubt,“ schreibt R.Braun, so dass man hierbei statt von Symbiose eher von Parasitismus sprechen müßte, jedenfalls wenn man davon ausgeht, dass die betreffende Blume unbedingt bestäubt werden will – und nicht die Nektarentnahme (von der Seite) ihr bereits große Freude bereitet.
    Ein weiterer Unterschied zwischen Erd- und Gartenhummel liegt im Fluchtverhalten: die letzteren sind scheuer als die ersteren, die sich also nicht so leicht vertreiben lassen – und die sich deswegen auch besser zum Beobachten eignen. Dem Hobbygärtner sind allerdings beide gleich lieb.
    Florian Troisdorf (Husum)

  • Sehr geehrter Helmut Höge

    Im soeben ausgedruckten Spiegel, wo immer mehr Redakteure zu einem bloßen Bloger-Dasein verurteilt werden, indem man ihre Artikel ins „online“ abschiebt, haben diese nun zurückgeschlagen – mit einem Aufmacher über die ganzen „Internet“-Idioten, die sich mal als „Besserwisser bei Wikipedia, mal im eigenen Online-Tagebuch und mal ganz profan mit verhuschten Nacktphotos vor der heimischen Schrankwandkombination entblößen“. Nun erinnere ich mich an einen Diavortrag von Ihnen, Helmut Höge, da zeigten Sie – 1994 – bei Trödlern gefundene Dias – u.a. eine Serie mit „Nacktphotos“ und eine mit „Schrankwandkombinationen“. Es ging dabei, wenn ich mich richtig erinnere, um nicht-denunziatorische Alltagsforschung. So viel erst einmal dazu.

    Im Spiegel heißt es weiter: „Ein Heer von Freizeitforschern und Hobbyjournalisten, von Amateurfotografen, Nachwuchsfilmern und Feierabendmoderatoren hat das World Wide Web als Podium erobert.“ Man könnte noch hinzufügen: auch Massen von Dilettanten, Projektemachern, Erfinder, Verbesserer, Querulanten und Sonderlinge – bloggen alles ab, was und wo es nur geht. Dazu fand im Berliner Zentrum für Literaturforschung gerade ein Symposium über den „Dilettantismus als Beruf“ statt, wo u.a. das Wort „Universal-Spezialist“ fiel und der Abschlußvortrag dem „Existentiellen Besserwissen“ gewidmet war.

    In bezug auf dessen Ausbreitung im Internet fragte sich der Spiegel bereits: „Bedeutet Masse auf einmal Klasse?“ Da er die entscheidenden Fragen stets von einem „US-Wissenschaftler“ bzw. „US-Journalisten“ beantworten läßt, war das „Ja“ hier quasi vorprogrammiert: „Der amerikanische Wirtschaftsjournalist James Surowiecki glaubt: ‚Unter den richtigen Umständen sind Gruppen bemerkenswert intelligent – und oft klüger als die Gescheitesten in ihrer Mitte.‘ Wenig später heißt es noch pointierter: „Im kollektiven Wissen liegen die Lösung“.

    Ein anderer US-Wissenschaftler, Thomas Seeley von der Yale-Universität hat dazu die Bienen und ihre Meinungsbildung per Tanz erforscht. Es ging ihm dabei nicht um den von Karl von Frisch erforschten „Rund- und Schwänzeltanz“ im Stock, mit denen die Bienen sich über die Größe und die Entfernung von Blütentrachten verständigen, sondern um jene Tänze, die „Spurbienen“ aufführen, um ihrem an einem Baum hängenden Schwarm, mit der Königin in der Mitte, mitzuteilen, was für eine neue Unterkunft sie für das Volk gefunden haben. Die „ideale Höhle“ muß 1. einen Rauminhalt von 15 bis 80 Litern haben, 2. einen nach Süden weisenden Eingang, 3. ein Einschlupfloch von weniger als 75 Zentimetern und 4. muß sie sich einige Meter über dem Boden befinden. All diesen Faktoren und noch weiteren müssen die Spurbienen nachgehen. Es sind dazu manchmal bis zu 500 unterwegs. Zurück beim Schwarm, der immer noch am Baum hängt, berichten sie darüber mit einem „Schwänzeltanz“ – und zwar um so heftiger und nervöser, je mehr die einzelne Tänzerin von der Qualität der von ihr gefundenen neuen Behausung überzeugt ist. Daraufhin fliegen die anderen „Spurbienen“ noch einmal aus, um sich selbst von diesem „Supernistplatz“ zu überzeugen.

    Das alles kann mehr als drei Tage dauern – „bis es schließlich zu einer Übereinstimmung darüber kommt, welcher Ort das geeigneteste neue Zuhause für das Volk darstellt,“ so faßt die englische Zoologin M.S. Dawkins diese US-Forschung an Bienen zusammen, wobei sie noch hinzufügt: „Am Ende steht die Entscheidung des gesamten Volkes darüber, welches der beste Nistplatz in der Umgebung ist. Die Entscheidung ist so effizient und genau, dass alle Menschen sie beneiden müßten, die ebenfalls versuchen, durch Übereinstimmung zu Entscheidungen zu gelangen.“

    Und darum geht es doch eigentlich – fast immer. Auch und erst recht bei den laut Spiegel egomanischen „Entblößungen“ im Internet. Das ganze WWW-Konfusorium ist eine Art von „Schwänzeltanz“! Was sich vor allem in Krisen-Zeiten bzw. -Regionen zeigt – z.B. im russischen Internet, in das u.a. die Schriftsteller und Wissenschaftler ihre kompletten Werke stellen – und es kostenlose Diskussionsforen en masse gibt. Wladimir Kaminer ging neulich sogar so weit zu behaupten: „Das Internet hat Russland gerettet!“ Während eine Bei der US-Aid angestellte Mongolin meinte: „Wie alle nomadischen Kulturen ist auch unsere mongolische eine vornehmlich orale, deswegen ist das Handy geradezu ein Geschenk des Himmels für uns, das Internet dagegen nicht so wichtig.“ Das „beweisen“ dann auch die zwei Spiegel-Graphiken noch einmal, mit denen der „weltweite Internet-Datenverkehr“ dargestellt wird. Ich will mit dem bisher Gesagten darauf hinaus, dass die wissenschaftliche Forschung, wenn sie ihren Honig aus dem Bienenverhalten saugt, vielleicht wenig für den Imker übrig hat (läßt), aber unter Umständen viel für die Menschheit.
    Jens Thomas, Berlin-Steglitz

  • Am 27.Juni diskutierten in der Wiener Alten Schmiede auf Einladung der Kulturwissenschaftler Christoph Hoffmann und Peter Berz der Biologe Friedrich Barth und der Dichter Marcel Beyer über Spinnen und Bienen. Hoffmann hatte eine Spinne im Glas mit dabei, deren Lebensäußerungen gefilmt und auf eine Leinwand übertragen wurden, und Beyer war mit einer Biene erschienen.Bevor die beiden Referenten über „ihre“ Tiere redeten, verteilten die Veranstalter ein so genanntes „Hand-Out“ (früher „Paper“, noch früher „Thesenpapier“ genannt). Es ging darin um die Formulierung einiger Fragen, um die die Diskussion mit den beiden Naturforschern kreisen sollte. An einer Stelle heißt es darin:
    „Im biologischen Wissen, anders als im poetischen Sprechen, scheint nur dasjenige wahrheitsfähig und zur Sprache zu kommen, was auch wiederholbar ist, was in gewissem Sinne seriell ist und darum verallgemeinerbar. Es folgt nicht der Struktur einer Erzählung, wie noch in den Schriften vieler älterer Naturforscher, etwa Fabre oder Brehm. Denn Erzählungen von einer
    bestimmten Biene, einer bestimmten Spinne – also das, was jeder
    Nichtbiologe kennt, der mit einem Tier zusammenlebt – sind viel zu sehr auf singuläre Situationen angelegt, als daß sie wahrheitsfähig wären. – Gibt es in der Biologie einen Raum für die einzelne nicht wiederholbare Situation? Kann sie nur erzählt werden? Wie erzählerisch darf das Wissen der Biologie sein, wie erzählerisch muß es sein? Ist die einzelne Situation die Domäne
    des literarischen Zugriffs? Besteht umgekehrt die Literaturgeschichte nicht aus immer wieder wiederholten Situationen? Als was begegnet eine Biene, die auf einem Bücherschrank gefüllt mit Bienenliteratur sitzt?
    Gegen Serialisierung und Wiederholbarkeit stünden auch alle ganz neuen, unvermuteten Situationen, nicht nur für den Beobachter, sondern für das Tier selbst. In ihnen steht meist keineswegs die ganze Art auf dem Spiel, sondern „nur“ oder gerade ein bestimmter Lebensmoment eben dieses Lebewesens da. Auch die Situation Ihrer ersten Begegnung mit dem Tier, für das Sie sich dann Jahre ihres Lebens interessieren, ist nicht wiederholbar,
    sondern einmalig. – Wie hat sich diese erste Begegnung angebahnt: stand am Anfang das Tier, das auf Probleme geführt hat, oder waren da Fragen, die nach einem geeigneten Modellorganismus verlangten? Wie kommt eine Biene ins
    Gedicht? Warum Bienen und nicht Fliegen? Und wo stößt das Tier eigentlich dem Schriftsteller zu: ‚im Feld‘ des täglichen Lebens oder bei der Lektüre der „Biene Maja“?

    Die Situation „im Feld“, im „Freiland“, in der der Biologe etwa eine Spinne antrifft, ist viel reicher, hat eine viel größere Tiefe als das, was dann erforscht und ins Labor transponiert, bzw. als im Labor Erforschtes wieder ins Feld transponiert wird. Isolation ist die Voraussetzung jeder Beobachtung, nicht nur von biologischer Forschung. Beobachtung isoliert ganze Situationen und schneidet sie von ihrer Umgebung ab – genauso wie unter der Beobachtung das Individuum zum Akteur eines Experiments, eines
    Gedichts wird, von dem es nichts weiß. – Welche Rolle spielt für Sie der ganze Rest? Gibt es gelegentlich auch ‚unbeobachtete‘ Situationen, in denen man – ohne Frage und ohne Notizen zu machen – dem Tier einfach zuschaut, nicht gedankenverloren, aber interesselos, mit Wohlgefallen? Was passiert mit dem Tier, seiner physischen Präsenz, wenn es in die Sprache eintritt, auch zum Sprachmaterial wird? Isoliert jede Sprachgebung genauso wie ein Experiment?“
    (weitergeleitet von Johann Lange, z.Zt. Bratislava)

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